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Weniger Nebenwirkungen!
Interview mit der Onko-Hämatologin Dr.in Katja Olga San Nicolò über eine neue HL- und NHL-Therapie

Die Hämato-Onkologin Dr. Katja Olga San Nicolò hat am Krankenhaus Meran Stefania Casarotto gemäß einer neuen, von der Deutschen Hodgkin Studiengruppe an der Uniklinik Köln entwickelten Therapie für maligne Erkrankungen des lymphatischen Systems behandelt, die im Frühsommer 2024 in der medizinisch-wissenschaftlichen Zeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht worden ist. Die Vorteile der neuen Therapie liegen nicht nur in einer noch besseren Wirksamkeit, sondern in einer wesentlich besseren Verträglichkeit.
Dr.in Katja San Nicolò hat ihre Facharztausbildung in Erlangen abgeschlossen, wo sie insgesamt zehn Jahre an der Uniklinik tätig war, seit 2018 ist sie Teil des onkologischen Teams am Krankenhaus Meran.
Anm. d. Red.: Die Patientin Stefania Casarotto war damit einverstanden, dass wir ein Gespräch mit der behandelnden Onkologin führten. Sensible Patientendaten wurden nicht angesprochen.
Zunächst vielleicht eine Begriffsklärung für Laien: der Unterschied zwischen Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphom?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Bei Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphomen liegt eine bösartige Veränderung der Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) vor. Sowohl das HL als auch das NHL können überall im Körper auftreten und Lymphknoten wie auch Organe wie Lunge, Leber, Knochenmark und Milz befallen. Beim HL können im Gewebe sogenannte Reed-Sternberg-Riesenzellen nachgewiesen werden, bei NHL gibt es diese nicht.
Macht es einen Unterschied in der Schwere der Erkrankung, also in Bezug auf die Heilbarkeit dieser Lymphome?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Das Hodgkin Lymphom ist eine prinzipiell sehr gut heilbare Erkrankung. Die NHL sind eine bunte Gruppe an Lymphomen, die nur teilweise gut heilbar sind.
Die neue Therapie, die sie bei ihrer Patientin Stefania Casarotto anwenden konnten, macht keinen Unterschied in der bereits sehr guten Wirksamkeit zur Standardtherapie, aber sie verbessert die Verträglichkeit?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Die Studie, die im Lancet 2024 erschienen ist, ist eine Phase Ill Studie und hatte vor allem das Ziel die Nebenwirkungen der HL Therapie zu reduzieren. Zudem ist sie eine Nicht-Unterlegenheitsstudie. Das heißt, das Ziel der Autoren war auch zu zeigen, dass das neue Protokoll in der Wirksamkeit dem alten nicht unterlegen ist. Beides konnte hier bewiesen werden. Bei sogar noch leicht besseren Überlebensdaten schaffte man es mit dem neuen Protokoll die Toxizitäten zu reduzieren. Das bisherige Standardprotokoll der PET und Computertomographie gesteuerten Polychemotherapie war von einer sehr hohen Toxizität gekennzeichnet, die sich negativ auf die Blutbildung auswirkt (Bedarf an Transfusionen). Es kann zu Fehlfunktionen der Keimdrüsen kommen, also Hoden und Eierstöcke, die sich auf die Hormonproduktion auswirken. In jungen Patienten – einer der Peaks der Erkrankung liegt zwischen 15 und 35, der andere ab 50 – wirkt sich das u. a. auf die Fruchtbarkeit aus. Außerdem kann eine Polyneuropathie auftreten. Neben akuten und sagen wir „klassischen“ Beschwerden wie Übelkeit, Fatigue, Haarausfall usw. kann es zu Spätfolgen kommen: Zweittumore, Herz- Kreislauf- oder Lungenfunktionsstörungen.
Was ist anders bei der neuen Therapie?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Zytotoxische (zellschädigende) Substanzen wie beispielsweise das Bleomycin, die sehr nebenwirkungsreich sind, wurden durch das Antikörperkonjugat Brentuximab-Vedotin ersetzt. Das Gesamtüberleben konnte außerdem von guten 90 Prozent auf 94 Protent gesteigert werden und den Patienten geht es zwar nicht wirklich gut, aber wesentlich besser als mit dem Standardprotokoll! Nach dem Motto: „Es wird jetzt heftig, aber danach ist alles vorbei!“
Worauf beruht das Prinzip dieser neuen Therapie?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Die Standard-Polychemotherapie wurde um den Antikörper Brentuximab Vedotin zum Teil ersetzt, ein Doppelmolekül, das sich an die veränderten Hodgkin-Tumorzellen ankoppelt und diese zerstört.
Gab es klinische Voraussetzungen, um dieses neue Protokoll anwenden zu können?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Ja, ein HL in fortgeschrittenem Stadium, das Lymphknoten befallen hat. Im Allgemeinen haben wir im Jahr ein bis zwei Patienten, die in diese Kategorie fallen – das NHL ist deutlich häufiger. Im vergangenen Jahr hatten wir nach Stefania Casarotto noch zwei weitere Patienten, Männer. Alle drei haben diese Therapie erhalten und sehr gut vertragen, ohne Komplikationen und ohne dass ein Therapieverzug notwendig gewesen wäre. Alle drei sind gut in ihr Leben zurückgekehrt!
Es handelte sich bei Beginn der Behandlung von Stefania Casarotto um ein Protokoll, das noch nicht das letzte Stadium des Zulassungsprozesses durchlaufen hatte…
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Die Studie im Lancet ist kurz vor Stefania Casarottos Therapiebeginn publiziert worden. Bis wir die komplette Zulassung in Italien erhalten, wird es noch ein bisschen dauern. Das Medikament Brentuximab ist allerdings bereits in der Rezidiv-Situation seit Jahren zugelassen. Ich habe jedenfalls den Antrag auf Kostenübernahme gestellt und er wurde genehmigt. Ausschlaggebend waren das Tumor-Stadium der Patientin und die publizierte Phase III Stuide.
Im Gegensatz zu anderen malignen Erkrankungen scheint bei Lymphomen das Tumorstadium keine große Auswirkung auf die Heilungschancen zu haben?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Das stimmt, bei HL und NHL sind auch in fortgeschrittenen Stadien gut therapierbar und heilbar. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, aber das führt zu sehr ins Detail.
Stefania Casarotto kommt aus einer Familie mit erstaunlich vielen Fällen an HL und NHL, angefangen von der Mutter. Ist ein Lymphom vererblich?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: An sich ist nur die Chronisch Lymphatische Leukämie vom B- Zell Typ, auch Altersleukamie genannt, vererblich. Vermutlich haben wir es in dieser Familie mit einer vererbbaren Störung der Lymphozyten zu tun.
Was hat sie dazu bewogen, Hämatologie als Fach zu wählen?
Dr.in Katja Olga San Nicolò: Eigentlich war mein Wunschfach Dermatologie, da dort kein Platz war, bin ich in die Hämatologie. Und ich muss sagen, es ist ein sehr schönes und interessantes Fach. Wir betreuen die Patienten sehr eng über einen existentiellen Zeitraum und es ist ein Fach, wo man als behandelnder Arzt sehr viel selbst machen kann, von der Diagnose bis zur Therapie.Anm. d. Red.: Die Patientin Stefania Casarotto war damit einverstanden, dass wir ein Gespräch mit der behandelnden Onkologin führten. Sensible Patientendaten wurden nicht angesprochen.