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Integratoren nur gezielt und unter Kontrolle einnehmen
Eine ausgewogene Ernährung versorgt den Organismus im Normalfall mit allem Notwendigem
FOTO: Aleksander Saks / Unsplash
Dr. Michael Kob: "Es kommt nicht nur darauf an was, sondern auch wie und wie viel wir essen
Dr. Michael Kob ist geschäftsführender Primar des Dienstes für Diätetik und klinische Ernährung. Der Dienst überwacht die klinische Ernährung im Krankenhaus, die Gemeinschaftsverpflegung in öffentlichen Einrichtungen, führt Informations-, Präventions- und Erziehungskampagnen durch und führt Diätberatung und -begleitung durch und begleitet Patienten mit Stoffwechsel- und Essstörungen sowie mit Mangelerscheinungen. Dr. Kob ist verantwortlich für die Rezeptrubrik der Chance.
Dr. Kob, wie beurteilen Sie das Ergebnis der amerikanischen Studie über die Frage der lebensverlängernden Wirkung von Multivitamin-Integratoren?
Dr. Michael Kob: Das Ergebnis überrascht mich nicht, wenn Sie das meinen. Allerdings sind Studien immer ein Durchschnittswert! Wobei auch klar zu sagen ist, dass wir hier vor allem von einem nicht ärztlich begleiteten Gebrauch dieser Integratoren reden. Es ist eines, ob ich auf eigene Faust irgendetwas einnehme, von dem ich mir einen bestimmten Nutzen erwarte oder ob ich etwas einnehme, das ein Arzt verschrieben hat, weil ein Mangel festgestellt wurde. Hauptkonsumenten dieser ohne ärztlichen Rat eingenommenen Integratoren sind Menschen, die „healthy“ eingestellt sind, unabhängig von einer Vorerkrankung. Menschen also, die sich und ihrem Körper etwas Gutes tun wollen. Der Großteil der Inhaltsstoffe dieser Integratoren sind Vitamine und Mineralsalze, Substanzen also, die wir eigentlich täglich zu uns nehmen…
Sie meinen, man muss sie sich nicht extra kaufen?
Dr. Michael Kob: Genau. Wenn ich ausgewogen und mit Maß esse, fünf Portionen täglich an Gemüse bzw. Obst der Saison, regelmäßig und in Maßen Hülsenfrüchte und Nüsse, Vollkorn-Getreide-Produkte, etwas Fisch, wenig Milchprodukte und Fleisch, bzw. mich ausgewogen vegetarisch oder vegan ernähre, dann hat mein Organismus eigentlich alles, was er zum guten Funktionieren braucht.
Der Griff zum Multivitaminprodukt ist zum Teil auch Jahreszeit bedingt. Im Herbst und Winter während der Erkältungszeit steigt die Nachfrage.
Dr. Michael Kob: Ja, weil man sich von Vitamin C oder Zink einen Schutz vor Schnupfen oder anderen Erkältungskrankheiten erwartet. Vitamin C ist generell in rohem Gemüse, in Kartoffeln, in Obst und natürlich in Zitrusfrüchten enthalten, die es zumal im Winter frisch geerntet zu kaufen gibt. Karotten sind ein Wintergemüse und voll Vitamin C. Mehr als einen tatsächlichen Schutz durch ein Vitamin-Präparat sehe ich hier einen Placebo-Effekt.
Enthalten Multivitamin-Integratoren grundsätzlich die Vitamine und Substanzen, die wir brauchen?
Dr. Michael Kob: Wenn die Einnahme von Integratoren mit einem Arzt abgesprochen ist, kann dieser gezielt bestimmte Produkte verschreiben oder empfehlen. Das Problem vieler dieser überall erhältlichen Multivitamin-Integratoren ist, dass sie oft zu viel enthalten, 20 bis 30 Substanzen, Vitamine, Salze usw. Manche Tabletten lösen sich auch nicht vollständig im Magen auf. Es ist besser, gezielt diejenigen Substanzen einzunehmen, an denen ein Mangel oder ein besonderer Bedarf festgestellt worden ist, wie z. B. Vitamin B12, Vitamin D oder Folsäure.
