Aktuell

Keine Jammergruppe

Die Gesprächsgruppe Brixen: Stark durch die Gemeinschaft – Keine Tabus
Elisabeth, Filomena, Sibylle und Roland treffen sich seit drei Jahren regelmäßig mit der Leiterin Regina Bogner. Gertrud ist vor ein paar Monaten zu der Gesprächsgruppe gestoßen. Einmal im Monat heißt es unter sich sein, sich gehen lassen können, offen über alles reden, was man nur schwer mit anderen besprechen kann. Die Anderen, das sind jene, die die Erfahrung Krebs nicht erlebt haben. Regina Bogner hat eine Doppelrolle: Gesprächsleiterin und selbst Betroffene.
Einmal im Monat, Mittwochnachmittag 15.30 bis 18 Uhr. Lachen, Weinen, Trauer, Humor, Austausch, Persönliches, Informationen. Das alles gehört dazu, das alles hat Platz in der Gesprächsgruppe, die Regina Bogner im Auftrag der Südtiroler Krebshilfe aufgebaut hat. "Eine Jammergruppe sind wir nicht", sagt sie bestimmt. Normalerweise trifft sich die Gruppe in Brixen, für das Gespräch mit der Chance sind sie nach Bozen gekommen, ins Studio von Regina Bogner. Zwei Teilnehmerinnen sind verhindert. Ein weiteres Mitglied der Gruppe ist vergangenes Jahr verstorben. Auch das gehört dazu…
Wie sie so vor mir sitzen, fällt mir zunächst eines auf. Sie sind sehr unterschiedlich. Alter, Lebenshintergrund, Arbeit, Familie. Aber die Vielfalt trennt keineswegs, im Gegenteil. Ich spüre auf Anhieb die positive Atmosphäre, den Zusammenhalt und das Vertrauen, das in der Gruppe herrscht, der intensive Blickkontakt. Was sie alle bindet, ist die Erfahrung mit der eigenen Endlichkeit. Die Begegnung mit der Angst. Das Sich-Verraten-Fühlen vom eigenen Körper, das Ausgeliefertsein an die Krankheit. Die Erkenntnis, dass danach alles anders ist, dass man selbst anders ist. Und dass das Umfeld sich nicht immer leichttut, das zu erkennen und zu verstehen.
Keiner von ihnen möchte die Gruppe missen. „Zuhause, im Alltag, bei der Arbeit, mit den Kollegen das ist anders“, sagt Roland, der Chorleiter, Sänger und Dirigent ist, Landwirt mit Gemüse- und Kräuteranbau und halbtags in einem Handelsbetrieb arbeitet. In der Gruppe kann er Ballast ablassen, hier hat er von Regina und von den anderen Betroffenen Strategien gelernt, um Kraft zu tanken und um mit dem fertig zu werden, was die Krankheit hinterlassen hat. Angst vor den Kontrolluntersuchungen zum Beispiel. Angst, nicht mehr singen zu können nach seinem Schilddrüsenkrebs. Und jetzt kommt die Stimme wieder!
Keines der Gruppenmitglieder möchte die monatlichen Treffen und den Austausch missen
Gertrud ist durch einen Artikel in der Chance vor etwa einem Jahr zur Gruppe gestoßen. Sie hat davon gelesen und der Gedanke, Teil einer Gruppe von Gleichgesinnten zu werden, hat sie nicht mehr losgelassen. In der Gruppe hat sie erstmals gewagt, über ihre Angst vor der Vergesslichkeit zu reden. Eine typische Nebenerscheinung der Chemotherapie, wie sie hier erfahren hat, mit der auch die anderen zu kämpfen haben. Ihre letzte Chemotherapie liegt noch nicht so lange zurück. Februar. Und doch findet sie in „ihrer Welt“ nur mehr wenig Verständnis, wenn sie Nein-Tage hat, Tage, an denen die Krankheit ihre Gedanken in Beschlag nimmt. „Stell dich nicht so an. Es gibt auch andere.“ Diese und andere Sätze helfen ihr nicht, wohl aber die Möglichkeit, aus dem Erfahrungsschatz der anderen Gruppenmitglieder für sich das Richtige zu schöpfen.
