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Das Leiden mit der Prostata

Dr. Armin Pycha: Prostatakrebs – Gute Heilungschancen, problematische Folgen
Achtzig Prozent der Männer über 80 haben ein Prostatakarzinom. Sie sterben nicht daran, sondern damit. Prostatakrebs ist eine Alterserscheinung, die am häufigsten bei Männern zwischen 60 und 78 diagnostiziert wird. Es ist ein Krebs, der tiefe Spuren im Mann hinterlassen kann. Ein Gespräch mit dem Primar der Urologie am Krankenhaus Bozen, Prof. Dr. Armin Pycha.
Jeder 8. Mann erkrankt an Prostatakrebs, in Südtirol werden jedes Jahr rund 380 neue Fälle diagnostiziert. Er gilt als gut behandelbar, aber die chirurgische Entfernung der Prostata kann schwerwiegende Folgen für den Mann haben…
Dr. Armin Pycha: Ja, die Tendenz ist ähnlich wie beim Brustkrebs. Und ähnlich wie beim Brustkrebs ist Prostatakrebs sehr gut behandelbar. Jeder achte Mann erkrankt, aber nur jeder 23. stirbt daran und oft verbleibt auch im fortgeschrittenen Stadium noch relativ viel Zeit. Die Inzidenz ist stabil, die Mortalität ist rückläufig.
Dank des PSA-Screenings?
Dr. Armin Pycha: Vor der Einführung des PSA-Markers - PSA heißt Prostata-spezifisches Antigen, ein Enzym, das der Verflüssigung der Samenflüssigkeit dient – wurden 70% der Prostatakarzinome in einem bereits metastasierten, also fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert, jetzt sind es nur 30%.
Das PSA Screening ist unumstritten, man spricht von der Gefahr von Überdiagnosen…
Dr. Armin Pycha: Das stimmt. Der PSA-Wert kann auch genetisch bedingt, durch eine Entzündung, aber auch durch Sport, Fahrradfahren oder Sex erhöht sein. Es empfiehlt sich, 1-2 Tage vor der Untersuchung davon Abstand zu nehmen. Es sollte in jedem Fall auch eine digitale rektale Untersuchung folgen, es bedarf der Einordnung durch einen erfahrenen und sensiblen Kliniker. Natürlich finden wir dank dieses Tests mehr Erkrankte als vorher, wir behandeln latente Karzinome, Patienten, die nie daran sterben würden. Aber dank dieser Untersuchung können wir Erkrankungen in fortgeschrittenem Stadium mit Metastasen vorbeugen!
Was folgt einem überhöhten PSA-Wert und einer klinischen Untersuchung, die eine Vergrößerung oder Verhärtung ergibt?
Dr. Armin Pycha: Es gibt zwei Strategien. Eine ultraschallgeführte Biopsie, bei der mehrere Stanzen entnommen und unter dem Mikroskop untersucht werden oder eine Magnetresonanztomographie, die nach dem Pi-Rads-Verfahren klassifiziert wird: Pi-Rads 1 – 2 unproblematisch, Pi-Rads 3 fragwürdig, Pi-Rads 4 wahrscheinlich und Pi-Rads 5 sehr wahrscheinlich. Beide Untersuchungen oder auch beide zusammen, ermöglichen es, einen Verdacht zu klären, die Wahrscheinlichkeit zu klassifizieren, den Tumor zu finden, seine Lage und das biologische Risiko zu bestimmen. Daraus folgt dann die Kategorisierung nach Niedrig-Risiko, mittleres Risiko und aggressiv.
Bei einem Niedrig-Risiko können Patienten ohne Therapie engeren Kontrollrythmen unterzogen werden, ähnlich wie Personen mit einer Mutation BRCA 1 oder BRCA 2. Aber verkraften sie das psychisch?
Dr. Armin Pycha: Bei diesen Patienten können wir für eine „Aktive Überwachungs-Strategie“ optieren. Damit kann der durch die Behandlung entstehende Schaden so lange wie möglich hinausgezögert werden. Aber 80% der Patienten in diese rengen Überwachung, entscheiden sich innerhalb eines Jahres doch für eine OP. Die psychische Belastung ist zu groß. Die Ungewissheit zehrt. Tendenziell entscheiden wir bei jüngeren Patienten für eine Operation, bei älteren, über 70, für eine Strahlenbehandlung.
Was genau sind die Folgen der Behandlung?
