Aktuell

Öffentliche Medizin auf hohem Niveau

Dr. Giulio Donazzan, Primar der Pneumologie nach 40 Dienstjahren in Pension
Die Abteilung Pneumologie im dritten Stock des Bozner Krankenhauses
Am 28. November, seinem letzten Arbeitstag, waren es auf den Tag 40 Jahre, dass Dr. Giulio Donazzan seinen Dienst in der Pneumologie am Krankenhaus Bozen angetreten hat. Seit 1999 hat er die Abteilung, die sich besonders unter dem technologischen Aspekt rasant weiterentwickelt hat, als Primar geleitet. Er war Präsident der Ärztekammer und der Gewerkschaft der Primare (ANPO).
Primar Dr. Giulio Donazzan
Dr. Donazzan ist einer der neun Primare, die im Lauf des Jahres 2017 in Pension gegangen sind, weitere acht Abteilungen sind bereits seit mehreren Jahren ohne Primar und werden von stellvertretenden Primaren geleitet.
Chance: Wie fühlt man sich, wenn man nur noch wenige Wochen zu arbeiten hat (das Interview fand Anfang Oktober statt)?
Dr. Donazzan: Sehr gut, vor allem, weil ich im Augenblick dabei bin, meine verbliebenen Ferientage aufzubrauchen. Mir bleiben noch einige Dinge zu klären in der Abteilung, bürokratische Dinge für die Pension. Eine Tagung bleibt noch zu organisieren, ja und dann werde ich alles übergeben.
Chance: Aber Sie werden der Medizin nicht ganz den Rücken kehren?
Dr. Donazzan: Nein, ich werde weiterhin privat tätig sein, mit weniger Stress und weniger Bürokratie hoffe ich, ich werde mir Zeit nehmen für Tätigkeiten im Volontariat und ich werde mich Dingen widmen können, die bisher zu kurz gekommen sind, zum Beispiel Reisen.
Chance: Abgesehen von einigen Stages in Italien und im Ausland haben Sie immer am Krankenhaus Bozen gearbeitet. 40 Jahre lang.
Dr. Donazzan: Ja, und ich denke, dass ich wirklich viel Glück hatte. In all diesen Jahren ist es mir gelungen, in einem öffentlichen Betrieb Medizin auf hohem Niveau zu betreiben. Ich hatte mich ganz bewusst für eine Arbeit in einer öffentlichen Institution entschieden, und ich habe das nie bereut! Mein Vater war ein privat niedergelassener Arzt gewesen. Aber darüberhinaus habe ich auch eine sehr bedeutende technologische Entwicklung mitleben und begleiten können, ich habe für fast zwanzig Jahre die Leitung eine Abteilung übernehmen können und ich habe in einem Bereich gearbeitet, der mich außerordentlich interessiert hat!
Chance: Pneumologie war aber nicht ihre erste Wahl.
Dr. Donazzan: Nein, ich habe mich zunächst in Arbeitsmedizin und in Sportmedizin spezialisiert. Ich habe in Padua studiert und damals war die Lunge, Lungenkrankheiten auch in der Arbeitsmedizin ein wichtiges Thema, wie auch in der Sportmedizin. Am Schluss habe ich mich für Pneumologie entschieden, weil ich doch eine klinische Tätigkeit und den Kontakt mit dem Patienten suchte.
Chance: Was ist wichtig in der Beziehung mit dem Patienten?
Dr. Donazzan: Eine korrekte und verständliche Kommunikation. Wer dir zuhört, muss auch verstehen, was du ihm mitteilst. Wenn der Patient versteht, gewinnt er Zutrauen zum Arzt und fühlt sich gut aufgehoben. Wobei es natürlich alles andere als leicht ist, jemandem mitzuteilen, dass er einen Lungenkrebs hat. Das wird in den meisten Fällen aufgenommen wie ein Todesurteil. Deshalb ist es auch wichtig, so eine Situation nicht mit dem Patienten alleine anzugehen, sondern die Familie bzw. Personen, die dem Patienten nahestehen miteinzubeziehen. Man muss sich Zeit nehmen, alles gut zu erklären und darf ihm nicht die ganze Hoffnung nehmen. Auf jeden Fall ist die Pneumologie nach der Geriatrie und der Intensivstation die Abteilung mit der höchsten Sterberate, auch wenn diese seit der Gründung der Palliativabteilung etwas gesunken ist.
