Die ursprünglich aus der Türkei stammende Edelkastanie (Castanea sativa) ist der einzige in Europa vorkommende Kastanienbaum der Gattung Castanea aus der Familie der Buchengewächse.
Als Nutzpflanze wurde sie bereits im Jahre 500 vor unserer Zeitrechnung vor allem ihres witterungs-beständigen Holzes wegen angebaut, welches eine besonders einzigartige Maserung aufweist und als Dielenboden mit einer Nussholz-Einrichtung effektvoll kontrastiert.
Der meist imposante, rechtsdrehende Laubbaum erreicht eine Wuchshöhe von bis zu 25 Metern. Mit 20 bis 30 Jahren erscheint die erste Infloreszenz.
Der inebriant-wohlriechend blühende Baum betört im Frühjahr jeden Wanderer des von Vahrn aus über Feldthurns, dem Ritten und Bozen bis nunmehr nach Vilpian führenden Keschtnwegs. In Vahrn steht zudem mit etwa 700 Jahren Europas älteste Vertreter seiner Art.
Mit ihrem nektarartigen Geschmackscharakter verwandeln die sublim duftenden Kastanienblüten eine daraus hergestellte, den Gaumen samtweich umschmeichelnde Eiscreme oder ein zart schmelzendes Parfait in ein nahezu schwindelerregendes, sensorisch irisierendes, mit einem subtil wahrnehmbaren Hauch von Magie mäanderndes Aromen-Karussell. Aus den Blüten des Kastanienbaumes erzeugen die Bienen einen der drei bittersüßen Honige, wie jenen des auf Sardinien beheimateten Erdbeerbaumes und des hierzulande vermehrt anzutreffenden Buchweizens, der traditionellerweise für die Zubereitung von Lebkuchen Verwendung findet.
Einem weißen, und demzufolge ohne Bitterstoffe hergestelltem Kaffeeeis versetzen einige Löffel dieses einzigartig bittersüß schmeckenden Honigs einen kulinarischen Tritt ins Schienbein.
Im kleinen Schweizer Bergtal Bergell, Heimatort des weltbekannten Künstlers Alberto Giacometti, wo in den „Cascine“ die begehrten Nußfrüchte nach alter Tradition wochenlang auf Kastanienholzfeuer getrocknet und schließlich zu einem vielseitig einsetzbaren, glutenfreien und als Ersatz für Weizenmehl verwendetes Mehl verarbeitet werden, erstreckt sich Europas größter Kastanienhain.
Die hierzulande allerorts anzutreffende herbstliche Tradition des Törggelens stammt wohl aus dem Eisacktal, wo man einst den neuen, aus der Torggl fließenden Wein in einem so bezeichneten Buschenschank, einem bäuerlichen Gastlokal, an welchem während der Öffnungszeiten ein „Buschen", also ein Blumenstrauß über die Eingangstür gehängt wurde, ausschenkte und hierbei allerlei herbstliche Erzeugnisse dazu servierte.
Die auf einem offenen Feuer gerösteten Keschtn wurden alsdann in einem aus Kastanienholz und Haselstauden gefertigten Keschtnriggl geschält.
Kastanien-Cappuccino – FOTO: Armin Mairhofer
Aus einer in ihrer natürlichen Süße, mit einer präzisen Dosierung Salz abgeschmeckten, harmonischen, samtweichen Kastaniencremesuppe lässt sich ein mit einer luftig leichten Milchschaumhaube versehener und mit einem Hauch von Kaffee, Zimt, Kardamom, Vanille und Tonkabohne zartberieselter Cappuccino, ein Kaleidoskop von bezaubernden Geschmackseindrücken verwirklichen.
Aus der Kastanie werden allerlei herbstliche Süßspeisen und Beilagen zu Wildgerichten sowie ein sehr schmackhafter Brotaufstrich hergestellt und Bauernkrapfen sowie schwarzplentene Rouladen damit gefüllt. In der edlen Darstellung einer Marron glacé, bzw. in der aus dem Jahre 1948 vom Konditorlehrling Ivo Moschen stammenden und mittlerweile südtirolweit zu Weltruhmstatus avancierten Süßspeise, dem Kastanienherz, findet sie jedoch ihre wohl höchste Vollendung.
Armin Mairhofer
Experte im Bereich Kräuter und Lebensmittel