Sind wir uns generell zu wenig dessen bewusst, was wir mit der Ernährung zu uns nehmen?
Dr. Michael Kob: Ich glaube schon. Und nicht nur was, sondern auch wie und wieviel wir essen. In vielen Lebensmitteln sind z. B. Zucker und Fette enthalten. Es ist gut, wenn ich rein pflanzliche Öle esse, aber ich muss mir auch dessen bewusst sein, dass in Oliven- , Raps- und Leinsamenöl – nebenbei sehr zu empfehlen– oder Nüssen und Avocados zwar gesunde, ungesättigte Fette enthalten sind, aber auch gesunde Fette haben Kalorien. Tropische Fette hingegen, wie Kokosöl oder Palmöl, enthalten gesättigte Fette, die sich negativ auf Herz- und Kreislauf auswirken können.
Wir leben in einer stressgeprägten Zeit, die Menschen nehmen sich weniger Zeit zum Essen…
Dr. Michael Kob: … und auch zum Zubereiten der Mahlzeiten. Eines der großen Probleme unserer Zeit ist das sogenannte UPF, ultra processed food, also ultrahochverarbeitete Lebensmittel. Nahrungsmittel also, die einen sehr hohen Grad an industrieller Verarbeitung durchlaufen und eine Vielzahl von Zutaten wie Zusatzstoffe, künstliche Aromen, Salze oder auch Konservierungsmittel enthalten. Das fängt bei der Tiefkühlpizza und anderen Tiefkühlgerichten an, Fast Food, Snacks, Müsli- und Müsliriegel, Süßigkeiten, Gebäck und Kuchen, Chips, Fertigsaucen, Energydrinks, Sportgetränke, Wurstwaren, Fleischersatzprodukte… In England machen sie schon die Hälfte der Lebensmittel aus, bei uns sind sie im Kommen.
Was sind die negativen medizinischen Auswirkungen dieser UPF?
Dr. Michael Kob: Neben Übergewicht, weil sie sehr fetthaltig sind, können sie zu Hyperaktivität führen, zu Gemütsstörungen, zu Herzkrankheiten, Krebs, Diabetes Typ 2.
Es gibt noch eine andere Art der Integratoren, die problematisch sein können, wenn sie nicht mit einem Spezialisten abgesprochen sind. Proteinhaltige Produkte, die vor allem junge Männer gerne nehmen, um den Muskelaufbau zu pushen oder Personen, die abnehmen wollen. Kann das gefährlich sein?
Dr. Michael Kob: Zunächst: Wer sich ausgewogen ernährt, führt seinem Körper genug Proteine zu. Zu wenig Proteine sind ein Problem, aber ebenso zu viele, vor allem tierischer Natur. Das Zuviel an Proteinen wird über Niere und Leber ausgeschieden. Wer seinem Körper dauerhaft zu viel Protein zuführt, geht ein Risiko ein: Aminosäuren fördern z. B. das Zellwachstum und könnten bei übermäßigem Konsum zur Entstehung bestimmter Tumorerkrankungen führen. Zuviel Protein wird von den Nieren und der Leber ausgeschieden, auf Dauer können diese Organe geschädigt werden. Übergewichtige, die zu viel Protein zu sich nehmen, riskieren Diabetes. Selbst bei aktiven und LeistungsportlerInnen reicht die Eiweißzufuhr durch die normale Ernährung aus. Der zusätzliche Proteinbedarf zum Muskelaufbau kann über normale Lebensmittel, z. B. Hülsenfrüchte und Nüsse, Milchprodukte oder Fisch gedeckt werden. Viele der künstlichen Proteinprodukte, Milchshakes, Eiweißbrot oder Eiweiß-Pudding u. ä. m. fallen zudem wieder in die Kategorie der ultrahochverarbeiteten Lebensmittel und können auf Dauer dem Organismus schaden, abgesehen davon, dass diese Produkte teuer sind. Die italienische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt gesunden Erwachsenen eine tägliche Zufuhr von 0,9 Gramm Eiweiß je Kilogramm Körpergewicht, LeistungssportlerInnen brauchen zwischen 1,4 bis 2 g pro Kilogramm.