Thema

Elektronische Gesundheitsakte - EGA

Die elektronische Gesundheitsakte in Südtirol: Patienten entscheiden was, wann und wer
Ein europäisches Projekt, angedacht seit 2003, das nun zur Realisierung ansteht: Die elektronische Gesundheitsakte. Es geht hier nicht um den gläsernen Patienten, sondern es geht um ein Tool, mit dem alle gesundheitsrelevanten, digitalen Daten sofort zur Hand sind. Die Patienten haben das erste und letzte Wort. Sie entscheiden, ob, wann und welche Daten in die elektronische Gesundheitsakte aufgenommen werden. Der Mehrwert ist enorm: Für die (chronischen) Patienten, für den Arzt, der einen Notfall behandeln muss, aber auch für den Gesundheitsdienst und für die Forschung.
Im kommenden Herbst wird das Amt für Gesundheitssteuerung eine großangelegte Informationskampagne starten. Amtsdirektor Johannes Ortler ist derzeit schon on tour, um die Gesundheitssprengel zu informieren. „Es ist ein Mega-Projekt, das weit über Südtirol hinaus reicht und dessen Mehrwert noch gar nicht abzusehen ist. Ein Projekt, von dem wir uns fundamentale Aussagen für Prävention, Diagnose und Therapie erwarten“, unterstreicht Ortler, der der Chance das Projekt vorgestellt hat.
Aber gehen wir der Reihe nach. Im Augenblick ist die elektronische Gesundheitsakte noch eine leere Schachtel, die es nun zu füllen gilt. Welche Informationen kommen hinein? Natürlich nur jene, die bereits digital erfasst sind. Das sind im Augenblick Laborbefunde, und ärztliche Verschreibungen.
Bei Zustimmung des Patienten werden diese Daten automatisch in das System eingespeist, vorausgesetzt natürlich, sie werden in einer öffentlichen Gesundheitsstruktur digital erfasst. Wer auch Daten einspeisen möchte, die in privaten Strukturen erfasst worden sind, kein Problem. Die Patienten können auch diese Daten selbst einscannen. Im besten Fall wird die EGA die Patienten ihr Leben lang begleiten und über sie können jederzeit sämtliche gesundheitsrelevante Informationen abgerufen werden. Gesundheitsrelevant heißt, Untersuchungen, Verschreibungen, Eingriffe, Entlassungsbriefe, nicht etwa die während eines Krankenhausaufenthaltes erstellte Krankenakte, wo die tägliche Fieberkurve oder der Stuhlgang vermerkt werden.
Der Direktor des Amts für Gesundheitssteuerung, Johannes Ortler
Das Projekt EGA ist im Augenblick lokal und national, aber es ist auch schon eine grenzüberschreitende, interregionale Benutzung angedacht und in nicht allzu weiter Zukunft sollte die Gesundheitsakte europaweit zur Verfügung stehen. Eine wichtige Ergänzung und Unterstützung für das Recht der freien Arztwahl.
Ganz wichtig: Hauptakteure sind die Patienten. Sie allein können bestimmen ob und wann Informationen in die EGA aufgenommen werden. Die einmal gegebene Zustimmung zur Erfassung der gesundheitsrelevanten Daten kann zudem jederzeit widerrufen werden. Und die Patienten können von Mal zu Mal entscheiden welche Daten abrufbar sind und können verfolgen wer, zum Beispiel Hausarzt oder Apotheker, auf Ihre EGA zugegriffen hat.
Allerdings ist es ein System, das die Patienten fordert. Sie müssen die Verantwortung für ihre EGA übernehmen. Wer einmal die Zustimmung gibt und sich dann nicht mehr darum kümmert, verliert den Überblick, welche Daten nun eingespeist worden sind und welche nicht. Nach der Zustimmung zur Erfassung der gesundheitsrelevanten Daten, werden alle digital produzierten Daten eingespeist. Wer das nicht will, muss jedesmal explizit entscheiden, welche Daten er verdunkeln möchte. Bei minderjährigen Patienten wird die Handhabe der EGA von den gesetzlichen Vertretern, also meist den Eltern, geregelt. Grundsätzlich darf neben dem Patienten selbst und dem Hausarzt nur derjenige Daten einspeisen, der die diese produziert hat.
