4 Zielsetzungen und Maßnahmen
zum Schwerpunkt Seniorenpolitik

4.1 Aufgabenstellung kommunaler Seniorenpolitik

Die Bezeichnung SeniorInnen umfasst heute eine breite Altersgruppe von zum Teil noch im Arbeitsleben stehenden Menschen und BezieherInnen von Renten. Die große Bandbreite erklärt sich nicht nur durch die Hinaufsetzung des Renteneintrittsalters, sondern hat auch mit der erfreulichen Entwicklung zu tun, dass die Lebenserwartung deutlich angestiegen ist. Viele ältere Menschen sind sehr aktiv und leistungsfähig und verfügen über einen reichen Erfahrungsschatz. Sie bringen sich mit vielfältigen Lebensentwürfen als BürgerInnen in das soziale Leben ein und stellen einen relevanten Marktfaktor als KonsumentInnen dar. Mit zunehmendem Alter nehmen spezifische Betreuungsbedürfnisse zu, was die Alltagsbewältigung, die soziale Inklusion und die medizinische Versorgung angeht. Kommunale Seniorenpolitik ist somit als Querschnittsaufgabe zu entwickeln, die Potenziale im gesamten Spektrum der politischen Verantwortung fördert, Räume für die Mitsprache eröffnet und abgestufte Konzepte familiärer, gemeinschaftlicher und professioneller Fürsorge umsetzt.
Neue Ansätze für solidarische Gemeinschaften
Wie der aktuelle Jahresbericht des ISTAT zeigt, steigt allgemein für das Wohlbefinden der Menschen die Relevanz der Unterstützung durch Freunde und Bekannte, Nachbarn und informelle soziale Netze vor Ort.13 Trotz des Wandels der Lebensentwürfe ist und bleibt die Familie die zentrale Stütze generationenübergreifender Verantwortungsübernahme. In der modernen Arbeitsgesellschaft sind Großeltern eine große Hilfe bei der Betreuung der Kinder. Die Hinaufsetzung des Rentenalters engt die Spielräume für wechselseitige Versorgungsvereinbarungen jedoch ein. Während die Versorgungsverantwortung ab dem 50. Lebensjahr zunimmt, ist aufgrund des Wandels der Familienstruktur die Anzahl familiärer Bezugspersonen älterer Menschen rückläufig. Es sind deshalb neue solidarische Konzepte notwendig, um für den steigenden Anteil älterer Menschen eine angemessene Betreuung sicherzustellen. In einer Gesellschaft, die von Individualismus und der Brüchigkeit sozialer Ligaturen (Ralf Dahrendorf) geprägt ist, rückt die institutionell gestützte Gemeinschaftsförderung in den Mittelpunkt des sozialen Handelns. Kleinräumige Wirkungsorte für die Gemeinschaftsbildung sind Wohnsiedlungen und Stadtviertel, wo das generationenübergreifende Interesse an dem unmittelbaren Lebensumfeld als sozialer Entwicklungs- und Förderungsgemeinschaft und als gemeinsamer „kleiner Heimat“ geweckt wird. Damit solche Prozesse erfolgreich vorangetrieben werden, ist das synergetische Zusammenwirken der BürgerInnen mit unterschiedlichen institutionellen, privaten und auch informellen sozialen AkteurInnen erforderlich. Damit wird eine wichtige Aufgabe für die mittel- bis langfristige Entwicklung der Seniorenpolitik der Stadtgemeinde Meran umrissen.
