Thema
Christ sein heißt gestalten
Wie politisch muss eine Sozialbewegung sein?
Der „Tag der Solidarität“ ruft jedes Jahr neu dazu auf, die Gesellschaft mitzugestalten. Die Synode nennt den Grund: „Weil Gottes- und Nächstenliebe nicht voneinander zu trennen sind, muss sich das Doppelgebot der Liebe außer in karitativen Tätigkeiten auch in der strukturellen Dimension auswirken, im Ringen um den Aufbau einer Gesellschaft, die niemanden ausschließt und allen Lebenschancen ermöglicht.“
Nach meiner Einschätzung ist die Kirche heute zwei Gefahren ausgesetzt: Der Rückzug in die private Frömmigkeit und eine Debattenkultur, die sehr stark um innerkirchliche Themen kreist. Der gesellschaftspolitische Einsatz der Christen wird, wenn überhaupt, lediglich am Rande behandelt. Schon der 1945 von den Nazis ermordete Jesuitenpater Alfred Delp beklagte, dass sich Christen immer neu der Gestaltungsverantwortung für die Welt entziehen – sei es durch Scheu, sich dem Wind und Wetter der Geschichte auszusetzen, sei es durch eine latente Weltverachtung. Im Jahre 1941 stellte Alfred Delp in einer Predigt die Frage, ob die Kirche nicht Gefahr laufe, „eine Kirche der Selbstgenügsamkeit zu werden, die ihre Gesetze, Büros und Verordnungen, ihre Klugheit und Taktik hat, ihren Bestand wahrt, von ihrer Vorsicht überzeugt ist?“ Und dann: „Warum haben wir dem Leben nichts mehr zu sagen oder besser, da wir was zu sagen haben, warum sagen wir ihm nichts?“
Nicht nur in der Kirche, auch auf der Ebene der Gesellschaft ist die Stimmungslage eher depressiv, geprägt von Politikverdrossenheit, von Resignation, von Angst. Tatsache ist, dass der Fokus der Interessen sehr vieler Bürger gegenwärtig eher im Bereich der privaten Lebensbewältigung als in dem der Politik liegt. Dafür gibt es gewiss Gründe. Die großen gesellschaftspolitischen Zukunftsentwürfe der Vergangenheit haben sich erschöpft; sie beflügeln und motivieren nicht mehr. Das Leben in einer rasant sich verändernden Welt ist so komplex geworden, dass die Menschen auf Hilfe angewiesen sind, um die vielschichtigen Anforderungen einigermaßen zu bewältigen im Berufsleben, im Umgang mit Medien, mit Gesundheit, mit Bildung ect. Zugleich ahnen die Menschen, dass die gesellschaftliche Entwicklung eine tief greifende ethische Neuorientierung und Richtungsbestimmung braucht. Aber dann verhalten sich die meisten wie Zuschauer, die zwar beklagen, dass Vieles falsch läuft, sehen sich aber außer Stande, den Lauf der Dinge zu ändern.
Es gibt in der Geschichte, Gott sei Dank, auch ermutigende Beispiele. Sternstunden, wo Politik und Zivilgesellschaft in Jahrzehnten harten Ringens und Bemühens es zustande brachten, soziale Sicherungssysteme auf die Gerade zu bringen, die sich sehen lassen können. Die Entstehung des Sozialstaates, zu der die Kirche einen substanziellen Beitrag geleistet hat, war so eine Sternstunde der aktiven Übernahme gesellschaftspolitischer Verantwortung durch die Laien.
TEXT: Josef Stricker
Nicht nur in der Kirche, auch auf der Ebene der Gesellschaft ist die Stimmungslage eher depressiv, geprägt von Politikverdrossenheit, von Resignation, von Angst. Tatsache ist, dass der Fokus der Interessen sehr vieler Bürger gegenwärtig eher im Bereich der privaten Lebensbewältigung als in dem der Politik liegt. Dafür gibt es gewiss Gründe. Die großen gesellschaftspolitischen Zukunftsentwürfe der Vergangenheit haben sich erschöpft; sie beflügeln und motivieren nicht mehr. Das Leben in einer rasant sich verändernden Welt ist so komplex geworden, dass die Menschen auf Hilfe angewiesen sind, um die vielschichtigen Anforderungen einigermaßen zu bewältigen im Berufsleben, im Umgang mit Medien, mit Gesundheit, mit Bildung ect. Zugleich ahnen die Menschen, dass die gesellschaftliche Entwicklung eine tief greifende ethische Neuorientierung und Richtungsbestimmung braucht. Aber dann verhalten sich die meisten wie Zuschauer, die zwar beklagen, dass Vieles falsch läuft, sehen sich aber außer Stande, den Lauf der Dinge zu ändern.
Strukturelle Probleme
Lebenswichtige Probleme sind nun einmal nicht individueller, sondern struktureller Natur, z. B. die auseinander klaffende Schere zwischen arm und reich, die rapide Zunahme prekärer Beschäftigung, die neuen Problemlagen in der Sozial- und Gesundheitspolitik, der Klimawandel.Es gibt in der Geschichte, Gott sei Dank, auch ermutigende Beispiele. Sternstunden, wo Politik und Zivilgesellschaft in Jahrzehnten harten Ringens und Bemühens es zustande brachten, soziale Sicherungssysteme auf die Gerade zu bringen, die sich sehen lassen können. Die Entstehung des Sozialstaates, zu der die Kirche einen substanziellen Beitrag geleistet hat, war so eine Sternstunde der aktiven Übernahme gesellschaftspolitischer Verantwortung durch die Laien.
Intervenieren, und dann?
Eine typische Interventionsform kirchlicher aber auch weltlicher Verbände ist es, Stellungnahmen zu verabschieden, die nicht selten jede Menge Forderungen enthalten. Das Problem ist nicht, dass Erklärungen abgegeben werden, sondern dass man dabei stehen bleibt. Es müsste meines Erachtens politischer gedacht werden: Wie kann man Forderungen durchbringen? Welche Organisationen haben ähnliche Ziele und Überzeugungen? Diese Schritte werden ganz selten gesetzt.TEXT: Josef Stricker