Thema

Europawahlen - warum hingehen

25. Mai 2014: Wahl zum EU-Parlament
Seit der ersten Direktwahl im Jahr 1979 hat das Europäische Parlament seine Kompetenzen Zug um Zug ausgebaut. Heute beschließt das Parlament zusammen mit dem Ministerrat Gesetze, die in allen Mitgliedstaaten der EU gültig sind und die unser tägliches Leben betreffen.

Werner SteinerWerner Steiner

Das Europäische Parlament setzt sich für ein „Europa der Bürger“ ein, für die Wahrung der Menschenrechte und der Grundrechte. Es engagiert sich für den sozialen Ausgleich in Europa, für den Abbau der Arbeitslosigkeit sowie das wirtschaftliche Wachstum in der ganzen Gemeinschaft. Auf der internationalen Ebene hat sich das Parlament von Beginn an für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte stark gemacht. Das Parlament setzt sich ein für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung und für eine starke, friedenspolitische Rolle der Europäischen Union. Dabei ist ihm der Schutz der Umwelt und der Verbraucher stets wichtig.
Neuwahl des Europaparlaments
In Italien findet die Wahl zum EU-Parlament am Sonntag, den 25. Mai statt. Seit 1979 bestimmen die Wahlberechtigten in den mittlerweile 28 EU-Staaten in direkter Wahl ihre Abgeordneten zum EU-Parlament. Jeder der Mitgliedsstaaten hat eine feste Anzahl von Sitzen, die sich nach dem Prinzip der degressiven Proportionalität an der Anzahl der Einwohner orientiert. Bei der Berechnung der Sitzverteilung kommen zudem für die einzelnen Staaten verschiedene Verfahren zur Anwendung. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die großen Staaten mehr Sitze haben als kleinere, kleinere aber mehr Sitze pro Einwohner als größere. Insgesamt werden 751 Sitze vergeben. Die Höchstzahl ist auf 96 begrenzt und es wurde eine Mindestzahl von sechs festgelegt.
Aufgaben des Parlaments
Das EU-Parlament beteiligt sich an Gesetzgebungsverfahren und an der Überarbeitung von Verträgen, hat Haushalts- und Kontrollbefugnis und kann den Europäischen Gerichtshof anrufen. Landwirtschaftspolitik, Energiepolitik, Zuwanderungsfragen und europäische Regionalförderung sind zentrale Themen des EU-Parlamentes.
Ein großes Problem bleibt die seit 1979 stetig sinkende Wahlbeteiligung. 2009 war es noch ein Schnitt von 43 Prozent. Vermutlich werden es im Mai noch weniger sein, das Vertrauen in die Politik hat letzthin noch weiter abgenommen und es wird schwer sein, den Menschen glaubhafte Argumente für eine Teilnahme an den Wahlen zu liefern.
Europa steckt noch mitten in der Bewältigung der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise, Vieles musste in Frage gestellt werden. Die Europawahl ist damit auch eine Wahl über den künftigen Kurs der Europäischen Union und somit die bislang wichtigste Europawahl überhaupt. Sie erlaubt uns darüber abzustimmen, wie die Europäische Union gestaltet werden soll und wie die wirtschaftliche und politische Integration verlaufen soll.
Verantwortungübernehmen
Als Christen sind wir aber aufgefordert Verantwortung für den Nächsten zu übernehmen. Das heißt, dass wir mit unserer Stimmabgabe Interesse für das Gemeinwohl zeigen. Im KVW Leitbild sprechen wir uns für eine Orientierung an der christlichen Soziallehre aus. Das bedeutet konkret, dass wir kritisch unsere Stimme erheben, wenn es um die Menschenwürde geht und selber positiv mitwirken, damit die Grundsätze der christlichen Soziallehre in der Praxis verwirklicht werden können.

Ich rufe zur Teilnahme an den Wahlen auf, als Beweis für ein politisch engagiertes Christentum.
Sitzverteilung
Deutschland - 96
Frankreich - 74
Großbritannien - 73
Italien - 73
Spanien - 54
Polen - 51
Rumänien - 32
Niederlande - 26
Griechenland - 21
Belgien - 21
Portugal - 21
Tschechische Republik - 21
Ungarn - 21
Schweden - 20
Österreich - 18
Bulgarien - 17
Dänemark -13
Slowakei - 13
Finnland - 13
Irland - 11
Kroatien - 11
Litauen - 11
Slowenien - 8
Lettland - 8
Estland - 6
Zypern - 6
Luxemburg - 6
Malta - 6
Insgesamt - 751

Text: Werner Steiner

Thema

Europa– eine Herausforderung

Die anhaltende Große Krise verlangt mehr Solidarität

Am 25. Mai finden die Europawahlen statt. In Zeiten der Krise ist mehr Solidarität gefragt. Am 25. Mai finden die Europawahlen statt. In Zeiten der Krise ist mehr Solidarität gefragt.

