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Der Zen-Chirurg

Dr. Michele Ciola, spezialisiert auf Pankreas-Chirurgie – Die Beziehung zum Patienten
Fotos: Othmar Seehauser
Er ist einfach nett. Ein warmes, offenes Lächeln. Bei der Begegnung mit neuen Patienten zieht Dr. Michele Ciola als erstes kurz die Maske vom Gesicht. Und er selbst möchte auch kurz das ganze Gesicht sehen. Dann spricht es sich besser. Dann kann eine auf Vertrauen basierende Beziehung aufgebaut werden. Zum Medizinstudium kam er, weil er etwas machen wollte, „was immer und überall nützlich ist“. Zur Chirurgie haben ihn Vorbilder entlang seines Weges gebracht. Dr. Michele Ciola ist ein auf Pankreaseingriffe spezialisierter Chirurg am Krankenhaus Bozen.
Vertrauen, Beziehung. Sie verwenden diese Begriffe sehr häufig…
Dr. Michele Ciola: Das Wichtigste bei unserer Arbeit ist, eine Beziehung zu den Patienten aufzubauen, egal ob es sich um eine medizinische oder eine chirurgische Behandlung handelt. Jeder Mensch mit einer Krankheit hat das Recht auf die bestmögliche Behandlung. Rundum.
Es gibt Vorurteile gegenüber Chirurgen. Sie seien kalt, zu technisch.
Dr. Michele Ciola: Für unsere Tätigkeit brauchen wir natürlich sehr spezifische technische Kenntnisse. Aber mit der Zeit kommt anderes dazu, mehr. Ebenso Wichtiges. Der Schwerpunkt verlagert sich. Die Technik lernt man, das andere ist Erfahrung.
Wie man Vertrauen aufbaut?
Dr. Michele Ciola: Genau. Vertrauen ist die Basis. Ich füge den Patienten schließlich Schmerz zu. Ohne Vertrauen geht das nicht.
Ein Prozess, der bei der ersten Visite beginnt?
Dr. Michele Ciola: Bei geplanten Visiten kläre ich am Vortag alles ab. Mache meine Hausaufgaben. Ich kontaktiere den Radiologen, den Pathologen, sammle alle notwendigen Daten und Informationen. Nur so kann ich mich bei der Besprechung ganz auf mein Gegenüber konzentrieren. Muss nicht während der Visite im Computer herumsuchen. Es entsteht kein peinliches, belastendes Schweigen. Wenn ich den Patienten sehe, habe ich schon einen Plan. Das vermittelt Sicherheit.
Sie beziehen die Familie mit ein?
Dr. Michele Ciola: Schon meine Professoren an der Uni sagten: Der Mensch braucht die Familie. Schließlich müssen schwere Entscheidungen getroffen werden. Zusammen. Soll ich alles versuchen oder nur das, was erfolgversprechend ist? Das muss geklärt und respektiert werden.
Zen-Chirurgie: Höchste Konzentration und Ruhe
Bei einem Patienten mit einem Pankreas-Tumor ist eine absolute Heilung nicht zu erwarten…
Dr. Michele Ciola: Ich spreche nie von Heilung mit meinen Patienten, ich spreche von Behandlung. Es gilt, die Erwartungen auf eine andere Ebene zu stellen. Operationen können gut ausgehen oder nicht. Dagegen muss ich mich abschotten können, ohne deshalb innere Mauern zu errichten. Wenn ein Patient nach zwei Jahren zur Nachsorge kommt und berichtet, dass er ein angenehmes Leben führen kann, ist das ein großer Erfolg. Für beide. Mein Ziel ist Leben verlängern, mit Würde und Lebensqualität! Nicht um jeden Preis.
Der Tod ist im Allgemeinen für einen Chirurgen eine konstante Präsenz und für ihr Fach im Besonderen.
Dr. Michele Ciola: Das stimmt, und wir Menschen müssen lernen, von Neuem lernen, mit dem Tod umzugehen. Er ist Teil des Lebens.
