KVW Aktuell
Die längst überfällige Gleichstellung

Modernisierung des italienischen Familienrechtes in Bezug auf eheliche und uneheliche Kinder

Ein Kind ist jetzt auch in unserem Rechtssystem ein Kind. Und es spielt keine Rolle mehr, ob es in einer Ehe oder außerhalb geboren oder adoptiert wird. Ab jetzt gibt es rechtlich gesehen keinen Unterscheid mehr. Aus unseren Gesetzestexten verschwinden nun endlich alle Beiwörter wie ehelich, unehelich, adoptiert und es bleibt ein einziger Begriff übrig: einfach nur Kind.
Es ist eine kleine Revolution, die die Regierung Letta mit dem Legislativdekret vom 12.7.2013 einleitet und damit die Vorgaben des Ermächtigungsgesetzes Nr. 219/2012 umsetzt. Diese Reform des Familienrechts ist eine längst fällige Anpassung unseres Rechtssystems an europäische Standards. Die wesentlichen Inhalte der Reform betreffen das Erbrecht, wonach die unehelichen Kinder - sowie die ehelich geborenen Kinder und die Adoptivkinder - zur Erbschaft nicht nur gegenüber den Eltern, sondern auch gegenüber allen anderen Verwandten berufen werden können. Ebenso sieht die Reform die Abschaffung des Begriffes „elterliche Gewalt“ und die Einführung der Bezeichnung „elterliche Verantwortung“ für all jene Rechte undPflichten vor, die sich aus dem Elternwerden und Elternsein ergeben wie die Pflicht die Kinder, gleichgültig ob ehelich, unehelich oder adoptiert, zu erhalten, zu erziehen und ihren Neigungen und Fähigkeit entsprechend auszubilden. Auch die Möglichkeiten einer Vaterschaftsaberkennungsklage werdenin dem entsprechenden Legislativdekret auf fünf Jahre nach der Geburt des Kindes im Interesse desselben eingeschränkt und die Anhörungsrechte der Minderjährigen in Gerichtsverfahren, die sie betreffen, ausgeweitet. Das alles trägt auch einer jahrelangen Rechtssprechung des Verfassungs- und Kassationsgerichtshofes Rechnung, die diese Punkte wiederholt aufgegriffen und im Sinne der nun erfolgten Reform angemahnt haben. Ministerpräsident Enrico Letta nennt diese Reform selbst wörtlich ein „großes Zeichen von Menschlichkeit“ und das ist sie wirklich.
Denn die UN-Kinderrechtskonvention, welche am 20. November 1989 in Kraft getreten ist und der sich Italien durch die Ratifizierung im Jahr 1992 verpflichtet hat, schreibt fest, dass alle Kinder gleich sind, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion und ob Junge oder Mädchen.
Welche Bedeutung diese Reform des Familienrechtes hat, lässt sich sehr schnell an der Zahl der betroffenen Kinder festmachen. In Italien wird jedes vierte Kind außerhalb der Ehe geboren, in Südtirol schon jedes zweite Kind. Für sie alle bedeutet das nun, dass sie sich ohne Unterschied auch im Sinne des Gesetzes einfach nur als Kinder ihrer Eltern fühlen können.

Text: Waltraud Deeg

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Sozialkritik bei den Propheten


Soziallehre im heute gebräuchlichen Sinn kennt die Bibel nicht. Wohl aber kennt sie Sozialkritik. Und das in großem Umfang. Sozialkritik ist etwas anderes als eine neutrale Beschreibung sozialer Zustände. Diese Form von Kritik zielt immer auf Wirkung, auf Änderung ab. Die Propheten wollen mit ihrer Kritik diejenigen, deren Partei sie ergreifen, stärken oder gar zum Widerstand bewegen.
Alle Propheten des Alten Testamentes haben ein waches Auge für menschliches Fehlverhalten. Von manchen von ihnen werden sozialkritische Sätze überliefert, die an Wortgewalt kaum zu überbieten sind. Als einer der schärfsten Kritiker sozialer Ungerechtigkeiten gilt der Prophet Amos. Er lebte und wirkte im 8. Jahrhundert v. Chr. Sein Einsatz galt insbesondere den Kleinbauern, denen wegen Überschuldung der Verlust von Besitz und persönlicher Freiheit drohte. Gleichzeitig kritisiert Amos das Luxusleben der politisch und wirtschaftlich mächtigen Oberschicht.
Jesaja ergreift in besonderer Weise Partei für die Witwen und Waisen
Einen breiten Raum erhält die Sozialkritik bei Jeremia. Er greift die Großen an, die das Recht missachten. Übeltäter nennt er sie. Ezechiel tritt als Beschützer der Bettelarmen seiner Zeit auf. Das sind Personen, die aus allen Systemen von familiären und nachbarschaftlichen Sicherungen heraus gefallen sind.
Weil die Verhältnisse sich nicht grundlegend änderten, fuhren auch die Propheten der Nachexilszeit (ab 500 v. Chr.) mit der Sozialkritik fort.
Die Propheten des Alten Testamentes gelten als scharfe Analytiker der Missstände ihrer Zeit. Sie geißeln kultische, politische und wirtschaftliche Fehlentwicklungen und hören nicht auf, Veränderungen anzumahnen. Mit Blick auf dieWeltlage von heute könnten Christen von der Zivilcourage dieser tief gläubigen Persönlichkeiten viel, sehr viel lernen.

Text: Josef Stricker