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Der Marathon ist gestartet

Mit Dr. Hubert Messner ist zum ersten Mal ein Arzt Landesrat für Gesundheit
FOTO: Othmar Seehauser
Fünf Jahre zuvor hatte er noch nein gesagt. Dr. Hubert Messner, Primar der Pädiatrie und Neonatologie am Krankenhaus Bozen war damals gerade in Pension gegangen und hatte andere Projekte als die Politik. Nach einer weiteren Anfrage, vor den letzten Landtagswahlen, erbat er sich sechs Monate Bedenkzeit. Allerdings hatte er da bereits seit zwei Jahren im Hintergrund als Berater fungiert, nachdem LH Arno Kompatscher das Ressort ad Interim übernommen hatte. Seit 1. Februar zieht nun er an den Fäden. Der erste Südtiroler Landesrat für Gesundheit, der vom Fach ist.
In seinem Wahlprogramm hatte Dr. Hubert Messner in elf Punkten formuliert, was seine Prioritäten sein werden, eine Mischung aus praktischer Erfahrung, gesundem Menschenverstand, Pragmatismus und Werten wie Beziehung, lösungsorientiert, Respekt und Empathie. Miteinander ist eines seiner Lieblingsworte.
Vom Krankenhaus, der Neugeborenen-Intensivstation in die Politik. Ein nicht ganz einfacher Schritt, oder?
LR Dr. Hubert Messner: Ganz und gar nicht. Auch wenn es ja nicht so direkt war. Ich war schon im Ruhestand seit 2018. Man hatte mich auch damals schon gefragt, aber da kam es für mich nicht in Frage, abgesehen davon, dass meine Frau nicht einverstanden war. Bei einer erneuten Anfrage im vergangenen Jahr habe ich mir aber auch Zeit mit der Antwort gelassen. Ich habe mich nie in der Politik, im Wahlkampf oder als Parteimitglied gesehen.
Eine Entscheidung, die möglich war durch die Distanz und vielleicht auch angesichts der Dinge, die in der Zwischenzeit passiert sind?
LR Dr. Hubert Messner: Ich denke schon. Ich konnte einen Abstand zum System entwickeln, eine gewisse Betriebsblindheit ablegen, auch wenn ich noch gute Kontakte habe. Heute habe ich einen anderen Blick, eine andere Verantwortung. Natürlich kenne ich die Baustellen nur zu gut und letztendlich war es die Aussicht, dazu beizutragen, das Südtiroler Gesundheitssystem aus einer gewissen Schieflage wieder aufzurichten, die sich vor allem durch die Pandemie noch verstärkt hat, die mich am Ende motiviert hat, diese Aufgabe anzugehen. Im Prinzip wäre es sinnvoll gewesen, mit der Gesundheit auch das Ressort für Soziales zu übernehmen. Aber das ist ein so weitgefasster Bereich, da hätte ich mich nicht zurechtgefunden und jetzt bin ich froh über die enge und sinnvolle Zusammenarbeit mit meiner Kollegin, der Landesrätin für Soziales, Rosmarie Pamer.
Baustelle ist ein Begriff, den sie oft verwenden und Baustellen gibt es effektiv viele. Da wird es nicht leicht sein, Prioritäten zu setzen?
LR Dr. Hubert Messner: In meinem Wahlprogramm hatte ich elf Prioritäten formuliert und effektiv sind es auch diese, die ich nun konkret angehe.
Sie kannten den Gesundheitsbetrieb von einer Seite, auch als ehemaliger Vorsitzender der Primare. Haben sich als sie ihr Amt übernommen haben und Zugang zu allen Bereichen, Unterlagen etc. bekommen haben, bestimmte Aha-Momente eingestellt, bedingt durch die andere, neue Perspektive?
LR Dr. Hubert Messner: Mehr als Aha-Momente waren es in der ersten Zeit wohl vor allem Hiobs-Botschaften, bei denen ich erst einmal schlucken musste! Verwaltungsbedingte, rechtliche Belange, Altlasten… Aber ich muss sagen, dass ich mich nun, nach vier Monaten, angekommen fühle und mehr noch, ich bin gestartet!
Was war im ersten Moment der kritischste Punkt?
LR Dr. Hubert Messner: Vielleicht, dass das ganze System zu sehr auseinandergedriftet war. Es fehlte das Bewusstsein eines Miteinanders, die gegenseitige Wertschätzung und die Möglichkeit oder auch der Wille über sein „eigenes Gartl“ hinauszuschauen. Und da bin ich bei meinem Mantra, bei den Werten. Miteinander Patienten- und Lösungs-orientiert arbeiten, Loyalität, Austausch, Kommunikation.
