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Krebs - Reden wir darüber

Die Brunecker Krebsgespräche im Film – Drei Schicksale im Fokus
Wenn die Menschen nicht zu uns kommen können, gehen wir eben zu ihnen, dachten sich die Veranstalter der Brunecker Krebsgespräche. Und so wurde anstelle der vierten Ausgabe der Krebsgespräche am 5. Februar im RAI Sender Bozen „Krebs - Reden wir darüber“ übertragen.
Ein Film von Verena Duregger, Moderatorin der Brunecker Krebsgespräche und Regisseur
Stefan Ghedina.
Die Covid-Pandemie hat auch vor den Brunecker Krebsgesprächen nicht Halt gemacht. Nach drei erfolgreichen Veranstaltungen 2018, 2019 und 2020 und der Reihe, Krebs im Theater, sind die Brunecker Krebsgespräche während des Lockdowns flexibel auf ein anderes Medium umgestiegen. Anstelle der durch die Anti-Covid-Bestimmungen ausgefallenen Veranstaltung im Brunecker UFO gab es in diesem Jahr anlässlich des Weltkrebstages einen Film zu sehen. Ausgestrahlt im Rai Sender Bozen und dort herunterzuladen in der Mediathek.
Reden wir darüber: www.raisudtirol.rai.it/de/
Der Film ist ganz im Stil der Krebsgespräche. Tabus gibt es nicht. Die Krankheit Krebs und was sie mit den Menschen macht, wird offen angesprochen. Sensibel hat sich Verena Duregger ihren Gesprächspartnern angenähert, ebenso einfühlsam ist die Kameraführung von Regisseur Stefan Ghedina und Zak Mairhofer. Eine Reise durch Südtirol, vom Pustertal ins Vinschgau, eine Reise durch drei vom Krebs gezeichnete Leben und durch drei Lebensalter. Die junge Mutter von zwei Kindern, Evelyn Tasser ist 27, der sportliche Leopold Larcher 70 und Astrid Fleischmanns Mann, Georg Gerstl, ist vor elf Jahren im Alter von nur 44 Jahren gestorben. Drei ganz unterschiedliche Geschichten mit einem gemeinsamen Nenner: Krebs.
Die Dreharbeiten am Hof von Evelyn Tasser
Zu Wort kommen wie immer bei den Krebsgesprächen auch die Experten. Der Onkologe und Direktor des Brunecker Dayhospitals, Dr. Christoph Leitner, zusammen mit Verena Duregger und ihrem Mann Andreas Leiter einer der Gründer der Brunecker Krebsgespräche. Er beschreibt die Entstehung von Krebs, was die Krankheit bewirken kann und erklärt das Prinzip der Chemotherapie. Der Berliner Internist und Palliativmediziner Dr. Matthias Gockel spricht über das Tabu Krebs, warum es wichtig ist, ihm eine Bühne zu geben.
Dr. Lorenz Larcher, Facharzt für ästhetische, plastische und rekonstruktive Chirurgie, weist auf einen Aspekt hin, der ebenso wichtig für den Patienten ist wie die Therapie: Das Wiedererlangen eines positiven Körpergefühls dank der modernen Rekonstruktionstechniken, um mit der Krankheit abschließen zu können. Ihm kommt im Film eine Doppelrolle zu.
Leopold Larcher ist sein Vater. Im Behandlungszimmer ist er ihm Arzt. Vor der Tür wird er zum mitbetroffenen Sohn.
