Kommentar

Verfassungsreform

Der Ball liegt bei den Bürgern
Die Reform gilt als wichtigste Verfassungsänderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bevor sie in Kraft treten kann, muss sie durch ein Referendum im Herbst bestätigt werden. Ziel ist es, die Zuständigkeiten der zweiten Parlamentskammer - des Senats - stark zu beschränken. Bisher waren beide Parlamentskammern gleichberechtigt und blockierten sich oft gegenseitig. Dadurch sollen die Gesetzgebung beschleunigt und das politische System stabilisiert werden. Nun liegt es am Bürger sich damit auseinanderzusetzen.

Francesco Palermo, Jurist und Institutsleiter für Föderalismus- und Regionalismusfoschung an der Europäischen Akademie Bozen (EURAC)Francesco Palermo, Jurist und Institutsleiter für Föderalismus- und Regionalismusfoschung an der Europäischen Akademie Bozen (EURAC)

Italien kann im Herbst im bestätigenden Referendum die umfangreichste Verfassungsreform seit Beginn der Republik besiegeln. Kein vorhergehender verfassungsändernder Gesetzentwurf hat nämlich so viele Aspekte und Artikel revidiert und die Regierungsform so grundlegend verändert.
Kernpunkt dabei ist der Senat, der sich bisher in seinen Kompetenzen kaum von der Abgeordnetenkammer unterscheidet. Dieses perfekte Zweikammersystem ist unzeitgemäß, es macht den Entscheidungsprozess langsam und schwerfällig und der jahrelange Wunsch nach einer Reform ist nachvollziehbar.
Nur mehr 100 Senatoren
Der neue Senat soll sich aus 100 statt der bisherigen 315 Senatoren zusammensetzen, nämlich aus 74 Regionalräten, 21 Bürgermeistern (einem pro Region bzw. autonomer Provinz) und fünf Persönlichkeiten, die vom Staatspräsidenten für herausragende Leistungen für sieben Jahre zu Senatoren ernannt werden. Südtirol soll zwei Senatoren entsenden, und zwar einen Landtagsabgeordneten und einen Bürgermeister, wobei diese unterschiedlichen Sprachgruppen angehören müssen. Somit ist Südtirol im Senat verhältnismäßig stärker repräsentiert als bisher.
Prüfende Funktion für Senat
Der Senat soll prüfende und kaum gesetzgeberische Funktionen haben. Er soll die Arbeit der öffentlichen Verwaltung, die Umsetzung der Staatsgesetze und die Auswirkungen der EU-Gesetze beobachten und als Brücke zwischen Staat und Regionen fungieren. Auch an Verfassungsänderungen und an der Ratifizierung europäischer primärrechtlicher Verträge soll sich der Senat in Zukunft beteiligen. Während der CNEL (Nationalrat für Wirtschaft und Arbeit) abgeschafft wird und die normalen Provinzen nicht mehr in der Verfassung verankert sind, werden die Gesetzgebungskompetenzen der Regionen stark reduziert. Einzig die konsolidierten Autonomien, die zum Teil auch international verankert sind, etwa die autonomen Provinzen Bozen und Trient und die Regionen mit Sonderstatut, sind von der Reform ausgeschlossen und werden ihre Zuständigkeiten behalten bzw. sogar weiter ausbauen können.
Hoffnungen und Mängel
Neben den Hoffnungen auf Vereinfachung, Effizienz und finanzielle Entlastung gibt es aber auch Mängel, die vor allem die Regionen mit Normalstatut schwächen. Statt die Regionen und lokalen Körperschaften als politisch relevantes Gegengewicht anzusehen, konzentriert sich die Entscheidungsmacht in Zukunft auf die Regierung und die Abgeordnetenkammer. Die Hauptkritik übten die Gegner an der Wählbarkeit der Senatoren, die größten Einschnitte erfährt der Senat jedoch durch seine reduzierten Zuständigkeiten. Die entscheidende Frage, ob der Senat eine politische oder eine territoriale Vertretung sein soll, wurde nie genügend behandelt. Die ausbleibende Antwort auf diese Frage und die fehlende Diskussion über die Form des Senats werden dazu führen, dass der Senat zu einer zweitrangigen Kammer statt zu einer ernstgenommenen Zweitkammer wird. Kritisch ist auch, dass erstmals die Regierung selbst den verfassungsändernden Gesetzentwurf eingebracht hat und das Parlament meist eine reine Ratifizierungsfunktion durch die Mehrheitsstimmen und ohne Einbeziehung der Opposition übernommen hat.
Ja oder Nein
Jetzt liegt es am Bürger, sich an der Auseinandersetzung mit dem Thema zu beteiligen und die demokratische Chance des Referendums zu nutzen und die positiven Aspekte des effizienteren Entscheidungssystems mit den Mängeln der Reform abzuwägen. In einem Referendum, bei dem es nur um Ja oder Nein geht und keine Nuancierung möglich ist, ist diese Abwägung nicht einfach und subjektiv.
Referendum
Anfang Oktober findet ein Referendum zur Verfassungsreform statt. Die Reform tritt in Kraft, wenn sie die Zustimmung der Mehrheit aller gültig abgegebenen Stimmen erhalten hat. Mit der Reform würde das geltende System aus zwei gleichberechtigten Parlamentskammern abgeschafft. Der neue Senat soll nur mehr aus 100 Mitgliedern bestehen statt wie bisher aus 315.
95 der künftigen 100 Senatoren sollen Vertreter der Regionen bzw. Bürgermeister von Großstädten sein. Südtirol soll zwei Senatoren entsenden.