Dr. Armin Pycha: Auch hier gibt es Unterschiede. Zunächst die Schäden der Strahlentherapie, die heute in einer minimalen Brennfläche durchgeführt werden kann, das heißt eine große Strahlendosis wird punktgenau auf den Tumor gerichtet, die Strahlenbelastung des Umfelds ist reduziert. Die Folgen der Strahlenbehandlung können eine Strahlenzystitis oder ein Reiz-Mastdarm sein, Beschwerden, die meistens nach drei Monaten abklingen, die aber nach einem längeren Zeitraum, etwa 20 Jahren, wieder auftreten können. Mit 70 plus ist dieses Risiko relativ!
Gibt es unterschiedliche Operationstechniken?
Dr. Armin Pycha: Bei einem mittleren Risiko wird die Prostata nervenschonend mit der Samenblase und Teilen der Samenleiter entfernt, dadurch will man die Potenz erhalten. Bei einem aggressiven Tumor werden auch die Nerven für die Erektion entfernt, der Patient wird impotent. In den ersten Wochen nach dem Eingriff sind alle Patienten impotent und können auch inkontinent sein, mit der Zeit erholen sich die Nerven dann.
Die Angst vor Impotenz und vor Inkontinenz ist sehr groß…
Dr. Armin Pycha: Bis zu 60% unserer Patienten haben nach dem Eingriff mehr oder weniger starke Erektionsstörungen, die medikamentös behandelt werden können. Bei der Prostata-Resektion wird der innere Schließmuskel der Blase mitentfernt. Deshalb empfehlen wir den Männern regelmäßiges Beckenbodentraining vor dem Eingriff, unter Anleitung eines/r StomatherapeutIn. Der Erfolg hängt vom Alter, der Mitarbeit und der Kondition des Mannes ab! Je älter der Patient und je höher das Tumorstadium, desto größer ist die Gefahr der Inkontinenz. Das geht von Tröpfeln bis Ausrinnen. In jedem Fall begleiten wir unsere Patienten nach der Operation, sowohl bei Inkontinenz als auch bei Potenzproblemen.
Und das nehmen alle Patienten wahr?
Dr. Armin Pycha: Nur 70% und das überrascht mich eigentlich immer sehr. Aber ich kann in die Männerseele nicht hineinsehen. Mitteilsamkeit ist nicht ihre Stärke. Sie tun sich schwerer als Frauen, bestimmte Dinge zu akzeptieren, anzusprechen und auch anzugehen. Aber diejenigen, die es schaffen, die die Begleitung annehmen – ich gehe jetzt vielleicht sehr ins Detail, aber diese Dinge müssen dem Wohl der Männer zuliebe angesprochen werden – aber diese Männer schaffen es auch, trotz ihrer „Probleme“ ein erfülltes (Sexual)Leben zu haben. Auch mit schlaffem Glied kann man(n) lernen, einen Orgasmus zu haben. Vor der Operation gilt das Prinzip „alles oder nichts“, danach lernen die Männer zu differenzieren, wie Frauen es schon immer tun: Sehr gut – gut - es passiert etwas. Und was bedeutet mir das? Was empfinde ich dabei?
Es gibt in jedem Fall auch Hilfsmittel?
Dr. Armin Pycha: Ja und wir stellen sie den Männern auch zum Testen zur Verfügung. Auch zuhause. Zwei Wochen. Nicht nur medikamentös. Elektrische oder manuelle Volumenpumpen, Apparate für Beckenbodenübungen. Unsere StomatherapeutInnen leisten Großartiges. Wir haben in der Ambulanz vier Ärzte bei Bedarf, wir haben die spezifisch ausgebildete Krankenpflegerin Martina Tetter. Wir haben Psychologen. Und wir tun noch mehr: im Herbst werden wir eine neue Ambulanz nur für Prostata-Patienten in der postoperativen Phase eröffnen.
Wie viele Patienten operieren sie im Jahr. Sie sprachen von ca. 380 Neudiagnosen pro Jahr.
Dr. Armin Pycha: Wir in Bozen operieren knapp hundert Patienten im Jahr, dann sind da noch Brixen und Meran. Ungefähr die Hälfte der Fälle wird chirurgisch behandelt, ein Drittel wird bestrahlt. Ist der Tumor fortgeschritten, erfolgt eine systemische Therapie. Eine Mischung aus Chemotherapie, Immuntherapie und Hormontherapie. Heute geht man tendenziell nach der Strategie „All-In“ vor, nicht wie früher, eines nach dem anderen, sondern nach dem Prinzip eines Megastoßes.
