Thema

Öffentlich ausschreiben. Wozu?

In den letzten Monaten kam es in Südtirol immer wieder zu heftigen Diskussionen über öffentliche Ausschreibungen. Dabei werden öffentliche Ausschreibungen oft als Hindernis oder unnötige Last bei der Vergabe von Dienst- oder Bauleistungen dargestellt. Die öffentliche Hand sollte, so mahnen viele an, möglichst ohne Ausschreibungen frei vergeben und damit absichern, dass öffentliche Aufträge möglichst von heimischen Anbietern ausgeführt werden. Dabei sollte man bedenken, welchen Sinn öffentliche Ausschreibungen haben.

Herbert Dorfmann ist seit Juni 2009 Abgeordneter des Europäischen Parlaments und in mehreren Ausschüssen tätig, u.a. im Ausschuss für Wirtschaft und Währung Herbert Dorfmann ist seit Juni 2009 Abgeordneter des Europäischen Parlaments und in mehreren Ausschüssen tätig, u.a. im Ausschuss für Wirtschaft und Währung

Öffentliche Einrichtungen, wie Staaten, Länder und Regionen, Gemeinden oder internationale Organisationen sind im Rahmen ihrer Tätigkeiten angewiesen Dienstleistungen oder Waren anzukaufen, damit sie ihre Ziele und Funktionen in der Gesellschaft wahrnehmen können. Das Interesse der öffentlichen Körperschaften muss dabei sein, die besten Leistungen oder Waren zum besten Preis zu erzielen. Ihnen gegenüber stehen Unternehmen, die ihre Waren und Dienstleistungen auf dem Markt an den „Mann bringen“ wollen. Es liegt in ihrem Interesse lukrative und attraktive öffentliche Aufträge zu gewinnen. Wichtig für sie ist ein Rechtsrahmen und Ausschreibungsregeln, die nachvollziehbar und gerecht sind. Vergleichbar ist die Situation mit jener eines Bewerbers, der bei einem Job-Auswahlverfahren darauf baut, dass dieselben Kriterien bei allen Kandidaten angewandt werden und der Beste dann zum Zug kommt. Weiteres vergleichbar wäre unser Kaufverhalten in einem Geschäft oder Online. Ein großes Angebot an unterschiedlichster Qualität steht uns zur Verfügung. Wir versuchen einen bestimmten Geldwert auf Basis unserer Kaufmuster und Vorlieben bei der Auswahl eines Produktes oder Leistung entgegenzubringen. Wenn beispielsweise ein Bürgermeister oder ein Gemeindeausschuss ohne Preis- und Leistungsvergleich einfach Aufträge vergeben könnte, würde das nicht bedeuten, dass immer der Beste den Auftrag erhält. Öffentliche Einrichtungen kaufen mit öffentlichem Geld, also Steuergeld, und haben die Aufgabe, dieses Geld im Sinne der Steuerzahler bestmöglich einzusetzen.
Öffentliche Aufträge machen zirka ein Fünftel der gesamten Einkäufe und Leistungen unserer Wirtschaft aus. Deshalb gibt es seit langem Regeln über die öffentliche Auftragsvergabe. Die Welthandelsorganisation (WTO) und die Europäische Union haben sich in den 80er Jahren mit zunehmender Öffnung des Welthandels und des Binnenmarktes Gedanken gemacht, wie gemeinsame Regeln für die öffentliche Auftragsvergabe aufgebaut werden können. Die Europäische Union hat diese dann über Richtlinien in den 90er Jahren zur Vergabe von öffentlichen Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen umgesetzt.
Die neuen Richtlinien der öffentlichen Auftragsvergabe
Im Europäischen Parlament haben wir mit einem Beschluss im Jänner 2014 die vorhergehenden Richtlinien im öffentlichen Auftragswesen grundlegend überarbeitet. Die neuen Regeln enthalten eine Reihe von Punkten, die immer wieder in Südtirol gefordert worden sind und die ich in den Arbeitsausschüssen vertreten habe. Dazu gehört die Aufteilung der Bauaufträge in Lose bzw. Gewerke. Der Auftraggeber entscheidet zukünftig, ob er einen Auftrag als Ganzes übergeben oder in Lose unterteilen will. Tut er Letzteres nicht, so muss er seine Entscheidung rechtfertigen. Dieser Ansatz gibt den kleinen und mittleren Unternehmen neuen Spielraum. Weiteres war mir wichtig, dass