Vielfältige Versorgungsmodelle
Das Solidaritätsprinzip ist ein wertgeleiteter Ansatz für die Gemeinschaftsentwicklung, der mit der Identität und dem Selbstverständnis unserer Gesellschaft verbunden ist. Es ist jedoch in den Entwürfen für die künftige Sozialpolitik auch aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen aufgegriffen worden. Hochrechnungen zur Entwicklung der Kosten haben ergeben, dass die ökonomische Tragfähigkeit einer Seniorenpolitik in Frage gestellt ist, die vor allem auf öffentlich finanzierte stationäre Betreuungsstrukturen setzt. Deshalb sind allenthalben Maßnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung stationärer Versorgungsangebote in die Wege geleitet worden, zumal sich auch Engpässe bei der Bereitstellung von Fachpersonal abzeichnen. Das seit zehn Jahren gewährte Pflegegeld für die Betreuung im gewohnten häuslichen Umfeld ist diesbezüglich ein zentraler Pfeiler der Seniorenpolitik in Südtirol, mit dem zudem die Rolle des familiären Umfelds gestärkt wird. Die ambulanten Versorgungsangebote auf Gemeindeebene werden gut angenommen. Das begleitete Wohnen ist in der Stadtgemeinde Meran im Ausbau begriffen. Entsprechend der Bedarfsentwicklung ist auch die Ausdehnung der Angebote für das betreute Wohnen sowie von alternativen Wohnformen beabsichtigt. Generationenübergreifende Cohousing-Modelle sind, sei es für öffentliche wie für private Bauträger, eine interessante Zukunftsperspektive. Angesichts der spezifischen Alters- und Haushaltsstruktur der Stadtgemeinde Meran (fast 23% über 65-Jährige bzw. 11,4% über 75-Jährige, 41,8% Singlehaushalte) müssen jedenfalls die traditionellen stationären Betreuungsangebote für die Zukunft gesichert und qualitativ weiterentwickelt werden. Diesbezüglich kommt den öffentlichen TrägerInnen, sei es in Bezug auf die Anzahl der Strukturen wie hinsichtlich der Kostenbeteiligung, eine grundlegende Rolle für die Gewährleistung von erschwinglichen Betreuungsangeboten für sozial schwache Kategorien zu.
Zielsetzungen
Generell werden die Betreuungskonzepte unter dem Motto „So viel ambulant wie möglich und so viel stationär wie notwendig“ einer Umgestaltung unterzogen. Ausgehend von den bisherigen Darlegungen sind im Folgenden Zielsetzungen und verschiedene Maßnahmen für die Jahre 2020-2022 angeführt, wobei die Weichenstellungen jeweils auch auf einen längeren Zeithorizont abzielen:
Stärkung der Eigenständigkeit der SeniorInnen im gewohnten Lebensumfeld
Seniorenfreundliche Gemeinde
Ausbau der Angebote für das begleitete und betreute Wohnen
Ausbau der ambulanten bzw. zeitlich befristeten Betreuungsangebote
Sicherung und Weiterentwicklung eines abgestuften Betreuungsangebots für Seniorinnen und Senioren
Einführung einer einheitlichen Vormerkliste für die Zuweisung der geeigneten Betreuungsstruktur für SeniorInnen
________________
13 Rapporto annuale ISTAT 2018, Seite 150 ff: www.istat.it/storage/rapporto-annuale/2018/capitolo3.pdf (Zugriff am 18.05.2018)

4 Zielsetzungen und Maßnahmen
zum Schwerpunkt Seniorenpolitik

4.2 Stärkung der Eigenständigkeit der SeniorInnen im gewohnten Lebensumfeld

Ein Kernziel der Sozialpolitik ist die Stärkung der Eigenverantwortung und der selbständigen Lebensführung der SeniorInnen im gewohnten häuslichen Umfeld. Diesem Ansatz entsprechend erfolgen die Konzipierung und der Aufbau der verschiedenen Betreuungsformen bottom up. Zunächst werden also die älteren Menschen durch Information, Beratung und einfache Hilfsdienste bzw. die bauliche Anpassung der Wohnung in der selbständigen Lebensführung unterstützt. Hilfestellungen des familiären Umfelds spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Kinder und PartnerInnen, die pflegebedürftige ältere Menschen betreuen, leisten eine aufopferungsvolle Arbeit, die oft über viele Jahre hinweg erbracht wird. Wertvoll sind auch die diesbezüglichen Dienste der sog. „Badanti“. Dabei handelt es sich meist aus dem osteuropäischen Raum stammende Frauen, die vor allem bei hoher Pflegeintensität eingesetzt werden. Wo familiäre bzw. marktgängige Betreuungsangebote nicht eingesetzt werden können bzw. die Betreuung nicht ausreichend absichern, gewinnt die Aktivierung der Nachbarschaftshilfe und von anderen informellen Hilfsdiensten an Bedeutung. In diesem Feld sind vor allem soziale Verbände und Vereine, kirchliche Einrichtungen bzw. gewerkschaftliche Solidarstrukturen tätig. Ihre Hilfestellungen erfolgen in der Regel auf Volontariatsebene, können aber auch in ein strukturiertes Konzept der Wohnviertel- oder Stadtvierteldienste mit professionellen Qualitätsgarantien eingebettet werden. In Betracht zu ziehen ist auch der Aufbau neuer zivilgesellschaftlicher Initiativen auf der Ebene der Wohnviertel bzw. des Stadtviertels, etwa in Form von Bürgergenossenschaften und Cohousing-Modellen. Das Ziel besteht darin, das vorhandene Sozialkapitel zur Unterstützung der Gemeinschaft zur Geltung zu bringen und nach Möglichkeit kleinräumige Gemeinschafts- und Betreuungskonzepte umzusetzen, die bewirken, dass die Einzelnen sich darin besser beheimatet fühlen. Die Entwicklung und Umsetzung entsprechender Angebote ist seitens der öffentlichen Hand förderungswürdig, wobei sowohl die Landesverwaltung als auch die Gemeinde finanzielle Unterstützungen bereitstellen können. Die politische Verantwortung der Stadtgemeinde Meran und ihre Rolle als TrägerIn von Strukturen und Dienstleistungen sind in konkrete Maßnahmen umzumünzen, wobei wie erwähnt auch andere öffentliche und private Einrichtungen und Organisationen der Zivilgesellschaft in diesem Bereich mitwirken.
