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Der schönste Beruf der Welt

Interview mit Dr. Sonia Prader, Primarin der Gynäkologie und Geburtshilfe Brixen
„Ich habe den schönsten Beruf der Welt“, sagt sie und man glaubt es ihr auf´s Wort. Sonia Prader ist als neue Primarin der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe nach sieben Jahren an der onkologischen Klinik Essen wieder in ihre Heimat Brixen zurückgekehrt. Ein Gespräch über Leidenschaft, Kompetenz und Empathie. Über Anfang und Ende, Networking und Teamarbeit.
Sonia Prader hatte ihre Stelle als Primarin in Brixen gerade erst seit einem Monat angetreten, als sie zu einer Art Mondlandung ansetzte. Eine absolute Pionierarbeit in Südtirol und wie sie hofft, der Beginn einer regelmäßigen ,krankenhausübergreifenden´ Zusammenarbeit. Sie hat im Landeskrankenhaus Bozen als Erste Operateurin, assistiert von ihrem Bozner Kollegen, Primar Steinkasserer, einen höchst komplexen Eingriff an einer ihrer Patientinnen mit einem fortgeschrittenen Eierstockkrebs durchgeführt, Seite an Seite.
Chance: Dr. Prader, eine Operation im „Revier“ eines anderen. Wie haben sie sich dabei gefühlt?
Dr. Sonia Prader: Es hat schon Mut gebraucht. Ein fremder OP, ein fremdes Team. Aber ich habe mich getraut und er hat es zugelassen und ich glaube, wir haben damit die Basis gelegt für eine Zusammenarbeit im ganzen Land!
Chance: Sie haben ihre Abteilung schon als Oberärztin kennengelernt, sind dann sieben Jahre nach Essen und zum 1. Januar 2020 wieder nach Brixen zurückgekehrt. War das ein leichter Schritt?
Dr. Sonia Prader: Mein Nest lässt mich nicht los, ich habe hier in Brixen angefangen zu arbeiten und ich bin selbst auf der Abteilung, auf der ich jetzt arbeite, geboren. Und das ist letztlich auch der Aspekt, der mich zur Rückkehr gebracht hat, nach sieben Jahren an einer hochspezialisierten onkologischen Klinik. Ich wollte wieder zur Geburtshilfe zurück.
Chance: Vom Lebensanfang über die Reife bis zum Ende…
Dr. Sonia Prader: So könnte man es nennen. Das ist die Natur, es geht von einem ins andere. Wir neigen immer dazu, zu trennen. Aber gerade dieser Übergang ist doch das Faszinierende. Ich denke im Allgemeinen, übergreifend. Für mich gibt es nicht das Denkschema, Deine Kompetenz, meine Kompetenz. Deshalb hat auch die Zusammenarbeit mit Dr. Steinkasserer so wunderbar geklappt. Das nächste Mal kommt er vielleicht zu mir operieren und ich werde assistieren.
Chance: Ihr erster Arbeitstag war schon ein Glückstag: Brixen hatte das Neujahrsbaby…
Dr. Sonia Prader: Ja und am 20.02.2020 ist das Baby einer Krankenschwester hier geboren, die selbst auch schon hier geboren worden ist!
Chance: Mit welchem Ziel haben Sie Ihre Tätigkeit als Primarin hier aufgenommen?
Dr. Sonia Prader: Ich bin nach Essen gegangen und sieben Jahre dortgeblieben (obwohl es eigentlich nur zwei hätten sein sollen), weil ich die Hoch-Spezialisierung suchte. Meine Vorgabe ist, hier das weiterzuführen, was ich in Essen getan habe. Bozen ist das Zentralkrankenhaus, aber ich kann hier mein Wissen einbringen und mit dem von Bozen bündeln. Ich habe ein tolles Team hier und im Augenblick bin ich dabei, Aufgabenfelder und Berufsgruppen zu verbinden, übergreifend. Everybody smiles in the same language, das ist mein Motto. Es ist eine schöne Herausforderung, Menschentypen zu vereinen, Stabilisatoren, Konservative, Progressive, der kleinste gemeinsame Nenner ist, gute Arbeit zu leisten.
Chance: Das heißt, eine gute Mischung zwischen Regeln einhalten und flexibel bleiben?
