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Impfen ist Chance und Verpflichtung
Gespräch mit Primar Herbert Heidegger, Gynäkologie Meran/ Krankenhaus ist sicher
Eine sensationelle Nachricht, das Ergebnis der sogenannten „Schwedenstudie“, veröffentlicht im New England Journal of Medicine über die Wirkung der HPV Impfung (Virus der u. a. Gebärmutterhalskrebs, aber nicht nur, verursachen kann). Die Anti-Covid-Impfung für Krebspatienten und die Auswirkung der Covid-19-Pandemie auf die Krebsdiagnosen. Dr. Herbert Heidegger, Primar der Gynäkologie in Meran wartete bei der Pressekonferenz der Krebshilfe am 4. Februar mit interessanten Zahlen und Erkenntnissen auf.
Sie sprechen im Zusammenhang mit der sogenannten im New England Journal of Medicine veröffentlichten Schwedenstudie von sensationellen Ergebnissen…
Dr. Herbert Heidegger: Absolut sensationell! Das erste Mal konnte nachgewiesen werden, dass ein Krebs mittels Impfung verhindert werden kann. Das zeigen Daten von fast 1,7 Millionen Mädchen und Frauen zwischen 10 und 30 Jahren, die im Zeitraum 2006 - 2017 auf den Zusammenhang zwischen HPV-Impfung und Gebärmutterhalskrebs untersucht wurden. Das Ergebnis ist mehr als beeindruckend: Bei Mädchen, die vor dem 16. Lebensjahr geimpft wurden, reduziert sich das Risiko an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken um 88%! Eine Impfung, die erste Impfung, die einen Krebs effektiv verhindert! Damit kann dieser Krebs ausgerottet werden.
Gebärmutterhalskrebs zählt an und für sich zu den nicht sehr häufigen Krebsarten, oder?
Dr. Herbert Heidegger: Bei uns, ja. Durch das Screening mit dem Pap- und dem HPV Test, wo Vorstufen früh erkannt werden können, konnte das Risiko schon sehr gesenkt werden, das stimmt. Aber weltweit ist der Gebärmutterhalskrebs ein sehr häufiges Karzinom.
Impfen lassen sollten sich nicht nur Mädchen (oder eventuell Frauen bis zu einem Alter von 45), sondern auch junge Männer. Südtirol ist hier allerdings im Italienvergleich an letzter Stelle, was die Impfzahlen betrifft.
Dr. Herbert Heidegger: Wir liegen knapp über 20% und das ist wirklich ein beschämendes Ergebnis. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir junge Menschen motivieren können. Zuständig wäre bei uns das Amt für Prävention. Andere Länder machen es vor. In Kanada und in Dänemark zum Beispiel gibt es Schulimpf- und Infotage. Wir müssen dieses Thema auch als Fachgruppe der Gynäkologen weiterbringen. Sinnvoll wäre es, wenn auch wir Gynäkologen impfen könnten. Ich selbst werde oft von Müttern zur Impfung befragt. Wenn ich ihnen erkläre, wie sinnvoll die Impfung ist, sind sehr viele davon auch überzeugt. Wir reden seit Jahren davon, wir machen in diesem Bereich aber kaum Fortschritte. Wir sind das absolute Schlusslicht in Italien. Von den jungen Männern gar nicht zu reden. Da liegen die Zahlen im Bereich von 5%.
HPV geht die Männer aber auch an, und nicht nur, um ihre Partnerinnen zu schützen…
Dr. Herbert Heidegger: Nein, es betrifft auch sie selbst. 30 Prozent aller HPV-bedingten Krebsarten in Europa finden sich bei Männern: Penis- und Analkarzinom sowie Plattenepithelkarzinome der Mundhöhle und des Rachens.
Die negative Einstellung der Südtiroler gegenüber Impfungen hat sich ja auch bei der zunächst jedenfalls sehr schleppenden Teilnahme des Sanitätspersonals an der Impfung gegen Covid-19 gezeigt. Sie sind auch Präsident des Südtiroler Ethik-Komitees. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Herbert Heidegger: Artikel 32 unseres Grundgesetzes besagt, dass niemand zu einer gesundheitlichen Maßnahme gezwungen werden kann. Das ist die eine Seite. Dann aber spricht das Gesetz auch von einer Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, der Verpflichtung zur Solidarität. Ärzte und Sanitätspersonal haben eine Verantwortung sich gegenüber aber auch gegenüber der Gesellschaft und den Mitmenschen, die sich in ihre Betreuung begeben. Zwingen können wir niemanden. Der Weg ist eine klare und transparente Aufklärung, ein Ernstnehmen der Bedenken. In Meran waren es zuerst 60% der Ärzte, die sich haben impfen lassen, mittlerweile sind es 90%. In meiner Abteilung hat sich glaube ich 70% des Pflegepersonals inzwischen auch impfen lassen.
Bei Krebspatienten (und nicht nur) herrscht eine große Verunsicherung: impfen ja oder nein.