Subunternehmer nicht vom Hauptauftragnehmer ausgenutzt werden. Die neue Regelung der Direktzahlung des Auftraggebers an den Subunternehmer garantiert, dass es keine verspäteten Zahlungen oder sogar Zahlungsausfälle - wie im Falle eines Konkurses des Hauptunternehmers - für nachgestellte Unternehmen gibt. Bei großen Ausschreibungen können lokale Kreisläufe gestärkt werden. Wenn beispielsweise öffentliche Stellen Großeinkäufe von Lebensmitteln machen, muss es möglich sein, besser als bisher einheimische Produkte zu bevorzugen. Die Lebenszykluskosten eines Produktes, welche beispielsweise Anschaffungs- und Transportkosten sein können, können nun Teil der Vergabekriterien sein. Neu sind auch die bürokratischen Erleichterungen für Unternehmen: Nehmen sie an einer Ausschreibung teil, so können sie durch Eigenerklärungen entsprechende Unterlagen bei einem eventuellen Zuschlag nachreichen und ersparen sich somit eine aufwendige Vorbereitung. Auch wird die Auftragsvergabe durch eine Reihe von Regelungen für jene Unternehmen einfacher, die grenzüberschreitend bieten wollen. Gerade hier liegt unglaubliches Wachstumspotenzial, da nur die wenigsten kleinen und mittleren Unternehmen diesen immer wichtiger werdenden Schritt wagen.
Ausnahmen im Sozialbereich
Wichtig zu berücksichtigen sind die Ausschreibungsschwellen, ab denen Aufträge auf europäischer Ebene ausgeschrieben werden müssen. Beispielsweise müssen Dienstleistungsaufträge ab einem Auftragswert von 207.000 Euro ausgeschrieben werden. Die Ausnahme stellen jedoch Dienstleistungen im Sozial-, Gesundheits-, Kultur- und Bildungsbereich dar. Dort liegt die Ausschreibungsschwelle bei 750.000 Euro. Erreichen Aufträge diese Summe nicht, kann der Mitgliedstaat oder das Land Regeln schaffen, wie der Auftrag vergeben wird. Grund dafür ist, dass Aufträge unter dieser Größenordnung meistens nur für Unternehmen in den jeweiligen Mitgliedstaaten interessant sind. Das heißt aber noch nicht, dass lokale öffentliche Verwaltungen nicht dennoch eine Ausschreibung vorsehen, über die der beste Leistungsbringer gefunden werden kann. Einen wichtigen Grundsatz gibt es aber bei jeder Ausschreibung: wer ausschreibt, muss sich nicht auf die Suche nach dem billigsten Produkt machen. Jede Verwaltung kann in einer Ausschreibung genau definieren, was sie kaufen möchte oder wie eine Dienstleistung ausschauen soll, so lange diese alle möglichen Anbieter gleich behandeln. So kann beispielsweise jemand, der Lebensmittel kauft, genau festlegen, welche Lebensmittel er möchte. Wer einen Transportauftrag vergibt, kann festschreiben, welche Qualität die benutzten Busse haben müssen oder kann vom Fahrer oder dem Begleiter verlangen, dass er einen Zweisprachigkeitsnachweis hat. Öffentliche Verwaltungen haben also viele Spielräume, um genau jene Leistung zum besten Preis zu bekommen, die sie möchten.
FOTO: Lebenshilfe; Rainer Sturm / pixelio.de FOTO: Lebenshilfe; Rainer Sturm / pixelio.de
Was jetzt auf Landesebene?
Die neuen EU-Vergaberegeln geben uns neuen Spielraum auf der Ebene der Landesgesetzgebung. Wir haben nun die Möglichkeit moderne Vergaberegeln nach EU-Vorgaben - noch bevor die Umsetzung im Mitgliedstaat stattfindet - einzuführen. Dies betrifft Bauaufträge, Lieferaufträge aber auch Dienstleistungsaufträge im Sozialbereich, vor allem wenn es um benachteiligte Personen oder Bevölkerungsgruppen geht. Dabei gilt es in den Ausschreibungskriterien genau zu definieren, welche Bedürfnisse der zukünftige Dienstleistungsgeber liefern soll. Aus Südtiroler Sicht ist deshalb in den Vergabekriterien besonders auf die Besonderheiten in geografischer, kultureller und sprachlicher Hinsicht Rücksicht zu nehmen, damit wir eine gerechte und qualitätsorientierte Vergabe garantieren können.

