Thema

Die 1. Brunecker Krebsgespräche

„Krebs ist nicht die Geschichte von Ärzten, sondern von Patienten“
„Sie haben Krebs!“ Mehr als 2000 Menschen in Südtirol bekommen jedes Jahr diese Diagnose gestellt. Drei Worte, die das Leben der Betroffenen von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Krebs – wie man ihn verhindert, wie man ihn kuriert und wie man damit lebt – stand im Mittelpunkt der Ersten Brunecker Krebsgespräche am 3. Februar.
Im Jahr 2030 wird es weltweit 21 Mio. Krebskranke geben, heute sind es 15 Mio. In Südtirol gibt es jedes Jahr 2.000 Neu-Erkrankungen. Gleichzeitig ist die Zahl der Menschen, die an Krebs sterben im Rücklauf begriffen. In den meisten Fällen, das ist eine Tatsache, ist Krebs heute kein Todesurteil mehr. Vor allem, wenn wir selbst etwas dafür tun, indem wir unseren Lebensstil anpassen und regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen gehen. Dr. Christoph Leitner, Direktor des onkologischen Day Hospitals in Bruneck und Rechtsanwalt Andreas Leiter, zusammen mit der SKH und mamazone Organisatoren der Ersten Brunecker Krebsgespräche, die im Rahmen des Weltkrebstages am 4. Februar abgehalten wurden, brachten gleich zu Beginn auf den Punkt, worum es an diesem Nachmittag mit dem dichtgedrängten Programm gehen würde. Der bis auf den letzten Platz gefüllte Saal des Jugendzentrums UFO in Bruneck war Beweis für das große Interesse an diesem Thema. Viele Betroffene, aber auch viele an Vorsorge Interessierte. Fachleute beleuchteten Krankheit und Therapie von verschiedenen Aspekten, die Journalistin Verena Duregger interviewte die Patienten Walther Lücker und Zerina Pilav.
Vor allen Dingen eines wurde immer wieder betont: Der Trumpf im Kampf gegen den Krebs heißt Interdisziplinarität. Nur im Team kann erfolgreich gegen alle Bereiche dieser Krankheit vorgegangen werden. Hausarzt, Onkologe, Chirurg, Facharzt, Radiologe, Pflegepersonal und (Onko)Psychologe zusammen mit dem Patienten. „Krebs ist nicht die Geschichte von Ärzten, sondern von Patienten.“ Aus dieser Perspektive war es denn auch nur logisch, dass das Interview mit Walther Lücker, Bergsteiger, und Journalist den Reigen der Beiträge eröffnete. Im Verlauf des Nachmittags war es dann auch an Zerina Pilav, ihre Geschichte zu erzählen.
Dr. Hannes Nösslinger vom Dienst für Ernährung und Diät in Meran, der Primar der Chirurgie am Krankenhaus Bruneck, Dr. Günther Sitzmann, der Direktor der Radiotherapie in Bozen, Dr. Martin Maffei, der Primar der Gynäkologie am Krankenhaus Bruneck, Dr. Martin Steinkasserer, Dr. Anton Huber, Psychoonkologe am Krankenhaus Bruneck beleuchteten das Thema Krebs von den verschiedenen Seiten. Zuletzt versuchte Tobias Hürter, stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift „Hohe Luft“ einen philosophischen Zugang zu diesem Thema zu erstellen.
Links: Walther Lücker interviewt von Verena Duregger: Vorsorge ist ihm heute ein großes Anliegen - Rechts: Zerina Pilav: 22 Jahre, grenzenloses Vertrauen in die Ärzte und positives Denken
Die Patienten
Walther Lücker: „Auf die innere Einstellung kommt es an“
Berge hat er in seinem Leben viele erklommen, der Journalist und Fotograf Walther Lücker. Der schwierigste Gipfel erwartete ihn im vergangenen Jahr. „Sie haben Krebs.“ Ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Briefe mit der Einladung für die Untersuchung des Stuhls auf Blutspuren hat er bis dahin immer ungeöffnet in den Papierkorb geworfen. Vorsorge, das ist doch nichts für so einen Naturburschen! Heute ist ihm Prävention ein großes Anliegen. Dickdarmkrebs mit Metastasen in der Leber lautete die Diagnose. Zwei Operationen, die erste mit einem dramatischen Verlauf. Anschließend Chemo-und Antikörpertherapie. „Ein paar Wochen vor der OP“, erzählt Lücker seiner Gesprächspartnerin Verena Duregger, „habe ich mich auf eine Almhütte zurückgezogen, um mit mir ins Reine zu kommen.“ Vor allem die Frage nach dem „Warum“ beschäftigte den 68jährigen. Wenn er heute zurückblickt, dann sieht er zunächst die Empathie der Ärzte und des Pflegepersonals. „Ich hatte nie das Gefühl, alleingelassen zu sein.“ Die Nebenwirkungen der 16 Chemotherapien steckte er weg. „Auf die innere Einstellung kommt es an", betont Lücker. „Mir wird nicht schlecht und ich werde keine Haare verlieren, habe ich mir gesagt.“ Und so war es auch. Nasenbluten, tränende Augen, Schlaflosigkeit nahm er als notwendiges Übel in Kauf. „Ich will keine Ratschläge erteilen, jeder hat seinen Rucksack zu tragen“, schloss Lücker seine Intervention ab. „Aber eines ist mir wichtig: Leute, nehmt die Vorsorgeuntersuchungen wahr! Und hier richte ich mich vor allem an die Männer. Krebs geht uns alle an und wenn hier im Saal nur etwa ein Fünftel Männer sind, dann ist das doch bezeichnend!“