Elisabeth strahlt Selbstsicherheit aus. Sie sagt, die Selbstsicherheit sei erst gekommen, als sie erkannt habe, dass sie nicht mehr funktionieren müsse. Eine Vorzeige-Frau. Haushalt, Kinder, Arbeit, sie selbst und alles andere immer tiptop. Das war ihr Leben. Eine Maschine. Und dann war die Maschine plötzlich kaputt. Und sie wusste nicht mehr, woher die Kraft holen. Heute hat sie ein ganz anderes Repertoire, um Energie zu tanken. Und heute denkt sie an sich und an das, was ihr wirklich wichtig ist. Dank der Gruppe.
Regina Bogner hilft den anderen und sich selbst dabei, sich bewusst zu werden: der Lebensfreude, die trotz der lebensbedrohlichen Krankheit stärker wird. Des Vertrauens in die Zukunft. Der Sinnhaftigkeit der Krankheit. Der Frage, was habe ich aus dieser Krise lernen können. Und sie gibt Ansätze zu Bewältigungsstrategien, die dann jeder für sich selbst modelliert.
Filomena war die erste, die sich für die Gruppe angemeldet hat. „Ich stand noch unter Schock von der Diagnose, dem Feuer am Dach und wusste nicht, was auf mich zukommt. Es hat mir gutgetan, Menschen zu begegnen, die meinen Weg schon hinter sich hatten.“ Sie hat aus der Gruppe auch Mut geschöpft, um mit den Ärzten offen zu reden. „Ich bin ein anderer Mensch geworden durch die Krankheit und die Gruppe ist für mich ein großer Schatz – und für meine Familie eine Entlastung.“
Sibylle ist die Jüngste in der Runde. Für sie war klar, dass sie keine Einzeltherapie wollte, sondern den Austausch in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Der Altersunterschied stört sie nicht. Und auch nicht die unterschiedlichen Interessen. Sie empfindet das als Bereicherung, schaut gerne über ihren Horizont. Heute fühlt sie sich – nicht zuletzt auch dank der Erfahrungen in der Gesprächsgruppe - wohl in ihrem neuen Leben.
Und plötzlich steht die Frage im Raum: „Würde ich mein altes Leben, das Leben vor dem Krebs wieder nehmen, wenn es möglich wäre?“ Sibylle muss nicht nachdenken: „Nein“, sagt sie bestimmt. „Auf keinen Fall.“ Elisabeth schaut in die Runde, vielleicht selbst verwundert über sich: „Es geht mir gut, aber, ich würde es wieder nehmen.“ Filomena muss denken und auch Gertrud bleibt still. Roland musste schon vor der Frage zu einem Termin. Wer weiß, wie er geantwortet hätte…
Regina Bogner ist Gruppenleiterin und selbst Betroffene
Alle sind verschieden, aber, vieles, was sie bewegt, ist gleich
Im September nimmt die Gesprächsgruppe ihre Treffen wieder auf. Es ist eine offene Gruppe und neue Mitglieder sind willkommen. Interessierte können sich mit Regina Bogner in Verbindung setzen. Die Gruppensprache ist Deutsch. T. 347 361 59 45 | regina_bogner @gmx.net