TEXT: Herbert Dorfmann

Kommentar

Die Abschaffung des Landessozialbeirates

Vor wenigen Wochen hat die Landesregierung die Abschaffung des Landesbeirates für Soziales angekündigt, jenes Gremiums, das von der Landesverwaltung einberufen wurde, um mit verschiedenen sozial tätigen Organisationen und Verbänden aktuelle Themen und Vorhaben zu diskutieren.

Heiner Schweigkolfer, Direktor der Caritas Diözese Bozen-Brixen.Heiner Schweigkolfer, Direktor der Caritas Diözese Bozen-Brixen.

Auch wenn die Politik gesetzlich zusichert, soziale Organisationen zukünftig bei Gesetzesvorhaben weitreichend einzubinden, sehe ich die Abschaffung des Beirates als Rückschritt: Die Einzelnen kommen so zwar verstärkt zur Sprache, die Zusammenarbeit mit und zwischen den Organisationen wird jedoch verringert.
Die entscheidende Frage ist also, ob wir das „Soziale“ in Zukunft einzeln oder gemeinsam gestalten wollen und in welcher Form wir es gestalten wollen: anlassbezogen oder durch kontinuierliche Zusammenarbeit und strukturierte Mitsprachegremien? Für mich steht fest: Letzteres schafft mehr Vertrauen und Zusammenhalt, außerdem ist es die Grundlage für ein solidarisches Sozialsystem, das gemeinsam und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger weiterentwickelt wird.
Die Abschaffung des Beirates steht beispielhaft dafür, dass gemeinsame Planung und Absprache mühsamer geworden sind. Nicht nur wir als Caritas haben in den vergangenen Jahren beobachtet, dass der ökonomische Druck auf gemeinnützige Organisationen massiv zugenommen hat. Auch die umstrittene Vergabe von öffentlichen Dienstleistungen durch Ausschreibungen hat dazu beigetragen, dass im Sozialbereich eine Art Konkurrenzdenken sowie viele unzweckmäßige Abhängigkeiten entstanden sind.
Dazu kommt, dass wir heute mehr über Kürzungen oder den strukturellen Abbau als über die Qualität von Sozialleistungen oder strategische Zukunftsmodelle diskutieren. Auch diese Entwicklung behindert ein partnerschaftliches Miteinander der verschiedenen Träger im Sozialbereich zusehends.
Politik und Verwaltung müssen sich entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen. Der Landesbeirat war ein gewolltes Organ, das zu bestimmten Sachfragen angehört werden musste. Er war die Schnittstelle zwischen Sozialpartnerschaft, freien gemeinnützigen Organisationen und öffentlicher Hand. Die Frage bleibt, wo eine wertvolle inhaltliche Diskussion über unser Sozialsystem jetzt stattfinden soll? Wie können Informationen über soziale Bedürfnisse und andere Entwicklungen, die aus der täglichen Arbeit mit den betroffenen Menschen resultieren, fruchtbringend in strategische Überlegungen einfließen?
Ich finde es wichtig, dass die Veränderungen im Sozialbereich nicht von einzelnen, sondern von uns allen gemeinsam gesteuert werden.

TEXT: Heiner Schweigkofler