Wir brauchen es für alles. Wir brauchen es, um die Treppe runterzugehen und uns auf einen Stuhl zu setzen. Wir brauchen es, um uns zu freuen, wenn wir auf eine alte Freundin treffen und um Angst zu haben, wenn ein Hund auf uns zuspringt. Unser Gedächtnis ist viel mehr als einfach nur ein Archiv für Erlebtes: Es ermöglicht uns nicht nur den Blick in die Vergangenheit, sondern hilft uns vor allem, uns im Hier und Jetzt zurechtzufinden.
Da alle unsere Denkprozesse fast immer auf Erinnerungsleistungen beruhen, sitzt das Gedächtnis nicht in einem einzelnen Hirnareal, sondern überall in unserem Oberstübchen: Wir speichern Informationen in unterschiedlichen Regionen, verknüpfen sie miteinander und ordnen sie je nach Bedarf in größere Zusammenhänge ein. Gedächtnis ist Teamarbeit! Unsere Erinnerungen werden in weitverzweigten Nervenzell-Netzwerken angelegt. Das erklärt auch, warum wir im Zug sitzen und plötzlich an unsere Oma denken müssen, weil wir Kölnisch Wasser in die Nase bekommen: Manchmal reicht ein bestimmter Reiz wie ein Geruch, ein Lied oder ein Ort, um eine Kettenreaktion im neuronalen Verbund auszulösen.

Illustrationen von Nicole El Salamoni aus dem Buch „Smart bis zum Sarg“
Ärgerlich ist allerdings das Gegenteil: Wir kramen in unserem Gedächtnis nach einem Namen – und er will uns einfach nicht einfallen. Dahinter stecken meist kleine „Verkettungsfehler“ in unserem Netzwerk. Sobald wir den richtigen Reiz finden – vielleicht hilft uns jemand mit dem Anfangsbuchstaben weiter oder wir erinnern uns an eine Situation, in der uns das Wort schon einmal begegnet ist – löst sich der Knopf im Kopf oft und wir haben wieder Zugriff auf das Gesuchte. Blöderweise aber oft erst eine Stunde später.
Die Tatsache, dass wir nicht jederzeit jede Information abrufen können, ist kein aber Zeichen von Schwäche. Im Gegenteil, das ist sogar effizient: Unser Gehirn selektiert permanent und versucht, die nützlichsten Verknüpfungen aufrechtzuerhalten. Was weniger nützlich scheint, wird nach hinten sortiert.
Effizient ist unser Gedächtnis, aber empfindlich! Haben wir schlecht geschlafen, ist unsere Gedächtnisleistung bis zu 40 Prozent reduziert. Sind wir gestresst, hapert’s hingegen beim Hippocampus – einem Hirnareal, das für die Gedächntisbildung wichtig ist. Und auch auf andere Lebensstilfaktoren reagiert unser Gedächtnis: ob wir uns ausreichend bewegen, wir essen, wie lange wir am Handy hängen, wie traurig oder einsam wir sind, ob wir geistig kaum noch gefordert werden und wie gut wir Vorerkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck einstellen, hat eine Auswirkung auf unsere Zellen im Kopf. Das Gute daran: Sobald wir wieder für bessere Rahmenbedingungen sorgen, erholt sich unser Gedächtnis in der Regel recht schnell von kurzzeitigen Belastungen. Vernachlässigen wir es jedoch dauerhaft, steigt langfristig das Risiko für Erkrankungen.
Die gute Nachricht ist: Heute wissen wir viel mehr darüber, was wir tun können, um unser Gedächtnis langfristig fit zu halten und geistig gesund zu bleiben. Wer mehr darüber erfahren möchte, findet in meinem Buch „Smart bis zum Sarg – Gesundes Gehirn, starkes Gedächtnis“ zahlreiche alltagsnahe Tipps und wissenschaftlich fundierte Ratschläge, um kompetent bis zum Testament zu bleiben!
TEXT: Dr. rer. biol. hum. Barbara Plagg