Aktuell

Wie ist das Leben schön!

Stefania Casarotto und ihre Geschichte von Krankheit, Glück und Zuneigung
Sie selbst hat sich spontan an die Krebshilfe gewandt – mit einer persönlichen Geschichte: ihre eigene, die ihrer Familie – und die ihres Hundes Mia. Stefania Casarotto arbeitet als Kinderkrankenpflegerin im Krankenhaus Meran. Im vergangenen Jahr erhielt sie die Diagnose Hodgkin-Lymphom im dritten Stadium. Überrascht war sie nicht: Ihre Mutter starb mit 35 Jahren an einem Lymphom, 2013 auch zwei ihrer Onkel – einer an einem Hodgkin-, der andere an einem Non-Hodgkin-Lymphom, 1987 erkrankte ihre damals 20jährige Schwester Valentina an einem Lymphom. Und schließlich, vor vier Jahren, auch Stefanias Rottweiler Mia.
Mit einem fröhlichen „Ciao, buongiorno!“ beginnt ihre Mail – eine Familiengeschichte voller Lymphome. Und bei diesem Ton bleibt es: leicht, fast heiter, getragen von Optimismus. Und doch auch durchzogen von einem wachen Bewusstsein dafür, dass es wohl mehr als nur ein Zufall ist, dass so viele Mitglieder einer Familie dieselbe Krankheitsgeschichte teilen. Eine Geschichte, die zum Teilen aufruft. Eine Geschichte, die Mut machen kann. Eher als ein Einzelfall, wirkt sie wie das Beispiel eines genetischen Defekts – der bis heute jedoch nicht nachgewiesen werden konnte.
Aber zurück zu Stefania: Sie war sieben, ihre Schwester Valentina fünf Jahre alt, als im Jahr 1982 ein Hodgkin-Lymphom „meine junge und wunderschöne Mama Rita“ aus dem Leben riss, nach acht Monaten Behandlung. Eine Zeitspanne, die der kleinen Stefania damals unendlich lang vorgekommen war.
Als im Rahmen eines Screenings zur Brustkrebsvorsorge „verdächtige Lymphknoten in der rechten Achselhöhle“ gefunden wurden, und die anschließende Biopsie ein Hodgkin-Lymphom im dritten Stadium ergab, war das für Stefania „weder ein Schock noch eine Überraschung“. Es war, als hätte sie es irgendwie geahnt. Ihre Schwester Valentina erkrankte mit 19 an einem ersten Hodgkin-Lymphom und anschließend dreimal an Brustkrebs – heute ist sie in vollständiger Remission. Stefania spricht offen, ohne Umschweife und ohne Zurückhaltung: „Ich habe nichts zu verbergen. Ich habe nie gedacht: Ich schaffe das nicht. Nicht ein einziger Moment des Zweifels.“ Was sie hingegen erlebt hat: eine neu entdeckte Nähe zu ihrer Schwester.
Die Chemotherapie und Immuntherapie hat sie im Sommer 2024 durchlebt– zeitgleich mit einem Rückfall ihrer Hündin Mia, die inzwischen chronisch onkologisch erkrankt ist.
„Meine Onkologin, Dr.in Katja San Nicolò, hat mir bestätigt, dass mein Tumor schon lange in meinem Körper gewachsen ist – und das hat mich dazu geführt zu glauben, dass mir meine Hündin mit ihrem Lymphom vielleicht etwas mitteilen wollte, eine Art Warnsignal, das ich nicht erkannt habe! Wir sind gemeinsam und tapfer diesen Weg durch das Lymphom gegangen. Wir haben die gleichen schwierigen Momente der Chemotherapie erlebt, dieselben Nebenwirkungen geteilt – wir waren uns so nah wie nie zuvor, wir sind geradezu symbiotisch zusammengewachsen.“
Ein Sommer, der zu großen Teilen auf dem Sofa verbracht wurde – gemeinsam mit Elena, der Tochter ihres Mannes Cristian, und – sofern es die weißen Blutkörperchen erlaubten – auch mit vielen FreundInnen. Die größte Überraschung – oder besser: die schönste Bestätigung – war für Stefania ihr Mann Cristian. „Ein Carabiniere mit starkem Charakter und einem sehr fürsorglichen Herzen. Er hat mich mehr verwöhnt als je zuvor.“ Wenn Stefania, die normalerweise sechs Mal pro Woche ins Fitnessstudio ging, sich wegen der Chemotherapie, dem Cortison, dem aufgedunsenen Gesicht, der Blässe und dem Haarverlust unattraktiv und unsicher fühlte, zeigte er ihr stets aufs Neue seine Liebe – und dass sie für ihn zu jeder Zeit „seine wunderschöne Frau“ geblieben ist.
Zuhause lief sie schon bald ohne Mütze herum, versteckte ihre Glatze nicht. Und als sie eines Abends beim Gassigehen die Kopfbedeckung vergessen hat – hat sie nie wieder eine getragen.
Auch in den sozialen Medien – auf Instagram und Facebook – teilte sie ihre Situation ganz offen. In der Überzeugung, dass diese Geschichte zu ihr gehört. Und dass sie, bei aller Schwere, im Grunde eine positive Geschichte ist – eine Geschichte voller Mut. Eine Geschichte auch von Glück: Glück einer Zufallsdiagnose in Abwesenheit von Symptomen, Glück, weil Stefania Casarotto die erste Patientin in Meran war, die nach einem neuen Behandlungsprotokoll therapiert wurde – einem Protokoll, das sich noch nicht im vierten Stadium der Zulassung befand, also noch nicht von der AIFA bestätigt und somit auch noch nicht allgemein zugänglich war (vgl. Interview mit Dr.in Katja San Nicolò, Anm. d. Red.).
Und schließlich ist es die Geschichte einer tiefgreifenden und positiven persönlichen Erfahrung: „Die Krankheit hat mich gelehrt, die kleinen Dinge des Lebens noch mehr zu schätzen. Sie hat mir gezeigt, wie sinnlos es ist, sich über Kleinigkeiten zu ärgern. Sie hat mir beigebracht, mich noch stärker auf das Wesentliche zu konzentrieren – vor allem auf die Menschen. Auf meine Lieben, auf die Familie, die Freunde. Und sie hat mir gezeigt, was für ein großes Glück ich habe – und wie schön mein Leben ist!“ Heute hat Stefania Casarotto wieder angefangen zu arbeiten. Die Therapien sind abgeschlossen, alle drei Monate stehen Kontrollen an, denen sie zuversichtlich entgegensieht und sie ist noch in Komplementärbehandlung. Sie steht wieder voll im Leben, aber doch ist es ein anderes, ein neu geschenktes und ein noch bewussteres Leben!