„Ich pack das.“ Das war die Reaktion von Evelyn Tasser. Sie hat gespürt, dass etwas mit ihr nicht stimmt und hat letztlich ihre Diagnose ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken. Nach dem Befund hat sie nicht weiter über das Thema nachdenken wollen, versucht, so normal wie möglich zu leben. „Ich habe mir gesagt, ich könnte auch morgen die Stiegn runterkugeln und nimmer da sein… mein Partner ist super, die Kinder sind bei ihm und auch bei den Großeltern bestens aufgehoben.“ Der Tumor und 13 Lymphknoten sind entfernt, nach der Chemo- und der Strahlentherapie hat sie sich für eine sichere Radikallösung entschlossen: die Mastektomie beider Brüste. Das Haareschneiden zu Beginn der Chemotherapie wurde zu einem Friseur-Spiel mit den Kindern. Dass Evelyn immer noch ohne Haare ist, merkt der Zuseher erst, wenn sie sich plötzlich die Langhaarperücke vom Kopf zieht. Auch das ein Tabu. Vor dem, was die Leute im Dorf denken, hatte sie mehr Angst als vor der Diagnose selbst. Auf Instagram hat sie gezielt nach jungen Frauen gesucht, die auch Krebs haben. Sie selbst möchte jungen Frauen in Südtirol ein Beispiel sein. Sie nennt den Krebs nie beim Namen. „Ich will ihn nicht in mein Herz hineinlassen.“
Filmstudio im Krankenhaus
Leopold Larcher ist Sportlehrer und Sommelier. Seine erste Szene im Film zeigt ihn draußen, im Wald, mit Rucksack und Fernglas. Bevor er im vergangenen Jahr seine Diagnose erhielt, fuhr er im Jahr 10.000 Km mit dem Rennrad. Er hat zwei sehr aggressive Tumore, an Knochen- und Prostata. „Man muss an sich glauben“, sagt Leopold Larcher, „muss fest entschlossen in Richtung Heilung gehen. Wie wenn ich auf das Stilfser Joch hinauffahre, da darf ich auch auf den letzten Metern das Ziel nicht aus den Augen verlieren.“ Er hatte Schwierigkeiten, die Krankheit anzunehmen, vor allem, weil er als Sportler immer sehr bewusst und gesund gelebt hat. Im Gegensatz zu Evelyn Tasser sind für ihn die Krankheit, die Folgen, der Ausgang - ein Thema, mit dem er sich durchaus und sehr intensiv auseinandersetzt. Leopold Larcher spricht sehr offen über seine Situation, auch das Problem mit der Männlichkeit und der Erotik, die durch die Therapien auf null reduziert werden. Als Sommelier ist er glücklich, dass Geschmack und Geruchssinn nicht beeinträchtigt wurden. Er ist Nationaler Verkostungstechniker und Kursdirektor sowie Mitglied einer DOC-Kommission. Heute sieht Leopold Larcher auch einen Vorteil in seiner Erkrankung: Man lerne, sich den Menschen anders zu nähern, leichter Zugang zu allen Menschen zu finden.
„Die Hoffnung ist das, was dich weiterbringt. Und wir haben Hoffnung gehabt, fast bis zum Schluss.“ Astrid Fleischmann hat lange um ihren Mann getrauert, bevor sie fähig war, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Mit 44 Jahren hat er die Diagnose, bösartiger Gehirntumor erhalten. „Georg war ein Kämpfer. Das packen wir!“, sagte er. Am Anfang ging es von einem Arzt, von einer Visite zur anderen, bis ein Onkologe in Innsbruck dem Paar sagte, „Lebt´s jeden Moment, jede Minute, die ihr habt.“ Wer nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung hat und diese damit verbringt, von Arzt zu Arzt und von Therapie zu Therapie zu gehen, der lebt nicht. Nach dem Tod ihres Mannes lag sie oft stundenlang auf dem Boden, weinte, war zornig, haderte. Der Gedanke an ihre Tochter, die mit Panikattacken auf die Trauer ihrer Mutter reagierte, half ihr wieder ins Leben zurück. Krankheit und Tod haben in unserer Gesellschaft keinen Platz, wir schieben das ganz weit weg, sagt sie. Heute arbeitet sie als psychosoziale Lebensberaterin und Trauerbegleiterin. Zum Schluss stellt der Film die Frage, was ist Krebs. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus. Evelyn Tasser will ihn nicht beim Namen nennen, für sie ist er ein ungebetener Gast. Für den Onkologen Christoph Leitner sind diese außer Kontrolle geratenen Zellen das Ergebnis von genetischer Veranlagung, Mutationen, ungesundem Lebensstil oder einfach Pech. Leopold Larcher sieht im Krebs eine Herausforderung, der es sich mit Sportsgeist zu stellen gilt. Für seinen Sohn und Arzt, Dr. Lorenz Larcher, „ist Krebs ein Thema, das alle angeht, eine omnipräsente, hinterfotzige Erkrankung.“ Für Astrid Fleischmann heute nurmehr „eine Krankheit. Punkt.“ Der Palliativmediziner Matthias Gockel hat das letzte Wort. Damit Krebs, der Tod an Schrecken verliert, darf man kein Tabu darüberlegen. „Reden wir darüber!“

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Alles wird gut

Erna Holzer hat sich während der Krebstherapie mit Covid infiziert
Mensch über 80 Jahre und Menschen mit einer oder mehreren Vorerkrankungen, wie z. B. Krebs, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen oder mit Risikofaktoren wie starkes Übergewicht, Rauchen. Hoher Blutdruck sind nicht nur empfänglicher für eine Infektion mit Covid-19, sondern riskieren auch schwerer Verläufe.Verena Duregger, Mitorganisatorin der Brunecker Krebsgespräche hat im Januar in der Wochenzeitung ff die Geschichte von Erna Holzer erzählt.