Dr. Sonia Prader: Ja und die Mischung, aus dem, was ich kann und was der andere kann. Die gemeinsame Operation mit meinem Kollegen Steinkasserer ist das beste Beispiel. Arbeitsgruppen und Tumorboard sind gut, aber versuchen wir uns doch auch einmal auszutauschen. Versuchen wir uns in Rotation. Lass mir mal deinen Stuhl und nimm meinen, legen wir unsere Kapazitäten zusammen. Überwinden wir die Grenzen in unseren Köpfen! Vielleicht habe ich damit auch Leute vor den Kopf gestoßen. Ich habe eine überschwängliche Art, habe viel, sehr viel Energie und manchen Leuten mag das zu anstrengend sein.
Chance: Stichwort Geburtshilfe und Krebs.
Dr. Sonia Prader: Das sind beides sehr sensible und vulnerable Phasen des Lebens und in beiden Phasen sieht man, wie Menschen mit veränderten Lebenssituationen umgehen. Das ist spannend. In der Schwangerschaft ist der Körper ganz von den Hormonen bestimmt. Das Lebensende hat wieder andere Herausforderungen. Das Problem ist nicht zuletzt auch zu erkennen, wann dominiert der Kopf und wann der Bauch und sich darauf einzustellen. Der Idealfall ist, wenn Vernunft und Herz in Einklang stehen. Dann geht vieles leichter…
Chance: Auch in der Krebstherapie?
Dr. Sonia Prader: Wenn ich eine Patientin zum Erstgespräch vor mir habe, versuche ich sofort zu spüren, in welche Richtung es geht. Wer hat die Oberhand, die Ratio oder der Bauch. Und je nachdem muss ich gegensteuern.
Chance: Das geht schon in den Bereich der Psychologie…
Dr. Sonia Prader: Das ist mein Anspruch und das kann in philosophische Gespräche ausufern.
Chance: Brixen ist Brustgesundheitszentrum. Eine Frau mit Mammakarzinom…
Dr. Sonia Prader: …ist für mich in erster Linie eine Patientin mit einer sehr großen Heilungschance! Und wenn die Frage nach der Toxizität der Chemotherapie kommt, dann sage ich, eigentlich müsste man ein Loblied auf die Chemotherapie singen, über 90% der Frauen werden dank ihr geheilt! Aber wenn ich vom Kopf bestimmt bin, dann sehe ich nur das Gift, wenn ich mich von Instinkten leiten lasse, sehe ich nur die Angst. Manchmal machen Gedanken mehr krank, als die eigentliche Erkrankung. Ich finde wir sollten uns alle viel früher Gedanken machen, über die Fragen, was ist denn überhaupt Krankheit? Wann bin ich krank und wann gesund? Und: wir sollten uns früh über unser Sterben Gedanken machen. Wie möchte ich sterben? Sich Szenarien im Kopf ausdenken, wie es wäre, wenn man es sich aussuchen könnte. Letztendlich kommt man zum Schluss, lass es kommen, wie es kommt und das ist gut.
Chance: Sie sagten, Sie erleben Ihre Patientinnen in zwei Extremsituationen: im Spannungsfeld von neuem Leben, von Krankheit und unter Umständen auch von Lebensende.
Dr. Sonia Prader: Und es ist unglaublich wie viel Kraft wir freisetzen, wie viel Kraft die Frauen freisetzen, wenn die Filter wegfallen. Im Kreißsaal und bei einer Krebserkrankung fallen viele Schutzmechanismen weg und wir kommen unserem Kern näher. Und genau hier liegt eine der großen Herausforderungen für uns: Diese Momente nutzen, damit die Frauen das besser überstehen und danach besser leben.
Chance: Sie haben vorhin davon gesprochen, dass wir uns früher mit unserem Sterben auseinandersetzen sollten. Tun sie das?
Dr. Sonia Prader: Ja sicher. Geburt und Sterben, Leben. Das hängt alles ganz natürlich zusammen. Das hat alles auch damit zu tun, was wir unter einem guten Leben verstehen.
Chance: Was ist ein gutes Leben für Sie?
Dr. Sonia Prader: Etwas tun, was mich erfüllt. Etwas für andere tun. Und der Gedanke, dass die Welt nach unserem Sterben ein kleines bisschen besser ist als vorher. Jeder in seinem Rahmen. Weil wir Zivilcourage gezeigt haben, uns in der Flüchtlingshilfe eingesetzt haben, wichtig für andere Menschen waren…dann hat das Leben einen Sinn.
