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Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Ingeburg GurndinIngeburg Gurndin

Arbeitsmarktreform, Streiks, Jobs acts ... erinnern Sie sich noch an die Themen, die bis Weihnachten die Medien beherrschten?
Der Arbeitsmarkt in Italien wird und muss sich verändern, das ist das Fazit aus den vielen Diskussionen. In der Titelgeschichte dieser Ausgabe wirft Werner Pramstrahler vom Arbeitsförderungsinstitut Afi einen Blick auf die Reformen der Regierung, die Forderungen der Wirtschaft und die Kritiken der Gewerkschaften. Der italienische Arbeitsmarkt ist flexibel, dies hat jedoch zu immer mehr prekären Beschäftigungen geführt. Vor den Folgen des Prekariats warnt der KVW schon seit längerem, denn die Folgekosten haben die öffentlichen Haushalte - sprich wir alle - zu tragen.
Auf Seite vier starten wir mit einer neue Reihe: wir wollen nämlich bei gängigen Vorurteilen und Floskeln genauer hinschauen, die Aussagen differenzierter betrachen und eventuelle falsche Statements widerlegen. In dieser Ausgabe geht es um „Es gibt zu viel Bürokratie“. Weitere Themen werden sein: die Gesundheit kostet zu viel oder es braucht Steuersenkungen.
Vielleicht fallen Ihnen auch noch Themen ein, die es wert sind, von ExpertInnen genauer betrachtet zu werden.
Wir freuen uns auf Rückmeldungen!

Ingeburg Gurndin

KVW Soziales

Zu viel Bürokratie - stimmt das?

Die Aussagen „Es gibt zu viel Bürokratie“ und „Es braucht Bürokratieabbau“ sind allbekannt. Auch solche gängige Statements müssen hinterfragt und differenziert betrachtet werden.

Die gesetzliche Aufbewahrungspflicht kostet oft viel Geld. Die gesetzliche Aufbewahrungspflicht kostet oft viel Geld.

Allerorts und unermüdlich wird er gefordert, der Bürokratieabbau. Von der Politik, vor allem in Wahlkampfzeiten, aber auch von den Verbänden, Unternehmen und Bürgern. Doch was ist überhaupt Bürokratie? Für viele ist und bleibt es ein Unwort.
Kosten der Bürokratie messen
Gerade deshalb ist es wichtig, das Thema „Bürokratie“ und mögliche Maßnahmen zur Entbürokratisierung auf eine sachliche und objektive Grundlage zu stellen. Eine solche Grundlage ermöglicht das sogenannte „Standardkostenmodell (SKM)“. Mit dem SKM können die „Bürokratiekosten“ gemessen werden. Es sind dies jene Kosten, die Bürger und Unternehmen haben, wenn sie gesetzliche Informations- und Aufbewahrungspflichten erfüllen müssen. Beispiele finden sich immer dann, wenn Register oder Statistiken auszufüllen, Berichte zu erstellen oder Dokumente und Unterlagen beizubringen sind. Solche bürokratischen Auflagen kennen wir beispielsweise von Ansuchen für Sozialleistungen, aber auch aus der Wirtschaft, wenn jeder noch so kleine Betrieb ausführliche Gefahrenstatistiken erstellen muss.
Bürokratie am Beispiel der EEVE
Nehmen wir als Beispiel die Einheitliche Einkommens- und Vermögenserklärung, kurz EEVE. Die EEVE wurde eingeführt, um bei der Beantragung verschiedener Sozial- und Gesundheitsleistungen eine einheitliche Berechnungsgrundlage zu schaffen und ist ein Jahr lang gültig. Letztlich sollte mehr Gerechtigkeit bei öffentlichen Beitragsleistungen entstehen und die Gesuchstellung für die Bürger einfacher werden.
Für die Erstellung der EEVE wenden sich viele Bürger in Südtirol an die Patronate und Steuerbeistandszentren (z.B. beim KVW). Zu komplex scheint das Ausfüllen der Formulare. Zudem haben die Bürger Angst, falsche bzw. nicht vollständige Daten einzufügen.
Das EURAC-Institut für Public Management hat die Einführung der EEVE genauer analysiert. Dabei zeigte sich, dass die EEVE nur dann zu weniger Bürokratie führt, wenn jemand um mehrere Leistungen im Sozial- und Gesundheitswesen ansucht.
Beantragt eine Familie beispielsweise zum Familiengeld des Landes und jenem der Region auch die finanzielle Sozialhilfe, so können über 25 Prozent an Bürokratie (Zeit) eingespart werden. Bei einer durchschnittlichen Familiengemeinschaft von vier Personen dauert die EEVE knapp eine halbe Stunde. Von Vorteil ist, wenn die EEVE gleichzeitig mit der Steuererklärung gemacht wird, da sämtliche Informationen und Dokumente bereits vorliegen.
Bürokratie als Geschäft
Zudem gilt es aber auch anzumerken, dass die Patronate für die Hilfestellung der Bürger bei der EEVE vom Land eine finanzielle Entschädigung erhalten. Diese beträgt derzeit 15 Euro für eine umfassende Erklärung des Einkommens und Vermögens und drei Euro für die einfache Erklärung (ohne Einkommen und Vermögen).
Dieses Beispiel zeigt, dass Verbände im Bürokratiegeflecht eine wichtige Rolle spielen. Zum einen rufen sie stark nach Bürokratieabbau, zum anderen ist die Unterstützung in bürokratischen Angelegenheiten auch zu einem ihrer Kerngeschäfte (und Einnahmequellen) geworden. Für die Verbände könnte Bürokratieabbau aber jedenfalls die Chance sein, sich wieder mehr den eigentlichen Kernaufgaben der Interessenvertretung (Bewegung) zu widmen, was ihrem ursprünglichen gesellschaftspolitischen Auftrag entspricht.

TEXT: Sonja Vigl und Josef Bernhart

Sonja Vigl und Josef BernhartSonja Vigl und Josef Bernhart

Sonja Vigl, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am EURAC-Institut für Public Management und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Bürokratieabbau.
Josef Bernhart ist stellvertretender Leiter des EURAC-Instituts für Public Management und engagiert sich ehrenamtlich im KVW Bezirk Vinschgau.