Kultur

Macht Kunst gesund?

Kunsttherapie hinterlässt Spuren
Jeder besitzt die Fähigkeit zu gestalten. Gestalten heißt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und zu verändern. Die Kunsttherapie regt an, durch das Malen und Modellieren seelisches Leid und Unsagbares darzustellen. Es entsteht ein Weg, die alte Form zu verändern, Neues zu entdecken und zu verwirklichen. Der kreative Prozess, der über das Malen und Gestalten im Außen stattfindet, ist Ausdruck und Spiegelbild der Innenwelt. Im Umgang mit der Kunst und der Auseinandersetzung mit sich selber lernen die TeilnehmerInnen positive Gefühle zu entwickeln und ihr Selbstwertgefühl zu stärken.

In der Kunsttherapie stehen die Bilder als Zeichen für die Welt, in der ein Mensch lebt. Wenn sich die Bilder verändern, verändert sich auch der eigene Platz in der Welt.In der Kunsttherapie stehen die Bilder als Zeichen für die Welt, in der ein Mensch lebt. Wenn sich die Bilder verändern, verändert sich auch der eigene Platz in der Welt.

Als ich nach meinem Abschluss an der Hochschule der Künste in Paris im Jahr 1993 nach Bruneck kam, hatte ich den Wunsch, ein Atelier für psychisch Kranke zu gründen. Dieser Wunsch ging dann elf Jahre später in Erfüllung. Julia Bornefeld und ich wurden eingeladen, an der Psychiatrischen Abteilung im Krankenhaus Bruneck „die Patienten künstlerisch zu betätigen“. Aus dem ursprünglichen Projekt ist ein kontinuierliches Angebot geworden und ich absolvierte ein Masterstudium in Kunsttherapie an der Universität René Descartes/Paris. Mittlerweile finden in einem geschützten Rahmen unterschiedliche kreativtherapeutische Treffen wöchentlich statt.