Chance: Und wie wird man mit so etwas fertig? Nimmt man diese Gedanken am Abend mit nach Hause?
Dr. Donazzan: Nein, nach Hause habe ich sie nie mitgenommen, obwohl sie dich manchmal natürlich verfolgen. Sagen wir, eine gewisse Tristesse ist nicht immer auszuschließen. Ich fand es immer sehr praktisch, dass ich mit dem Rad zur Arbeit gefahren bin. Das war für mich immer der Moment des Aufräumens im Kopf! Der Übergang von einer Realität in die andere. Was ich immer mit nach Hause genommen habe, ist hingegen das Bewusstsein, großes Glück zu haben, weil ich gesund bin. Zwei von drei Personen begegnen irgendwann in ihrem Leben einem Krebs.
Chance: Ihre Abteilung ist sehr komplex. 18 Betten, 7 Sub-Intensivbetten und eine ganze Reihe von technischen Labors für Funktionsproben, Biopsien usw. Eine Entwicklung, die vor allem unter ihrer Leitung in den letzten zwanzig Jahren vonstatten gegangen ist.
Dr. Donazzan: Die Arbeit hat sich sehr geändert in diesen Jahren, da haben Sie Recht. Abgesehen von der technologischen Entwicklung und den Erfolgen der Forschung – und jetzt spreche ich hauptsächlich für den onkologischen Bereich unserer Tätigkeit - , die uns heute eine Vielzahl von (kombinierbaren) und individuell anzupassenden Therapien zur Verfügung stellt, haben wir heute auch eine effiziente Thoraxchirurgie und Strahlentherapie hier vor Ort. Früher haben wir unsere Patienten in die Thoraxchirurgie nach Verona und zur Strahlentherapie nach Borgo Valsugana schicken müssen. Heute gibt es das alles in Bozen. Und schon seit diversen Jahren gibt es auf der Pneumologie ein Tumorboard, das jeden Mittwoch zusammentritt, um die neuesten Fälle zu besprechen.
Chance: Nur ein Teil der Patienten der Pneumologie ist onkologisch. Aber viele Patienten haben einen Faktor gemein: Ihre gesundheitlichen Probleme, Atembeschwerden, Bronchitis, Lungenfibrose oder eben eine Neoplasie sind durch das Rauchen verursacht. Wie lebt man als Arzt diese Tatsache?
Dr. Donazzan: Es hat keine Bedeutung. Überhaupt keine. Sicher, Rauchen ist schädlich, sehr schädlich, auch der passive Rauch und wir motivieren unsere Patienten, damit aufzuhören. Aber wir verurteilen sie nicht, es ist keine moralische Frage. Das darf es auch nicht sein, mit keinem Patienten. Was hingegen unerlässlich ist, ist eine Solidarität mit dem Patienten. Wir fühlen uns unseren Patienten verbunden, sie spüren das und schenken uns ihr Vertrauen. Das gilt für den Patienten mit Lungenkrebs ebenso wie für jenen mit einer starken Atemnot. Wir sind an der Seite unserer Patienten! Immer!
Chance: Wie bereits gesagt, Ihre Abteilung ist ausgesprochen technologisch.
Dr. Donazzan: Ja, es gab tatsächlich enorme Entwicklungen in den letzten Jahren. Früher hatten wir ein einziges Bronchoskop und hatten sonst nur Röntgenbilder als Bezug, es gab kein CT, kein PET CT, Positronen-Emissions-Tomographie, also Schnittbilder nach leicht radioaktiver Markierung. Heute arbeiten wir mit zehn Bronchoskopen. Und dann haben wir natürlich alle Funktionsproben für Patienten mit Asthma, Allergien und sonstigen Atemwegserkrankungen. Aber nicht nur wir, alles ist revolutioniert: Die thorax-chirurgischen Techniken wurden verfeinert und wenn der Tumor, wie in den meisten Fällen nicht operabel ist, gibt es heute die stereotaktische Radiotherapie, die auch radiochirurgische Eingriffe ermöglicht.