V. l.n.r.: Dr. Verena Thalmann und Dr. Sonia Prader mit den Hebammen Judith Gostner und Christine Fink
Chance: Geburtshilfe und Krebs. Es gibt immer mehr junge Frauen, die an Krebs erkranken…
Dr. Sonia Prader: Ja, und da ist Schwangerschaft ein ganz wichtiges Thema. Ein Tumor während der Schwangerschaft: Je nachdem, in welcher Woche er diagnostiziert wird, kann die Schwangerschaft unter Umständen zu Ende geführt werden. Kinderwunsch danach: Welchen Abstand von der Behandlung muss ich einhalten? Werde ich eine Risikoschwangerschaft haben? Manchen Patientinnen gibt der Gedanke an ihren Kinderwunsch eine unwahrscheinliche Kraft, die fast mehr als alle unsere Behandlungen zur Heilung beiträgt. Ich habe erst kürzlich eine ehemalige Patientin gesehen. Mit zwei kleinen Kindern!
Chance: Sind Frauen bessere Gynäkologinnen?
Dr. Sonia Prader: Nein. Es geht nur um die Bindung zur Patientin, darum, ob ich in der Lage bin, eine Beziehung aufzubauen. Das hängt nicht von Mann oder Frau ab. Beziehung, das zählt. Ich habe jetzt eine Chefarztambulanzen eingeführt…
Chance: Das heißt?
Dr. Sonia Prader: Eine Ambulanz für Frauen, die es sich nicht leisten können, eine Chefarztvisite zu bezahlen, die sich aber gerne von mir untersuchen lassen möchten. Deshalb habe ich in regelmäßigen Abständen, Chefarztambulanzen, wo sich jede Patientin anmelden kann, ohne die Privatvisite zu zahlen.
Chance: Bleibt Ihnen Zeit für anderes?
Dr. Sonia Prader: Natürlich. Abgesehen, davon, dass ich eigentlich "nicht zur Arbeit gehe", denn ich mache nichts lieber als im Krankenhaus zu arbeiten. Arbeit und Privatleben, das geht bei mir irgendwie ineinander über. Aber ich nehme mir Zeit für Theater, Skifahren, Lesen, Kaffeetrinken mit meiner alten Volksschullehrerin…
Chance: Nach sieben Jahren in einer Großstadt wie Essen, ist da Brixen nicht etwas eng?
Dr. Sonia Prader: Ich suche immer nach Ähnlichkeiten. Im Ruhrpott sprechen die Leute von Maloche und ich habe einmal ein T-Shirt als Malocherin des Jahres bekommen, das gilt für hier doch auch. Essen hat rund 500.000 Einwohner, wie ganz Südtirol, aber ich hatte dort mein Viertel, meine Lokale, meine Whatsappgruppe. Die gibt es in Deutschland für alles: Poesie, Wellness, Kultur, Musik, Oper, Museen. In Bozen war ich schon im Theater und im Konzert. Es gibt Leute, die suchen und welche, die finden. Ich bin eine Finderin. Die Sachen finden mich…

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#ichbleibezuhause

Interview mit dem Primar der Onkologie Bozen, Dr. Carlo Carnaghi
Dienstag, 17. März. Ganz Europa und auch die Vereinigten Staaten stehen weitgehend still. Auch Länder wie Spanien, Frankreich und Deutschland, die die strengen Maßnahmen, die die italienische Regierung Anfang März beschlossen hat, zunächst als übertrieben angesehen haben mögen, haben sich der Covid-19 Pandemie ergeben müssen. #ichbleibezuhause gilt nun fast überall, wenn auch nicht in allen Ländern in derselben strikten Auslegung. Das Interview mit dem Primar der Onkologie Bozen, Dr. Carlo Carnaghi, wurde bereits am 5. März gemacht; nach dem Eskalieren der Coronavirus Pandemie war es nicht mehr möglich, ihn ans Telefon zu bekommen. Die Redaktion der Chance hat beschlossen, das Interview dennoch zu veröffentlichen. nd
Was zunächst als Problem einer weit entfernten Provinz in China erschien, hat sich nun zur Pandemie entwickelt. Wuhan ist mittlerweile in aller Munde. Wuhan ist mitten unter uns. Der Corona-Virus hat sich in allen Kontinenten verbreitet, mit Ausnahme der Antarktis. Die Krankheit, deren Symptome zunächst einer Grippe ähneln (Fieber, trockener Husten und Atembeschwerden) entwickelt sich in schweren Fällen zu einer Lungenentzündung, die zum Atemstilstand, zum Ausfall der Nierentätigkeit und schließlich auch zum Tod führen kann.