Wie gehen sie an den OP-Tisch?
Dr. Michele Ciola: Es kommt darauf an, ob es sich um einen geplanten Pankreas-Eingriff handelt oder um einen chirurgischen Notfall, ich mache ja auch das. Da ist oft Eile geboten. Ein Pankreas-Eingriff erfordert hingegen eine langsame, meditierende Chirurgie. Keinen Stress. Mein erster Primar sprach von Zen-Chirurgie.
Das ist ein hoher Anspruch. Sie machen auf ihr Gegenüber tatsächlich den Eindruck, als ruhten sie ganz in sich.
Dr. Michele Ciola (schmunzelt):
Das kann man lernen.
Wie tritt man den Angehörigen gegenüber, wenn ein Eingriff nicht glückt?
Dr. Michele Ciola: Ein Risiko besteht immer. Auch bei leichten Eingriffen und gerade deshalb ist es so wichtig, im Voraus offen zu sprechen. Auch mit der Familie. Bei onkologischen Patienten ist eine besondere Sensibilität erforderlich. Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse sind mit hohen Komplikationen behaftet. Weltweit ist das so. Eine Komplikation ist kein Misserfolg, kein Fehler, sondern eine Konsequenz. Das gilt es zu vermitteln. Dazu muss man stehen.
Und wenn Fehler passieren?
Dr. Michele Ciola: Fehler sind persönliche Reaktionen. Und um das zu vermeiden, muss ich im Voraus so viel wie möglich planen. Wie bei einer Reise: Flug, Transfer, Tickets, Hotel, Restaurants, Museumseintritte… Je besser ich plane, desto weniger Platz lasse ich dem Zufall. Dem Misserfolg. Und wenn ein Fehler eben doch passiert, dann muss man auch darüber offen reden, das mit den Angehörigen klären, erklären, welche Maßnahmen getroffen worden sind. Offenheit und Transparenz sind erstes Gebot!
Und auch „Humilitas“ - Demut?
Dr. Michele Ciola: Immer! Pankreasoperationen werden bei Tumoren durchgeführt, selten bei neuroendokrinen Läsionen oder Vorkrebsstadien. Es handelt sich um standardisierte, sehr große und sehr langwierige Operationen. Es hängt natürlich auch davon ab, ob die gesamte Bauchspeicheldrüse entfernt wird oder nur der Kopf oder nur der Schwanz. Pankreaskarzinome sind immer bösartig, da muss großräumig entfernt werden. Bei gutartigen Tumoren kann weniger invasiv vorgegangen werden.
Sie operieren in Laparoskopie?
Dr. Michele Ciola: Ja. Ich habe die minimal-invasive Pankreaschirurgie in Südtirol eingeführt. Der Vorteil ist, dass die Schnitte viel kleiner sind. Die Patienten haben weniger Schmerzen, sie erholen sich schneller. Der Chirurg steht noch am OP-Tisch, die Instrumente sind nur länger und er sieht, was er tut am Bildschirm.
Sie haben erst 2021 auch einen Master in Robot-Chirurgie abgelegt.
Dr. Michele Ciola: Da steht der Chirurg nicht mehr am Tisch, er sitzt an einer Konsole mit einem Joystick. Laparoskopische oder Robot-Eingriffe sind toll, aber wenn es zu einer Abweichung kommt, wenn Blutungen auftreten, dann sehe ich gar nichts mehr. Dann muss ich aufmachen. Die klassische Chirurgie ist und bleibt deshalb immer die Basis!
Wie viele Kollegen sind sie auf der Chirurgie am Krankenhaus Bozen?
Dr. Michele Ciola: Wir sind 17 Chirurgen. Tolle Kollegen und auch viele Frauen darunter. Die Chirurgie ist längst keine Männerdomäne mehr. Sechs meiner Kolleginnen haben Kinder! Auf der Abteilung ist ein Generationenwechsel im Gang. Die Notfallchirurgie beherrschen wir alle, dann gibt es spezifische Arbeitsgruppen für die onkologische chirurgische Betreuung: Brust, Schilddrüse, Magen, Dick- und Mastdarm, Leber-Gallenwege und Bauchspeicheldrüse.