Chance: Eine sehr komplexe Materie …
Dr. Donazzan: Ja und auch deshalb sehr spannend. Ich würde wieder Arzt werden, wenn ich noch einmal von vorne beginnen könnte; es ist ein erfüllender Beruf. Und ich würde mich auch wieder für das gleiche Fach entscheiden. Mit großer Begeisterung, Interesse an der Forschung und echtem Interesse an jedem einzelnen Patienten und an seinem ganz persönlichern Schicksal.

Aktuell

Ein Philosoph im weißen Kittel

Interview mit Dr. Claudio Graiff, 19 Jahre Primar der Onkologie Bozen
Er war der erste Primar der Abteilung für Onkologie, die 1999 von Medizin 2 ausgekoppelt wurde, Dr. Claudio Graiff, geboren 1954 in Bozen, Medizinstudium in Pavia und drei Spezialisierungen in Onkologie, Hämatologie und Radiotherapie. Sein letzter Arbeitstag auf der Abteilung, Freitag 25. September, fiel auch mit einem Konzert der "Donatori di Musica” zusammen.
Primar Dr. Claudio Graiff
Chance: Dr. Graiff, heute (25. September, Anm. D. Red.) ist ihr letzter Arbeitstag nach vielen Jahren, die sie sozusagen in der ersten Line verbracht haben, im Kampf gegen diese Krankheit, die als Geißel der Menschheit gilt. Die Therapien haben sich in den letzten zwanzig Jahren grundlegend geändert. Neue Techniken, neue Verfahren, revolutionäre Forschungsergebnisse und neue Medikamente. Nicht leicht dabei immer auf dem letzten Stand zu bleiben und das Wichtigste nicht aus den Augen zu verlieren – die Beziehung zum Patienten. Was werden sie ab morgen tun, ein Arzt, der sozusagen auf dem Höhepunkt seines Wissens und seiner Erfahrung steht?
Dr. Graiff: Keine Sorge, es ist nicht so, dass ich ab morgen die Hände in den Schoß lege. Ich habe noch Vieles abzuschließen, bürokratische Angelegenheiten und so. Ich bin weiterhin Mitglied verschiedener Kommissionen, des Ethik-Komitees, ich bin Revisor verschiedener wissenschaftlicher Zeitschriften, ich bin in Forschungsprojekte eingebunden. Und ich werde mein Projekt der „Donatori di Musica“ weiterhin betreuen, werde mich im Volontariat einsetzen und ich schließe auch nicht aus, dass ich irgendetwas Neues beginne. Eine Tür schließt sich, die nächste öffnet sich!
Chance: Sie sind Mitbegründer der Donatori di Musica”, ein Projekt, das 2007 gestartet ist und 2013 mit dem Alexander Langer Preis ausgezeichnet wurde. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Wartesaal der Onkologie in einen Konzertsaal zu verwandeln?
Dr. Graiff: Im Gespräch mit einem Kollegen, Dr. Maurizio Cantore aus Carrara. Diese Konzerte sind weit mehr als nur ein kulturelles Angebot, es geht vielmehr darum, eine Dimension zu schaffen, in der Patienten und wer sie behandelt, einander unbefangen begegnen können, abgehoben vom Klinikalltag. Die Kunst mit ihrer universellen Sprache und der gemeinsame Musikgenuss setzen Emotionen frei und verbinden Patienten, Angehörige und all jene, die im Krankenhaus mit ihnen zu tun haben.
"Donatori di Musica": Musik verbindet Patienten, Ärzte und Angehörige . Der Wartesaal wird zum Konzertsaal.
Chance: Sie sind seit der Mitte der siebziger Jahre mit Onkologie befasst. Wenn sie zurückblicken, was sind ihrer Ansicht nach die wichtigsten Veränderungen?
Dott. Graiff: Es ist heute alles viel komplizierter und komplexer. Heute muss man wählen können, sich zwischen vielen Möglichkeiten für eine Therapie bzw. eine Kombination von Therapien entscheiden. Das Verhältnis zum Patienten hat sich von Grund auf verändert. In den Siebzigern hat man den Patienten als Person völlig aus den Augen verloren, sich nur auf den Organismus und sein Problem konzentriert. Ich war dem gegenüber immer sehr skeptisch eingestellt. Unser Körper ist ein Zusammenspiel, man kann nicht zwischen Körper, Seele und Geist unterscheiden. Danach wurde der Kranke in den Mittelpunkt gestellt. Auch das war nicht richtig, auf diese Weise wurde der Patient entmündigt. Alles drehte sich um ihn, aber er hatte nichts mitzureden.