Voraussetzung für die Aktivierung der EGA ist, dass die Patienten im Besitz einer aktivierten Bürgerkarte oder des SPID sind. Der Zugriff von Seiten der Patienten auf die EGA erfolgt immer über die Bürgerkarte (die bei den Gemeinden aktiviert werden kann) und das dazugehörende Lesegerät oder über SPID. Jedes Mal, wenn ich auf meine in der EGA gespeicherten Daten zugreifen möchte, werde ich aus Sicherheitsgründen aufgefordert, einen spontan generierten Zufallscode einzugeben.
Das Gesundheitswesen hat bei vorliegender Einstimmung Zugriff auf die gespeicherten Daten, ohne Identifikationsdaten, das heißt anonym. Diese Daten sind äußerst wertvoll sowohl für die Forschungen als auch für Steuerung der öffentlichen Gesundheitsbetreuung. Das Vorausplanen ist im Bereich der Sanität von immer größerer Bedeutung, in einer Zeit, in der es zunehmend ältere Patienten gibt, die Mittel aber gleichzeitig sinken, während neue Behandlungen auf den Markt kommen, die vielversprechend aber auch unwahrscheinlich teuer sind. Wenn das alles finanziert werden soll, muss scharf kalkuliert werden.
Medizinisches Fachpersonal und andere Personen, die per Gesetz auf die EGA für die Behandlung und Betreuung Zugriff haben, sind auf die Zustimmung der Patienten angewiesen. Johannes Ortler: „Ein Missbrauch dieser Daten ist somit eigentlich ausgeschlossen, die Privacy ist bis ins Detail geregelt und vom Garanten abgesegnet!“
So muss zum Beispiel um in die EGA eventuell auch die Daten einzufügen, welche einem höheren Schutz unterliegen (Daten und Dokumente betreffend HIV-Status, freiwillige Unterbrechung der Schwangerschaft, sexuelle Gewalt und Pädophilie, Konsum/Abhängigkeit von Drogen, psycho-trope Substanzen und Alkohol, anonyme Geburten, von Familienberatungsstellen erbrachte Leistungen), ein spezifisches zusätzliches Einverständnis bereits bei Erbringung der damit verbundenen Leistung erteilt werden.
Wer hat also nach dem Patienten Zugriff auf die EGA? In erster Linie der behandelnde Allgemeinarzt oder der Kinderarzt. Sie geben Daten ein und haben die Aufgabe, diese regelmäßig zu aktualisieren, Voraussetzung für die Erstellung eines synthetischen Gesundheitsprofils des Patienten, genannt „Patient Summary“. Zugriff zum Einspeisen von Daten, nicht zum Abruf, haben natürlich auch (bei vorliegender Einverständniserklärung der Patienten) öffentliche Krankenhäuser und Sanitätsbetriebe und private akkreditierte Gesundheitsstrukturen. Die elektronisch verschriebenen Medikamente werden im pharmazeutischen Dossier gespeichert.
Den Patienten steht in Zukunft, daran arbeitet man derzeit noch, außerdem eine Art persönliches Notizbuch zur Verfügung, wo sie Daten und Dokumente von privaten Einrichtungen bzw. aus vorausgegangener Zeit eingeben können. Aber nicht nur: Die Patientenverfügung kann ebenso dort abgespeichert werden wie die Einverständniserklärung zur Organspende.
