Thema

Von der „Natur“ zur „Schöpfung“

Was Papst Franziskus mit der Enzyklika Laudato sì der ökologischen Bewegung mitgibt
Die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus nimmt die heute entscheidenden Themen in den Blick; es geht um soziale, ökologische und politische Zusammenhänge. Wohl selten war ein päpstliches Schreiben so aktuell und brisant und vor allem relevant für alle Gesellschaftsschichten und Menschen weltweit.

Die Umweltkrise ist eine Beziehungskrise des Menschen zur Welt.
Foto: Claudia Müller / pixelio.deDie Umweltkrise ist eine Beziehungskrise des Menschen zur Welt.
Foto: Claudia Müller / pixelio.de

Das Besondere der Enzyklika „Laudato sì“ stellt sich uns am besten dar, wenn wir sie mit dem ersten Manifest zur Umweltproblematik vergleichen, mit dem epochemachenden Bericht des „Club of Rome“ von 1972, der mit seiner Enthüllung der „Grenzen des Wachstums“ die überbordenden Zukunftsprognosen zerplatzen ließ. In diesem Text wird die Welt noch wie ein Rohstofflager und Energiesystem angesehen, das sich aber jetzt durch die maßlose Ausbeutung zu erschöpfen droht. Der Club of Rome hatte den ersten Befund zur Umweltkrise vorgelegt, der Bischof von Rom fragt jetzt, 44 Jahre später, nach den weitverzweigten Ursachen in Ökonomie, Politik und Lebensgewohnheiten der Menschen, aber stellt vor allem die Dringlichkeit ihrer Korrektur vor Augen.
Der verengende technologische Blick
Die Enzyklika stemmt sich mit aller Kraft der Reduktion der Welt auf empirisch-technische Befunde und auf ökonomische Kalküle entgegen. Die Umweltkrise ist eine Beziehungskrise – eine Krise der Beziehung des Menschen zu seiner Welt, und das ist keine technische Frage1. Denn die Beziehung findet im Bewusstsein statt, und dort muss die Krise auch angegangen werden. Gesellschaftliche Denkweisen, insbesondere wenn sie sich im Laufe von Jahrhunderten verfestigt haben, können nur durch eine beharrliche kulturelle Arbeit verändert werden. Das nicht anzuerkennen war der Fehler aller politischen Revolutionen. Denn wenn die Gesell-schaft ein Welt-vergiftendes Bewusstsein hat, dann können die dadurch hervorgerufenen Probleme nicht allein technisch, sondern nur durch die Einübung in ein neues Bewusstsein gelöst werden2. Nicht umsonst befürchtet der Papst, dass man „die Menschheit des post-industriellen Zeitalters als eine der verantwortungslosesten der Geschichte“ in Erinnerung behalten wird (165)