Foto: www.elections2014.eu

63 Jahre nach Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951 als einer bewussten (wirtschafts)politischen Reaktion auf die Gräuel der NS-Diktatur und den durch Nazi-Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieg sowie 25 Jahre nach dem Zerfall des Warschauer Paktes 1989 und einer darauf folgenden allmählichen Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft Richtung Osten und Südosten scheint EU-Europa mit seinen nun 28 Mitgliedstaaten vor nicht zu unterschätzenden Herausforderungen, womöglich schon in einem neuen Transformationsprozess mit ungewisser Perspektive. Die 2007mit dem Platzen der US-Immobilienkrise ausgelöste Finanzkrise, die in der Abkoppelung einer Finanzwirtschaft von realwirtschaftlichen Aktivitäten seit den 1970er Jahren und einem zunehmenden Gewinnstreben durch Finanzspekulationen wurzelt und sich zu einer internationalen und bis heute andauernden Wirtschaftskrise ausweitete, führt zu sich vergrößernden ökonomischen Differenzen zwischen den EU-Staaten und vor allem zwischen den sozialen Schichten.
Ohne Erwerbsarbeit und ohne Einkommen
26,6 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter – die Bewohner von London, Berlin, Paris, Madrid, Rom, Wien, Budapest, Warschau und München zusammengezählt – sind ohne Erwerbsarbeit und damit ohne Einkommen. Jeder vierte junge Mensch unter 25 Jahren findet keinen Job und die unvorstellbaren Arbeitslosenquoten bei Jugendlichenin Süd(ost)europa, in Griechenland (59,2 Prozent), in dem bis vor kurzem prosperierenden Spanien (54,3), in der Tourismusdestination Kroatien (49,2) oder in einer großen Industrienation wie Italien (42,2) zeugen von einem Nord-Süd-Gefälle, einer neuen geopolitischen Kluft. Doch alle präzisen Statistiken von Eurostat, die die dramatischen Veränderungen seit Beginn der Großen Krise vor sieben Jahren dokumentieren, können nicht annähernd die Lebenslage Betroffener, die reale Armut und Perspektivenlosigkeit, ausdrücken. Zumal es auch einem nach Berlin ausgewanderten jungen Florentiner, einer 52-jährigen vom Betrieb entlassenen Wienerin oder einem prekär beschäftigten 45-Jährigen in Südtirol wenig nützt, wenn sie oder er in Landstrichen leben, die statistisch zu den nur leicht bewölkten in der Joblandschaft gehören, sie selbst aber im Regen stehen.
Genauer hinschauen um Armut zu sehen
An zwei Beispielen, der politischen Führungsmacht und stärksten Volkswirtschaft in Europa, Deutschland, und am weitgehend noch funktionierenden Sozialstaat Österreich, lässt sich zeigen, wie nötig es ist, genauer hinzusehen. Denn die für Deutschland wiederkehrenden Etiketten „Wirtschaftslokomotive“ oder „Exportweltmeister“verdecken zu rasch den Blick auf den Alltag von Millionen Menschen. So ist das Risiko für Arbeitslose in Deutschland in die Armut abzurutschen erheblich höher als in anderen EU-Staaten und als im EU-Schnitt, vor allem weil das Arbeitslosengeld weniger lang bezahlt wird als anderswo. Zudem sind nicht mehr nur atypisch Beschäftigte armutsgefährdet, sondern mittlerweile jede/r zehnte HauptverdienerIn (Working Poor). Kritische Ökonomen führen auch einen Teil des deutschen Exporterfolgs auf die vergleichsweisebilligen Arbeitskräfte zurück, auf eine Niedriglohnpolitik seit Ende der 1990er Jahre, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu stärken. Die nun in Berlin beschlossene Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns ist auch eine Reaktion auf diese Entwicklung. Auch in Österreich, dem Land mit derniedrigsten Arbeitslosenquote (4,4) und dem durchschnittlich höchsten Pro-Kopf-Einkommen in der EU, wächst das Phänomen der Working Poor, vor allem bei alleinerziehenden Frauen.
Trotz Einsparungen hat sich soziale Lage verschlechtert
Es ist offenkundig, dass die bisherigen Maßnahmen gegen die Große Krise, die teils drastischen öffentlichen „Einsparungen“, nicht zu deren Bewältigung geführt und zudem eine Verschlechterung der sozialen Lage zahlreicher EuropäerInnen nicht verhindern konnten. Der bereits vor Jahren von Ökonomen, die an John Maynard Keynes geschult sind, vorgeschlagene ‚gegenteilige’ Weg, für verstärkte öffentliche Investitionen, einem „New Deal“, wie ihn der frühere US-Präsident Roosevelt 1933–1938 erfolgreich als Reaktion auf die Weltwirtschafskrise in den USA umsetzte und damit eine Verelendung abwenden konnte, wurde in Europa bisher unverständlicherweise nicht eingeschlagen. Freilich wären dafür neue Einnahmen für die Staatshaushalte nötig. Doch die vereinzelt in diese Richtung weisenden Vorschläge von politisch Verantwortlichen wie etwa eine zielgerichtete Besteuerung von Vermögen oder die von globalisierungskritischen NGOs seit Langem eingemahnte Finanztransaktionssteuer reichen über Absichtserklärungen, etwa des österreichischen Kanzlers Faymann, nicht hinaus.
Fruchtbarer Boden für radikalisierte politische Rechte
Angesichts der wachsenden sozialen Verunsicherung und wenig erfolgreichen politischen Interventionen fallen sozial ausgrenzende, nationalistische und zunehmend rassistische Slogans einer radikalisierten politischen Rechten auf fruchtbaren Boden, dies vor allem bei Bevölkerungsgruppen, die der Konkurrenz am Arbeitsmarkt verstärkt ausgesetzt sind. Zwar hat just eine von deren europäischen Galionsfiguren, der frühere Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, als Verantwortlicher für die landeseigene Hypo-Alpe-Adria-Bank vorexerziert, wie wenig deren Umgang mit öffentlichem Gut ethische Standards kennt. Nun zeigen sich die verheerenden Folgen der spekulativen Expansion der Landesbank für Österreichs Staatsbudget und damit für die von den Einsparungen vor allem betroffenen ärmeren Schichten. Aber die dumpfen sozialen Ausgrenzungsstrategien von Haiders ideellen Nachfolgern, vor allem gegenüber MigrantInnen, finden dennoch ein Echo. Und das Beispiel der Regierung Orbán in Ungarn zeigt, dass auch eine konservativ-christliche Kraft sich nicht scheut, mit Neo-Nationalismus, Antisemitismus und Ausgrenzung ethnischer Minderheiten Stimmung zu machen, Medienfreiheit einzuschränken und das Wahlrecht zurechtzubiegen.
Quellen: Europäische Kommission und EurostatQuellen: Europäische Kommission und Eurostat
Foto: www.elections2014.eu