4.2.1 Maßnahme: Initiativen der Stadtgemeinde Meran zur Information der SeniorInnen über die bedarfsgerechte Anpassung von Wohnungen
Kontext, Ziel
Mit fortschreitendem Alter nehmen die Beweglichkeit und die Autonomie in der Haushaltsführung und bei der Bewältigung der alltäglichen Verrichtungen ab. Geräte und Vorrichtungen, die es erleichtern, die notwendigen Handgriffe auszuführen und Stabilität und Sicherheit geben, sind in solchen Situationen eine große Hilfe. Bauliche Anpassungen der eigenen Wohnung tragen dazu bei, Hürden für die Mobilität zu beseitigen und die Fortbewegung zu erleichtern. Immer größere Bedeutung erhält die Sensorentechnik zur Umfeldkontrolle und Steuerung von elektronischen Dienstleistungen (Domotik) in den Wohnungen. Elektronische Hilfsmittel werden dafür eingesetzt, Bedarfssituationen zu erkennen und entsprechende Dienstleistungen zu aktivieren. Die Stadtgemeinde Meran setzt sich das Ziel, die SeniorInnen und allgemein die Familien über die verschiedenen Formen der Unterstützung für die selbständige Lebensführung sowie über entsprechende Beratungsangebote und Finanzierungsmodelle zu informieren.
Maßnahme
Bereitstellung von Informationen, u.a. auf der Homepage der Stadtgemeinde, zu den Möglichkeiten der Unterstützung der selbständigen Lebensführung im Alter und zu den Beratungsangeboten bzw. den vorgesehenen finanziellen Unterstützungen. Diesbezüglich wird die Zusammenarbeit mit der Sozialgenossenschaft Independent L angestrebt, die in vielfältiger Weise die Anliegen von Personen mit eingeschränkter Mobilität unterstützt und mit der Gemeinde diesbezügliche Projekte wie „Smart City“ vorantreibt.
Begründung
Die SeniorInnen und die Familienangehörigen sowie soziale Organisationen sind darauf aufmerksam zu machen, dass es zahlreiche Instrumente und Möglichkeiten der baulichen Anpassung gibt, um die selbständige Lebensführung im Alter zu erleichtern.
Zuständigkeit
Amt für Sozialwesen in Kooperation mit auf diesem Gebiet aktiven Organisationen der Zivilgesellschaft.
Zeitrahmen
Fortlaufend ab 2020.
Ressourcen
Bei der Umsetzung dieser Maßnahme stützt sich die Gemeinde auf interne Ressourcen der Abteilung V.
Bei Beauftragung von externen Fachleuten können zusätzliche Kosten für die Gestaltung einer eigenen Sektion auf der Homepage der Stadtgemeinde anfallen.
Schätzung des Finanzaufwandes
Für die Ergänzung der Homepage werden Kosten im Ausmaß von 5.000 Euro veranschlagt.
Indikatoren für die Umsetzung
Informationsmaterial der Stadtgemeinde, eigener Bereich auf der Homepage.
4.2.2 Maßnahme: Pilotprojekte zur Nachbarschaftshilfe
Kontext, Ziel
Die Nachbarschaftshilfe ist eine wichtige Ressource für die Abdeckung von Betreuungsaufgaben. Aufgrund ihres informellen Charakters hängt ihre Aktivierung von den gut nachbarschaftlichen Beziehungen auf persönlicher Ebene ab. Somit besteht auf Ebene der einzelnen Wohnviertel bzw. der Stadtviertel ein Interesse der Allgemeinheit, gut nachbarschaftliche Beziehungen zu fördern. Die Zielsetzung liegt darin, den informellen Austausch von Hilfestellungen unterschiedlicher Art durch die Vernetzung der Familien anzukurbeln. In Modellen wie der Zeitbank stützt sich die Erbringung von Dienstleistungen bzw. die Inkontaktsetzung von NutzerInnen und AnbieterInnen von Hilfestellungen auf ein Mindestmaß an formaler Struktur.