Aus der Bibel eine andere Sprache für die Welt.
Unser Weltverhältnis beruht auf der Sprache. Die Bibel bietet ein unerschöpfliches Reservoir für ein anderes Sprechen von der Welt. Es beginnt schon mit dem Begriff der Schöpfung: „Von zu sprechen ist für die jüdisch-christliche Überlieferung mehr als von Natur zu sprechen.“ (76) Zur Schöpfung gehört nämlich wesentlich auch die Ordnung des Zusammenlebens der Menschen. „Ein Empfinden inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur kann nicht echt sein, wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist.“ (91) Hier wird deutlich, wie Natur und ethische Grundsätze zusammengehören. Gerade in dieser Hinsicht gilt: „[D]ie Tatsache, dass sie in einer religiösen Sprache erscheinen, mindert in keiner Weise ihren Wert in der öffentlichen Debatte.“ (199) Die Verantwortung gegenüber der Umwelt beruht auf dem Begriff von der Natur als „Leihgabe“ an den Menschen (vgl. Gen 2, 15). Deshalb wird vom Menschen gegenüber der Natur auch „die Entwicklung der <ökologischen Tugenden>“ (88) gefordert, wie Sparsamkeit im Mittelverbrauch, schonender Umgang mit Fauna und Flora etc. Darüber hinaus ist der Schöpfung auch ein sozialer Imperativ eingeschrieben: Die Welt ist „ein von der Liebe des himmlischen Vaters erhaltenes Geschenk“ (220)3, und damit ist den Empfängern dieser Gabe das Teilen wesentlich aufgetragen.
Der Begriff der Gemeinschaftsgüter
Mit dem Begriff der Schöpfung als Gabe eng verbunden ist der Begriff der Gemeinschaftsgüter: „Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle.“ (23) Hier zeigt der Papst den Mut, den Status der Atmosphäre als globales Gemeinschaftsgut in das kollektive Bewusstsein der Menschen zu heben. Ohne Beachtung dieser Gemeinschaftsgüter „wird es keine gerechte Weltwirtschaftsordnung geben4. Zum Klima kommen noch die Wälder, der globale Wasserkreislauf, die Ozeane. Bei so wesentlichen Gütern wie dem Trinkwasser oder dem Wald gilt: der gesamte „ökologische Ansatz [muss] eine soziale Perspektive einbeziehen, welche die Grundrechte derer berücksichtigt, die am meisten übergangen werden.“ (93) Darum muss das Teilen ein Grundvollzug im Weltverhalten werden und muss in die entsprechende Gesetzgebung, auf internationaler und nationaler Ebene aufgenommen werden.
Neue Allianzen: die Kunst
Für eine nicht-profitorientierte Beziehung zur Welt fällt auch auf, welche Bedeutung der Papst der Sprache der Kunst zuschreibt. „[A]uch der Wille, Schönes zu schaffen, und die Be-trachtung des Schönen bewirken, dass die Macht, die das Gegenüber nur als Objekt wahrnimmt, überwunden wird in einer Art Erlösung, die sich im Schönen und in seinem Betrachter vollzieht. Die echte Menschlichkeit, die zu einer neuen Synthese einlädt, scheint inmitten der technologischen Zivilisation zu leben …“ (112) Bereits Papst Johannes Paul II. hatte darauf hingewiesen. Man darf, so sagte er in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, „die Beziehung, die zwischen einer angemessenen ästhetischen Erziehung und der Erhaltung einer gesunden Umwelt besteht, nicht vernachlässig[en].“ (215)5 Freilich kontrastiert dieser Appell mit der in eine ganz andere Richtung gehenden Grundausrichtung der zeitgenössischen Schulkonzepte, wo alles – ganz technisch - auf die Vermittlung von „Kompetenzen“ ausgerichtet ist. Von den Schulverantwortlichen bis hin zur öffentlichen Meinung ist man sich z. B. einig, dass der Literaturunterricht eigentlich nur eine aufhaltende Verbrämung des Unterrichts darstellt. Dabei ist es gerade die Literatur, die den Schülern eine empathische Sicht auf Natur und Mitmensch vermittelt.
Vorbild des heiligen Franziskus von Assisi
Der Papst widmet sich dann explizit der Frage einer „ökologischen Spiritualität“, die zum Umweltschutz „anspornen, motivieren, ermutigen und ihm Sinn verleihen“ sollen (216). Grundlage ist eine „vollständig[e] Umkehr“, zu der uns das „Vorbild des heiligen Franziskus von Assisi“ bewegen soll (218). Durch sein Beispiel werden wir angeregt zu einem „ausgeglichenen Lebensstil, verbunden mit einer Fähigkeit zum Staunen, die zur Vertiefung des Lebens führt.“ (225) Gott als Geheimnis der Welt (E. Jüngel), seine Gegenwart in der Schöpfung brauchen wir nicht herzustellen, denn sie wird „entdeckt, enthüllt“ (ebd.), unüberbietbar in den Gaben von Brot und Wein in der Eucharistie, in denen Christus, „das Wort, durch das alles geworden ist“ (Joh 1,3), seine Hingabe an die Menschen erneuert: „In der Eucharistie findet die Schöpfung ihre größte Erhöhung“, sie ist „von sich aus ein Akt der kosmischen Liebe.“ (236) Auch das Tischgebet ist ein Ort, um das auszudrücken – eine „wertvolle Gewohnheit“, die man nicht verloren gehen lassen sollte. (227)
Der Papst ist sich darüber im Klaren, dass es nicht genügt, „dass jeder Einzelne sich bessert“ (219). „Auf soziale Probleme muss mit Netzen der Gemeinschaft reagiert werden, nicht mit der bloßen Summe individueller positiver Beiträge.“ (ebd.) So können etwa Verbraucherbewegungen „durch den Boykott gewisser Produkte auf das Verhalten der Unternehmen ändernd einwirken und sie zwingen, die Umweltbelastung und die Produktionsmuster zu überdenken.“ (206) Der Papst hat mit seiner Enzyklika den ökologischen Bewegungen eine Synthese ihrer Bemühungen vorgelegt, hinter die sie nicht mehr zurückfallen dürfen. Er hat sich zum Sprecher der verantwortungsbewussten und bereiten Menschheit gemacht hat.
1 Der Papst unterscheidet zwischen der Technik, die dazu dient, den Fortschritt „gesünder, menschlicher, sozialer und ganzheitlicher“ zu machen, und der Technokratie oder dem technokratischen Paradigma, das den ganzheitlichen Zusammenhang übergeht (vgl. 112).
2 Bereits die Sozialenzykliken der Päpste argumentieren auf diese Weise gegen die auf vermeintlichen wissenschaftlichen Prinzipien beruhenden Lehren des Dialektischen Materialismus.
3 Der französische Philosoph Jean-Luc Marion bietet die Grundlagen für ein nach-cartesianisches Verständnis der Welt in diesem Sinn: Étant donné (1997) heißt sein Hauptwerk, das in umschreibender Übersetzung lauten könnte: „Da alles gegeben ist.“ Der Untertitel heißt: Versuch einer Phänomenologie der Gabe.
4 Dazu: Edenhofer, Ottmar – Christian Flachsland: Laudato sì. Die Sorge um die globalen Gemeinschaftsgüter. In: StdZ 9/2015, 579 – 591, 584.
5 Hier zeigt sich ein neuer, ernstzunehmender Zusammenhang von Denkmalschutz und Landschaftsschutz nahe!

