Kultur

Kunst als Nahrung für die Seele

Kunst erinnert uns daran, dass wir Leib und Seele sind
Was Kunst ist und was nicht, war zu allen Zeiten schwer zu definieren. Kunst wird von jedem subjektiv wahrgenommen und hat für jeden Menschen eine eigene Bedeutung, die sich nicht einfach widerlegen lässt. Kunst fordert uns heraus, sie gibt uns mehr zu denken, als der Alltag von uns verlangt. Darin liegt auch ihre Kraft, dass sie sich und uns in Frage stellt, uns zu einer anderen Wahrnehmung, zu einem neuen Sehen und einem veränderten Denken führen kann.

Die aktuelle Ausstellung „Sammeln für morgen“ stellt Arbeiten vor, die in den vergangenen sieben Jahren als 
Ankäufe, Schenkungen oder Leihgaben in die Sammlung des Museion aufgenommen wurden. Noch bis zum 10.1.2016 im Museion zu 
sehen. Im Bild: Dischi di DeiDie aktuelle Ausstellung „Sammeln für morgen“ stellt Arbeiten vor, die in den vergangenen sieben Jahren als 
Ankäufe, Schenkungen oder Leihgaben in die Sammlung des Museion aufgenommen wurden. Noch bis zum 10.1.2016 im Museion zu 
sehen. Im Bild: Dischi di Dei