Zurück zu den Prioritäten…
LR Dr. Hubert Messner: Die erste ist eine wohnortnahe Betreuung. Das Südtiroler Gesundheitswesen war (und ist noch) zu krankenhauslastig. Und da reicht nicht nur eine Aufwertung, die territoriale Betreuung muss gestärkt und ausgebaut werden. Alle nicht akuten und chronische Krankheitsbilder müssen wohnortnah behandelbar sein, Allgemeinärzte und Kinderärzte müssen mehr sein als nur „Verschreiber“. Mit einem Beschluss der Landesregierung haben wir da auch schon Nägel mit Köpfen gemacht. Wir fördern die Gründung von Gemeinschaftspraxen und damit auch eine zeitlich ausgedehnte Betreuung, auch am Wochenende. Wir finanzieren mit bis zu 50 Prozent die Anschaffung von diagnostischen Geräten, Ultraschall, Dermatoskop, Holter usw. Wir haben mit dem Bau von zehn neuen Sprengelhäusern begonnen, verteilt über ganz Südtirol. In Bozen, im Unterland, Bruneck usw. Hier werden Gesundheit und Soziales Seite an Seite, miteinander arbeiten.
Sie haben sich ein Bild der derzeitigen Versorgungslage gemacht?
LR Dr. Hubert Messner: Ich war in ganz Südtirol unterwegs. Habe dabei auch feststellen können, dass es mitunter in den größeren und großen Zentren, den Städten fast schlechter bestellt ist, als in den kleinen. Vielleicht auch wegen der Nähe zu den Krankenhäusern.
Stichwort Krankenhäuser. Immer wieder, nicht zuletzt auch während der überaus angeregten Diskussion im Rahmen der letzten Krebsgespräche in Bruneck, wird die mangelnde Kommunikation und Vernetzung beanstandet. Nicht nur zwischen den Krankenhäusern, auch von Abteilung zu Abteilung.
LR Dr. Hubert Messner: Mein Grundsatz ist, Südtirol hat ein Krankenhaus mit sieben Standorten! Wir müssen uns gut vernetzen, verbindlich zusammenarbeiten. Ich wiederhole mich, aber hier kommen wieder Werte ins Spiel, wie Respekt, Miteinander, lösungsorientiert arbeiten. Jeder ist an seinem Platz ein wichtiger Teil, trägt seinen wichtigen Anteil bei, egal ob in Bozen, Innichen, Brixen oder Schlanders. Im Rahmen des Tumorboards funktioniert das ja bereits sehr gut. Die Vernetzung ist unabdinglich!
Die Basis eines gut funktionierenden Gesundheitssystems sind die Menschen. Der Gesundheitssektor ist mit einem empfindlichen Mangel an Arbeitskräften konfrontiert. Mediziner, Pflegekräfte, Therapeuten…
LR Dr. Hubert Messner: Die kleinen Krankenhäuser bis auf Schlanders sind noch recht gut bestückt, aber ja, wir müssen unsere Leute in Südtirol behalten und Kräfte von außen nach Südtirol bringen. Auch hier sind wir schon am Ball und haben einen aktiven Recruiting-Plan für Mediziner und Pflegekräfte aktiviert. Die 23 Personen, die in Pension gegangen sind, konnten wir bereits ersetzen. Wir müssen aber an unserer Attraktivität arbeiten. Dafür haben wir jetzt eine einheitliche Anlaufstelle geschaffen. Alle erforderlichen Infos an einem Ort, Vermittlung von Wohnung, Infos über erforderliche Unterlagen, Karriere, Gehalt, Kinderbetreuung, Beschäftigungsmöglichkeiten für Partner. Wir vermitteln nicht nur (zumindest übergangsweise) Wohnraum, wir schaffen auch selber neuen Wohnraum. Wir bieten an der Arbeitsstelle - und zudem vergütet - Sprachkurse an. Und vieles andere mehr. All dies erhöht die Attraktivität. Aber natürlich. Es ist kein hundert Meter Lauf, bei dem man sofort das Ergebnis sieht. Ich bin ein Marathonläufer und weiß aus Erfahrung, nach 30 km kommt eine Krise, aber dann geht es weiter und ich komme am Ende ins Ziel.
All diese Dinge sind mit Kosten verbunden. Das Sanitätswesen ist insgesamt ein kostenintensives Ressort, Infrastrukturen, Apparate, Dienste, Personal. Die Demographie spielt eine große Rolle, die Menschen werden älter und kosten mehr, neue Therapien greifen besser, sind aber wesentlich teurer als die herkömmliche Chemotherapie (wenn wir im Bereich Krebs bleiben). Wie sehen sie das?
