Eine gute Nachricht für ein paar hundert SüdtirolerInnen, die eine Mutationen der Gene BRCA1 und BRCA2 aufweisen. Bisher mussten sie sich ihre periodischen klinisch-instrumentellen und labortechnischen Früherkennungs-Untersuchungen selbst organisieren und auch die Kosten dafür tragen. Im April ist eine Kostenbefreiung in Kraft getreten, ein spezifisches BRCA-Ambulatorium soll in Kürze in Betrieb genommen werden.
Die BRCA1- und BRCA2-Gene spielen normalerweise eine wichtige Rolle bei den DNA-Reparaturmechanismen und tragen dazu bei, die Entstehung von Krebs zu verhindern. TrägerInnen einer Mutation in einem dieser Gene haben jedoch ein höheres Risiko, an Brust-, Eierstock-, Eileiter-, Prostata- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie Melanomen zu erkranken, und sollten sich regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen unterziehen, u. a. einer jährlichen beidseitigen Magnetresonanz der Brust und einer Mammographie, unerlässlich für eine angemessene Prävention von BRCA-bedingten Krebserkrankungen, d. h. für die Diagnose dieser Krebsarten in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung. Die Durchführung dieser Untersuchungen erfordert jedoch nicht nur Zeit und Konstanz, sondern ist auch mit großen Ängsten verbunden, verursacht großen emotionalen Stress und ist darüber hinaus teuer. In Südtirol mussten diese Kosten bisher noch von den Betroffenen selbst getragen werden. Ein im April in Kraft getretener Beschluss der Landesregierung vom November 2022, sieht nun die Kostenübernahme von Seiten des Sanitätsbetriebs vor.
In den letzten Jahren ist es der wissenschaftlichen Forschung gelungen, eine immer größere Zahl von Genen zu identifizieren, die, wenn sie mutiert sind, Tumore verursachen können. Zu den bekanntesten und am häufigsten mutierten Genen zählen BRCA1 und BRCA2 bei erblichen Formen von Brust- und Eierstockkrebs: Mutationen dieser Gene bedingen bei Frauen ein Brustkrebsrisiko von etwa 70 % (in der weiblichen Allgemein-Bevölkerung liegt dieses Risiko bei 12 %), bei Männern beträgt das Risiko bis zu etwa 9 % (ohne Mutation liegt es bei nur 0,1 %); das Risiko für Eierstockkrebs liegt bei Mutationen des BRCA1- bzw. BRCA2-Gens bei 44 % bzw. 17 %, gegenüber einem Risiko i von 1 % bzw. 2 % bei nicht mutierten Personen.
Heute wird Krebspatienten, die in relativ jungem Alter an einem BRCA-bedingten Tumor erkranken und/oder bei denen es in der Familie eine signifikante Häufung dieser Tumore gibt, ein kostenloser Gentest angeboten. Falls eine BRCA1 oder BRCA2 Mutation gefunden wird, werden auch die weiblichen und männlichen Verwandten in direkter Linie zu einem Informationsgespräch eingeladen, um zu entscheiden, ob ein Gen-Test durchgeführt werden soll und um sie über die erforderlichen Vorsorgemaßnahmen zu informieren. Die Tests werden frühestens ab Erreichen der Volljährigkeit durchgeführt. Normalerweise beginnt das Vorsorgeprogramm aber bei Frauen im Alter von 24-25 Jahren, bei Männern im Alter von 35 Jahren. Der richtige Zeitpunkt auch für das Informationsgespräch. Zuständig dafür ist der „Genetische Beratungsdienst“, der auch als „Koordinationsstelle für Seltene Krankheiten“ der Provinz Bozen fungiert, und unter der Leitung von Dr. Francesco Benedicenti steht.
Bei diesem ersten Gespräch", so Benedicenti, "wird der Test nie durchgeführt. Der onkogenetische Beratungsprozess für einen möglichen prädiktiven Gentest umfasst mehrere Treffen, bei denen neben dem Genetiker auch ein Onkopsychologe anwesend ist. Ersterer erklärt die Bedeutung der Mutation, die Auswirkungen der Durchführung oder Nichtdurchführung des Gentests sowie Abwicklung und Bedeutung der onkologischen Überwachung, auch wenn der Test nicht durchgeführt wird. Der Psycho-Onkologe hingegen versucht, die psychologischen Ressourcen zu verstehen, über die die betroffene Person verfügt, um mit einem eventuell positiven Test-Ergebnis umzugehen, und unterstützt sie psychologisch in ihrem Entscheidungsprozess. Die Person erhält dann die notwendige Zeit, mindestens einen Monat ab dem ersten Gespräch, um ihre Entscheidung zu treffen. Sowohl der Genetiker als auch der Psychologe stehen für weitere Gespräche und Klärungen zur Verfügung. "Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung", sagt Dr. Benedicenti, "wichtig ist, dass die Entscheidung immer frei und informiert getroffen wird!"
Die Genmutationen BRCA1 und BRCA2 gerieten erstmals in die öffentliche Diskussion, als sich die Schauspielerin Angelina Jolie, die ihre Mutter im Alter von nur 56 Jahren an Brustkrebs verlor, 2013 einer beidseitigen Mastektomie und 2014 der Entfernung ihrer Eierstöcke unterzog. Eine extreme Entscheidung für zwei sehr invasive Eingriffe. Diese Operationen verringern das Risiko von Brust-, Eierstock- und Eileiterkrebs erheblich. Sorgfältige und regelmäßige Untersuchungen sind durchaus eine Alternative zur Mastektomie. Es hängt aber davon ab, wie eine betroffene Person damit leben kann. Früh erkannt, hat Brustkrebs mit einer gezielten Behandlung jedenfalls sehr gute Heilungschancen.
