Wir über uns

Sport und Krebs, Krebsgespräche und Coronavirus

Ida Schacher, Präsidentin
Liebe Leserinnen und Leser, was hat Biathlon mit Krebs zu tun? Mehr als man meinen könnte. Die Krebshilfe war aktiv an der Biathlon Weltmeisterschaft vom 12. – 23. Februar in Antholz beteiligt. Für uns eine tolle Gelegenheit nicht nur, um Spenden zu sammeln, sondern auch um unser Anliegen einem großen Publikum bekannt zu machen. - Am 22. Februar haben wir einen Scheck von den Organisatoren des Dynafit-Vinschgaucups erhalten. - Im September 2019 hat uns das OK des Dreizinnenlaufs schon zum wiederholten Mal einen Euro pro Läufer gespendet. Und es gibt noch viele weitere Beispiele, wo sich Sport und Krebs begegnen. Sport ist Ausdruck von Gesundheit, wer sich regelmäßig bewegt, kann Krebs vorbeugen. Und wenn Sportler an jene denken, die im Wettkampf gegen die Krankheit stehen, ist das, finde ich, ein ebenso schönes wie wichtiges Zeichen. Für die Anteilnahme der Gesellschaft und für die Tatsache, dass Krebs kein Tabu mehr ist. Danke.
Gegen das Tabu der Krankheit Krebs tritt seit 20 Jahren der Weltkrebstag an. An diesem Tag rückt das Thema Krebs, wie man vorbeugen und wie man ihn heilen kann, in den Vordergrund. Auch die Krebshilfe nutzt diesen Anlass jedes Jahr, um in einer Pressekonferenz über den neuesten Stand zu informieren. Danke allen Medienvertretern, die uns an diesem Tag große Aufmerksamkeit schenken.
Um Tabu ging es auch bei den Brunecker Krebsgesprächen. Nicht nur das Tabu der Krankheit, sondern das Tabu des Sterbens, denn dieses Thema wurde in der dritten Runde dieser Veranstaltung ganz offen angesprochen. Mein Dank geht an die Veranstalter für ihr Engagement und für ihren Mut, Krebs in so lockerer Weise auf die Bühne zu bringen.
Und zu allerletzt noch ein Anhang. Das Editorial habe ich im Februar geschrieben, als das Coronavirus noch als rein innerchinesische Angelegenheit galt. Nun hat uns die Realität eingeholt. Meine Gedanken gehen an all jene, die nun Momente der Angst erleben. Ihnen wünsche ich Kraft und Geduld. An all jene, Ärzte und Pflegepersonal, die in vorderster Front in unseren Krankenhäusern gegen das Virus kämpfen. Heute (15. März) ist nicht abzusehen, wie lange all das noch dauern wird. Wir können nicht mehr tun als hoffen und/oder beten und die Anweisungen befolgen. #ichbleibezuhause.
Ida Schacher, Präsidentin

Thema

Krebs und Sterben

Die 3. Brunecker Krebsgespräche stellen sich mutig einem Tabuthema
Einen Termin, den man nicht mehr missen möchte. Die Brunecker Krebsgespräche. Am vergangenen 1. Februar zum dritten Mal: Krebs und Sterben. Ein offenes Umgehen mit diesem Thema, Stimmen von Experten, von Trauernden, von Onkologen, Menschen aus der Palliativpflege, Psychologen und von einem Theologen, Bischof Ivo Muser. Der gefüllte Saal war dem Organisatoren-Team Dr. Christoph Leitner, Andreas Leiter und Verena Duregger mehr als Bestätigung für den Erfolg ihrer Idee.
Die Brunecker Krebsgespräche, sind gewachsen. Das Programm schlanker, mehr Zeit für direkte Gespräche, weniger Vorträge und ein Thema, für das es Mut, Gespür und Erfahrung braucht. Sterben.
Uns alle wird es irgendwann treffen, aber nur wenige trauen sich, sich damit aus­einanderzusetzen.