Wer durch eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst geht, kann mit einiger Sicherheit einen Vater den folgenden Satz sagen hören: Das kann meine kleine Tochter auch! Was er damit meint, wissen wir: Dass die zeitgenössische Kunst häufig nicht mehr schön anzuschauen ist, handwerklich nicht perfekt gemacht ist, stattdessen nicht selten Imperfektion, Dilettantismus und sogar Hässlichkeit im Vordergrund stehen, während „alte Kunst“ noch mit Könnerschaft gemacht war und einen mehr oder weniger klar erkennbaren Inhalt hatte. Italiens ehemaliger Kulturminister Sandro Bondi hat die Ratlosigkeit Vieler einst auf den Punkt gebracht: „Wenn ich eine Ausstellung moderner Kunst besuche, mache ich es wie die meisten und tue so, als hätte ich etwas verstanden. Aber in Wahrheit verstehe ich nichts.“
Und das soll Kunst sein?
Vielleicht schickt derselbe Vater seine Tochter zum Geigen- oder Gitarrenunterricht und würde auf die Frage warum er das tut, wahrscheinlich antworten: Damit sie ein Instrument beherrschen lernt. Aber warum soll sie ein Instrument spielen können, was bringt das über die Tatsache hinaus, dass sie mit diesem Können in einer Musikkapelle oder einem Orchester mitspielen kann? Offenbar traut derselbe misstrauische Vater der Musik etwas zu, was keine praktischen Zwecke und Überlebensnotwendigkeiten erfüllt und dennoch irgendwie wichtig ist. Die Antwort der Pädagogen lautet meist so: Musik schult das Rhythmusgefühl, macht sensibel für Emotionen, verlangt Disziplin, verfeinert die Wahrnehmung. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass sie mathematische Leistungen verbessert, das Gedächtnis und die Koordination schult.
Der Zweck der Kunst besteht in ihrer Zwecklosigkeit
Und sie bereitet Lust. Genau die Lust, die der Philosoph Immanuel Kant als das „interesselose Wohlgefallen“ bezeichnet hat. Was meinte er damit? Für den Königsberger Philosophen bestand das Besondere an der ästhetischen Lust darin, dass sie alle unsere Vermögen in ein freies Spiel versetzt. Friedrich Schiller hat diesen Gedanken in die schöne Formel gebracht, dass das Leben frei, wirklich frei, nur da ist, wo es spielt. Wer der Stimme einer Opernsängerin lauscht, Rockmusik hört, in einem Krimi oder Roman versinkt, ins Theater oder ins Kino geht, lässt Arbeit und Alltag hinter sich. Es geht ihm nicht um irgendwelche Zwecke, sondern um sinnlichen Genuss. Kurz: Der Zweck der Kunst besteht in ihrer Zwecklosigkeit.
Warum traut der besagte Vater das alles zwar der Musik, aber nicht oder „nicht mehr“ der Bildenden Kunst zu? Die Antwort darauf ist nicht in einem Satz zu formulieren und erfordert einen kurzen Rückblick in die Geschichte der Kunsttheorie.
Seit es Kunst gibt, wird über Kunst gestritten. Strittig ist, was das rätselhafte Phänomen Kunst überhaupt ist, warum sie entstanden ist, welche Funktion und welchen Nutzen sie hat (wenn sie denn einen Nutzen hat), worin ihre Freiheit besteht und, und, und ... Einigkeit gibt es nur darüber, dass es keine Einigkeit gibt. Dem griechischen Philosophen Platon waren die Künstler verdächtig, weil sie Trugbilder schaffen und den Menschen von der Erkenntnis der Wahrheit fernhalten. Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel traute der Kunst nur mehr dekorative und didaktische Fähigkeiten, jedoch nicht mehr Erkenntnis der Wahrheit zu. Für Schopenhauer und Nietzsche hingegen war die Kunst das einzige Mittel, diese elende Welt überhaupt erträglich zu machen. Der amerikanische Philosoph Arthur C. Danto, um einen neueren Denker zu zitieren, definiert Kunst als Verklärung des Gewöhnlichen.
Kunst ist das, was als Kunst bezeichnet wird
