Kommentar

Finanzierung der Gemeinden

Zwischen Sparen und kreativer Geldbeschaffung
Die Finanzlage der Südtiroler Gemeinden konnte bisher als recht gut bezeichnet werden. Mit dem seit drei Jahren anhaltenden Abwärtstrend an verfügbaren Geldmitteln sucht man jedoch auch in den Gemeindestuben nach neuen Möglichkeiten und Formen der Finanzierung.

Andreas Schatzer, Präsident des GemeindenverbandesAndreas Schatzer, Präsident des Gemeindenverbandes

Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind die seit einigen Jahren anhaltenden ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen in Italien sowie die zwar bereits eingeleiteten, jedoch noch unwirksamen Reformen, sodass auch mittlerweile bei uns ungewohnt hohe Arbeitslosigkeit herrscht und wir mit Insolvenzen und Konkursenin jeder Branche zu kämpfen haben.
Daher sind auch die Gemeindeverwaltungen gefordert, neue Wege zu suchen. Unsere Pläne und Leitziele richten sich nach wie vor an den Bedürfnissen unserer Bevölkerung. Diese wünscht sich einen angenehmen und bezahlbaren Wohnort, Unterstützung in der alltäglichen Vereinbarkeit von Beruf, Schule und Familie und ein gesichertes soziales Netzwerk. Das bedeutet, Gewerbe- und Wohnflächen zu erschließen, Straßen und öffentliche Gebäude instand zu halten und soziale Betreuung zu garantieren.
Keine Pro-Kopf-Quote mehr
Eine unserer wichtigsten Finanzierungsquellen war bis zum Jahr 2011 die Zuweisung des Landes, sie erfolgte mittels einer Pro-Kopf-Quote. Seit 2012 gilt ein neues Finanzierungsmodell mit Schwerpunkt Aufgabenorientierung. Dabei werden die Finanzmittel nach aufgabenorientierten, demografischen, regionalen sowie topografischen Kriterien vergeben, sodass es zu einer Umverteilung der Mittel zwischen den Gemeinden gekommen ist. Derzeit wird dieses Modell weiterentwickelt, um zu prüfen, ob auch ballungsraumspezifische und zentralörtliche Aufgaben stärker berücksichtigt werden müssen.
Neuer Weg: GIS
Neue Wege werden auch in eigenen Einnahmen, wie etwa in der Gemeindeimmobiliensteuer, kurz GIS, gesucht. Die Gemeinden waren deshalb sehr erfreut, als es hieß, in Südtirol wird die GIS selbst geregelt und verwaltet. Dass heuer aber dann von den geschätzten 180 Millionen Euro Steuereinnahmen wieder gut 140 Millionen Euro vom Land abgezogen werden, um den Staatshaushalt zu sanieren, war dann schon sehr enttäuschend. Mit der neuen Steuer wären einige Gemeinden schon imstande gewesen, sich selbst zu finanzieren und so auf eine Landeszuweisung zu verzichten. Enormes Finanzierungspotential sehen die Gemeindeverwalter/innen dann auch im Energiesektor. Dabei wünschen wir uns, dass die Einnahmen aus der Wasserkraft wirklich im Lande, das heißt auch bei den Gemeinden, verbleiben.
Einsparungsmöglichkeiten nutzen
Auch das Sparen in sich birgt so manche Finanzreserve. Schon im alten Rom war Cicero der Meinung: „Die Menschen verstehen nicht, welch große Einnahmequelle in der Sparsamkeit liegt.“ So ist Sparen bereits seit Jahren in unseren Gemeinden groß geschrieben. Konkret denkt man hier an eine Erweiterung in der Zusammenarbeit in Form von Zusammenlegungen von Diensten mit Nachbargemeinden, an Einsparmöglichkeiten im Energieverbrauch und an den Abbau der nicht mehr überschaubaren Bürokratie. Positive Erfahrungen wurden da schon gemacht: gemeinsame Dienste wurden von der Bevölkerung gut angenommen und die Qualität der Dienste konnte zusätzlich verbessert werden. Es hat sich jedenfalls gezeigt, dass unter einem gemeinsamen Dach auch effizienter und kostengünstiger gearbeitet werden kann. Dazu bieten sich noch viele neue Möglichkeiten, die auszuloten und zu nutzen sind. Wir sollenhier nicht den Fehler machen und Neues vorschnell als bloßen bürokratischen Aufwand verurteilen. Gemeinsam erbrachte Dienste sind Chancen zu mehr Qualität und zu weniger Kosten.
Ehrenamt und Freiwilligenarbeit stärken
Schließlich nehmen auch die Freiwilligenarbeit und das Ehrenamt beim Thema Finanzen eine bedeutende Rolle ein. Nicht auszumalen, wenn die hohe Ehrenamtlichkeit in unseren Gemeinden wegfiele und sämtliche Dienste entgeltet werden müssten. Wertschätzung und Hilfestellung ist das Mindeste, das den vielen Freiwilligen zusteht, denn Ehrenamtlichkeit ist und bleibt bestes Beispiel dafür, dass Bürgerinnen und Bürger selbstlos Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und dass Werte wie Mitmenschlichkeit und Solidarität auch heute noch gelten.
Die Gemeinden Südtirols werden trotz wenig werdender Finanzmittel ihre Aufgaben auch in Zukunft verantwortungsvoll und im Sinne unserer Bürger wahrnehmen und somit auch weiterhin ein Beispiel für gut funktionierende öffentliche Verwaltung in Südtirol sein.