Zerina Pilav: „Selbstverständliche Dinge werden zu Eroberungen“
Eine hübsche, selbstbewusste junge Frau mit einem reizenden Lächeln. Zerina Pilav ist 22 Jahre alt und hat sehr klare Ideen. Zum Beispiel, welche Worte es in ihrem ganz persönlichen Wörterbuch nicht gibt: Palliativ und unheilbar gehören ebenso dazu wie Mitleid. Ihr Motto ist Fuck Cancer und was sie überhaupt nicht mag, ist lange im Voraus planen. „Der richtige Zeitpunkt ist jetzt.“ 2015 hat Zirina ihre Mutter durch Krebs verloren, nur wenige Monate später traf sie dieselbe Diagnose. Krebs. Ein seltenes Angiosarkom, ein bösartiger Tumor im Inneren des Herzens, eine Inzidenz von weniger als 0,05%. Eine Zufallsdiagnose.
Nach dem Tod ihrer Mutter war Zerina mehrere Male in der Ersten Hilfe, ihr Unwohlsein wurde immer mit ihrer Trauer in Verbindung gebracht und sie wurde nachhause geschickt. Heute besteht ihr Leben aus vielen kleinen, täglichen Eroberungen. Alleine zur Chemotherapie fahren zum Beispiel. Ihre Einstellung zu allen Therapien ist positiv. „Mir ist kein Weg zu weit“, sagt Zerina und ihr Vertrauen in ihre behandelnden Ärzte ist grenzenlos. Den Leiter des onkologischen Day-Hospitals, Dr. Christoph Leitner, bezeichnet sie als ihren Zielflughafen. Aber sie fährt auch nach Pavia, um sich einer Ionenstrahltherapie zu unterziehen. 16 Strahlentherapien hat sie schon hinter sich gebracht.
Zerina strahlt Optimismus aus und sie möchte durch ihre Geschichte anderen Mut machen. Wenn die Therapie es zulässt, geht sie auf Reisen mit ihrem Mann Fabi. Am Tag der Diagnose hat er ihr den Heiratsantrag gestellt, Anfang des Jahres haben sie geheiratet. In Zerinas Fotoalbum sind viele Reisen dokumentiert: Miami, New York, europäische Städte. Das nächste Ziel steht auch schon fest: Mexico. „Ich will das hier und jetzt genießen und leben“, sagt Zerina. Auf ihr Äußeres legt sie großen Wert, den Verlust ihrer Haare hat sie nicht als so schlimm empfunden. „Ich habe mit Perücken gespielt.“ Ein Foto zeigt ihren nackten Kopf, auf den Fabi, Ich liebe Dich geschrieben hat. Ihr Mann und die Ärzte, das sind die Stützen, die Zerina Kraft und Mut geben. Über die letzte Frage von Journalistin Verena Duregger, was sie sich am meisten wünscht, muss sie nicht lange nachdenken: Zeit.