Was für viele Menschen, die der Kunst eher verstört oder irritiert gegenüberstehen, so unbegreiflich ist: Die nie endenden Debatten gehören zum Wesen der Kunst, sie sind eigentlich der Kern der Kunst. Zugespitzt könnte man sagen: Jedes moderne Kunstwerk stellt letztlich die Frage, was Kunst ist. Jeder von uns hat in seinem Alltag auf unterschiedliche Weise mit Kunst zu tun. Die meisten schmücken ihre Wohnungen damit und sei es auch nur mit einem Kunstkalender, andere nutzen sie als Unterhaltung, als Zeitvertreib, wieder andere wollen emotional berührt werden, vielen gibt sie zu denken und einer kleinen, aber einflussreichen gesellschaftlichen Schicht dient sie als Geldanlage oder als Prestigeobjekt.
Das war nicht immer so. Solange die Kunst im Dienst von Kirche und Adel stand, war sie Auftragskunst. Die Maler malten, was ihnen aufgetragen wurde. Die Kirche verlangte Heilige, Päpste oder Szenen aus dem Leben Jesu, der Adel forderte repräsentative Herrscherporträts. Das ist der Grund, warum sämtliche großen Gemäldegalerien der Welt voll mit Herrscherbildern oder religiösen Szenen sind.
Seit die Kunst aus dem Dienst der klerikalen und aristokratischen Mächte getreten ist, revoltiert sie gegen diese Funktion, Zulieferer für andere zu sein. Sie will autonom sein, das heißt, sie wollte und will weder einem Auftraggeber noch dem Publikum dienen. Seither gilt: Was Kunst ist, bestimmt einzig und allein der Künstler. Kunst ist mittlerweile schlechterdings das, was als Kunst bezeichnet wird.
Genau damit hat das „große“ Publikum seine Schwierigkeiten. Denn woran soll es erkennen, was Kunst und was Nicht-Kunst ist, wenn prinzipiell jeder Gegenstand ein Kunstwerk sein kann? Meist behilft man sich mit der Minimaldefinition: Wenn es in einem Museum oder einer Galerie an der Wand hängt, wird es schon irgendwie Kunst sein.
Aber was ist dann noch ihre Substanz, wenn es keine Kriterien mehr gibt, die sie als Kunst ausweisen? Der Zusammenhang des Wahren, Guten und Schönen ist seit langem zerbrochen, also wozu ist sie noch gut? Die Frage ist berechtigt. Welchen Nutzen zieht man daraus? Ist man nachher ein besserer Mensch geworden, wenigstens ein bisschen? Bringt es einem irgendwie weiter, wenn man vor einem Bild oder eine Skulptur steht und darüber rätselt? Kann man nachher von sich behaupten, man sei verändert worden? Gibt es etwas in der Kunst, was einen neuen Menschen aus uns machen kann? Verändert ihr Genuss irgend etwas an unserem gegenwärtigen und zukünftigen Leben?
Kunst fordert uns heraus, sie gibt uns zu denken
Die Wahrheit ist: Diese Fragen kann nur jeder für sich selbst beantworten. Mit Sicherheit aber kann gesagt werden: Kunst fordert uns heraus, sie gibt uns mehr zu denken, als der Alltag von uns verlangt. In dieser Dimension ist sie der Religion verwandt. Kunst und Religion stellen beide gleichermaßen die Frage: Könnte alles nicht auch ganz anders sein? Wer solche Fragen stellt, befindet sich schon im Weltreich der Seele. Es geht ihm nicht mehr nur um Vermehrung von Wissen, sondern um den Menschen in seiner ganzen Existenz. Es geht um emotionale Fähigkeiten, um Verfeinerung unserer Wahrnehmung, um moralisches Urteilsvermögen, um Einschulung in Humanität.
Kunst hat einen gesellschaftlichen Mehrwert
Genau darin geht Kunst auch über den individuellen Genuss hinaus und bekommt einen gesellschaftlichen Mehrwert, wie zahlreiche erbitterte Debatten um die Funktion der Kunst beweisen. Der Streit um das Holocaust-Mahnmal in Berlin hat einmal mehr gezeigt, wie Kunst eine Gemeinschaft herausfordert und polarisiert und damit letztlich zu ihrer Identitätsbildung beiträgt.
Auch wenn man die Sprache der heutigen Kunst nicht immer sofort versteht – sie erinnert uns daran, dass wir Leib und Seele sind. Wer ein Bild betrachtet, sieht nicht nur bloß Farbe, sondern immer Farbe als Ausdruck, er sieht nie bloß Form, sondern immer Form als Gestalt der Seele. Diese metaphysische Rätsel unseres Lebens, das uns so alltäglich ist, dass wir kaum daran denken, ist die tiefste Grundlage der künstlerischen Arbeit. Und die Grundlage der Auseinandersetzung mit Kunst.
Zur Person
Heinrich Schwazer, Studium der Germanistik und Philosophie in Wien, lebt in Bozen, Redakteur für Kultur und Gesellschaft bei der „Neuen Südtiroler
Tageszeitung“.