Macht Kunst gesund?* Folgt man dem aus der Romantik hervorgegangenem Klischee, das immer noch hartnäckig in vielen Köpfen herumschwirrt, sind Künstler selbst nicht ganz gesund, unausgeglichen, häufig melancholisch und todessehnsüchtig. Ist demnach die künstlerische Tätigkeit eine Sublimierung, ein Mittel, um gegen das Irresein anzukämpfen, das Ventil, aus dem die giftigen Seelendämpfe entweichen können? Auch wenn die Kunst nicht immer und alle gesund macht, kann sie helfen, die latente Krankheit einzudämmen.
Sich der Welt ohne Worte mittteilen
Kunst in der Psychiatrie dient nicht dazu, neue „Art Brut“ Künstler populär zu vermarkten, sondern bietet neben den klassischen psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Verfahren eine zusätzliche Alternative, vor allem dann, wenn Worte nicht genügen. Malen und Modellieren kann helfen, die Wahrnehmung zur Welt und zu sich selbst zu verbessern. Viele Patienten haben kaum Erfahrung mit künstlerischem Ausdruck und es erfordert Mut und Frustrationstoleranz, sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen. Kunsttherapie ist die einzige Therapieform, die „Spuren“ hinterlässt: es entsteht ein „Produkt“, ein Bild, eine Plastik, ein Foto. Die ästhetische Komponente ist sekundär, das Geschaffene ist Ausdruck und Gegenstand, auf den sich Patient und Therapeut gemeinsam beziehen. Das Produkt ist der „Ort“ von Übertragungen und Projektionen, das „dritte Objekt“, wodurch Emotionen und Sprache reaktiviert werden und psychische Lebendigkeit entsteht.
Kunst schafft Raum für neue Erfahrungen
In ihren Bildern drücken viele unserer TeilnehmerInnen zuerst genau das aus, was nach ihrem Empfinden so wenig Platz bekommt: ihr schwer beschreibbares Leiden wird sichtbar. Dadurch bauen sie eine Brücke zwischen sich und den Anderen. Malen berichtet der „Welt“ von ihrem Leid.
Über den kreativen Prozess Selbstheilungskräfte entwicklen
Interessanterweise geschieht im Prozess des Malens etwas Paradoxes, ein kleines Wunder: wenn ich male, beschäftige ich mich liebevoll mit Linien, Farben, Formen und indem ich dem Schmerz eine Form gebe, spüre ich in diesem Moment des Malens ein leichtes Glück, einen leichten Genuss, eine Befreiung: ich entferne mich kurz vor dem Schmerz. Diese Erfahrung wiederholt sich immer wieder. Kunst wird eine Strategie des Überlebens, Quelle von wohltuenden Emotionen. Kunst ist dann nicht mehr nur Ausdruck von meinem Leid, sondern schafft Raum für neue Erfahrungen mit mir und der Welt.
Hier ein Fallbeispiel
Frau F. spielte Harfe in einem Orchester, bis sie an starken Depressionen erkrankte, jeden sozialen Kontakt vermied und sich immer mehr von der Welt zurückzog. Die Harfe berührte sie nicht mehr. Die Psychologin empfiehlt Frau F. zusätzlich zur Psychotherapie Kunsttherapie. Bereits der erste Besuch im Atelier wirkte wie ein Aha-Erlebnis: das Malen war ihr bisher unbekannt und begeisterte sie unmittelbar. Aus der ehemaligen klassischen Musikerin wurde eine „Jazz-Malerin“: sie ließ ihre Improvisationen frei auf Papier fließen. Sie malte rätselhafte Landschaften, menschenlos, surreal, außerirdisch, die sie im Einzelgespräch als seelische Selbstporträts erklärte. In einem für sie wichtigen Bild spiegelten der rosarote Adler, die Insel mit dem unbekannten Schatz und die magischen Tannenbäume die Kindheit wider, so wie sie Frau F. empfand: „der unbekannte Schatz“ war das Kind, das von den Eltern nicht wertgeschätzt wurde. Die gemalten Bilder wurden für sie zu Schätzen und gaben ihr einen Teil der fehlenden Wertschätzung zurück. Nach drei Jahren fühlte sich Frau F. stabil und konnte die Therapien abschließen. Sie spielt wieder Harfe und malt, wenn ihr danach zumute ist.

*„Macht Kunst gesund? Die Werke von Psychisch Kranken zwischen Pathologie und Kunst“, Jakob Simmank, Frankfurter Zeitung, 30. August 2015

Erwin Kirchler,
Erwin Kirchler,
Sylvie Riant
Sylvie Riant



Kultur

Brückenbauer Theater

Theater als Wegbereiter zu einem offenen Dialog
Zig tausende Menschen verlassen tägliche ihre Heimat, flüchten vor Krieg, Gewalt sowie Hunger und hoffen auf ein besseres Leben. Wozu soll in solchen Situationen Theater gut sein? Was soll es bewirken, was kann es bewirken?