Aktuell

Weniger Nebenwirkungen!

Interview mit der Onko-Hämatologin Dr.in Katja Olga San Nicolò über eine neue HL- und NHL-Therapie
Die Hämato-Onkologin Dr. Katja Olga San Nicolò hat am Krankenhaus Meran Stefania Casarotto gemäß einer neuen, von der Deutschen Hodgkin Studiengruppe an der Uniklinik Köln entwickelten Therapie für maligne Erkrankungen des lymphatischen Systems behandelt, die im Frühsommer 2024 in der medizinisch-wissenschaftlichen Zeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht worden ist. Die Vorteile der neuen Therapie liegen nicht nur in einer noch besseren Wirksamkeit, sondern in einer wesentlich besseren Verträglichkeit.
Dr.in Katja San Nicolò hat ihre Facharztausbildung in Erlangen abgeschlossen, wo sie insgesamt zehn Jahre an der Uniklinik tätig war, seit 2018 ist sie Teil des onkologischen Teams am Krankenhaus Meran.
Zunächst vielleicht eine Begriffsklärung für Laien: der Unterschied zwischen Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphom?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Bei Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphomen liegt eine bösartige Veränderung der Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) vor. Sowohl das HL als auch das NHL können überall im Körper auftreten und Lymphknoten wie auch Organe wie Lunge, Leber, Knochenmark und Milz befallen. Beim HL können im Gewebe sogenannte Reed-Sternberg-Riesenzellen nachgewiesen werden, bei NHL gibt es diese nicht.
Macht es einen Unterschied in der Schwere der Erkrankung, also in Bezug auf die Heilbarkeit dieser Lymphome?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Das Hodgkin Lymphom ist eine prinzipiell sehr gut heilbare Erkrankung. Die NHL sind eine bunte Gruppe an Lymphomen, die nur teilweise gut heilbar sind.
Die neue Therapie, die sie bei ihrer Patientin Stefania Casarotto anwenden konnten, macht keinen Unterschied in der bereits sehr guten Wirksamkeit zur Standardtherapie, aber sie verbessert die Verträglichkeit?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Die Studie, die im Lancet 2024 erschienen ist, ist eine Phase Ill Studie und hatte vor allem das Ziel die Nebenwirkungen der HL Therapie zu reduzieren. Zudem ist sie eine Nicht-Unterlegenheitsstudie. Das heißt, das Ziel der Autoren war auch zu zeigen, dass das neue Protokoll in der Wirksamkeit dem alten nicht unterlegen ist. Beides konnte hier bewiesen werden. Bei sogar noch leicht besseren Überlebensdaten schaffte man es mit dem neuen Protokoll die Toxizitäten zu reduzieren. Das bisherige Standardprotokoll der PET und Computertomographie gesteuerten Polychemotherapie war von einer sehr hohen Toxizität gekennzeichnet, die sich negativ auf die Blutbildung auswirkt (Bedarf an Transfusionen). Es kann zu Fehlfunktionen der Keimdrüsen kommen, also Hoden und Eierstöcke, die sich auf die Hormonproduktion auswirken. In jungen Patienten – einer der Peaks der Erkrankung liegt zwischen 15 und 35, der andere ab 50 – wirkt sich das u. a. auf die Fruchtbarkeit aus. Außerdem kann eine Polyneuropathie auftreten. Neben akuten und sagen wir „klassischen“ Beschwerden wie Übelkeit, Fatigue, Haarausfall usw. kann es zu Spätfolgen kommen: Zweittumore, Herz- Kreislauf- oder Lungenfunktionsstörungen.