Krebspatienten gelten als Risikogruppe, da ihr Immunsystem geschwächt ist. Wir haben den Primar der Onkologie, Dr. Carnaghi gefragt, welche Maßnahmen sie ergreifen sollen.
Chance: Dr. Carnaghi, Krebspatienten und hier vor allem, wer sich gerade in Chemotherapie befindet, gehören zu den Risikogruppen. Was tun?
Dr. Carlo Carnaghi: Vor allem nicht in Panik ausbrechen! Aber höchste Vorsicht ist geboten. Man muss sich strikt an alle Vorkehrungen, alle von der Regierung beschlossenen Maßnahmen halten. In Südtirol ist die Situation (noch) weniger schlimm als anderswo, bisher haben nur relativ wenige der positiv getesteten Personen auch die Symptome entwickelt. (am 17. März waren in Südtirol 8 Tote zu beklagen, alle (weit) über 80, Anm. d. Red.).
Chance: Wie kann man sich schützen?
Dr. Carlo Carnaghi: In dem man sich an die von der Regierung erlassenen Maßnahmen hält. Und zwar streng hält. Keine Hände schütteln, sich nicht umarmen oder küssen, Abstand halten, sich nicht das Gesicht, den Mund oder die Nase mit den Händen berühren und vor allen Dingen: Sich sehr oft die Hände desinfizieren oder gründlich waschen. Abstand halten. Zuhause bleiben.
Chance: Müssen Patienten in Chemotherapie eine Maske tragen?
Dr. Carlo Carnaghi: Nicht unbedingt, nicht überall. Man sollte einen vernünftigen Gebrauch der Masken machen. Wer in Kontakt mit einer infizierten Person gekommen ist oder wer Symptome wie Fieber und Husten aufweist, soll sich umgehend telefonisch mit seinem Hausarzt oder mit der grünen Nummer 800 751 751 in Verbindung setzen, die von 8 bis 20 Uhr besetzt ist. Auf keinen Fall zum Hausarzt oder ins Krankenhaus gehen.
Chance: Was ist mit den Therapie- und Kontrollterminen?
Dr. Carlo Carnaghi: Für dringende Untersuchungen und für die Therapien müssen die Patienten in die Onkologie kommen, aber nur dafür. Wir sind dabei, nicht absolut dringende Kontrolluntersuchungen für zwei, drei Monate zu verschieben.
Chance: Gelten besondere Vorkehrungen für das medizinische Personal?
Dr. Carlo Carnaghi: Auch wir gehören einer Risikogruppe an und stellen mehr als 12% der Infizierten. Beim geringsten Anzeichen sind wir aufgerufen, uns in Quarantäne zu begeben. Wir sind dabei einen Arbeits- und Turnusplan zusammenzustellen, der vorsieht, dass immer dieselben Personen zusammen ihren Dienst versehen, also fixe Arbeitsgruppen. Auf diese Weise hoffen wir, das Ansteckungsrisiko zu verringern.
Chance: Wir sind jetzt Anfang März… Ist es vorauszusehen, wie sich diese Pandemie weiter entwickeln wird?
Dr. Carlo Carnaghi: Eine schwierige Frage. Im Augenblick scheint die Situation unter Kontrolle, aber das kann sich von einem Moment zum anderen radikal ändern…
Chance: Dr. Carnaghi, Sie stammen aus Mailand, ihre Familie lebt dort. Wie verhalten Sie sich?
Dr. Carlo Carnaghi: Zum heutigen Tag (5. März, A.d.R.) sind es zwei Wochen, dass ich nicht mehr zuhause war und ich habe nicht die Absicht, dorthin zu fahren!
#ichbleibezuhause
Fieberkontrolle in einem Triage-Zelt