Die EU-Grundrechtecharta von 2009, eine der großen Errungenschaften der Union, untersagt Diskriminierungen dieser Art. Allerdings fehlen Sanktionsmöglichkeiten, Instrumente, die Grundrechte zu garantieren.
Auch demokratiepolitisch hat EU-Europa Handlungsbedarf. Nach wie vor bestimmen dienationalen Regierungen im Europäischen Rat die europäische Politik – die ökonomisch Potenten mehr als andere. Die EU-Kommission bleibt trotz aller Entwicklungsschritte vielfach angewiesen auf deren Vorgaben. Die Zuständigkeiten des EU-Parlaments gilt es zu erweitern.
Konflikte politisch austragen und nicht mit Waffen
Die wichtigste Errungenschaft des Einigungsprozesses ist gewiss, dass die Konflikte in vielen europäischen Landstrichen politisch und nicht mehr mit Waffen ausgetragen wurden, auch wenn das Versagen der Mächte am Balkan nicht vergessen werden darf und uns der Konflikt in der Ukraine, vor der Tür, zeigt, wie prekär die Lage ist.
Vor allem aber steht EU-Europa vor dringenden sozialpolitischen Herausforderungen. Eine Sozialunion, mit arbeitsrechtlichen und lohnrechtlichen Standards, ist nicht entwickelt. Die Krise erfordert mehr effektive Solidarität: zwischen den Staaten der EU und mehr noch mit den betroffenen Bevölkerungsgruppen.

Text: Benedikt Sauer
Zur Person
Benedikt Sauer, ist freischaffender Journalist und Publizist, arbeitet für die RAI Südtirol und als Kolumnist der Tiroler Tageszeitung.
Benedikt SauerBenedikt Sauer