Die Experten

Podiumsdiskussion mit den Fachärzten. Von links:. Dr. Christoph Leitner, Dr. Martin Steinkasserer, Dr. Martin Maffei, Dr. Günther Sitzmann und Verena Duregger
Dr. Christoph Leitner: Es ist ein Privileg, onkologisch tätig zu sein
Er ist als Leiter der onkologischen Tagesklinik in Bruneck in engstem Kontakt mit den Patienten. Dr. Christoph Leitner, der gemeinsam mit Andreas Leiter die Krebsgespräche moderierte, sprach während der Podiumsdiskussion im UFO in Bruneck ein gern vergessenes Thema an: Wie geht es den Ärzten und dem medizinischen Team, die täglich mit der Krankheit Krebs konfrontiert sind?
„Es ist ein Privileg, onkologisch tätig zu sein“, betonte der Onkologe. „Aber auch wir brauchen Hilfe und Unterstützung und wir holen sie uns untereinander, beim Onko-Psychologen, auch bei den Patienten.“ Er bezeichnete seine Arbeit als extrem dankbaren Job: „Extrem leicht, wenn es gut geht und extrem schwer, wenn es schief geht.“ Wichtig sei, nichts vor den Patienten zu verstecken, immer ganz offen zu sein.“

Dr. Hannes Nösslinger: Übergewicht macht krank
Eigentlich wäre es ja ganz einfach. Nur frische Lebensmittel, schonend zubereitet. Viel Obst und Gemüse, wenig und bevorzugt weißes Fleisch, Fisch, wenig Alkohol und viel Bewegung. Wer sich daran hält, tut seinem Körper Gutes und sorgt vor. Nicht nur vor Krebs, auch vor Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes und anderen Pathologien, die eng in Zusammenhang stehen mit dem was wir zu uns nehmen. Seit dem 2. Weltkrieg, erläuterte Dr. Hannes Nösslinger von der Abteilung für Diätologie in Meran, hat der Fleischkonsum in unserer Gesellschaft sich verdreifacht. Ca. 300 Gramm sind es heute im Durchschnitt pro Tag und Kopf, es sollten nicht mehr als 500 Gramm in der Woche sein. Übergewicht und Fettleibigkeit sind in der westlichen Welt weitverbreitet, nur 46% der Bevölkerung gelten als normalgewichtig. Dr. Nösslinger räumte auch mit einigen Vorurteilen auf. So seien Pestizide und Herbizide nicht unbedingt krebserregend, ebenso wenig wie Lebensmittelzusatzstoffe. Folsäure und die Vitamine B2, B6 und B12 stabilisierten die DNA und beugten damit Krebs vor. In zu hoher Dosierung seien sie allerdings kanzerogen. „Deshalb nicht ohne ärztliche Beratung einnehmen“, warnte der Ernährungsmediziner.

Dr. Günther Sitzmann: Keine Halbwahrheiten und keine Glasglocke
Archäologische Funde belegen, dass schon 1.200 v. Chr. Menschen gegen Krebs behandelt wurden. Der Name kommt aus dem Griechischen. Hippokrates verwendete bereits den Namen Karkinos = Krebs. Aulus Celsus beschrieb in seinem medizinischen Traktat schon 25 n. Chr. Schwellungen, die auch nach dem Herausschneiden weiterwucherten. Dr. Günther Sitzmann, Primar der Chirurgie am Brunecker Krankenhaus, begann seine Ausführungen zu einem multidisziplinären Behandlungskonzept mit einem interessanten historischen Exkurs. Krebs ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Nur dass in früheren Zeiten die wenigsten Menschen das Alter erreichten, in dem Krebserkrankungen häufiger auftreten.
In diesem Sinne ist Krebs auch an die Erfolge der Medizin und die zunehmend höhere Lebenserwartung der Menschen gebunden. Einer Diagnose und einem Therapieplan gehen heute vielschichtige Untersuchungen und Überlegungen voran, in die ein multidisziplinäres Team eingebunden ist, das für jeden Patienten ein Risikoprofil erstellt. Chirurg, Facharzt, Onkologe, Radiologe, Pathologe, Onkopsychologe… gemeinsam entscheiden sie für jeden Patienten, die für ihn beste Therapie. „Gemeinsam heißt auch gemeinsam mit dem Patienten. Wir dürfen ihm keine Halbwahrheiten vorsetzen oder ihn unter die Glasglocke setzen!“ Der wichtigste Punkt bei einer Therapieplanung sei die Lebensqualität.