Und die Heilungschancen sind gut?
Dr. Armin Pycha: Exzellent. Bei einer Frühdiagnose liegen wir nach fünf Jahren bei über 90%! Ich kann deshalb nur meine Aufforderung an alle Männer über 50 richten, sich regelmäßig den PSA-Wert messen zu lassen. Je früher der Tumor erkannt wird, desto größer die Heilungschancen und desto geringer die Folgeerscheinungen. Die EU ist dabei, die Messung des PSA - Wertes zusammen mit einer Magnetresonanz in die onkologischen Leitlinien aufzunehmen und ansonsten gelten zur Prävention dieselben Maßnahmen wie für alle Krebsarten:
Regelmäßige körperliche Aktivität;
Gesundes Gewicht;
Geringer Alkoholkonsum;
nicht rauchen.

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Man kann etwas dagegen tun!

Inkontinenz ist kein Schicksal – Beckenbodentraining und chirurgische Eingriffe
Eine Prostataoperation aufgrund eines bösartigen Tumors ist ein schwerwiegender Eingriff in das Leben jedes Mannes. Neben der erektilen Dysfunktion ist es vor allem der Aspekt der Inkontinenz, der den Männern sehr zusetzt. In den ersten Monaten nach einer Prostatektomie sind ein Großteil der Patienten mit einer Inkontinenz konfrontiert. Je nach Alter, Kondition und Befund (frühdiagnostiziert bzw. fortgeschrittenen) kann das Ausmaß sehr variieren. In Bozen werden diese Patienten vom Dienst für Uro-Rehabilitation betreut. Dr. Christian Ladurner ist spezialisiert auf Neuro-Urologie und Inkontinenz.
Die Harnröhre des Mannes verfügt über zwei Schließmuskeln. Der innere umgibt den Blasenausgang, reguliert den Harnfluss und verschließt die Harnblase. Bei einer radikalen Prostataentfernung aufgrund eines fortgeschrittenen Befundes wird dieser mit entfernt. Der verbleibende äußere Muskel muss lernen, dessen Funktion zu übernehmen und im Allgemeinen muss sich das gesamte Operationsumfeld vom Stress des Eingriffs erholen und das braucht Zeit. Aber mehr noch: Eine mehr oder weniger ausgebildete Inkontinenz hängt nicht nur vom Befund, sondern auch vom Alter des Patienten und vor allem von dessen körperlicher Verfassung ab. Trainierte Männer, die regelmäßig Sport treiben, erholen sich schneller. In jedem Fall braucht es Zeit, bis sich das empfindliche Gleichgewicht dieses delikaten Bereichs neu reguliert und umstellt.
In jedem Fall werden die Patienten neben der onkologischen Betreuung auch mit den Folge-Erscheinungen des chirurgischen Eingriffs nicht allein gelassen! Um der Inkontinenz vorzubeugen, werden die Patienten bereits zwei bis drei Wochen vor der Operation zu einem aufklärenden Gespräch eingeladen, der Status ihrer Beckenbodenmuskulatur wird erfasst und sie werden von Stoma- und Inkontinenz-TherapeutInnen zu einem spezifischen Training dieser so wichtigen Muskelgruppe angehalten. Kein leichtes Unterfangen. „Es gibt Patienten, die überhaupt nicht wissen, wie sie das bewerkstelligen sollen oder die sogar denken, diese Muskulatur hätten nur Frauen“, erklärt Dr. Ladurner.