LR Dr. Hubert Messner: Es ist nicht zu leugnen, dass gerade auch in der Krebstherapie die Kosten in den letzten Jahren explodiert sind. Individuelle Immuntherapie, biologische zielgerichtete Therapien, Car-T-Therapie, die Immun-, Zell- und Gentherapie vereint, das alles ist zweifelslos sehr teuer. Aber wir denken zu allererst an den Patienten, dem es besser geht, der weniger Begleiterscheinungen hat, der bessere Heilungschancen hat. Da darf man nicht kurzsichtig sein. Jeder hat das Recht auf eine optimale Therapie und am Ende relativieren sich die Kosten: kürzere Krankenhausaufenthalte, weniger Probleme durch Nebenwirkungen, ein besseres Allgemeinbefinden.
Wenn wir bei den Krebserkrankungen sind – aber das gilt auch für Herz- und Kreislauferkrankungen, für Diabetes und andere Stoffwechselerkrankungen – statistisch gesehen, sind rund 50 Prozent der Erkrankungen selbstgemacht. Das heißt, bei Einhaltung eines gesunden Lebensstils, Verzicht auf zu viel Alkohol, Rauchen, Vermeidung von Übergewicht, regelmäßiger Bewegung und nicht zuletzt auch einer regelmäßigen Teilnahme an den Screening-Angeboten, würden viele Menschen erst gar nicht erkranken. Muss man die Bürger zu mehr Gesundheitsbewusstsein erziehen? Zu einer aktiven Gesundheitsvorsorge anstelle einer passiven Versorgung?
LR Dr. Hubert Messner: Eine gute Frage! Natürlich sind viele Erkrankungen auch altersbedingt und wir haben es einfach mit einer immer älterwerdenden Gesellschaft zu tun, aber richtig, die Vorsorge ist ein wichtiges Wort. Mein Ressort heißt deshalb auch nicht mehr Ressort für Gesundheit, sondern Ressort für Gesundheitsvorsorge. Dank Prävention ließen sich viele Krankheiten vermeiden. Wir werden die Informationskampagnen intensivieren, damit die Menschen ihre guten Vorsätze am Ende auch einlösen und nicht wie nach Silvester nach einer Woche vergessen.
Sie haben viele Eisen im Feuer, sind einen herausfordernden Marathon angetreten. Eine der Prioritäten ihres Programmes betrifft indirekt auch sie selbst. Aktives Altern fördern. Lässt ihr neuer Job genügend Zeit für sie selbst?
LR Dr. Hubert Messner: Ich bin nicht mehr 20 und auch nicht mehr 50. Das stimmt. Ich bin 70 und das erfordert mir selbst eine Achtsamkeit mir gegenüber ab. Ich lasse mich nicht mehr vor jeden Karren spannen und muss auch nicht überall dabei sein. Nehme mir Zeit für meine Frau, die Familie. Aber sicher, ich habe weniger Zeit für Sport als vorher und regelmäßige Bewegung ist das Um und Auf für aktives Altern. Aktives Altern heißt für mich, die Verbesserung der Möglichkeit, mit zunehmendem Alter die Gesundheit zu wahren, die Lebensqualität zu verbessern und damit ein besseres und autonomes Leben zu führen.

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Es ist nicht leicht auszusteigen

Nach 40 Jahren in der Abteilung für Gastroenterologie ist Dr. Michele Comberlato in den Ruhestand getreten
FOTO: Othmar Seehauser
Vierzig Jahre in der Abteilung für Gastroenterologie, die letzten dreieinhalb Jahre als Primar. Ein ganzes Leben im Krankenhaus. Es ist nicht leicht, von einem Tag auf den anderen alles hinter sich zu lassen, vor allem, wenn man sich immer am richtigen Platz gefühlt hat, überzeugt, vom Glück begünstigt zu sein und zudem Tag für Tag seine Kompetenzen erweitern zu können. Dr. Michele Comberlato war immer mit Begeisterung Arzt, auch in schwierigen Zeiten. Seit März ist er im Ruhestand.
Nach vierzig Jahren von einem Tag auf den anderen aufzuhören, geht das?
Dr. Michele Comberlato: Ich muss zugeben, dass ich mir den Abschied leichter vorgestellt hatte, in den ersten Monaten war es nicht leicht. Keine täglichen Besprechungen mehr, kein Austausch mit Kollegen, Ärzten, dem Pflegedienst, mit dem gesamten Personal der Abteilung oder mit den Patienten. Ich habe anfangs oft angerufen, um zu fragen, wie es bestimmten Patienten geht.
Was war für Sie in all diesen Jahren entscheidend?
Dr. Michele Comberlato: Abgesehen von der großen Chance, wie alle Kollegen meiner Generation, die Revolution miterlebt haben zu dürfen, die die Medizin in den letzten 20 Jahren völlig verändert hat, war für mich die Fürsorge entscheidend.
Sie meinen die Beziehung zu den Patienten?