Für Pankreastumore gibt es keine ­Vorsorge…
Dr. Michele Ciola: Nein und auch die Prävention ist sehr schwierig. Es gibt keine Marker, keine Breitband-Maßnahmen für eine Früherkennung. Allerdings werden heute Untersuchungen wie CT oder Magnetresonanz immer häufiger durchgeführt und damit steigt auch die Zahl der Zufallsbefunde. Wir nehmen im Augenblick jährlich rund 30 Pankreasresektionen in Bozen vor, Tendenz steigend.
Die Risikofaktoren sind dieselben wie bei anderen Krebsarten?
Dr. Michele Ciola: Der Lebensstil spielt auch hier eine große Rolle. Rauchen, Alkohol, Übergewicht, Bewegungsmangel, aber es gibt auch genetische Faktoren. Außerdem wird die Bevölkerung immer älter und der Pankreaskrebs betrifft im Durchschnitt Menschen über 70, manchmal auch ab 40 aufwärts. Unter 40 ist er äußerst selten.
Symptome?
Dr. Michele Ciola: Meistens wenn es zu spät ist. Unspezifische Symptome wie Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit oder Gewichtsverlust. Bei Symptomen sind die meisten Fälle potentiell nicht mehr behandelbar. Neben der Chirurgie ist die chemotherapische Behandlung sehr wirkungsvoll, vor allem die neoadjuvante Chemotherapie vor dem Eingriff wird immer relevanter, manchmal auch in Kombination mit einer Strahlentherapie. In den letzten zehn Jahren hat sich die Lebenserwartung unserer Patienten verdoppelt. Die gezielte Therapie mit genetischer Immuntherapie ist im Kommen und sehr vielversprechend.
Michele Ciola privat?
Dr. Michele Ciola: Ich bin verheiratet, habe drei Kinder im Alter von 10, 12 und 14. Jahrgang 1974. Die Freizeit eines Chirurgen ist eher knapp bemessen und ich teile sie zum größten Teil mit meiner Familie. Aber ich brauche auch Freiräume. Die Musik zum Beispiel. Ich spiele Schlagzeug in der Grieser Bürgerkapelle. Und da bin ich nicht der Doktor, sondern der Michele, der aufgrund seiner Turnus-Arbeitszeit nicht ganz so zuverlässig ist… Dann natürlich Sport, mittlerweile ein wenig von allem: Joggen, Rennrad, Ski, Eislaufen. Sportvereinsleben. Ja und einmal im Jahr nehme ich mir zwei Wochen Urlaub, um in einem anderen Krankenhaus zu hospitieren. Das ist mir sehr wichtig. Lernen, sich mit Kollegen austauschen.
Dr. Michele Ciola (2. v. re.) mit einigen seiner KollegInnen und dem Primar der Chirurgie Bozen, Dr. Antonio Frena (3. v. li.)
LETZTE MELDUNG
Dr. Luca Tondulli von der Uniklinik Verona ist seit 1. Dezember der neue Primar der Abteilung Onkologie am Krankenhaus Bozen. Er folgt auf Dr. Carlo Carnaghi, Primar von 2018 – 2020.

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Die Kunst der Fürsorge

Der XLV Nationale HNO Kongress in Bozen. Die Begegnung von Wissenschaft und Humanitas
Foto: Othmar Seehauser
Vom 14. bis 15. Oktober fand in Bozen nicht nur zum ersten Mal der Nationale Kongress der Italienischen Vereinigung der Krankenhaus-HNO-Ärzte statt, es handelte sich wahrscheinlich auch um den originellsten in seiner langen Geschichte. Initiator und Präsident war der Primar der HNO-Abteilung des Bozner Krankenhauses, Dr. Luca Calabrese. Der Kongress richtete sich in besonderem Maß an junge Ärzte, die gerade ihre Facharztausbildung abgeschlossen haben, und wurde in interaktiver Form abgehalten. Die Hälfte des zweiten Tages war einem multidisziplinären Festival vorbehalten, das mit einem musikalischen Leckerbissen endete: Ein Konzert mit einem berühmten Patienten, dem Violinisten Alessandro Quarta.