Regelmäßiges Beckenboden-Training bereitet die Muskulatur auf den Operationsstress vor. Je besser der Beckenboden, desto schneller kann der Patient seine Funktionen wiedererlangen. Abgesehen davon, dass viele Männer erst lernen müssen, wie man diese Muskeln überhaupt anspannt, liegt das Ergebnis nicht vor Augen wie beispielsweise, wenn man einen Bizeps anspannt. „Es gibt ein eigenes Gerät dafür, mit dem die Anspannung gemessen und auf einem Monitor grafisch dargestellt werden kann“, erklärt Dr. Ladurner. „Eine große Hilfe für unsere TherapeutInnen und eine zusätzliche Motivation für die Männer. Wir sind der Südtiroler Krebshilfe sehr dankbar, dass sie uns dieses Pelvic-Tool finanziert hat!“
Ziel ist in jedem Fall die Wiederherstellung der kompletten Kontinenz. „Inkontinenz ist für einen Mann extrem belastend“, betont Dr. Christian Ladurner. „Männer sind es nicht gewöhnt, Einlagen zu tragen, sie haben Angst, dass es bemerkt werden könnte, sind unsicher wegen des Kontrollverlusts und ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück.“ Spezifische Zahlen aus Südtirol, die zwischen Inkontinenz je nach Befund unterscheiden, liegen zurzeit nicht vor. Aber, so Dr. Ladurner, internationale Studien sprechen von 80% bis 90% Prozent der Männer mit einem frühdiagnostizierten Befund, die nach 3 – 6 Monaten die Kontrolle der Blase (fast) vollständig zurückgewinnen.Während die Männer vor und in den Monaten nach der Operation sehr motiviert sind, ihren Beckenboden regelmäßig zu trainieren, lässt das nach, sobald die Blasenkontrolle zurückerlangt ist. „Hier warnen wir aber, denn mit dem Alter erschlafft die Muskulatur, die Inkontinenz kann sich wieder einstellen.“ Der Beckenboden sollte deshalb, und das gilt für Männer wie für Frauen, kontinuierlich stimuliert und trainiert werden. Und das schon in jungen Jahren.
Mit einem fortgeschrittenen Prostatakrebs ändert sich die Sachlage. Wenn nach der Operation noch eine Strahlentherapie durchgeführt werden muss, kann sich auch das negativ auf die Kontinenz auswirken, da die Strahlen das Gewebe verhärten und damit die Muskelfunktion beeinträchtigt wird. Dem verbleibenden äußeren Schließmuskel gelingt es nicht immer, die Funktion des inneren Schließmuskels komplett aufzufangen.
Aber auch hier gibt es Hilfen für die Patienten. Je nach Ausmaß der Inkontinenz stehen zwei chirurgische Eingriffe zur Verfügung. Der erste, das Einsetzen eines sogenannten Schlingenbands, das die Beckenbodenmuskulatur und die Blase anhebt, kann bei andauernder leichter bis mittlerer Blasenschwäche Abhilfe schaffen. „Der zweite, komplexere Eingriff – eine Art hydraulisches System - wird jenen Patienten empfohlen, die keine Kontrolle mehr über die Blase haben.“ Hierbei wird die Blase mit einer mit Wasser gefüllten Manschette (ähnlich jener des Blutdruckgeräts) umschlossen. Über eine Art Pumpe im Hodensack, kann der Mann alle zwei - drei Stunden den Harn für wenige Minuten abfließen lassen; anschließend schließt sich die Manschette wieder.
Keine Frage, dass auch diese Fragen sehr sensibel und aufklärend mit den Männern besprochen werden. Schon heute, unterstreicht Dr. Ladurner, sind in der Regel mindestens drei Begegnungen und Gespräche mit den Patienten durch Fachkräfte mit spezifischen Kompetenzen vorgesehen: Urologen, die spezialisiert sind auf Prostata, bzw. Impotenz oder Inkontinenz, Onkologen, StomatherapeutInnen, Psychologen sowie Uro-, Sexual- bzw. BeckenbodentherapeutInnen. Vor dem Eingriff, während des Krankenhausaufenthaltes sowie drei bis vier Wochen nach dem Eingriff. „Selbstverständlich können die Patienten sich bei Fragen und Problemen auch darüber hinaus jederzeit an uns wenden“, so Dr. Ladurner.
Ab September soll die Zusammenarbeit, die es heute de facto schon gibt, in einem interdisziplinären Parcours institutionalisiert und in einem eigenen Dienst zusammengefasst werden. Dr. Christian Ladurner: „Schon heute läuft die Betreuung von Patienten mit Inkontinenz und erektiler Dysfunktion parallel, aber nicht getrennt zur onkologischen Therapie“, so werden z. B. die ersten Gespräche drei bis vier Wochen nach der Operation, wo es um das allgemeine Befinden, Fragen der Inkontinenz und Impotenz geht, bewusst mit dem ersten onkologischen Kontrollgespräch nach der Operation zusammengelegt. Im Fokus steht in jedem Fall – und zusammen mit der bestmöglichen Therapie – die Lebensqualität der Patienten.“
Der Eingangsbereich der Urologie in Bozen