Dr. Michele Comberlato: Ja. Ein Bereich, in dem ich mich fortlaufend fortgebildet habe, auch in England, wo eine besondere Kultur der Fürsorge gepflegt wird. Ich habe mein Verhalten im Laufe der Jahre geändert. Zum Besseren. Es ist mir immer leichtgefallen, auf Menschen zuzugehen. Ich spreche gerne mit Menschen, und ich habe immer viel mit meinen PatientInnen geredet. Mich um eine einfache Sprache bemüht. In England habe ich mir angewöhnt, mit Bleistift und Papier zu arbeiten, zu skizzieren. Zu zeigen, wie das Organ aussieht. Wie und wo der Eingriff verläuft, wo wir schneiden, wie die Nähte gesetzt werden. Wenn die PatientInnen sehen, können sie besser verstehen und haben weniger Angst.
Es ist nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, wenn man das Schlimmste mitteilen muss...
Dr. Michele Comberlato: Nein. Aber das gehört auch dazu. Du allein mit dem Patienten, der sich eine positive Botschaft erhofft, einen Hoffnungsschimmer... Aufrichtigkeit war mir immer das erste Gebot. Den Patienten ernst nehmen. Vermitteln, dass wir uns voll engagieren, auch wenn der Weg schwierig, sehr schwierig ist. Dass wir in jedem Fall etwas für ihn tun können.
Sie sprachen von der Revolution in der Medizin...
Dr. Michele Comberlato: In den letzten Jahren haben wir epochale, unglaubliche Veränderungen erlebt. Als ich nach dem Studium anfing zu arbeiten, hatten wir nur wenige Waffen zur Verfügung gegen einen sehr gefährlichen Feind. Heute ist das anders. Wir haben ein Arsenal an neuen Maschinen und Techniken, biotechnologische Medikamente... Wir können immer besser reagieren, und die PatientInnen leiden weniger, werden wieder gesund. Vor dreißig Jahren haben wir viele Schlachten verloren, wo wir heute Kriege gewinnen können!
Was geben Sie aus ihrer heutigen Sicht jungen Kollegen mit auf den Weg?
Dr. Michele Comberlato: Dass man trotz aller Schwierigkeiten immer ein klares Ziel vor Augen haben muss. Meine Generation hat am Morgen das Krankenhaus betreten, ohne zu wissen, wann sie es wieder verlassen würde. Heute haben sich die Dinge geändert. Aber noch immer gilt, wenn man nicht bereit ist, zurückzustecken, wird man nicht weit kommen. Man muss immer bereit sein, sich selbst aufs Spiel zu setzen, bereit sein, sich einzusetzen, auch wenn es Abend, Wochenende oder Feiertag ist.
Zahlt sich das am Ende aus?
Dr. Michele Comberlato: Und wie. Ich glaube, unser Beruf ist so reich an menschlicher und beruflicher Zufriedenheit wie kaum ein anderer. Man gibt viel, aber man bekommt auch viel. Ich gehe gerne in die Berge. Das ist wie ein harter, langer Aufstieg. Wenn man den Gipfel erreicht hat, spürt man nicht Müdigkeit, sondern eine immense Freude.
Und das alles fehlt jetzt? Das Adrenalin...?
Dr. Michele Comberlato: Die ersten drei Monate meines Ruhestandes habe ich ein paar persönliche Dinge geordnet und ins Gleichgewicht gebracht. Ich habe eine neue Lebensformel für mich gefunden. Ich arbeite auch ein wenig weiter, im privaten Sektor. Das ist natürlich anders als im Krankenhaus, ich bin jetzt hauptsächlich in der Prävention tätig. Früher habe ich einen frenetischen Rhythmus als die einzige Art zu leben angesehen, jetzt stelle ich fest, dass auch einfache Dinge befriedigend sein können und etwas Muße wohltuend ist.
Haben Sie jetzt begonnen, sich mit Dingen zu befassen, die sie vielleicht immer tun wollten, aber sie hatten nie die Zeit dafür? Neue Sportarten, neue Hobbies…?
Dr. Michele Comberlato: Nein. Auch wenn ich natürlich viel weniger Zeit zur Verfügung hatte, habe ich es doch geschafft, meine Interessen zu pflegen. Lesen, Sport, die Berge… Der Unterschied ist, dass ich jetzt alles mit mehr Ruhe angehen kann. Und ich pflege immer noch viele Beziehungen, die in den Jahren der Arbeit entstanden sind. Wenn ich zurückblicke, kommt es mir vor, als hätte ich gestern angefangen als Arzt zu haben. Was ich aus all diesen Jahren mitnehme, ist eine große innere Zufriedenheit, die Begeisterung für jeden Moment, auch für schwierige. Und das ist ein großer Schatz!