Die Patienten werden durch die EGA nicht transparent, weil ausschließlich sie selbst bestimmen, ob Daten erfasst werden können und wer sie einsehen kann. Neben der Historie ist aber vor allem die zeitgleiche Erfassung des Gesundheitszustandes ein Vorteil. Im Falle eines Notfalles können die eingreifenden Ärzte sich sofort einen Überblick verschaffen und den Patienten entsprechend gezielter behandeln. Blutgruppe, Allergien, chronische Erkrankungen, welche Medikamente der Betreffende einnimmt usw.
Von großem Vorteil ist die EGA, laut Johannes Ortler für chronisch Kranke, die ständig zwischen Zuhause, dem Krankenhaus und verschiedenen Untersuchungsstrukturen bzw. Fachärzten hin- und herpendeln. Das Suchen nach den letzten Untersuchungsergebnissen oder nach dem Namen der zuletzt verschriebenen Medikamente hat ein Ende.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der EGA: Da es sich um ein Projekt der EU handelt und in nicht allzu ferner Zukunft auf eine europäische EGA hinausläuft, ist mit einer zunehmenden Harmonisierung und Vereinheitlichung der Befundung aber auch der Kodifizierung zu rechnen. Johannes Ortler: „Damit werden diese Daten nicht nur grenzüberschreitend verständlicher, sondern auch für den einzelnen Patienten selbst“.
Bleibt nur noch ein Zweifel, eine Frage: Werden die Patienten, auch jene, die nicht der Generation der Millenials, die mit den neuen Medien auf Du und Du stehen, mit diesem wertvollen Instrument umgehen können? In den Krankenhäusern und den Sprengeln sind voraussichtlich bereits ab Herbst eigene Schalter eingerichtet, die sich derer annehmen, die das alleine nicht bewältigen können.
Im Moment ist die EGA Südtirols für die volljährigen Bürger/Bürgerinnen, welche im Landesgesundheitsdienst eingeschrieben sind, sei es ob diese ansässig oder wohnhaft sind, online verfügbar. Informationen finden Sie unter: civis.bz.it/de/dienste/dienst.html?id=1033546
Fazit: Bei aller, durchaus auch begründeter Angst vor Datenmissbrauch, in der elektronischen Gesundheitsakte sind ihre Daten gut aufgehoben und können Leben retten. Ihres.
Die Gesundheitsbehörde hat anonym auf die Daten Zugriff, also ohne Namen des betreffenden Patienten

Wege der Hoffnung

Die USA sind das Mekka der Krebsmedizin

Dr. Bernd Gänsbacher, Krebsforscher und Mitglied der CAT Kommission der europäischen Arzneimittel Agentur – EMA
In der genetischen Krebstherapie sind in den letzten Jahren Ergebnisse erreicht worden, die Grenzen des bisher für möglich Gehaltenen sprengen. Die (Wunder)Mittel, vor allem im gentechnischen Bereich sind ungemein kostspielig, die Pharma-Konzerne werden von der Öffentlichkeit sehr kritisch beurteilt. Die Chance hat mit Dr. Bernd Gänsbacher gesprochen, der Sarntaler hat in den 90er Jahren in den USA zusammen mit anderen Forschern die Grundlagen der heutigen Gentechnik gelegt.
Heute gehört Dr. Gänsbacher dem CAT an, dem Ausschuss für neue Therapien der Europäischen Arzneimittel Agentur, der die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln für neuartige Therapien (Advanced-Therapy Medicinal Products, ATMPs) beurteilt. Außerdem ist Gänsbacher Mitglied der Zentralen Gesundheitskommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) im deutschen Gesundheitsministerium in Berlin. Die erste Woche im Monat hält er sich in Berlin bei der ZKBS auf, die dritte bei der EMA in Amsterdam. Im Gespräch über die Zulassungsmodalitäten neuer (Krebs)Medikamente war dem Wissenschaftler auch eines wichtig: Aufräumen mit den Vorurteilen, dass es sich dabei nur um Business handelt und der Pharmaindustrie nicht zu trauen ist.