Dr. Herbert Heidegger: Grundsätzlich gibt es eine definitive Impfempfehlung für Krebspatienten. Es stimmt, dass an den Zulassungsstudien nur wenige Krebspatienten teilgenommen haben, aber mittlerweile liegen doch bessere Zahlen vor. Alle Fachgesellschaften, ich sage alle, sind sich einig, dass onkologische und damit auch immungeschwächte Patienten zu impfen sind. Und zwar so bald wie möglich! Eventuell haben wir es bei dieser Kategorie von immungeschwächten Patienten mit einer eingeschränkten Wirksamkeit des Impfstoffs zu tun, das würde bedeuten, dass man möglicherweise ein drittes Mal nachimpfen muss. Auf jeden Fall ist immer Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten. Nach meinem Dafürhalten hätte man chronisch Kranke und onkologische Patienten gleich nach den alten Menschen und dem Sanitätspersonal impfen sollen. Wir weisen immer darauf hin, dass onkologische Patienten absoluten Vorrang haben sollten. Impfen sollte man doch jene zuerst, die am gefährdetsten sind.
Spielt der Impfstoff eine Rolle?
Dr. Herbert Heidegger: Ich weiß, es gibt diese Diskussion, Pfizer – Astra Zeneca. Ich sage: Pfizer oder nicht Pfizer, man sollte nicht warten und sich so schnell wie möglich impfen lassen. Bei Astra Zeneca weichen die Daten nur wenig ab. Es gab anfangs das Problem, dass nur wenige ältere Menschen in den Testgruppen waren, aber das hat sich relativiert. In jedem Fall, und das sage ich für alle, die immer noch glauben, Covid auf die leichte Kappe nehmen zu können: Es zeigt sich längst, dass Covid-19 nicht nur eine Gefahr für ältere Menschen ist. Grundsätzlich gibt es auch viele junge Menschen, die sich infizieren – und auch zum Teil schwer daran erkranken. In meiner Abteilung hatten wir große Probleme mit den Schwangeren und ihren Partnern, die positiv waren. Über 50 Frauen waren bei der Entbindung positiv. Wir mussten auf der Wochenstation getrennte Bereiche einführen. Eine Riesen-Herausforderung für das gesamte Personal, die hervorragend bewältigt wurde.
Wie sieht es mit der Krebsvorsorge und der Diagnose von Krebserkrankungen aus?
Dr. Herbert Heidegger: Das ist ein Thema, dessen dramatische Auswirkungen sich in den nächsten Jahren noch zeigen wird. Auf den ersten Blick haben wir es mit einem massiven Rückgang an Krebsdiagnosen zu tun. Minus 40 Prozent und mehr!
Und das ist beileibe kein Anlass zur Freude…
Dr. Herbert Heidegger: Eben nicht! Eine dramatische Situation, die in einer Studie über gynäkologischen Tumore in Österreich belegt wurde, und die von Zahlen aus Nord-Italien, darunter auch Trient, mehr als bestätigt wird. 40% weniger Brustkrebsdiagnosen, minus 47% bei Prostatakrebs und im gleichen Range auch die Diagnosen von Dickdarmkrebs. Und diese Zahlen lassen sich mit Wahrscheinlichkeit auch auf Südtirol beziehen.
Ursache sind nicht wahrgenommene Vorsorge- und auch Nachsorgeuntersuchungen?
Dr. Herbert Heidegger: Genau. Auch bei uns spricht man von einem Rückgang von 50% an Mammographien und Dickdarmspiegelungen. Das ist dramatisch. Man geht davon aus, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren aus diesem Grund bis zu zehn Prozent mehr Todesfälle geben wird.
Und dieses Problem betrifft nicht nur Krebs, oder?
Dr. Herbert Heidegger: Nein, es gibt ja schließlich auch andere Erkrankungen! Es scheint stellenweise, als habe die Sanitätsdirektion derzeit nur die Covid-Pandemie auf dem Radar, dabei gibt es erhebliche Probleme in allen Fachgebieten.
Wie sieht es diesbezüglich auf Ihrer eigenen Abteilung aus?
Dr. Herbert Heidegger: Wir haben versucht, zumindest die Nachsorgeuntersuchungen aufrecht zu erhalten, es gab zum Teil Verschiebungen um zwei bis drei Wochen. Abgesehen von jenen Fällen, wo man beruhigt auch ein paar Monate zuwarten kann. Und wir sind gleichermaßen bemüht, die Vorsorgeuntersuchungen anzubieten. Allerdings, wenn sie jetzt beim CUP anrufen, landen sie sicher auf einer langen Warteliste. Wir haben den Hausärzten vermittelt, uns dringende Fälle direkt zu melden. Ich selbst kontaktiere immer wieder Frauen, die zur Nachsorge kommen müssen, wenn ich nichts von ihnen höre. Es herrscht große Angst und Verunsicherung.Ich kann nur betonen: Kommen Sie ins Krankenhaus! Machen sie die Vorsorgeuntersuchungen, warten sie nicht! Bei uns ist es sicher!