Lymphdrainage

Das verkannte Leiden

Das Lymphödem ist eine oft unterschätzte, chronische Pathologie
Eine Masterarbeit zum Thema Lymphödem und die Situation in Südtirol. Ein Fragebogen an alle Betroffenen, die das Angebot Lymphdrainage der Krebshilfe wahrnehmen. Alexandra Mittich, ausgebildete Krankenschwester und Lymphdrainage-Therapeutin hat damit einen Abschluss in Gesundheitswesen und Gesundheitsmanagement erlangt. Ausgangspunkt ihrer Thesis: Das Lymphödem ist eine meist unterschätzte, schwerwiegende chronische Erkrankung, von der viele nicht einmal wissen, dass sie daran leiden.
Die Masterarbeit von Alexandra Mittich besteht aus drei Teilen, einer Bestandsaufnahme, einer Umfrage unter den Patienten der Südtiroler Krebshilfe und zwei ausführlichen Interviews mit Patientinnen.
In Südtirol machen Lymphödeme knapp ein Prozent der chronischen Erkrankungen aus; in ganz Italien gibt es rund zwei Millionen Patienten, die an Lymphödemen leiden, pro Jahr kommen ca. 40.000 Neuerkrankungen dazu. In Südtirol sprechen offizielle Zahlen von einer Prävalenz von 44 Fällen pro 100.000 Einwohner, das entspräche umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ca. 260 Fällen. Gemäß Literatatur kann aber von einer Prävalenz von 200-300 Fällen pro 100.000 Einwohnern ausgegangen werden. Das heißt, tatsächlich gibt es in Südtirol vermutlich 5 -6 mal so viele Fälle, 1.050 – 1.600 Personen.
Wie erklärt sich Alexandra Mittich diese Diskrepanz? „Die Pathologie", so Mittich, „wird einfach nicht erkannt.“ Sie haben ein bisschen geschwollene Füße, heißt es dann beim Arzt. „Viele Menschen, die mich nach dem Thema meiner Masterarbeit gefragt haben, haben mich gefragt, Lymphödem, was ist denn das?“ Die Patienten müssen auch mit dieser Unkenntnis und dem daraus resultierenden mangelnden Verständnis für ihre Situation fertig werden.
Man unterscheidet zwischen primärem (=sporadisch bzw. erblich angeborenem) und sekundärem Lymphödem, einer Schädigung des Lymphdrainagesystems nach Trauma, Bestrahlungen, Veränderungen der Lymphknoten und sehr oft in Folge von Krebserkrankungen und damit verbundenen chirurgischen Eingriffen (z. B. bei Brustkrebs). Sekundäre Lymphödeme treten statistisch gesehen häufiger auf als primäre Lymphödeme.
„Ich habe mich ehrlichgesagt gewundert, dass meine Universität das Thema sofort angenommen hat. Lymphödem ist in medizinischen Kreisen eigentlich kein Thema!“ erklärt Alexandra Mittich. Zu Unrecht, wenn man die Zahlen sieht und wenn man bedenkt, dass es sich um eine chronische Erkrankung handelt, die für die Betroffenen sehr belastend ist. Mehrheitlich erkranken Frauen am Lymphödem, in den meisten Fällen (nach Brustkrebs) sind die Arme betroffen oder die unteren Extremitäten. Wer an einem Lymphödem leidet, hat nicht nur mit ästhetischen Problemen zu kämpfen.
Alexandra Mittich ist seit Jahren Mitarbeiterin der privaten Arztpraxis San Nicolò – Pinzetta – Ambach. „Bei meiner Arbeit höre ich viel, viele Patientinnen klagen, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen, dass sie keinen Arzt finden für die Diagnose, dass sie sich ohne Ansprechpartner fühlen. Und so kam die Entscheidung für meine Masterarbeit: Ich wollte wissen, ob es wirklich so ist.“
Alexandra Mittich muss zugeben, dass sie beim Auswerten des Fragebogens überrascht war. „Ich muss leider sagen, dass die Antworten nicht ganz ehrlich waren oder zumindest nicht dem entsprechen, was die Patienten mir zutragen.“
Die Krebshilfe therapiert anspruchsberechtigte Patienten in der Regel mit zwei oder mehr Zyklen á acht Lymphdrainagesitzungen, ein- oder zweimal in der Woche, und vom Landesgesundheitsdienst erhalten sie zwei Kompressionsstrümpfe pro Jahr. Wer dieses Kontingent ausgeschöpft hat oder aus welchen Gründen auch immer, vom öffentlichen Gesundheitsdienst keine Behandlung verschrieben bekommt, muss für die Therapie tief in die Tasche greifen. Eine private Lymphdrainage kostet bis zu 100 Euro pro Sitzung, ein auf maß angepasster Stützstrumpf kostet zwischen 300 und 400 Euro.
Lymphödem-Patienten kämpfen auf vielerlei Fronten. Die psychisch sehr belastende ästhetische Beeinträchtigung ist noch das geringste Problem. Dick angeschwollene Gliedmaßen, dicke Füße, die das Tragen von Schuhen fast unmöglich machen. Dazu kommen die durch den Stützstrumpf verursachten Hautbeschwerden und Entzündungen. Im Sommer ist der Stützstrumpf eine Tortur. Wenn die Füße geschwollen sind, müssen Patienten oft Schuhe tragen, die mehrere Nummern größer sind als die eigentliche Nummer, der gesunde Fuß benötigt dann eine Einlage. Die Haut brennt, schmerzt und spannt, die Beweglichkeit ist beeinträchtigt. „Wer das nicht hat“, sagt Alexandra Mittich, „kann das nicht nachvollziehen.“
Alexandra Mittich beim Anziehen eines Kompressionsstrumpfes