Dr. Peter Maffei: Radiotherapie wird zu Radiochirurgie
Die Radiotherapie nimmt in der Krebsbehandlung einen immer höheren Stellenwert ein. Die modernen Linearbeschleuniger können mit immer höherer Strahlenstärke immer präziser genau dort eingesetzt werden, wo das Tumorgewebe lokalisiert ist, ohne das umliegende gesunde Gewebe zu schädigen. „Die Strahlen schädigen das Erbgut der Zelle. Die gesunde Zelle kann diese Schäden reparieren, die Krebszelle kann das nicht,“ erklärte Dr. Maffei, Direktor der radiologischen Abteilung an der Bonvicini-Klinik. In vielen Fällen werde die Strahlentherapie heute schon als alleinige Therapie eingesetzt. Perkutane Bestrahlung, 3D Strahlentherapie, intensitätsmodulierte stereotaktische Bestrahlung, Ionen- und Protonenbeschleuniger… es ist Aufgabe des Arztes seinem Patienten genau zu erklären, was es mit seiner Behandlung auf sich hat. Bestrahlungen werden immer vielseitiger eingesetzt. Zum Bekämpfen von Tumoren und Metastasen (wo ein chirurgischer Eingriff nicht möglich ist, wie z. B. im Gehirn), aber auch bei gutartigen Wucherungen, bei akuten und chronischen Entzündungszuständen und palliativ in der Schmerzbehandlung.

Dr. Martin Steinkasserer: Krebs muss nicht schlimm sein!
In Österreich und in Südtirol sterben mehr Menschen durch Selbstmord als Frauen an Brustkrebs. Und: Brustkrebs, der häufigste Frauenkrebs, ist immer noch seltener als Herz-Kreislauferkrankungen. Etwas provozierend stellte Dr. Martin Steinkasserer, Primar der Gynäkologie in Bruneck, diese Äußerungen in den Raum. „Heute hat jede Frau die große Chance durch Vorsorge und Frühdiagnose den Krebs zu besiegen.“ Es sei richtig, dass die Anzahl der an Brustkrebs erkrankten Frauen steige, gleichzeitig nehme aber die Sterblichkeit ab. „Frauen“, betonte der Gynäkologe, „sind schlauer als Männer! Sie kennen ihren Körper und sie gehen zur Vorsorge und zum Arzt!“ Brustkrebs sei im Gegensatz zu Eierstockkrebs gut diagnostizierbar. Steinkasserer rief auch dazu auf, junge Mädchen und Knaben gegen das Papilloma-Virus impfen zu lassen. Diese positiven Aussichten änderten natürlich nichts daran, dass eine Krebs-Diagnose immer ein Schock sei. „Die Angst vom Krebs aufgefressen zu werden, die Angst vor Krankenhaus, Invalidität und Tod ist natürlich präsent und es liegt am behandelnden Arzt und am Umfeld der Patientin sie in dieser belastenden Situation zu stützen und Verständnis zu zeigen.“

Dr. Anton Huber: Wie gesund sind Sie?
„Ich bin absolut inkompetent über den Tod zu reden, ich rede über das Leben“, brachte der Psycho-Onkologe Anton Huber sein Therapiekonzept auf den Punkt. Deshalb sei seine Lieblingsfrage auch: Wie gesund sind Sie? Nur 50 bis 60% der Patienten benötigten eine onko-psychologische Behandlung. Huber geht nach dem Ressourcenkonzept vor. Der Gruppentherapie misst er große Bedeutung zu. In Bruneck leitet er drei Gruppen. Zusammen mit dem Arzt Dr. Hartmann Aichner die erste Selbsthilfegruppe für Männer mit Prostata-Krebs, Der Baum. Die Gruppe Mein zweites Leben und zusammen mit einer Schreibtherapeutin eine Schreibwerkstatt für Krebs- und Schmerzpatienten. Er ruft seine Patienten dazu auf realistisch zu sein und hilft ihnen mit den Fragen fertig zu werden, „Warum gerade ich? Was habe ich falsch gemacht? Angst, so Huber, „ist die Zwillingsschwester der Hoffnung, ein vitales Gefühl, das uns anspornen kann. Jede Krise ist eine Chance.“ Auch wenn es schmerzt.
Links: Dr. Hannes Nösslinger: "Wer viel Gemüse und Obst, Vollkorn und wenig Fleisch isst, sorgt vor!"
Landesrätin Martha Stocker: "Frauen sind schlauer, sie gehen regelmäßger zur Vorsorge und kennen ihren Körper besser!"




