Thema

Zeugnis geben

Die Seligsprechung von Josef Mayr-Nusser
Die Pfarreien der Diözese begehen am 19. März den Tag der Solidarität. Gleichzeitig wird des „neuen“ Seligen Josef Mayr-Nusser gedacht, der in seinem sozialen Handeln die Bergpredigt und das Liebesgebot Jesu angewandt hat.

„Wenn der Herr ein Opfer fordert, dann gibt er auch die Kraft, es zu tragen“ schreibt Josef Mayr-Nusser an seine Frau Hildegard am 12. November 1944 aus der Untersuchungshaft in Konitz. Und weiter: „Kameraden, mit denen ich mich auch im Religiösen verstehe, habe ich leider keine hier. Dieser Mangel wiegt schwer, noch mehr der jeder religiösen Betreuung. St. Johann geht mir bitter ab in dieser Verlassenheit hier“. St. Johann, das romanische Kirchlein in Bozen Dorf, war der religiöse Kraftort der Katholischen Jugend unter seiner Obmannschaft. Dort scharten sie sich um den Altar und feierten die Eucharistie im Geiste der liturgischen Erneuerung. „Wer da will Zeuge sein, der soll sich rüsten an unseren Altären“, denn ums Zeugnis geben, ums Einstehen für Christus als dem alleinigen „Führer“ ging es, um den Widerstand gegen den totalitären Anspruch von Faschismus, Nationalsozialismus und Bolschewismus, gegen deren Führerprinzip in den Gestalten von Benito Mussolini, Adolf Hitler und Gefolgschaft. Josef Mayr-Nusser nimmt sich in Reden, Artikeln und Schulungsvorträgen im öffentlichen wie im relativ geschützten Raum der Kirche kein Blatt vor den Mund, bescheiden, ernst und gründlich vorbereitet: „Freilich, es ist eine Arbeit auf weite Sicht, die wir da zu leisten haben, und kaum wird es uns vergönnt sein, selbst noch die Früchte unserer Arbeit zu ernten. So bitter diese Erkenntnis auch sein mag, lassen wir uns nicht entmutigen dadurch … Seien wir zufrieden damit, einmal uns sagen zu können, wir haben die Last und die Hitze des Tages getragen, wir haben erfüllt das Gebot der Stunde und, soweit es an uns lag, mitgearbeitet, auf dass der Friede Christi im Reiche Christi verwirklicht werde“.
Er stand mit seinen Landsleuten unter dem faschistischen Joch des römischen „Zwingherrn“ und erkannte gleichzeitig die schreckliche Macht der Verführung durch einen Erlöser, einen Führer, „der droben im Norden aufgestanden sei und seinem Volk Einigkeit und nationale Ehre wiedergeschenkt habe“. Der „Durchdringung des Südtiroler Volkes mit der nationalsozialistischen Weltanschauung“ hielt Josef Mayr-Nusser entgegen: „Es ist eine freche, verlogene Behauptung, wenn man Religion als blut- und rassegebunden bezeichnet. Die Wahrheit der Kirche ist der Willkür der Menschen entzogen, sie steht unendlich hoch über Werten wie Rasse, Blut und Boden, an ihr kann der Mensch nicht rütteln, so wie er die Sterne nicht vom Himmel holen kann“.
Setzte er sich als Obmann der Katholischen Jugend des deutschen Anteils der Diözese Trient bewusst der Verfolgung und späteren Rache der Nationalsozialisten aus, so wollte er von „Politik“ in der Vinzenzkonferenz nichts wissen. Als Vinzenzbruder am Bozner Boden und in Oberau ging es ihm ausschließlich um den Dienst an den Armen, um ihr leibliches und seelisches Wohl. Die Bergpredigt und das Liebesgebot Jesu sind oberste Richtschnur. Frederik Ozanam, der Gründer der Vinzenzbewegung, ist ihm Vorbild. Er begegnet den Armen, unabhängig von Sprache, Herkunft und Geschlecht als „verstehender Bruder und aufrichtiger Freund, der sich selber bringt“. Um Werktagsheiligung geht es ihm, um ein Christ sein, das sich ständig prüft und überprüft, um Gewissensbildung und Gewissenserforschung vor Gott und den Mitmenschen. Sein ganzes Leben, von seiner Geburt am Nusserhof am 27. Dezember 1910 bis hin zur Familiengründung mit Hildegard Straub und der Geburt des Sohnes Albert im August 1943, die Zeit als Führer der Katholischen Jugend und als Vinzenzbruder, den Einsatz während der Option ums „Dableiben“, sein „Zeugnis geben von dem Licht“ bis zur Verweigerung des SS-Eides auf Adolf Hitler am 4. Oktober 1944 wird er durchdacht und durchlitten haben, der Ölbergerfahrung gleich, um im Geiste von St. Johann in der Stunde der Bewährung so handeln zu können, „wie ich es vor Gott und meinem Gewissen schuldig bin“. Sein „Vergelt’s Gott“ im Viehwaggon am Güterbahnhof in Erlangen ist das Letzt-Überlieferte, wo er am 24. Februar 1945 um 6 Uhr in der Früh stirbt, „als Märtyrer des katholischen Glaubens“, als einer, „der sicher zu den größten Söhnen unser Heimat gehört“, so Josef Ferrari im November 1957 anlässlich des Bekenntnistages der Katholischen Jugend.