„Was kommt jetzt auf mich zu?“ „Muss ich sterben?“ „Was habe ich falsch gemacht?“ Fragen wie diese beschäftigen die Patienten, und mit ihnen ihr gesamtes Umfeld. Und doch bleiben sie mit ihrer Angst oft alleine. Denn krank zu sein, hat in unserer Leistungsgesellschaft allzu oft keinen Platz. Gerade deshalb ist ein offener Dialog über die Krankheit so wichtig: Denn Krebs geht uns alle an“! So die Ankündigung der Krebsgespräche.
Schon bei der Eröffnung durch Andreas Leiter war das Thema Sterben präsent. Eine Kerze in Memoriam für zwei Patienten, die im Rahmen der Krebsgespräche ihr Schicksal (mit)geteilt haben. Zerina Pilav, Interviewpartnerin der ersten Veranstaltung 2018 und Rudi Ladurner, Direktor des Theaters in der Altstadt sowie für den Primar der Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus Bruneck, Dr. Stefan Brugger, Internist, Onkologe und überzeugter Palliativmediziner. Im vergangenen Jahr mit einem sehr tiefgründigen, zum Nachdenken anregenden Beitrag auf der Bühne des Ufos und am 20. Januar 2020 im Alter von nur 53 Jahren einem Herzinfarkt erlegen. Seine Arbeit und seine Person wurden von Dr. Christoph Leitner in bewegenden Worten gewürdigt.
Dr. Matthias Gockel
Dr. Herbert Heidegger
Warum es sich lohnt, über den Tod nachzudenken
Leben und Sterben. Wie sehr das zusammengehört und warum das Sterben und der Tod nicht ausgeklammert werden dürfen, hat Matthias Gockel versucht in seinem Beitrag zu vermitteln, Autor des Buches, „Sterben – Warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen“ und seit 20 Jahren Palliativmediziner, der mehr als 9.000 Menschen betreut hat. Nicht begleitet, wie er betont, Denn: „Ich kehre an einem bestimmten Punkt um“. Sterben, so Gockel, „übersteigt unsere Vorstellungsmöglichkeiten. Und gerade deshalb müssen wir uns beizeiten damit auseinandersetzen.“ Diesen Aufruf richtete er sowohl an Patienten als auch an Mediziner. „Wir Ärzte haben noch mehr Angst als andere über den Tod zu sprechen. Wir sehen den Tod zu Unrecht als Feind. Sterben und Tod, Themen, die in uns sind, Dämonen, die in uns wohnen. Je mehr Licht wir darauf werfen, desto kürzer ihr Schatten.“ Eine Krebsdiagnose könne beides bedeuten: Lebenszeit wie jeder andere, nicht Erkrankte zu haben oder aber limitierte Zeit. „Wir Mediziner, betont Gockel, könn(t)en in vielen Fällen noch Zeit schaffen; die Frage ist: Wollen Sie noch? Können Sie noch? Wie gerne leben sie? Und wenn ihr Arzt nicht redet“, forderte Matthias Gockel, „dann tun sie es!“
Ähnliches gelte auch für die Angehörigen. „Wissen Sie, was die ihnen nahestehenden Menschen möchten? Haben sie je mit ihnen darüber gesprochen?“ In diesem Zusammenhang komme auch der Vorsorgeplanung und der Patientenverfügung eine große Bedeutung zu. „Damit nicht der Arzt oder ihre Angehörigen entscheiden müssen, was sie gewollt hätten.“
Weil ich selbst entscheiden will
Tatsächlich ging es in einem Beitrag der Krebsgespräche auch um das Thema Patientenverfügung. Dr. Herbert Heidegger, Primar der Gynäkologie am Krankenhaus Meran und Präsident des Landesethik-
Komitees, betonte die Wichtigkeit, eine solche Verfügung aufzusetzen und diese auch registrieren zu lassen. Seit dem 1. Februar 2018 hat die Patientenverfügung Rechtskraft, seit 1. Februar 2020 gibt es nicht mehr nur ein gemeindliches, sondern ein staatliches Register dafür. „Die Patientenverfügung muss dann zur Hand sein, wenn es sie braucht. Nicht in irgendeiner Schublade. Viele sind unauffindbar, schlecht gemacht oder treffen nicht die Situation.“ Deshalb solle man sich vom Hausarzt oder anderer kompetenter Seite bei der Ausstellung helfen lassen und die Verfügung entweder beim Meldeamt der Wohnsitzgemeinde oder bei einem Notar registrieren lassen. In Zukunft soll auch in der elektronischen Krankendatei vermerkt sein, ob es eine Verfügung gäbe oder nicht. In Italien haben bisher nur 0,7 Prozent der Bevölkerung, die Mehrzahl davon Frauen zwischen 26 und 40 Jahren, eine solche Erklärung abgegeben.