Thema

Wir können. Ich kann

Pressekonferenz am Weltkrebstag: Gesund leben, dem Krebs vorbeugen
Laut Statistiken erkranken 50% aller Männer und 44% aller Frauen im Laufe ihres Lebens an Krebs. Aber Krebs muss nicht sein! Ein verantwortlicher Lebensstil kann dazu beitragen, das Krebsrisiko zu minimieren. Worauf geachtet werden sollte und wie die aktuellen Zahlen bezüglich Krebserkrankungen in Südtirol aussehen – darüber informierten die Experten, die die Südtiroler Krebshilfe zur Pressekonferenz anlässlich des Weltkrebstages eingeladen hatte.
Unsere Körperzellen teilen sich tagtäglich. Dabei kann es zur Schädigung des Erbmaterials kommen, was wiederum zur Entstehung von Tumorzellen führen kann. Genetische Vorbelastung, Zufall oder Lebensstil? Alle drei Faktoren spielen eine Rolle. Aber mit einem verantwortlichen und gesunden Lebensstil kann jeder das eigene Risiko an Krebs zu erkranken entscheidend senken. „Wir können. Ich kann“ ist deshalb auch das Motto, das die Welt- Krebsorganisation UICC für diesen Tag gewählt hat. Seit 2007 steht alljährlich der 4. Februar unter dem Zeichen des Themas Krebs und Krebs-Vorsorge. Mit einem gesunden und verantwortlichen Lebensstil kann jeder sein persönliches Krebsrisiko entscheidend senken. „Ein gesunder Lebensstil bedeutet dabei nicht, nur Verzicht zu üben. Es gilt vielmehr bewusst und achtsam mit sich umzugehen“, so Ida Schacher Baur, Präsidentin der Südtiroler Krebshilfe. „Gesundheit ist ein hohes Gut und es macht Spaß, etwas dafür zu tun“, betonte Schacher. „Sport machen mit Freunden, statt vor dem Fernseher rumzuhängen, Küssen ohne Aschenbecher-Geschmack, die Sonne genießen ohne zu verbrennen und feiern ohne Kater!“

Risikofaktoren und Screening-Programme in Südtirol
„Wie Studien beweisen, können einzelne Tumore verschiedenen Risikofaktoren zugeordnet werden“, erläutert Dr. Guido Mazzoleni, Primar der Abteilung Pathologische Anatomie und Histologie am Krankenhaus Bozen. So führen beispielsweise Rauchen, Übergewicht, zu wenig Bewegung, Alkoholkonsum oder schädliche Umwelteinflüsse zu erhöhtem Krebsrisiko. Eine gesunde Lebensweise wie sie in den zwölf internationalen Vorsorge-Leitlinien festgehalten sind, darunter auch die regelmäßige Teilnahme an den Screening-Programmen ist eine wirksame Methode zur Vorsorge und Früherkennung von Krebserkrankungen.
Derzeit werden in Südtirol drei Screening-Programme angeboten: Der Pap-Test zur Früherkennung des Gebärmutterhalskrebses, der von 30,7% der Zielgruppe in Anspruch genommen wird, die Mammografie (49,7% Teilnahme) und der Stuhlblut-Test zur Darmkrebs-Früherkennung (39,3% Teilnahme). Zusätzlich zu den herkömmlichen Vorsorgeuntersuchungen gebe es heute auch die Impfung gegen das Papilloma-Virus, die vom Sanitätsbetrieb für Mädchen ab 12 bezahlt werde.