Chance: Dr. Gänsbacher, viele wundern sich, dass Medikamente zu so unterschiedlichen Zeiten auf den Markt kommen, bzw. mit sehr großer Verspätung zwischen Amerika und Europa.
Dr. Bernd Gänsbacher: Ja, die Medikamentenzulassung und -produktion ist ein ungemein komplexes Gebiet. Und im Gegensatz zur Volksmeinung hat die Politik hier keinen Einfluss und natürlich auch keine Kompetenz. Im Durchschnitt kommen in Europa im Vergleich mit den USA Medikamente mit mehreren Monaten Verspätung oder mehr auf den Markt. Und wenn sie jetzt Europa nehmen, wo jeder Staat seine eigene Arzneimittel-Agentur hat, in Italien ist das die AIFA oder in Deutschland die BfArm und dann die USA, wo es nur eine einzige Behörde für 50 Staaten gibt, die FDA, dann sehen Sie selbst, warum es dort schneller geht als hierzulande. Abgesehen davon, dass die wichtigsten Forschungen in den USA durchgeführt werden. Die USA sind das Mekka der Krebsmedizin. Die meisten der neuen Medikamente kommen von dort und auch die meisten Medizin-Nobelpreise gehen dorthin. Ich selbst habe 18 Jahre lang in Pennsylvania und in New York als Arzt gearbeitet.
Chance: Europa hat aber seit 1995 auch eine eigene Arzneimittel-Agentur, die EMA, der Sie ja angehören, und die erst kürzlich ihren Sitz von London nach Amsterdam verlegt hat…
Dr. Bernd Gänsbacher: Das stimmt, aber jedes EU-Land muss dann noch die Richtlinien bestimmen, verhandeln wie und wo und zu welchem Preis die Medikamente vertrieben werden.
Chance: Die EMA gewährleistet die wissenschaftliche Evaluierung, Überwachung und Sicherheitsüberprüfung von Human- und Tierarzneimitteln in der EU. Die Human-Arzneimittel sind in zwei Groß-Abteilungen unterteilt…
Dr. Bernd Gänsbacher: Genau. Wir können es einfach so benennen: eine chemische Abteilung, CHPM, befasst sich mit Arzneimitteln aus chemischen Substanzen und eine mit biologischen, CAT. In diesen Bereich fallen die Gen-, die Molekular- und die Zelltherapie sowie das ganze Tissue-Engineering, also die künstliche Herstellung biologischer Gewebe aus Zellkulturen.
Chance: Wann genau setzt die Arbeit der CAT-Kommission ein?
Dr. Bernd Gänsbacher: Sehr früh. Das heißt, Wissenschaftler haben eine Idee, um ein neues Medikament zu entwickeln, sie haben konkrete Forschungsergebnisse, sagen wir für ein Medikament gegen Lungenkrebs. Diese legen sie dem Komitee vor, das aus 32 Wissenschaftlern besteht, die gemeinsam entscheiden, ob die vorliegenden Ergebnisse ausreichen, um das Medikament tatsächlich zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, oder ob es eventuell noch weitere Experimente und Daten braucht, um eine Zulassung wahrscheinlich zu machen.
Chance: Es wird also zunächst theoretisch alles durchdiskutiert und abgewogen.
Dr. Bernd Gänsbacher: Ja. Und wenn das CAT Komitee sein Ok gibt, dann können die Forscher sich nach Investoren umschauen, die die weiteren Forschungen unterstützen. Außerdem stellen wir Richtlinien und wissenschaftliche Beratung zur Verfügung.
Chance: Der Prozess der Zulassung eines Medikaments ist sehr kostspielig und langwierig.
Dr. Bernd Gänsbacher: Es können bis zu zehn Jahren vergehen. Und der Prozess ist sehr aufwändig. Vor der Herstellung und der Markt-Autorisation müssen unterschiedliche Testphasen durchlaufen werden. Zunächst in Tierversuchen, also am lebenden Modell, z. B. an Mäusen, denen Krebszellen injiziert worden sind. Zum Beispiel 30 Mäuse werden mit dem neuen Mittel behandelt, 30 mit Placebos. Wenn der Tumor nachweislich reduziert wird, kann weitergeforscht werden.