Aktuell

Das Recht auf Wissen

Vereinigung aBRCAdaBRA setzt sich für Interessen der BRCA1 und BRCA2 Mutierten ein
Roberta Lo Cascio
Viel Passion und eine Mission. Das ist die Vereinigung aBRCAdaBRA. Mit Zauberei hat dieser Name nichts zu tun, aber mit Schicksal und was man dagegen tun kann. Vererbbarer Tumor an Brust und Eierstöcken, bzw. an der Prostata. Das ist das Thema, das Roberta Lo Cascia und den anderen, die sich in dieser Vereinigung zusammengeschlossen haben, am Herzen liegt. Sie setzen sich für Früherkennung und Prävention ein, sowie für die Schaffung besonderer Vorsorgeprogramme in den spezialisierten Brustzentren.
Robertas Mutter ist mit 39 Jahren an Brustkrebs gestorben. Neun Jahre war sie damals. Vor neun Jahren ist sie von Mailand nach Bozen gezogen. Geboren ist sie in Apulien. Kaum in Bozen, wird ihr ein Brustkrebs diagnostiziert. Sie ist 29 Jahre alt. „Ich fühlte mich im Krankenhaus in Bozen gut versorgt und war zuversichtlich damals.“ Kaum hatte sie die letzte Chemotherapie abgeschlossen, ein neuer Befund. Die andere Brust. Sie unterzog sich dem genetischen Test und tatsächlich, das Ergebnis zeigte, dass sie eine Mutierte ist. Das heißt, sie ist genetisch vorbelastet, einen Tumor in der Brust und an den Eierstöcken zu entwickeln. BRCA1 und BRCA2 heißen diese Mutationen, die ein 70 – 80% höheres Risiko hat an Brust- und Eierstockkrebs zu erkranken bedingen.
Roberta ist eine Powerfrau mit einer ungemein positiven Ausstrahlung. Von sich selbst sagt sie, sie denke positiv und sei unheilbar optimistisch. Ihre Krankheit hat sie das Kämpfen gelehrt, für sich und für andere.
Die Öffentlichkeit wurde erstmals 2013 auf das Thema der Mutierten aufmerksam, als sich die Schauspielerin Angelina Joli prophylaktisch erst beide Brüste und zwei Jahre später auch die Eierstöcke und Eileiter entfernen ließ. Nach der zweiten Erkrankung und positivem Gentest trifft auch Roberta diese Entscheidung. „Meine Erkrankung wäre zu verhindern gewesen“, sagt sie heute. „Wenn ich es gewusst hätte.“ Sie und die anderen Frauen, die mit ihr in der Vereinigung sind, wollen anderen das ersparen, was sie erlebt haben.
„Wer diese Mutation hat", sagt Roberta, „spielt russisches Roulette." Und deshalb setzt sich aBRCAdaBRA für mehr Aufklärung und für die Bereitstellung von Mitteln ein, für ein intensiviertes Vorsorgeprogramm mit halbjährlicher Magnetresonanz, Ultraschall und Mammographie. Zum heutigen Zeitpunkt werden die Kosten dieser Untersuchungen nur in der Lombardei und im Piemont vom öffentlichen Sanitätsdienst übernommen (vergl. Chance 1/18, Anm. d. Red.). Auch der kostspielige genetische Test wird nur in einigen Regionen gezahlt und meist erst nach dem Auftreten einer Krebserkrankung in jungen Jahren, nicht bei bloßem Verdacht aufgrund von solchen Krebsfällen in der Familie. „Meine Schwester hat nach meiner Erkrankung den Test gemacht. Auch sie ist positiv. Sie ist zurzeit arbeitslos und nicht selten sagt sie, ich kann die Vorsorgeuntersuchung nicht machen, das kostet zu viel.“
Die BRCA1 und BRCA Mutation betrifft nicht nur Frauen. Auch Männer können Träger dieser Mutation sein (und sie auch vererben!), bei ihnen bedingt sie ein höheres Risiko an Brustkrebs und an Prostatakrebs zu erkranken. Die Mutationen BRCA1 und BRCA2 werden auch mit Dickdarmkrebs in Verbindung gebracht.
Aber zurück zu Roberta. Sie setzt sich in ihrer Freizeit unermüdlich für aBRCAdaBRA ein, verteilt Broschüren, Visitenkarten und Buttons, spricht bei Hausärzten vor und hofft, jenen, die sich mit einem positiven Test konfrontiert sehen, helfen zu können und generell dieses Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. „Ich stoße auf viele verschlossene Türen“, sagt sie, „aber ich lasse mich nicht entmutigen! Ich respektiere auch jene, die sich für das Nicht-Wissen entscheiden und keinen Test machen wollen“, betont sie. „Aber auch um diese Entscheidung zu fällen, muss ich wissen!“
Präsidentin der Vereinigung ist Ornella Campanella. Im vergangenen September war sie eingeladen im Senat in Rom über das Anliegen der gemeinnützigen Vereinigung zu sprechen, im kommenden Herbst wird die Vereinigung an einem internationalen Krebsgespräch in Miami teilnehmen. ABRCAdaBRA zählt italienweit etwa 500 Mitglieder, die Facebookseite hat tausend followers. In Südtirol vertreten Roberta Lo Cascio und Daniela Fattor aBRCAdaBRA, im Trentino Silvia Cristofoletti.