Häufigkeit und Krebsarten in Südtirol
Laut dem Südtiroler Tumorregister, dessen Direktor Mazzoleni ist, erkranken in Südtirol pro Jahr 2.833 Menschen an Krebs, davon 1.546 Männer und 1.287 Frauen (Zeitraum 2008-2012). Die häufigsten Krebsarten bei Männern sind der Prostatakrebs, gefolgt vom Kolon-Rektum-Karzinom und Lungenkrebs. Frauen erkranken am häufigsten an Brustkrebs, gefolgt vom Kolon-Rektum-Karzinom und Lungenkrebs. Im Durchschnitt versterben jährlich 1.357 Südtirolerinnen und Südtiroler an einer Krebserkrankung (Zeitraum 2009-2013), davon 745 Männer und 612 Frauen. Die tödlichsten Krebsarten sind dabei der Lungenkrebs bei Männern sowie der Brustkrebs bei Frauen.
Die positive Nachricht dabei: Die Inzidenzrate (Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken) ist in den vergangenen Jahren gesunken, insbesondere für Männer. Zurückgeführt wird dies unter anderem auf die veränderten Rauchgewohnheiten. Auch bei der Sterblichkeitsrate gibt es Veränderungen: Bei den Männern hat sich diese vermindert, bei den Frauen ist sie stabil geblieben. Dies liege daran, dass immer mehr Frauen beginnen zu rauchen.

Sonne nur mit Sonnenschutz genießen
Die Anzahl der Hauttumore, die man in die drei Arten Melanom, Plattenepithelkarzinom und Basalzellkarzinom unterteilt, ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Das Melanom (auch schwarzer Hautkrebs) ist der gefährlichste bösartige Hauttumor; UV-Strahlung und Sonnenbaden ohne Sonnenschutz erhöhen das Risiko zur Bildung eines Melanoms wesentlich. Südtirol weist dabei die höchste Erscheinungshäufigkeit Europas auf: Hier erkranken die meisten Personen an einem Melanom.
„Das Melanom wird in fünf bis zehn Jahren der vierhäufigste metastasierende Tumor in Ländern mit überwiegend hellhäutiger Bevölkerung sein wird“, berichtete Professor DDr. Klaus Eisendle, Primar der Abteilung Dermatologie im Krankenhaus Bozen. Seine Abteilung führt pro Jahr zirka 5.000 Exzisionen in Lokalanästhesie durch: die Hälfte davon betreffen maligne Hautveränderungen, die restlichen sind Hautveränderungen, die bei Verdacht auf Malignität entfernt werden.
Von sieben verdächtigen Muttermalen ist eines ein Melanom. Verstärkte Präventionsprogramme mit regelmäßigem Hautkrebsscreening für die gesamte Bevölkerung wären hilfreiche Methoden zur Früherkennung. Verantwortliches Verhalten kann das Hautkrebsrisiko erheblich senken. So ist der Besuch in Solarien stark krebserregend. Unter 18 Jahren ist der Besuch von Solarien untersagt, in Australien sind Solarien für alle verboten. Konsequenter Sonnenschutz, vor allem bei Kindern, senkt das Risiko an Hautkrebs zu erkranken.
„Ein intelligenter Umgang mit der Exposition in der Sonne ist anzuraten: Im Freien spielen und sporteln - mit dem richtigen Sonnenschutz ja. Nackt und ungeschützt in der Sonne liegen nein“, bringt es Primar Klaus Eisendle auf den Punkt. Ein geeigneter Sonnenschutz sei zudem die beste Anti-Aging-Medizin, eine gegen Sonne geschützte Haut neige auch weniger zur Faltenbildung.

Wie gesunde Ernährung das Krebsrisiko senken kann
„30 bis 40% der Krebserkrankungen gehen auf falsche Ernährungsgewohnheiten zurück“, erläuterte Dr. Michael Kob von der Abteilung Klinische Ernährung am Krankenhaus Bozen. So ist Adipositas (starkes Übergewicht) ein Risikofaktor für mindestens 13 Krebsarten. Das Risiko an Darmkrebs zu erkranken, steigt mit hohem Fettkonsum, erhöhtem Alkoholkonsum und der zu häufigen Aufnahme von Substanzen, die beim Grillen oder Räuchern entstehen.
Der Verzehr von Fleisch und die Häufigkeit von Darmkrebs stehen ebenso nachgewiesen in Zusammenhang. „Eine ausgewogene Ernährung sowie die Kombination bestimmter Nahrungsmittel können zur Stärkung der körpereigenen Abwehr beitragen, die Heilung fördern und das allgemeine Wohlempfinden heben“, so Michael Kob. Essen aus frischen Zutaten zubereiten, feiern ohne Kater am Morgen und auf ein normales Körpergewicht achten: Mit diesen drei Faktoren hat man schon viel getan, um das Krebsrisiko zu vermeiden.