Der Kommentar

Liebe Leserinnen und Leser

Nicole Dominique Steiner
Es ist unglaublich, welche Fortschritte die Krebs-Forschung in den letzten Jahren gemacht hat. Im Interview mit Dr. Bernd Gänsbacher, Mitglied der Europäischen Arzneimittelzulassungs-Kommission ist, können Sie das nachlesen. Dank der neuen genetischen und molekularen Therapien können Patienten geheilt werden, bzw. mit Krebs als einer chronischen Erkrankung wie Bluthochdruck oder Diabetes viele Jahre mit einer guten Lebensqualität weiterleben, die noch vor zwanzig Jahren kaum Hoffnung hatten. Was manchen als Wunder erscheint, ist der Tatsache zu verdanken, dass der Mensch und die Vorgänge in seinem Körper, die Beschaffenheit der verschiedenen Zellen bis ins Detail erforscht werden und die neuen, intelligenten Medikamente nicht mehr wahllos Zellen in den Tod schicken, sondern ganz gezielt nur mutierte Zellen. Allerdings hat diese neue Gentechnologie, haben diese neuen, individuell auf jeden einzelnen Patienten zugeschnittenen Therapien Kosten, die für ein öffentliches Gesundheitswesen fast nicht mehr zu tragen sind. Eine Einteilung in Patienten, die sich Therapien erlauben können und andere, die sie sich nicht leisten können, darf es aber nicht geben. Nie. Jeder einzelne ist gefordert, dazu beizutragen, dass das öffentliche Gesundheitswesen bezahlbar bleibt. Wir müssen Verantwortung übernehmen für uns und unsere Gesundheit. Wie wichtig ein gesunder, verantwortlicher Lebensstil ist, haben wir in der Chance immer wieder geschrieben. Bewegung, Gewichtskontrolle, Sonnenschutz, nicht rauchen, an den Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen usw. All das kann einem Krebs vorbeugen. All das trägt dazu bei, dass die Kosten für das öffentliche Gesundheitswesen bezahlbar bleiben. Aber es reicht noch nicht. Wir müssen auch verantwortlich mit den Ressourcen umgehen. Das heißt, keine unnötigen Medikamente oder Untersuchungen verschreiben lassen. Meinem Hausarzt über alle Untersuchungen, die ich mache, auf dem Laufenden halten. Eine Patientenverfügung verfassen…
Und noch etwas: Meine Einstimmung dazu geben, dass meine gesundheitsrelevanten, digital erfassten Daten für mich, für jene, die mich behandeln und von bevollmächtigten Stellen abrufbar sind. Liegt eine solche Einstimmung nicht vor, kann ein Arzt, der einen Notfallpatienten behandelt, nicht schnell im Computer des Krankenhauses nach der Blutgruppe oder eventuellen Erkrankungen suchen. Ohne vorherige Zustimmung scheinen diese Daten nicht auf. Daten, die lebensrettend sein können oder zumindest helfen, Kosten und Zeit für Untersuchungen zu sparen, die eigentlich nicht nötig wären.
Ab sofort gibt es ein neues System: die elektronische Gesundheitsakte. Gesundheitsrelevante Daten können über die EGA genau dort abgerufen werden, wo sie gebraucht werden. Beim Haus- oder Kinderarzt, im Labor, in der Apotheke, im Krankenhaus oder bei einem Facharzt. Vor allem für chronische Patienten ein wichtiges Tool, um alle relevanten Informationen immer bei der Hand zu haben. Das Um und Auf dieser elektronischen Gesundheitsakte ist die Beteiligung der Bürger. Jeder von uns ist aufgerufen, über SPID (=digitale Identität) oder über die elektronische Bürgerkarte entweder am Computer oder auch an einem eigens eingerichteten Bürgerschalter sein Einverständnis zur Einspeisung der digitalen Daten zu geben. Ein Einverständnis das jederzeit vollständig oder partial auch wieder entzogen werden kann. Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen, ärztliche Verschreibungen, Entlassungsbriefe… In der EGA ist unsere (Kranken)Geschichte dokumentiert, mit Namen für jene, die dieses Wissen brauchen, um uns besser behandeln zu können. Anonym für die Forschung und für jene Stellen, die planen und bereit sein, aktiv und verantwortlich mit meiner Privacy umzugehen. Als mündiger Patient.


Gute Lektüre wünscht Ihnen
Nicole Dominique Steiner