TEXT: Herbert Denicolò

KVW Aktuell

Hirtenbrief zum Tag der Solidarität

Sonntag, 19. März 2017
„Kein Mensch ist eine Insel“ – kaum ein Dichterwort bringt, wie dieses von John Donne, den Sinn der Solidarität auf den Punkt. Niemand lebt einfach für sich allein, sondern jeder Mensch ist Teil eines Ganzen und für dieses Ganze bedeutsam und wichtig. Das Schicksal jedes einzelnen Menschen, auch des letzten und unbedeutendsten, betrifft auch alle anderen. Solidarität ist kein vages Mitgefühl, sondern die Tatsache, dass wir füreinander verantwortlich sind.
Eindrucksvoll bringt Jesus diese Wahrheit in seiner bildkräftigen Beschreibung des Letzten Gerichts zum Ausdruck. Er identifiziert sich mit den Hungernden und Leidenden, den Obdachlosen, Gefangenen und Flüchtlingen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Die Verantwortung der Menschen füreinander ist für Jesus gleichbedeutend mit der Verantwortung der Menschen vor Gott. Wenn ich in solidarischer Verantwortung mit meinen Mitmenschen verbunden bleibe, dann bleibe ich auch mit Gott verbunden. Gott selbst hat uns im Kreuz Jesu seine tiefste und letzte Solidarität gezeigt und uns damit den Weg in sein Reich der Liebe aufgezeigt.
Die Solidarität war auch der Weg von Josef Mayr-Nusser: vom schlichten Dienst an den Armen und an der Jugend bis hin zum äußersten Zeugnis im Martyrium. Dieser Weg endete nicht am Bahnhof von Erlangen: er führte mitten hinein in die rettende Liebe Gottes. Wir dürfen heuer den diözesanen Tag der Solidarität am dritten Fastensonntag in dankbarer Freude über die Seligsprechung von Josef Mayr-Nusser begehen. Von seinem Lebenszeugnis her gewinnt das Gebot der Nächstenliebe, der Solidarität, plastisch Form. Sein Lebenszeugnis ermutigt uns, Verantwortung für andere zu übernehmen und mit klaren Worten und Taten für Jesus Christus, den Gott der Liebe, einzustehen.
Lassen wir diese Ermutigung nicht ungehört verhallen. Gerade heute wird uns wieder deutlich, wie nötig unsere Welt Menschen braucht, die mutig, christlich und solidarisch für die Armen und Schwachen eintreten. Wir brauchen Frauen und Männer, die klar und vernehmbar die Stimme erheben: gegen den Missbrauch politischer Institutionen durch menschenfeindliche Ideologien; gegen die Gleichgültigkeit gegenüber den Schicksalen der Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten; gegen die Zerstörung der Umwelt und den Raubbau an Ressourcen. Die Welt braucht Menschen, die mit ihrem Handeln ein Rufezeichen für Gerechtigkeit und Frieden setzen.
Die Patronate des KVW und der ACLI, denen die Kirchensammlung am Tag der Solidarität zukommt, leisten diesbezüglich einen wichtigen Dienst. Sie verkörpern als Institution den Geist der Solidarität in Fragen der Arbeit und des Alltags. Sie tragen dazu bei, dass auch heute die Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu, von Gottes Solidarität mit uns, lebendig bleibt. Ihnen und allen anderen kirchlichen und zivilen Organisationen, die sich für eine solidarische Welt einsetzen, danke ich von ganzem Herzen. Gott schenke uns auf die Fürsprache von Josef Mayr-Nusser den Mut, im Alltag seine Zeugen zu sein: mutig, christlich und solidarisch.

Ivo Muser, Bischof