Sigrid Mayr und Anja Oberstaller
Astrid Fleischmann
Onko-Psychologen im Dialog: Anton Huber und Erwin Steiner
Palliativversorgung
Palliativbehandlung ist ein Menschenrecht und seit 2010 auch per Gesetzesdekret verankert. Mit Sterbehilfe hat das nichts zu tun und auch nicht unbedingt mit dem Sterben. Palliativbehandlung sollte bei der Diagnose einsetzen. Sigrid Mayr und Anja Oberstaller gaben einen Überblick über die Palliativversorgung im Sprengel Bruneck. Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und Angehörigen. In Südtirol gibt es derzeit 21 stationäre Betten, zehn in Meran und elf in Bozen; fünf weitere sind in Bruneck geplant; das Projekt wurde durch den Tod von Dr. Brugger vorläufig gebremst. Hinzu kommen ambulante und mobile Palliativteams für die Versorgung zuhause. In Bozen hat Dr. Massimo Bernardo die Palliativtabteilung und das Hospiz aufgebaut; in Brixen gibt es seit 2019 einen Palliativmediziner, Dr. Thomas Völkl.
Seit 1. Januar 2020 werden die drei ambulanten Krankenpfleger in Bruneck von Dr. Giovanni Brescia unterstützt, der auf viele Jahre Intensivmedizin zurückblicken kann. „Wir sind die Brücke zwischen Krankenhaus, Sprengel und Hausarzt.“ Die Palliativbehandlung ist die Fortsetzung der bestmöglichen Therapie unter anderen Voraussetzungen. „Unabhängig vom Zeitfaktor geht es vor allem um die Lebensqualität und um Vermeidung unnötiger, invasiver Behandlungen,“ unterstrich Dr. Brescia. „Palliativmedizin ist vor allem ein Netzwerk und kann dann am besten funktionieren, wenn jeder Arzt einen palliativmedizinischen Ansatz hat“, betonte der Onkologe Dr. Christoph Leitner. „Je früher die palliativmedizinische Behandlung parallel zur Therapie einsetzt, desto besser für den Patienten.“
Trauer
Ein wichtiger Aspekt des Themenbereichs Sterben sind die Hinterbliebenen. In unserer Gesellschaft ist nicht nur das Sterben ein Tabuthema, auch die Trauer ist es. In unserer durchorganisierten Gesellschaft wird erwartet, dass nach der Beerdigung zum Alltag übergegangen wird. Dabei ist Trauer ein Moment im Leben, dem gebührend Raum gegeben werden muss, um den Verlust zu überwinden. Die Krebsgespräche haben zwei Menschen auf die Bühne geholt, die jeder auf seine Weise mit ihrer Trauer umgehen. Noah Ennemoser hat mit nur 18 Jahren seine Mutter durch eine Krebserkrankung verloren. Im Juli 2018, genau 197 Tage vor dem 1. Februar 2020. Er versorgt die frische Wunde mit Schreiben und hat gefasst und intensiv einen Text im Stil des Poetry Slam vorgetragen, der die Zuschauer im Saal zu Tränen gerührt hat (siehe Interview, S. 10). Astrid Fleischmann hingegen hat ihren Mann Georg im Jahr 2009 durch einen Gehirntumor verloren. Die Radiomoderatorin hat nach dem Tod ihres Mannes eine Ausbildung zur psychosozialen Lebensberaterin gemacht. „Die Ausbildung war meine Therapie, heute kann ich mich wieder lebendig fühlen und Lebensfreude empfinden.“ Was sie aus ihrer Geschichte gelernt hat: „Wir haben den Tod nie angesprochen, nur über das Leben gesprochen. Und das fehlt mir heute.“