Thema

Laudato sì

Nur radikales Umdenken kann die Schöpfung Gottes retten
Laudato sì - „Gelobt seist du“ - heißt es im Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi. Laudato sì nennt sich auch die zweite Enzyklika von Papst Franziskus. Die am 18. Juni 2015 in acht Sprachen veröffentlichte Verlautbarung über die Sorge für das gemeinsame Haus befasst sich mit dem Themenbereich Umwelt- und Klimaschutz und setzt Zeichen im Hinblick auf bestehende soziale Ungerechtigkeiten und auf die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. In den internationalen Medien wurde die Enzyklika öfters als Aufruf zu einem weltweiten Umdenken und als Wendemarke in der Kirchengeschichte bezeichnet.

Papst Franziskus hat die erste Umweltentzyklika der Kirchengeschichte veröffentlicht. Mit seinem Lehrschreiben richtet er sich an „alle Menschen guten Willens“. Dabei zitiert er den berühmten Sonnengesang von Franz von Assisi. „Dieser Gesang ist ein Lobpreis auf Gott und seine Schöpfung“, heißt es bei den Franziskanern von Assisi. Der Überlieferung nach hat der heilige Franz das Lob der Schöpfung mit 43 Jahren und bereits von Krankheit gezeichnet in der Kirche von San Damiano geschrieben. Dort soll er in einer Felsengrotte unter einem einfachen Haus gewohnt haben, dem einzigen Raum, in dem es dunkel war und kein Rauch vom Herdfeuer seine empfindlichen Augen erreichte.
Die Erde ist geliehen

Papst Franziskus verfasste einen Text über Gott, seine Schöpfung und die Menschen. Die Erde ist ein gemeinsames Haus und eine Leihgabe Gottes an alle Menschen. Dabei schreibt der Papst, dass nur ein radikales Umdenken die Schöpfung Gottes noch retten kann und spricht klar von DER Sünde. Er meint damit aber nicht nur das Wegwerfen von Lebensmitteln und Plastikmüll, das Verschmutzen von Luft und Wasser, sondern die Sünde schlechthin. Der Mensch hat die Harmonie zwischen Schöpfer, der Menschheit und der gesamten Schöpfung bereits zerstört „durch Anmaßung, den Platz Gottes einzunehmen, da wir uns geweigert haben anzuerkennen, dass wir begrenzte Geschöpfe sind“. Insgesamt ermutigt uns der Papst aber, bewusster zu leben und sich politisch dafür einzusetzen, dass das gemeinsame Haus Erde für alle Geschöpfe bewohnbar wird.
Einsatz für die Menschen

Auch wir als Menschen im KVW sind gefordert. Nicht umsonst zählen wir es zu unseren Hauptaufgaben, uns für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Dabei geht es nicht nur um einen reinen Einsatz für die Umwelt, sondern im Sinne des Papstes sind wir gefordert uns wieder mehr für den Menschen einzusetzen. Wir sind zwar schon durch die Bibel aufgefordert, uns der Pflanzen- und Tierwelt zu bedienen, doch unsere menschliche Macht hat Grenzen. Es entspricht nicht der Würde des Menschen, Tiere leiden zu lassen. Machen wir nicht den Fehler der Politik, die in den vergangenen Jahren sich immer weiter von den Menschen entfernt hat und oft nur mehr einen reinen Selbstzweck erfüllt. Es geht vielfach nur mehr um undurchsichtige Gesetzeslagen und Lobbyismus. Dabei wäre es die erste Aufgabe einer guten Politik sich für die Menschen und das Allgemeinwohl einzusetzen.
Egoismus contra Solidarität

Der Egoismus des Einzelnen scheint in unserer Welt zentrales Anliegen zu sein. Dieser Egoismus findet auch in unseren Reihen Ausdruck, wenn wir in unserem Tun uns nicht mehr vordergründig von den Prinzipien der christlichen Soziallehre leiten lassen. Als Beispiel möchte ich unseren Einsatz für eine solidarische Gemeinschaft anführen. Diesen streichen wir immer wieder heraus, wenn wir aber in die Situation kommen, diese Solidarität bewusst zu leben, verlieren gar einige recht schnell das richtige Maß. Im Vertrauen „Bedürfnisse einzuschränken, die uns betäuben, um so ansprechbar zu bleiben für die vielen Möglichkeiten, die das Leben bietet“ können wir im KVW Menschen in diesem Anliegen bestärken und das Verbindende in unserem Verband verdeutlichen durch einen aktiven Einsatz „für eine soziales Südtirol“.
„Wenn jemand den Ruf Gottes erkennt, gemeinsam mit den anderen in diese gesellschaftlichen Dynamiken einzugreifen, sollte er sich daran erinnern, dass dies Teil der Spiritualität ist, Ausübung der Nächstenliebe, und dass er auf diese Weise reift und sich heiligt.“

Text: Werner Steiner