Was ist anders bei der neuen Therapie?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Zytotoxische (zellschädigende) Substanzen wie beispielsweise das Bleomycin, die sehr nebenwirkungsreich sind, wurden durch das Antikörperkonjugat Brentuximab-Vedotin ersetzt. Das Gesamtüberleben konnte außerdem von guten 90 Prozent auf 94 Protent gesteigert werden und den Patienten geht es zwar nicht wirklich gut, aber wesentlich besser als mit dem Standardprotokoll! Nach dem Motto: „Es wird jetzt heftig, aber danach ist alles vorbei!“
Worauf beruht das Prinzip dieser neuen Therapie?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Die Standard-Polychemotherapie wurde um den Antikörper Brentuximab Vedotin zum Teil ersetzt, ein Doppelmolekül, das sich an die veränderten Hodgkin-Tumorzellen ankoppelt und diese zerstört.
Gab es klinische Voraussetzungen, um dieses neue Protokoll anwenden zu können?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Ja, ein HL in fortgeschrittenem Stadium, das Lymphknoten befallen hat. Im Allgemeinen haben wir im Jahr ein bis zwei Patienten, die in diese Kategorie fallen – das NHL ist deutlich häufiger. Im vergangenen Jahr hatten wir nach Stefania Casarotto noch zwei weitere Patienten, Männer. Alle drei haben diese Therapie erhalten und sehr gut vertragen, ohne Komplikationen und ohne dass ein Therapieverzug notwendig gewesen wäre. Alle drei sind gut in ihr Leben zurückgekehrt!
Es handelte sich bei Beginn der Behandlung von Stefania Casarotto um ein Protokoll, das noch nicht das letzte Stadium des Zulassungsprozesses durchlaufen hatte…
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Die Studie im Lancet ist kurz vor Stefania Casarottos Therapiebeginn publiziert worden. Bis wir die komplette Zulassung in Italien erhalten, wird es noch ein bisschen dauern. Das Medikament Brentuximab ist allerdings bereits in der Rezidiv-Situation seit Jahren zugelassen. Ich habe jedenfalls den Antrag auf Kostenübernahme gestellt und er wurde genehmigt. Ausschlaggebend waren das Tumor-Stadium der Patientin und die publizierte Phase III Stuide.
Im Gegensatz zu anderen malignen Erkrankungen scheint bei Lymphomen das Tumorstadium keine große Auswirkung auf die Heilungschancen zu haben?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Das stimmt, bei HL und NHL sind auch in fortgeschrittenen Stadien gut therapierbar und heilbar. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, aber das führt zu sehr ins Detail.
Stefania Casarotto kommt aus einer Familie mit erstaunlich vielen Fällen an HL und NHL, angefangen von der Mutter. Ist ein Lymphom vererblich?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: An sich ist nur die Chronisch Lymphatische Leukämie vom B- Zell Typ, auch Altersleukamie genannt, vererblich. Vermutlich haben wir es in dieser Familie mit einer vererbbaren Störung der Lymphozyten zu tun.
Was hat sie dazu bewogen, Hämatologie als Fach zu wählen?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Eigentlich war mein Wunschfach Dermatologie, da dort kein Platz war, bin ich in die Hämatologie. Und ich muss sagen, es ist ein sehr schönes und interessantes Fach. Wir betreuen die Patienten sehr eng über einen existentiellen Zeitraum und es ist ein Fach, wo man als behandelnder Arzt sehr viel selbst machen kann, von der Diagnose bis zur Therapie.
Anm. d. Red.: Die Patientin Stefania Casarotto war damit einverstanden, dass wir ein Gespräch mit der behandelnden Onkologin führten. Sensible Patientendaten wurden nicht angesprochen.