P. Willibald
Hopfgartner OFM,

Kommentar

Bedingungsloses Grundeinkommen

Finnland wagt das Sozial-Experiment
„Perustulokokeilu toteutetaan“ - „Ein Grundeinkommensversuch wird durchgeführt.“ So steht es im Koalitionsvertrag der neuen finnischen Regierung. Bei einer Umsetzung in der nun beginnenden Legislaturperiode wäre es der erste Versuch eines europäischen Landes, ein bedigungsloses Grundeinkommen (BGE) einzuführen. Finnland erhofft sich davon eine effizientere Organisation des Sozialstaates, wenn alle Transferleistungen wie Kindergeld, Rente, Wohngeld und Sozialhilfe durch einen fixen Betrag zur Grundsicherung (der unabhängig von Alter und Einkommen monatlich ausgezahlt wird) ersetzt werden.

Pirkko Kiema Pirkko Kiema

In den letzten Wochen und Monaten sind in verschiedenen Medien rege Diskussionen über das bedingungslose Grundeinkommen entstanden. Ganz Europa redet darüber. In meinem Heimatland Finnland wurde in der Presse zitiert, dass es als einer unter den ersten EU-Ländern das bedingungslose Grundeinkommen einführen will. Das Grundeinkommen ist in Finnland an und für sich kein neuer Gedanke. Seit vielen Jahren wird darüber in der Bevölkerung, in der Politik und in sozialen Bewegungen diskutiert. Doch leider wurde diese Idee nie in die Realität umgesetzt.
Ein Grundeinkommen für jedermann?
Jetzt scheint es endlich wahr zu werden, doch bei genauem Hinschauen auf das Programmes der finnischen Regierung werden viele meiner Landsleute enttäuscht sein. Im Regierungsprogramm findet man lediglich „Ein Grundeinkommensversuch wird durchgeführt“, das heißt, wie ich es verstehe, dass die Regierung in einem Modellversuch eine staatliche Grundleistung testen will. Allerding nicht für alle und bedingungslos, sondern nur Bürger, die eine schlecht bezahlte Arbeit annehmen, sollen vom Staat zusätzlich zum Lohn das Grundeinkommen ausbezahlt bekommen.

Die finnische Regierung hat sich nicht geäußert, wer in Zukunft das Grundeinkommen erhalten soll, unklar ist ob es auch arme Selbstständige und Arbeitnehmer mit niederem Lohn in den Genuss des Grundeinkommens kommen. Unter so vielen offenen Fragen möchte ich besonders als Frau eine herausfiltern. Werden Frauen in Zukunft später von der Mutterschaft in das Arbeitsleben zurückkehren, und welche Folgen würde es eventuell auf das zukünftige Berufsleben haben.
Das jetzige finnische Sozialsystem hält Langzeitarbeitslose eher davon ab, einen unterbezahlten Job anzunehmen. Ein Grundeinkommen gekoppelt an der Erwerbsfähigkeit würde die Menschen zu mehr Selbstverantwortung anspornen. So ist der Plan der Regierung.
An der Umsetzung wird noch gefeilt
Eines ist ganz klar, in Finnland gibt es weder einen Zeitplan für das Experiment „Grundeinkommen“ noch ist im Haushaltsvoranschlag der Regierung Geld vorgesehen. Vor alllem aber, und das finde ich tragisch, dass die Regierung nicht genau erklärt, was der Begriff „Grundeinkommen“ bedeutet. Deshalb glaube ich, dass die Regierung sehr wohl einen Hintergedanken mit dem Einführen des Grundeinkommens hat. Es sollen, so entnimmt man es aus der Presse, alle Leistungen wie Kindergeld, Rente, Wohngeld und Sozialhilfe durch einen fixen Betrag - der Grundsicherung - ersetzt werden.
Ich warte deshalb gespannt, wann und wie das Experiment in meinem Heimatland beginnt, und ob es in dieser Legislaturperiode überhaupt möglich ist, zum einen weil es so viele offene Fragen gibt und zum anderen weil die momentane wirtschaftliche Situation nicht rosig ist.
Mein Wunsch an die Regierung
Noin viisi miljoonaa suomalaista odottavat mielenkiinnolla uutta sosiaalilainsäädäntöä. (Finnland, ein Land mit ungefähr fünf Millionen Einwohnern, wartet gespannt auf eine gute Sozialgesetzgebung.)
Grundeinkommen
Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein sozialpolitisches Finanztransferkonzept, nach dem jeder Bürger – unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage – eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche – vom Staat ausgezahlte – finanzielle Zuwendung erhält, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen (Transferleistung). Falls ein Arbeitsverhältnis besteht, reduziert das Arbeitseinkommen durch einen bestimmten Schlüssel, die Höhe des Grundeinkomens, das ist das Bedarfsorientierte Grundeinkommen. Umso mehr Arbeitseinkommen desto niedriger das Grundeinkommen. Wenn das Arbeitseinkommen eine bestimmte Höhe erreicht hebt sich, durch Steuerabgaben, das Grundeinkommen auf.