Das letzte EMA-Meeting am 12. Juni 2019 in Bukarest
Chance: Es gibt auch klinische Testphasen mit Patienten…
Dr. Bernd Gänsbacher: Die stehen ganz am Ende, kurz vor der Zulassung. Sie werden an Unikliniken durchgeführt und Patienten angeboten, die austherapiert sind. Also z. B. Frauen mit metastiertem Brustkrebs.
Chance: Es handelt sich dabei um Vergleichsstudien?
Dr. Bernd Gänsbacher: Selbstverständlich. In der dritten Phase erhalten z. B. 500 Patientinnen die besten verfügbaren Standardtherapie und 500 die neue Therapie. Nur wenn signifikant mehr Frauen mit der neuen Therapie eine nachweisliche Besserung aufweisen, kann das Medikament zugelassen werden. Wenn der Versuch hingegen keinen erheblichen Unterschied aufweist, wird das Medikament abgelehnt und der Hersteller hat Millionen in den Sand gesetzt!
Chance: Das sind enorme Summen. Es gibt immer wieder Stimmen, die von Bestechung bei der Zulassung reden…
Dr. Bernd Gänsbacher: Das ist mir bekannt und ich kann ihnen versichern, dass das nicht der Fall und auch fast gar nicht möglich ist. Die Vorurteile gegen die Pharmaindustrie sind nicht gerechtfertigt. Die klinischen Teststudien an den Universitätskliniken lassen kein Schwindeln zu. Aber natürlich im Dschungel der Fake-News wird vieles behauptet.
Chance: Vor zwei Jahren kam in Europa ein Medikament gegen Leukämie auf den Markt, das in den USA schon 2011 für Aufsehen sorgte…
Dr. Bernd Gänsbacher: Der Fall Emily Whitehead. Ein siebenjähriges Mädchen aus den USA, das an akuter lymphatischer Leukämie erkrankt war und bei dem alle Therapien fehlgeschlagen sind. Sie war Teil eines Medikamententests und heute studiert sie an der Universität! Die Ärzte verabreichten Emily körpereigene Immunzellen, sogenannte T-Zellen, die sie ihr zuvor entnommen und gentechnisch mit Hilfe von abgewandelten HI-Viren verändert hatten. Die genetisch umprogrammierten T-Zellen wurden zu Serienkillern der Krebszellen. Das grenzte an ein Wunder!
Chance: Damals war das ein Versuch, heute ist dieses Verfahren zugelassen…
Dr. Bernd Gänsbacher: Das stimmt, seit 2017 auch in Europa. Aber nicht in allen Ländern. Und nur an spezialisierten Unikliniken. Für jeden Patient muss ja ein eigenes Präparat hergestellt werden. In einem Spezial-Labor, mit hochspezialisiertem Personal, steril. Sie können sich vorstellen, was das kostet!
Die Lymphozyten jedes einzelnen Patienten werden gentechnisch so verändert, dass sie die CD19 positiven Tumorzellen eines Leukämie oder Lymphompatienten angreifen. Sie müssen sich das vorstellen wie eine Telefonnummer. Jede Zelle hat ihre eigene und die veränderten Lymphozyten greifen nur eine ganz bestimmte Zelle, eben die Krebszelle an. Das Ganze beruht auf dem gleichen Prinzip wie eine Impfung. Die Zellen haben außerdem Memory, sie erkennen also z. B. auch nach drei Jahren noch eine Krebszelle, sollte sie zurückkommen.
Chance: Zum Einsatz kommt Kymriah oder Yescarta wie die Medikamente heißen, aber nur bei austherapierten Patienten, bei denen alles fehlgeschlagen ist?