Erna Holzer hat Krebs. Mitten in der Tumorbehandlung hat sie sich mit dem Coronavirus infiziert. Eine Geschichte, die zeigt, wie oft man im Leben stark sein kann
Erna Holzer liegt unter dem Sauerstoffhelm auf ihrem Krankenbett und blickt in vermummte Gesichter. Eine Anästhesistin erklärt ihr, dass sie auf die Intensivstation verlegt werden muss. Es ist der 27. Oktober 2020 und Zeit, sich zu verabschieden. Holzer wählt die Telefonnummer ihrer Tochter. Sie freut sich auf das Enkelkind, sagt sie ihr, und dass sie kämpfen werde. Dabei ist sie so schrecklich müde.
Wie oft wäre es leichter, sich einfach aufzugeben?
Die ersten Schneeflocken des Winters fallen. Im Ofen knistert das Feuer. Erna Holzer sitzt am Tisch in ihrem Wohnzimmer in Pfalzen. Sie lebt alleine hier, ihr Mann ist nach einem Treppensturz vor 15 Jahren gestorben. Die Kinder besuchen sie oft. Im März wird ihr drittes Enkele zur Welt kommen. „Ich habe immer daran geglaubt, dass ich das noch erleben werde”, sagt sie. Ihre Stimme bricht für einen Moment. Dann fängt sie an zu erzählen. Wie sie vor sieben Jahren beim Hausarzt saß und drei Worte hörte, die endgültig klangen. „Es ist Krebs.” Fachbegriff multiples Myelom. Eine Krebserkrankung, die von den Plasmazellen des Knochenmarks, also vom Blutsystem, ausgeht. „Die Krankheit ist nicht heilbar”, sagte der Hämatologe bei der Visite in Bozen nur ein paar Tage später, „aber man kann gut damit leben”. Was würde das für ein Leben sein? „Ich konnte das in diesem Moment gar nicht alles aufnehmen, aber heute weiß ich, was er damit gemeint hat.”
Die initiale Chemotherapie verträgt die damals 60-Jährige gut. Auch die folgende autologe Stammzellentransplantation ihres eigenen Knochenmarks schlägt an (eigene Blutstammzellen, die von Tumorzellen gereinigt sind, Anm. d. Red.). Drei Wochen bleibt sie im Anschluss auf der Hämatologie, bis alle Nebenwirkungen und -erscheinungen im Griff sind. Ein paar Monate später wiederholen die Ärzte das Prozedere noch einmal.
Sechs Jahre lebt sie ein gutes Leben, wie sie später ihrem Arzt sagen wird, das drohende Damoklesschwert lässt sie hängen und beschließt, nicht allzu oft hinaufzublicken. Bis sie im August vor einem Jahr dieses altbekannte Gefühl beschleicht. „Hoppla, es fängt wieder an”, sagt sie, als würde sie über einen Gegenstand sprechen, den sie für einen Moment verlegt hat.
Am 26. Mal fährt die mittlerweile 67 Jahre alte Pustererin zur Chemotherapie ins Krankenhaus Bruneck und zur Strahlentherapie nach Bozen. Es ist die Vorbereitung zur erneuten Transplantation von Stammzellen. Aber wegen Covid-19 ist zunächst auf der Hämatologie kein Platz. Ende August dann ist es soweit. Dass die ersten Tage schlimm sind, das weiß sie bereits aus Erfahrung. Aber es wird und wird nicht besser. Ein Krankenhauskeim. Am 22. September, einen Monat später, wird sie entlassen. „Mehr schlecht als recht, aber die Betten fehlten an allen Ecken.” Anfang Oktober bekommt sie Fieber, die Entzündungswerte sind viel zu hoch. Blutvergiftung, zehn Tage Krankenhausaufenthalt. Kaum zurück in ihrer gemütlichen Wohnung zeigt das Fieberthermometer schon wieder an. Erna Holzer wird ins Krankenhaus eingeliefert. Sie hat sich mit dem Coronavirus infiziert und ist an Covid-19 erkrankt.