Bewegung hält gesund
Unverzichtbar für das Wohlbefinden und ein weiterer Faktor, der vor einer Krebserkrankung schützen kann, ist ausreichende Bewegung. „Zahlreiche wissenschaftlich fundierte Beobachtungsstudien zeigen, dass Menschen, die viel Sport treiben und/oder sich regelmäßig bewegen, um bis zu 30% seltener an Krebs erkranken als Personen, die einen körperlich inaktiven Lebensstil führen“, erläutert Dr. Stefan Resnyak, Primar des Landesweiten Dienstes für Sportmedizin.
Für den Gesunden werden 150 Minuten pro Woche Ausdauertraining mit moderater Intensität oder 75 Minuten pro Woche mit höherer Intensität empfohlen sowie mindestens zweimal wöchentlich anstrengendes Krafttraining für alle großen Muskelgruppen. Wenn dies nicht möglich ist, gilt: Jede Bewegung ist besser als keine und es ist nie zu spät, damit anzufangen!
Mit Sport und Bewegung kann man auch den Krankheitsverlauf bei einer Tumorerkrankung positiv beeinflussen. Regelmäßige körperliche Aktivität wirkt den zahlreichen Nebenwirkungen einer Krebserkrankung und deren Therapie entgegen. Um das Verletzungsrisiko so gering wie möglich zu halten, sollten sich Krebspatienten durch den behandelnden Arzt oder Sportmediziner beraten lassen. „Unter anderem ist zu beachten, dass sich der körperliche Zustand je nach Tumorart und im Laufe der onkologischen Behandlung stark verändern kann. Eine regelmäßige sportspezifische Untersuchung ist daher sinnvoll, um die geeignete Bewegungsart und den therapeutisch effektivsten Bewegungsumfang individuell abzustimmen“, erläutert Dr. Resnyak.
Bis auf wenige Ausnahmen, kann möglichst früh nach der Operation oder begleitend zur Tumortherapie mit der Bewegung begonnen werden – am besten unter fachlicher Anleitung in den sogenannten AFA-Gruppen.

Sich und seinen Körper kennen
Zur Krebs-Vorsorge gehört auch eine Vertrautheit mit dem eigenen Körper. Wer seinen Körper kennt, tut sich leichter, bestimmte Signale bereits früh zu erkennen. Unerklärlicher Gewichtsverlust und ständige Müdigkeit treten meist erst auf, wenn die Krankheit schon weiter fortgeschritten ist.
1. Geschwollene Lymphknoten: Meist harmlose Nebenerscheinung bei Infekten. Besteht das Anzeichen jedoch länger als 14 Tage, kann es auf verschiedene Krebsarten hinweisen, vor allem auf Lymphdrüsenkrebs.
2. Unerklärliche Blutungen: Blut im Stuhl (Darmkrebs), im Urin (Blasenkrebs, eine Krebsart, die immer mehr Raucher trifft), sowie Blutungen aus der Scheide, nach den Wechseljahren (Unterleibskrebs, Cervixkarzinom, Gebärmutterkrebs).
3. Flüssigkeitsabsonderung aus Penis (Prostatakrebs) oder Brustwarze (Brustkrebs).
4. Veränderungen der Brustwarze und Hautveränderungen der Brust (Brustkrebs).
5. Wunden heilen nicht (Hautkrebs)
6. Muttermal entsteht neu, verändert sich, wird größer, unregelmäßig, wechselt Farbe oder beginnt zu bluten. Bereits jedes einzelne dieser Veränderungen ist ein Alarmzeichen für Hautkrebs.
7. Anhaltende Schluckbeschwerden (Speiseröhren- oder Kehlkopfkrebs)
8. Anhaltende Heiserkeit (Kehlkopfkrebs)
9. Stimme verändert sich (Kehlkopfkrebs)10. Verdauungsgewohnheiten verändern sich – öfter Durchfall, früher nie; ständig verstopft, früher nie (Darmkrebs).
11. Unerklärliche Kopfschmerzen, die neu auftreten (Hirntumor)
12. Neurologische Ausfälle (Hirntumor)
Zwei Fragen an …
… DDr. Klaus Eisendle