Text: Francesco Palermo

KVW Aktuell

Zwischen biologischer Uhr und Rente

KVW auf Spurensuche für eine gute Zukunft der Familien
Die verschiedenen Aspekte von Familie standen im Mittelpunkt einer breit angelegten Diskussion zu „Zukunft Familie“. Die KVW Jugend und die Frauen im KVW hatten Fachleute und Betroffene eingeladen, miteinander zu analysieren und beraten, was die Familien brauchen.

V.l. Toni Fiung, Petra Kraus, Waltraud Deeg, Rosi Rehbichler, Moderatorin Ursula Thaler, Judith Gögele, Michela Morandini und Lukas BlasbichlerV.l. Toni Fiung, Petra Kraus, Waltraud Deeg, Rosi Rehbichler, Moderatorin Ursula Thaler, Judith Gögele, Michela Morandini und Lukas Blasbichler

Toni Fiung, geistlicher Assistent des Familienverbands, wies auf große Veränderungen hin, die Vielfalt bei den Familien nehme zu. Vor allem durch die gute Situation der Frau heute komme eine neue Dynamik in die Familien. Trotz der Veränderungen brauchen Familien in Zukunft „Platz, Raum und Zeit“, erklärte Fiung.


Großer Druck für Frauen


Von einer ganz anderen Seite her beleuchtete die Frauenärztin Petra Kraus das Thema. Sie sieht die Frauen auf einem Grad zwischen der tickenden biologischen Uhr und der Selbstentfaltung. Der späte Kinderwunsch bringt oft großen Druck auf die Frau und die gesamte Familie. Für Petra Kraus braucht es entsprechende Unterstützung, damit Frauen früher „Ja“ sagen können, damit der Kinderwunsch nicht hinausgeschoben wird. Vor allem im Hinblick auf den psychischen Druck und die Kosten wäre dies notwendig, meinte Kraus.
Breiten Raum nahm die Diskussion um die Rentenabsicherung der Mütter ein. Judith Gögele von Pensplan erklärte, dass durch das beitragsbezogene System als Rente nur mehr so viel ausbezahlt würde wie an Beiträgen eingezahlt wurde. Anerkennung von Rentenzeiten würde nichts bringen, da nicht die Jahre zählen sondern nur die tatsächlich eingezahlten Beiträge. Diese sind nun mal an eine Erwerbsarbeit gekoppelt. Landesrätin Waltraud Deeg machte auf die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung aufmerksam. Es gebe Verhandlungen mit der Inps, damit die Beiträge der Region direkt aufs Konto bei der Inps eingezahlt werden könnten. Skepsis gab es bei den Besucherinnen und Besuchern, vor allem die mangelnde Information und die Tatsache, dass die Familie das Geld vorstrecken müsse, wurden bemängelt.


Sorge tragen für Familien


Arbeitsmarkt und Arbeitsbedingungen seien nicht familienfreundlich, erzählte Gleichstellungsrätin Michela Morandini aus ihrer täglichen Arbeit. Väter, die Elternzeit beantragen, und schwangere Frauen machten oft schlechte Erfahrungen und stoßen auf wenig Verständnis. „Es gebe immer noch die Einstellung, dass man sich entscheiden müsse, ob der Beruf oder die Familie wichtiger seien“, sagte Morandini. Beides zu haben sei nicht vorgesehen, Italien stehe da schlecht da. Morandini sagte auch, dass die Arbeitgeber nicht die Verantwortung spüren, für die Mitarbeiter und ihre Familien zu sorgen.
Viel Positives zur Familie kam in den Statements von Rosi Rehbichler vom Verein kinderreiche Familien und Lukas Blasbichler, dreifacher Familienvater mit Erfahrung in Elternzeit. Blasbichler betonte, dass Zeit, die für die Familie investiert wird, eine gut investierte Zeit sei.
Für Rehbichler bedeutet Familie der Abschied vom Egoismus des Einzelnen. Rehbichler würde sich auch mehr unbürokratische Unterstützung wünschen, es sollte einfach menschlicher ablaufen, ohne das ständige Denken an Gesetze, Versicherung, Hierarchien und Geld.
Laut Umfragen haben junge Menschen nach wie vor Lust, sich auf das faszinierende Abenteuer Kinder und Familie einzulassen, sagte KVW Frauenvorsitzende Helga Mutschlechner. Die Herausforderungen seien allerdings groß, und die Rahmenbedingungen müssten familienfreundlich sein, damit die Gründung von Familie nicht ein Wunsch bleibe.