Irene Girkinger Irene Girkinger

Theater kann nicht die Welt retten, aber es kann hinterfragen, sensibilisieren, es kann neue Sichtweisen aufzeigen und es kann auch Wegbereiter sein zu einem offenen Dialog mit fremden Kulturen. Wie schon Hannah Arendt wusste, ist das Theater die politische Kunst par excellence: „Schauspiel ist die einzige Kunstgattung, deren alleinigen Gegenstand der Mensch in seinem Bezug zur Mitwelt bildet.“ Und wo der Mensch ins Zentrum rückt, ist die soziale Aufmerksamkeit offenkundig. Und genau darin liegt die Kraft dieser Kunstform.
Das Publikum ist Teil der Aufführung
Theater, als sozialer Ort der Aufmerksamkeit, sollte in die Vergangenheit ebenso blicken wie auf die Gegenwart und in die Zukunft. Wie sehr Menschen danach trachten, bestimmte Themen aufzugreifen und neu zu beleuchten, zeigte das Theaterprojekt „Option.Spuren der Erinnerung“, das in der letzten und vorletzten VBB-Saison auf die Bühne gebracht wurde. In dieser Produktion haben Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ihre ganz persönlichen Erinnerungen an diese schwierige Zeit mitgeteilt. Diese authentischen Erzählungen gingen vielen Menschen nahe, berührten und regten auch ein Nach- und Hinterfragen in den Familien an. Es erreichten uns, unter anderem, zahlreiche Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern, die das Stück mit der Schule angesehen hatten, dass sie auch ihren Eltern einen Theaterbesuch nahegelegt haben. Das Projekt war ein unglaublicher Erfolg bei Jung und Alt und zählt mit insgesamt 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauern zur erfolgreichsten Sprechtheaterproduktion in der Geschichte der VBB.
Kunst ist, wie auch Geschichte, nichts Ruhendes. Kunst – und damit auch das Theater – ist vielmehr ein sich stetig erneuernder Prozess, ein Organismus, der atmet, der sich auch abseits bekannter Pfade spannend und facettenreich präsentiert. Dabei kommt dem/der Theaterbesucher/in zunehmend eine neue Rolle zu. Die Einbindung des Publikums ist wesentlicher Bestandteil moderner Theaterarbeit, Partizipation der Begriff der Stunde.
Bombenjahre ‑ Debatte Südtiroler Zeitgeschichte
In dieser Spielzeit haben wir uns wieder ein Dokumentartheaterprojekt zu lokaler Zeitgeschichte vorgenommen, welches ein ambivalentes Thema zum Gegenstand hat und daher eine neue, große Herausforderung sein wird. Anders als bei dem Theaterprojekt zur „Option“ stellen wir nicht nur Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in den Mittelpunkt, sondern Experten/Expertinnen, Historiker/innen, Journalisten/innen, Beteiligte und Betroffene. Es wird die deutsche, italienische und österreichische Sicht auf die damaligen Vorfälle und Entwicklungen zur Sprache kommen, sowie eine politische, persönliche und wissenschaftliche. Das Theaterprojekt wird die Zeit der Bombenjahre aus unterschiedlichen, oft sehr konträren Positionen beleuchten, sodass am Ende ein umfassendes Bild über dieses Kapitel Südtiroler Geschichte entsteht. Der Abend selbst wird partizipativen Charakter haben. Eröffnet wird er auf der großen Bühne, auf der die Vielfalt der Meinungen zusammengetragen und wo den unterschiedlichen Positionen ein Raum gegeben wird. Danach sind die Zuschauerinnen und Zuschauer eingeladen, sich aus dem Theatersessel zu erheben und durch das Theater zu „wandern“. Auf der Bühne, Seitenbühne, Hinterbühne und im Foyer wird es mehrere Schauplätze geben, wo Menschen erzählen, diskutieren, provozieren. Nach und nach soll sich das Publikum ein eigenes Bild über diese Jahre schaffen, zuhören und die eigene Meinung hinterfragen oder ergänzen. Mit diesem Projekt geht es den VBB zum einen darum, ein Ort der Theater-Magie zu sein, aber zum anderen auch ein gesellschaftliches Zentrum, das Platz zur Reflexion einräumt und Themen in einer noch nicht dagewesenen Form behandelt. Ein Dialog soll losgetreten werden.
Theater bietet Einblicke, Rückblicke und Ausblicke
Das Schöne am Theater ist, dass es zwei wichtige Bereiche der Kunst vereint: Reflexion und Emotion. Es bietet Einblicke, Rückblicke und Ausblicke. Oder wie der große Regisseur Peter Brook es treffend formulierte: „Theater kann immer auch ein Vergrößerungsglas oder eine Verkleinerungslinse sein, je nachdem.“
Die Aufführungen der „Bombenjahre“ finden am 13., 14., 18., 19., 20., 21., 23. und 24. Februar um 20 Uhr im Stadttheater in Bozen statt. Tickets und Informationen unter www.theater-bozen.it