Die Freiheit über alles zu sprechen – auch über den Tod
Eine ebenso ungewöhnliche wie effektive Form ihr Thema anzugehen, haben die beiden Onkopsychologen Anton Huber und Erwin Steiner gefunden: Einen Dialog auf der Bühne, in dem sie sich ausgetauscht haben über ihre Arbeit. "Was ist ihre größte Sorge?" Mit dieser Frage beginnt Anton Huber sein Patientengespräch. „Früher“, berichtet er, „wollte ich immer alles wissen, Diagnose, Vorgeschichte. Heute frage ich, was bewegt den Patienten. Eine falsche Frage ist wie eine falschgesetzte Karte im Kartenhaus.“ Erwin Steiner hingegen fragt seine Patienten: „Über was reden wir nicht?“, um an das heranzukommen, was sie bewegt. Es darf grundsätzlich alles angesprochen werden. „Die Leute werden ehrlich, sie haben genug vom Theaterspielen. Ein Ziel ist, ihre Hilfslosigkeit in Hilfsbedürftigkeit umzuwandeln, die Teil einer Beziehung ist.“ Anton Huber: “Die Angst wird kleiner, wenn ich darüber spreche. Das ist Lebenskunst: Alle Töne akzeptieren, die hellen wie die dunklen.“ Was beide von ihren Patienten gelernt haben, auch von jenen, die sich auf den Abschied vorbereiten, ist Humor.
Haben wir den Tod aus unserem Leben verdrängt?
Zum Abschluss lud Verena Duregger Bischof Ivo Muser, Matthias Gockel, den Primar der Strahlentherapie, Dr. Martin Maffei und Astrid Fleischmann zu einem Podiumsgespräch auf die Bühne. Am Gespräch beteiligte sich auch Dr. Christoph Leitner, Leiter der onkologischen Tagesklinik Bruneck. Ein gemeinsamer Nenner aller Gesprächspartner war das Wort "Beziehung".
Vierzig Prozent aller Palliativpatienten unterziehen sich der Strahlentherapie. Eine große Herausforderung für jene, die dort arbeiten. Dr. Maffei: „Das menschliche Gestalten der Strahlentherapie ist eine große Herausforderung, weil wir es hier mit Maschinen zu tun haben. Wir versuchen mit unseren Patienten dennoch Zeit zu verbringen, mit ihnen zu reden. Jenseits der reinen technischen Behandlung Beziehungen aufzubauen.“
Laut Bischof Muser müssen wir uns den Tod zumuten. „Wenn wir das Sterben und den Tod tabuisieren, betrügen wir uns um das Leben und weil es um das Leben geht, dürfen wir den Tod nicht ausklammern, müssen darüber reden. Auch mit Kindern.“ Beziehung, so der Bischof, sei ein anderes Wort für Glauben. „Und nichts wünsche ich mir mehr als gelungene Beziehungen!“ Eine Frage, die am Schluss nicht fehlen konnte: Haben sie selbst Angst vor dem Tod? Matthias Gockel: „Vor dem Tod? Nein, aber Angst im Leben nicht immer präsent zu sein.“ Bischof Ivo Muser: „Die Frage nach dem Tod ist letztlich eine Frage nach Gott. Gott gibt es nur dann, wenn der Tod nicht das letzte Wort hat.“