Chance: Ideal wäre die goldene Mitte …
Dr. Graiff: Genau. Arzt und Patient müssen ein Bündnis schließen, in Beziehung zueinander treten, um die Behandlung gemeinsam anzugehen. Um diese Krankheit zu behandeln, braucht es höchstes klinisches Können, einen Spezialisten, der dem Patienten zuhört und auf seine Bedürfnisse eingeht und einen Patienten, der bereit ist, seine Verantwortung zu übernehmen. Ein Arzt ist mehr als nur ein „Techniker“, ein guter Arzt sollte auch eine gute Allgemeinbildung haben, sich auskennen in Philosophie, Literatur, Wissenschaften und Kunst...
Chance: Und was zählt am meisten in der Beziehung Arzt – Patient?
Dr. Graiff: Die menschliche Nähe, die Ehrlichkeit. Es muss eine parithetische Beziehung sein, asymmetrisch nur in Bezug auf das medizinische Wissen. Echte Empathie heißt, dass man dem Patienten auch nein sagen kann und er versteht es.
Chance: Ihre Generation hat die klinische Onkologie entwickelt, und Sie waren der erste Primar dieser Abteilung.
Dr. Graiff: Ja, es stimmt, ich habe meinen Beitrag geleistet zur modernen Onkologie, ebenso wie diese Abteilung. Wir haben gemeinsam nach neuen Wegen gesucht. Unser Team ist Teil einer internationalen Gruppe und was wir gemeinsam vorangetrieben haben, steht heute in Lehrbüchern, die die Geschichte der Onkologie geschrieben haben.
Chance: Sie haben an wichtigen Forschungen mitgearbeitet?
Dr. Graiff: Heutzutage ist Forschung an das Testen gewisser Produkte gebunden. Für mich besteht echte Forschung aus dem Umsetzen von Hypothesen. Wir haben immer danach getrachtet, an unabhängigen Studien mitzuarbeiten und nicht an jenen, die von der Pharmaindustrie vorangetrieben werden. Wir haben uns fern gehalten von „Moden“, vom „me too“. Forschung ist nicht Dash kontro Dixan. Marketing darf nicht der Motor der Forschung sein.
Chance: Erinnern Sie sich noch, wann Sie das erste Mal an den Beruf des Arztes dachten?
Dr. Graiff: Nein, aber mir kommt ein Foto von mir in den Sinn: Ich war drei oder vier Jahre alt und ging in den Kindergarten in der Venedigerstraße und hörte mit einem Plastikstetoskop ein anderes Kind ab.
Chance: …und die Entscheidung für die Onkologie?
Dr. Graiff: Im zweiten Jahr Medizin habe ich ein Praktikum in einem Forschungslabor gemacht. Das hat mich damals begeistert. Danach war mir klar, dass ich klinisch tätig sein möchte. Ich habe immer danach getrachtet, meine Arbeit mit dem notwendigen Ernst wahrzunehmen und war immer darum bemüht, nicht zu vergessen, dass jeder neben seinem Verstand auch ein Herz hat.
Chance: Und die Arbeit in diesem schwierigen Bereich hat sie nie belastet? Menschlich oder psychisch?
Dr. Graiff: Nein, ich glaube meine starke Motivation und meine humanistische Grundhaltung, meine Kultur haben mir immer geholfen, ein Gleichgewicht zu wahren.
Chance: Was nehmen Sie mit aus all diesen Jahren Onkologie mit?
Dr. Graiff: Ich habe sehr viele Menschen und ihre Lebensgeschichte kennengelernt, und viele von ihnen treffe ich immer noch hin und wieder! Ich habe mich von ihnen aufgenommen gefühlt und ich habe sie aufgenommen. Mir bleibt die Erinnerung an einige Behandlungen, die besonders gut gelungen sind und die Erinnerung an außergewöhnliche Gelegenheiten, um Kenntnisse bezüglich Ethik und Verantwortung zu vertiefen.
Chance: Welches Bild würde ihrem Beruf, ihrer Tätigkeit entsprechen?
Dr. Claudio Graiff: Wir sind jeden Tag im Schützengraben, immer an der Front.