TEXT: Andreas Schatzer

KVW Aktuell

Schreckensbilanz Erster Weltkrieg

Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
Der 28. Juni 1914 war ein Sonntag. Er begann als ein Tag wie jeder andere, doch er sollte nicht so enden. Am Mittag fielen an der Lateinerbrücke in Sarajevo Schüsse: ein Bosnier serbischer Nationalität, Gavrilo Princip, erschoss den österreichisch-ungarischen Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, und dessen Frau, Herzogin Sophie.

Soldaten an der Ortlerfront im Jahr 1917 - FOTO: wikimediaSoldaten an der Ortlerfront im Jahr 1917 - FOTO: wikimedia

Diese Schüsse vor 100 Jahren machten Weltgeschichte. Sie führten am 28. Juli zur österreichischen Kriegserklärung an Serbien und lösten einen Weltkrieg aus, den Großen Krieg, wie er später genannt wurde. Die Österreicher dachten an eine kurze Strafexpedition in Serbien, die Deutschen an Kavallerie- und Bajonett-Attacken und einen schnellen Sieg in Frankreich und Russland-Munition hatte man ja nur bis Oktober gehortet. Weihnachten wollte man wieder zu Hause feiern. Es kam bekanntlich anders. Nach vier Jahren eines mörderischen Krieges musste man 1918 aufgeben.
Die Urkatastrophe
Die Bilanz: etwa neun Millionen tote Soldaten, davon zwei Millionen aus Deutschland und 1,2 Millionen aus Österreich-Ungarn, unter ihnen ca. 40.000 aus Tirol und Vorarlberg. 21 Millionen verwundete Soldaten, davon 4,2 Millionen aus Deutschland und 3,6 Millionen aus Österreich-Ungarn. Sieben Millionen tote Zivilisten, davon eine Million aus Deutschland und 100.000 aus Österreich-Ungarn. Der Große Krieg war der Urknall, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie der wohl bekannteste amerikanische Diplomat, George F. Kennan, den Krieg einmal genannt hat. Er führte zum Untergang derMonarchien in Deutschland, in Österreich-Ungarn und in Russland und zum Zerfall des Osmanischen Reiches – und zur Teilung Tirols – und hatte Folgen für den Rest des Jahrhunderts. Einige sind noch heute direkt spürbar, etwa wenn wir auf Tirol oder den Nahen Osten schauen.
Die k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn war ein Vielvölkerstaat. Das Manifest von Kaiser Franz Joseph I. „An meine Völker!“ zu Beginn des Krieges war in elf Sprachen abgefasst. Am Ballhausplatz war man überzeugt, dass die Monarchie einen entschlossenen Schritt setzen musste, um die Grenzen und den Bestand des Reiches zu sichern. In der kaiserlichen Proklamation war nur von Serbien die Rede – nicht etwa von Russland. Serbien war das Kriegsziel Wiens; mit einem militärischen Schlag sollte das Balkanproblem ein für alle Mal gelöst werden. Diese Bereitschaft war von Anfang an da. Man wiegte sich dabeiin der Illusion, einen lokal begrenzten Krieg führen zu können; mit Rückendeckung aus Berlin nahm man gleichzeitig einen Krieg mit Russland in Kauf.
Propaganda für den Krieg
Als der Krieg da war, war die Begeisterung genauso wie im deutschen Kaiserreich auch in der k.u.k.- Monarchie groß: In Wien, Böhmen, Galizien, Bosnien und Ungarn. In Agram, der Hauptstadt des zu Ungarn gehörenden Kroatien, wurde für den Krieg demonstriert und der Krieg gegen Serbien bejubelt.In Prag veranstalteten Tschechen und Deutsche eine gemeinsame Kundgebung für den Krieg. Überall wurde der Sieg beschworen. Die Erfüllung der „Pflicht“, die Betonung der „Unvermeidlichkeit“ und „Einigkeit“ sowie die wiederholte Bezugnahme auf „Gott den Allmächtigen“ ließen die Opposition verstummen. Die Arbeiter-Zeitung in Wien schrieb vom Krieg des Zaren und von der „heiligen Sache des deutschen Volkes“. Und Siegmund Freud notierte:
„Ich fühle mich vielleicht zum erstenmal seit 30 Jahren als Österreicher und möchte es noch einmal mit diesem wenig hoffnungsvollen Reich versuchen … Die Stimmung ist überall eine ausgezeichnete. Das Befreiende der mutigen Tat; der sichere Rückhalt an Deutschland tut auch viel dazu.“ Soldaten, die an die Front transportiert wurden, formulierten dies damals auf ihre Weise: auf den Eisenbahnwaggons prangten Aufschriften wie „Russen und Serben müssen alle sterben!“ Oder: „Serbien muß sterbien.“ Allenthalben war man von einem schnellen Sieg überzeugt.
Tirol, das Hinterland
Standschützen in Gries bei Bozen vor dem Abmarsch an die Dolomitenfront, 1915 - FOTO: wikimediaStandschützen in Gries bei Bozen vor dem Abmarsch an die Dolomitenfront, 1915 - FOTO: wikimedia
Bis Ende 1914 wurden in Tirol an die 85.000 erwerbstätige Männer eingezogen, rund 15 Prozent der Erwerbstätigen insgesamt. Die Hälfte davon war verheiratet. Das bedeutete, dass von einem Tag auf den anderen an die 40.000 Familien in schwere Nöte gestürzt wurden. Die damit verbundenen Probleme und die drastische Verschlechterung der Lebensverhältnisse wären wohl leichter zu verkraften gewesen, wenn der erwartete schnelle Sieg eingetroffen wäre. Sein Ausbleiben konnte von der Propaganda und zensierten Presse nur mühsam kaschiert werden. Im schroffen Gegensatz zu den Parolen vom„unaufhaltsamen Vordringen“ stand die dürre Statistik der Verlustlisten. Die Tiroler Kaiserjäger-Regimenter wurden in Galizien verheizt; der Tod von fast 10.000 ließ sich in der Heimat nicht verheimlichen. Dort sank die Stimmung auf einen ersten Tiefpunkt. Da half auch die beste Propaganda nicht mehr.
Mit dem Jubel und dem „reinigenden Gewittersturm“, der in wenigen Wochen mit einem Sieg über die Feinde vorüber sein sollte, war das so eine Sache. Gejubelt wurde schon sehr bald nicht mehr, weder an der Front noch im Hinterland. Tirol wurde ab 1915 zugleich Operationsgebiet und Hinterland, und im Hinterland gab es den Kampf ums tägliche Überleben. Es gab Arbeitslosigkeit, Inflation, die die eingefrorenen Löhne auffraß, Militärdiktatur, Versorgungskrisen, Liquidierung von Vieh, Abgabepflicht von Lebensmitteln, hohe Kindersterblichkeit und immer wieder Hunger und Tod durch Seuchen und Krankheiten. Vor allem das war der Erste Weltkrieg in Tirol, nicht nur der heroische Kampf in den Bergen.
Mit Fortdauer des Krieges wurde klar, dass eine gesamte Gesellschaft aus den Angeln gehoben wurde. Es gab hunderttausende Flüchtlinge, Evakuierte und „Konfinierte“ (114.000aus dem Trentino), die die Möglichkeiten der staatlichen Fürsorge in vielen Fällen überforderten. Tirol und Vorarlberg konnten sich zu Beginn des Krieges noch glücklich schätzen, da sie von der Unterbringung mittelloser Kriegsflüchtlinge weitgehend freigehalten wurden. Dabei ging es allerdings weniger um militärstrategische Überlegungen des Armeeoberkommandos als vielmehr um Bedenken der Kriegszentrale hinsichtlich der bahntechnischen Bewältigung des Lebensmittelnachschubs für ein derartig großes Versorgungsgebiet.
Und jenen, die an der Front standen und überlebten, ging es auch in anderer Hinsicht immer schlechter: die Unterernährung wurde mit zunehmender Dauer des Krieges ein Problem. Im Frühjahr 1918 erhielt ein Soldat als Tagesration eine halbe Fleischkonserve, etwas Dorrgemüse und einen Maisklumpen als Brot; das Durchschnittsgewicht der Frontsoldaten sank auf 55 kg ab. Dazu kamen Seuchen und andere Krankheiten in erschreckendem Ausmaß.
Zur Person
Rolf SteiningerRolf Steininger
Rolf Steininger, Em. Ordentlicher Universitätsprofessor, 1984 - 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, seit 2008 auch an der Freien Universität Bozen tätig, geb. in Plettenberg/Westfalen; Studium der Anglistik und Geschichte in Marburg, Göttingen, München, Lancaster und Cardiff.

TEXT: Rolf Steininger