Bei Trägerinnen der Mutation werden folgende Vorsorge-Untersuchungen ab dem 25. Lebensjahr empfohlen: einmal jährlich eine Brustuntersuchung, ein Brustultraschall, eine beidseitiges Brust-Magnetresonanz. Ab dem 30. Lebensjahr die Bestimmung des Tumormarkers CA125 sowie ein transvaginaler Ultraschall alle sechs Monate und schließlich ab 35 jährliche Mammographie. Bei Männern ist ab dem 35. Lebensjahr eine jährliche Brustuntersuchung empfohlen und nur bei Vorliegen verdächtiger Elemente auch Ultraschall und eventuell Mammographie; ab dem 40. Lebensjahr sind auch bei ihnen instrumentelle Untersuchungen (Ultraschall und Magnetresonanz) empfohlen. Bei positiver Familienanamnese von Bauchspeicheldrüsenkrebs und Melanom ist eine Überwachung auf diese Tumore ebenfalls angezeigt, bei einer BRCA2-Genmutation ist die Überwachung auf Melanom auch ohne Familienanamnese ratsam.
Zudem ist geplant, in der onkologischen Abteilung des Bozner Krankenhauses eine spezielle multidisziplinäre Ambulanz für Personen mit Mutationen in einem der BRCA-Gene einzurichten, in der mutierte Personen betreut werden und die onkologische Überwachung und Terminplanung für sie organisiert wird. PatientInnen, die bereits eine BRCA-bedingte Tumorpathologie entwickelt haben, können sich auf Wunsch an diese Ambulanz wenden oder aber weiter von dem Chirurgen, Gynäkologen oder Onkologen, bei dem sie bereits behandelt wurden, betreut werden.
Im Laufe der nächsten Jahre sollen alle Personen, von denen bereits bekannt ist, dass sie Träger sind, sowie diejenigen, die Jahr für Jahr hinzukommen werden, vom Genetischen Beratungsdienst für die Kostenbefreiung D 99 kontaktiert und erfasst werden. „Auf diese Weise", erklärt der Leiter des Dienstes, Dr. Benedicenti,„können wir nicht nur eine bessere Gesundheitsversorgung für diese Personen gewährleisten, sondern auch lokale epidemiologische Daten über die Prävalenz der BRCA1- und BRCA2-Genmutationen und ihre geografische Verteilung erhalten, wichtige Informationen für eine optimale Planung des Gesundheitsdienstes. Die Gewährung der D99-Ausnahme liegt in der alleinigen Verantwortung unseres Genetischen Beratungsdienstes, um die Angemessenheit zu gewährleisten."
„Die Entscheidung für eine risikomindernde Operation", so der Leiter des Genetischen Beratungsdienstes weiter, „ist für Frauen mit Mutation eine Entscheidung, die mit einer erheblichen psychischen Belastung verbunden ist und nur am Ende eines multidisziplinären Weges getroffen werden kann, der neben der Unterstützung durch den Psychologen auch die Beratung durch den Genetiker, den Onkologen, den Gynäkologen, den plastischen Chirurgen, den Onkologen usw. einschließt."
Benedicenti betont, dass die onkologische Überwachung eine Alternative zur bilateralen Mastektomie darstellt, während die Entfernung beider Eierstöcke und Eileiter trotz ihrer einschneidenden Folgen, von den Ärzten empfohlen wird. „Zahlreiche Studien belegen, dass dieser Eingriff nicht nur das Erkrankungsrisiko senkt, sondern auch eine deutliche Verringerung der Sterblichkeit bringt und zudem, wenn vor der Menopause durchgeführt, auch eine Verringerung des Brustkrebsrisikos mit sich bringt." Trägerinnen der BRCA1-Genmutation wird dieser Eingriff bereits zwischen 35 und 40 Jahren, Trägerinnen der BRCA2-Genmutation zwischen 40 und 45 Jahren nahegelegt. Die Entfernung der Eierstöcke führt zum irreversiblen Verlust der spontanen Fruchtbarkeit und bedingt einen vorzeitigen und unmittelbaren Eintritt der Menopause mit allen damit verbundenen Nebenwirkungen und Risiken.
„Ich persönlich bin sehr froh", unterstreicht Dr. Benedicenti, "dass wir mit der Einführung der Kostenübernahme und der bevorstehenden Eröffnung eines spezifischen Ambulatoriums die Rechte der Trägerinnen der BRCA-Genmutation anerkennen und ihnen das Leben zumindest in Bezug auf die Organisation der Überwachung etwas erleichtern. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die BRCA-Gene nicht die einzigen sind, die, wenn sie mutiert sind, mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten verbunden sind. Mehrere andere Gene sind bereits bekannt und werden derzeit in der klinischen Praxis bei Verdacht auf erbliche Tumor-Erkrankungen getestet. Daher besteht die Hoffnung, dass die Betreuung und Kostenbefreiung bald auch auf TrägerInnen anderer Mutationen ausgedehnt werden kann.“