Dr. Bernd Gänsbacher: So ist es. Und sie wirken bei akuten Leukämien und bei Non Hodgkin Lymphom. Sie werden in kryokonservierten Infusionsbeuteln verabreicht.
Chance: Bei anderen Krebsarten, Brustkrebs zum Beispiel, wird auch gentechnisch geforscht. Dort kann dieses Prinzip nicht zum Einsatz kommen?
Dr. Bernd Gänsbacher: Bisher wirkt es besser bei sogenannten Liquid-Tumoren im Gegensatz zu Solid-Tumoren. Bei Brustkrebs ist der Knoten im Gewebe verpackt, da haben die Lymphozyten Schwierigkeiten hinzugelangen.
Chance: Wie sieht es mit Nebenwirkungen aus?
Dr. Bernd Gänsbacher: Alles, was wirkt hat auch Nebenwirkungen. Bei Kymriah und Yescarta sind sie zum Teil auch sehr stark, auch neurologischer Natur und können zu Bewusstseinsstörungen führen, aber auch hohes Fieber u. a. m. Aber die Ärzte wissen das und man kann gegen die Nebenwirkungen Medikamente verabreichen.
Chance: Eine letzte Frage: Wie sieht es mit der Bezahlbarkeit aus? Bei den Brunecker Krebsgesprächen sagte der Primar der Onkologie in Bozen, Dr. Carlo Carnaghi, dass es heute Medikamente gäbe, die Heilungserfolge erzielten, die man noch vor wenigen Jahren für unmöglich hielt, aber schon ab 2020 sei eine öffentliche Finanzierung dieser Therapien voraussichtlich nicht mehr zu gewährleisten!
Dr. Bernd Gänsbacher: Da sprechen Sie in der Tat einen wunden Punkt an. Die Forschungen sind wie sie gesehen haben ungemein kostspielig. Und letztlich führt auch der Patentschutz zu hohen Kosten. Yescarta und Kymriah kosten ca. 275.000 Dollar pro Infusion. Sie haben den großen Vorteil, dass sie die Patienten heilen aber den Nachteil, dass der Staat große Probleme hat, diese Therapie für alle Patienten zu bezahlen.
Eine EMA-Sitzung in Amsterdam
Dr. Bernd Gänsbacher
Geboren 1948 in Sarnthein, Matura in Brixen, Studium der Medizin in Innsbruck; Facharztausbildung in Innerer Medizin sowie Allergie/Immunologie an der University of Pennsylvania. Facharztausbildung in Hämatologie/Onkologie am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center (MSKCC) in New York City, wo er ab 1988 als Clinical Assistant und Assistent Member lehrte und forschte und 1994 zum Associate Member und Professor des Leukemia Services des MSKCC berufen wurde. Gänsbacher war Mitglied von Arbeitsgruppen, die bereits im Jahre 1990 die Grundlagen der heutigen Gentechnologie bei Krebsmedikamenten legten.
Gänsbacher war verantwortlich für die Einführung der Gentherapie im Memorial Hospital des MSKCC und startete 1992 als verantwortlicher Arzt zwei Gentherapie-Studien an Patienten mit Melanom und Nierenkarzinom. 1996 wurde er an die Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, als Ordinarius und Direktor des Institutes für experimentelle Onkologie und Therapieforschung berufen. Die von ihm entwickelte Lehrmethode der case discussion rounds (CDR) ist mittlerweile von führenden Universitäten in Europa und den USA übernommen worden.
Dr. Gänsbacher erhielt zahlreiche Auszeichnungen, er veröffentlichte über hundert wissenschaftliche Publikationen. Von 2000 bis 2004 war er Präsident der Europäischen Gesellschaft für Zell- und Gentherapie. Seit 2004 ist er Mitglied der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) des Gesundheitsministeriums in Berlin, seit 2013, Jahr in dem er emeritierte, ist er Mitglied des Komitees für neue Therapien, CAT der Europäischen Arzneimittelagentur, EMA.