Eine Szene, die wir seit einem Jahr fast jeden Tag im Fernsehen sehen
Wie viele Schicksalsschläge hält ein Mensch aus?
„Wenn ein Patient gerade erst aus diesem Behandlungsmarathon kommt, mit einem nach unten gefahrenen Immunsystem, dann ist eine Infektion mit Covid-19 eine riesige Belastung für den Körper”, sagt die behandelnde Internistin. Die Folgen sind gravierend. Das Atmen fällt Erna Holzer schwer. Sie bekommt einen Sauerstoffhelm. Aber es geht von Tag zu Tag schlechter. In diesem Moment beginnt alles zu verschwimmen, aber an den Satz der Intensivmedizinerin erinnert sie sich, als hätte sie ihn gerade eben erst gehört: „Wir müssen Sie auf die Intensivstation nach Bozen verlegen.”
Eine derart geschwächte Patientin mit dieser Vorerkrankung zu intubieren, ist auch für Ärzte keine leichte Entscheidung. Aber Erna Holzer hat gezeigt, dass sie schon Schlimmeres überstanden hat. „Wir haben zum Glück eine Intensivversorgung auf hohem Niveau”, sagt die Internistin. Und zu dem Zeitpunkt auch noch genügend Kapazität. Sie sei nicht jemand, der schnell in Tränen ausbricht, aber als die Patientin kurz vor dem Intubieren ihre Tochter anruft, um sich von ihr zu verabschieden, für den Fall, dass sie nicht mehr aufwachen sollte, da hält es die Medizinerin im Raum nicht mehr aus. „So etwas vergisst man nicht mehr.”
Den Ort, an dem Erna Holzer die nächsten neun Tage verbringen wird, kennt sie nur von Bildern aus der Zeitung. Die behandelnden Ärzt*innen und Pfleger*innen reden ihr gut zu, richten Grüße der Familie aus, wird man ihr später erzählen. Was ist Traum? Was ist Wirklichkeit? Sie träumt, dass sie es nicht schafft zu sterben. Dass sie aus Schokoladenpapier kleine Knäuel formt und gegen die Wand schmeißt. Dass man ihr deshalb die Maschinen abstellen will. Zwei Tage sind besonders kritisch. 48 Stunden zwischen Leben und Tod. Die Ärzte ziehen alle Register, drehen Erna Holzer auf den Bauch, dann bringen sie sie wieder in Rückenlage.
Dann passiert das, was Covid-19 so schwer greifbar macht. So schnell die Krankheit den Körper außer Kraft setzt, so plötzlich kann sie nachlassen. Die Patientin ist über den Berg. Zwei Tage bleibt sie in Bozen, dann geht es auf die Reha-Abteilung in Bruneck. Die ersten Tage ist sie völlig auf die Hilfe der Krankenschwestern angewiesen, selbst ein Löffel wiegt schwer wie Blei. Alles fühlt sich zäh an. Zögerlich wagt sie kleine Schritte. Einen Moment aufrecht sitzen. Um ein Glas Wasser bitten. Die Fäuste ballen. Am 20. November fällt der Corona-Test zum ersten Mal negativ aus. Mittlerweile weiß Erna Holzer, dass sie ihre schwangere Tochter angesteckt hat. Zum Glück ist alles gut gelaufen.
Seit sieben Jahren ist Krebs ein mehr und weniger sichtbarer Begleiter in ihrem Leben. Dann kam Corona, und es war, als hätte sie in sieben Wochen noch einmal alles erleben müssen. Auf dem Tisch breitet Erna Holzer Arztbriefe aus. Sie versteht nicht alles, was darin steht. Aber es ist ein Halt, eine Zeit festzumachen, die nichts anderes ist als eine Lücke. Auf der Bank liegt eine Schuhschachtel voller Medikamente. Die Tumorbehandlung ist im Moment abgeschlossen. Nur die dünne Sauerstoffkanüle um den Hals und das pumpende Geräusch des Sauerstoffkanisters erinnern noch an die Folgen von Corona. „Bald werde ich das nicht mehr brauchen.”
Was war eigentlich ihr letzter Gedanke, bevor das Narkosemittel wirkte?
Erna Holzer lächelt. „Ich habe noch allerhand zu tun”, sagt sie und nimmt das Strickzeug in die Hand. Das Enkelkind wird Patschlan brauchen.
Wie oft kann man im Leben stark sein?
Sehr oft, sagt Erna Holzer.