4.2.2.1 Maßnahme
Die Stadtgemeinde Meran fördert die Reaktivierung der Zeitbank Meran als Anlaufstelle für den unentgeltlichen Austausch von Dienstleistungen, insbesondere für SeniorInnen mit Unterstützungsbedarf (Einkaufsdienste, begleitete Spaziergänge, kleine Reparaturen im Haushalt, Müllentsorgung …), aber auch generell für Familien.
4.2.2.2 Maßnahme
Die Stadtgemeinde Meran unterstützt auf der Ebene der Wohnviertel bzw. der Stadtviertel die Bildung von informellen Nachbarschaftsnetzwerken mit dem Ziel der Erbringung von unentgeltlichen Hilfestellungen. Im Rahmen eines Pilotprojekts wird abgeklärt, wie das Zustandekommen solcher Netzwerke gefördert werden kann. Auf der Ebene der Wohnviertel bzw. der Stadtviertel werden freiwillige Seniorennetzscouts eingesetzt, um neue Wege für die Herstellung der Kontakte zwischen AnbieterInnen und NachfragerInnen von Unterstützungsdiensten auszuforschen.
4.2.2.3 Maßnahme
Die Stadtgemeinde Meran überprüft mit nicht gewinnorientierten sozialen Organisationen, ob die unentgeltliche Erbringung bestimmter einfacher Dienstleistungen zur Unterstützung der selbständigen Lebensführung von SeniorInnen mit einer zeitlich begrenzten Fürsorgepatenschaft für auf die Unterstützung der selbständigen Lebensführung angewiesene Menschen in einer Wohnanlage oder Wohnzone verbunden werden kann.
Begründung
Für die Zusammenführung von Betreuungsbedürftigen und freiwilligen DienstleisterInnen ist die persönliche Kontaktaufnahme zur Abklärung der Bedarfssituation und der geeigneten Hilfestellungen notwendig. Diese kann z. B. über bestehende Seniorenvereine und –gruppen und soziale Verbände, die möglichst in den jeweiligen Wohnvierteln bzw. Stadtvierteln verwurzelt sind, erfolgen. Im Erfolgsfall kann das Experiment formalisierter Fürsorgepatenschaften auf andere Wohnviertel und Stadtviertel als good practice ausgedehnt werden.
Zuständigkeit
Amt für Sozialwesen der Stadtgemeinde Meran in Zusammenarbeit mit dem Sozialsprengel, mit der Zeitbank Meran bzw. mit sozialen Vereinen und Verbänden.
Zeitrahmen
2020.
Ressourcen
Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen stützt sich die Gemeinde auf interne Ressourcen des Amts für Sozialwesen in Kooperation mit dem Sozialsprengel bzw. Freiwilligen von sozialen Vereinen und Verbänden.
Für die Umsetzung des Pilotprojekts zur Aktivierung der Nachbarschaftsnetzwerke nimmt die Gemeinde zusätzlich eine Unterstützung durch Fachleute im Bereich der Gemeinwesenentwicklung in Anspruch. In weiterer Folge können Kosten für die Weiterbildung freiwilliger MitarbeiterInnen anfallen.
Schätzung des Finanzaufwandes
Die Realisierung der Maßnahmen 1 und 3 verursacht für die Gemeinde keine zusätzlichen Kosten. Für Konzepterstellung, Sondierungs- und Koordinationsaufgaben im Zusammenhang mit dem zweijährigen Pilotprojekt laut Maßnahme 2 werden im Falle einer externen Beauftragung Ausgaben im Ausmaß von 12.500 Euro veranschlagt. Für die Weiterbildung von hauptamtlichen bzw. freiwilligen MitarbeiterInnen werden nach der Pilotphase Ausgaben im Ausmaß von 5.000 Euro veranschlagt.
Indikatoren für die Umsetzung
Neue Angebote und NutzerInnen der Zeitbank Meran.
Erfolgreiche Erprobung neuer Ansätze für die Vernetzung von Angebot und Nachfrage im Bereich der Unterstützung der Selbständigkeit der SeniorInnen unter Einbindung der Sozialverbände.
Etablierung von Fürsorgepatenschaften.