In Vorbereitung auf den Kongress waren die jungen italienischen HNO-Fachärzte gebeten, die 12 interessantesten Themen aus einer Liste zu wählen. Nach der Eröffnung des Kongresses wurden gemischte Arbeitsgruppen, bestehend aus jungen Ärzten und erfahrenen Experten zusammengestellt. Den jungen Ärzten oblag die Aufgabe, neueste wissenschaftliche Veröffentlichungen zu präsentieren, die erfahrenen, älteren Ärzte sollten sie hingegen interpretieren. Ein ausgewählter Opinion-Leader aus jeder Gruppe formulierte eine abschließende Message als Ergebnis für alle. Interaktiv also und unter Ausnutzung der unterschiedlichen Fähigkeiten der Teilnehmer. Dr. Calabrese: "Die Frische und das Lerntempo der jungen Menschen und die langjährige best practice der Experten". Die jungen Ärzte konnten Videos von chirurgischen Eingriffen einreichen. Die drei Besten wurden vom Südtiroler Sanitätsbetrieb prämiert mit der Teilnahme an einem von Dr. Luca Calabrese geleiteten Chirurgiekurs.
Primar Dr. Luca Calabrese, eröffnet den XLV Nationalen Kongress der Italienischen Vereinigung der Krankenhaus-HNO-Ärzte
Die Hälfte des zweiten Tages war den Themen Fragilität und Pflege, Krankheit als Mehrwert gewidmet. "Fragilität nicht als Defizit, als etwas, dessen man sich schämen muss, sondern als Beginn eines neuen Lebensweges. Das Ziel war, die Verflechtung von wissenschaftlichen und humanitären Themen aufzuzeigen", erklärt Kongress-Präsident Dr. Calabrese. "MEDICAL HUMANITIES: DIE KUNST DER PFLEGE", so der Titel der Veranstaltung, zielte auf eine Begegnung zwischen den Humanwissenschaften und der medizinischen Praxis ab. Ein Parcours, der sich um das Thema der Verletzlichkeit als unausweichliche Eigenschaft des Menschen und um Geschichten von Krankheit drehte. Vorträge, eine Fotoausstellung und Konzerte ermöglichten die Begegnung mit Menschen, die ihre eigene Zerbrechlichkeit als Ressource zu nutzen wissen. Die Erfahrung von Krankheit und Heilung als überraschende Wiedergeburt persönlicher und beruflicher Biographien und übertragen in eine "Kultur des Lebens".
Narben, die Teil des Ich werden
Großformatige Fotografien von Narben in Präsenz der direkt Betroffenen, Informationen über gesunde Ernährungsweisen, die Verkostung von "Samt-Rezepten" aus der Küche von Chefkoch Hubert Hintner, köstlich nicht nur für Menschen mit Dysphagie. Emotionale Aspekte, Pflege- und Lebensgeschichten, Geschichten von Integration, Begegnungen mit den vielen anwesenden Vereinigungen, die sich "fragiler" Menschen annehmen, hörgeschädigte Kinder, Autisten, Krebspatienten usw. Musik, Essen, Austausch und ein runder Tisch mit Politikern, Ärzten, Vertretern der Stadt Bozen und der Universität. Den Höhepunkt bildete eine lectio magistralis der Philosophin Luigina Mortari über eine Politik der Fürsorge. Und zum Abschluss ein besonderes Geschenk: Das Konzert eines berühmten Ex-Patienten, des Violinisten Alessandro Quarta.
Die Philosophin Luiginia Mortari