Chance: Ein Europäer von fünf bekommt Hautkrebs, in Südtirol ist die Zahl noch höher: einer von vier. Und die Tendenz steigt. Woran liegt das?
DDr. Klaus Eisendle: Die Südtiroler leben in einer wunderschönen Natur- und Berglandschaft und sind ein äußerst aktives Volk. Fast jeder geht regelmäßig auf den Berg, treibt Sport oder geht Wandern. Ohne korrekten Sonnenschutz, Sonnencreme mit UV-Schutz 30 oder besser 50 und entsprechende Kleidung, Kopfbedeckung, Sonnenbrille etc. ist das gefährlich, zumal in der Höhe, wo die Strahlung um ein Vielfaches stärker ist. Jeder Sonnenbrand mit Blasenbildung erhöht das Krebsrisiko. Aber es gibt noch einen anderen Grund: Wir sind eines der Länder mit der höchsten Lebenserwartung und die Hautschäden summieren sich. Je älter, desto größer das Risiko an Hautkrebs zu erkranken. Lebensgefährlich ist der schwarze Hautkrebs, das Melanom. Aber Sonne ist auch positiv, vergessen wir das nicht. Sonnenlicht produziert Glückshormone und Sonnenstrahlen helfen bei Ekzemen und regen die Vitamin D-Produktion an. Deshalb Sonne ja, aber mit entsprechendem Schutz und nicht zwischen 11 und 15 Uhr.
Chance: Ein Haut-Screening gibt es noch nicht…
DDr. Klaus Eisendle: Nein, leider nicht. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man selbst seine Haut aufmerksam beobachtet, und bei Veränderungen sofort einen Arzt aufsucht. Am besten wäre es, sich ab 40 Jahren alle zwei Jahre einer dermatologischen Visite zu unterziehen, um Muttermale und Hautveränderungen kontrollieren zu lassen. Die gefährdetste Altersgruppe sind die heute 35 - 40jährigen, die in ihrer Kindheit nackt im Schwimmbad oder am Strand rumgehüpft sind!
… Dr. Guido Mazzoleni


Chance: Südtirol gilt, was die Krebstherapie betrifft als vorbildlich. Bei der Vorsorge hingegen scheint unser Land hinterherzuhinken. Nur knapp 30% bzw. 49 % der Frauen folgen der Einladung zu Paptest und Mammographie und auch den Blut-Stuhl-Test nehmen nur 39% der Südtiroler wahr. Wie ist das zu erklären?
Dr. Guido Mazzoleni: Was den Blut-Stuhl-Test belangt haben Sie Recht, bei Pap-Test und Mammographie sind die Zahlen nicht ganz korrekt, weil jene Frauen, die ihre Vorsorge bei einem privat niedergelassenen Frauenarzt bzw. in einer privaten Struktur vornehmen lassen, nicht erfasst sind. Aber solange es nicht hundert Prozent sind, können wir nie genug von Vorsorge sprechen!
Chance: Es gibt noch weitere Vorsorgemaßnahmen, die allerdings noch nicht bzw. nur teilweise vom Sanitätsbetrieb getragen werden…
Dr. Guido Mazzoleni: Das stimmt. Für 12jährige Mädchen wird die Impfung gegen das Papilloma-Virus, der für den Gebärmutterhalskrebs – aber nicht nur – verantwortlich ist, angeboten und bezahlt. Jungen bzw. Männer bis 26 Jahre können sich auf eigene Kosten dagegen impfen lassen und damit das Risiko für ihre (zukünftigen) Partnerinnen senken und auch sich selbst schützen. Das Papillomavirus kann auch Kopf-Hals-Tumoren, Penis- und Anuskrebs verursachen.
… Dr. Michael Kob


Chance: In der Krebsvorsorge geht es nicht nur darum, wie viel wir essen, sondern auch was wir essen?
Dr. Michael Kob: Das stimmt. Übergewicht ist schädlich, weil Fettleibigkeit den Stoffwechsel stört und den Hormonhaushalt durcheinanderbringt. Hormone spielen bei der Entstehung von Krebs eine wichtige Rolle. So regt z. B. ein zu hoher Insulingehalt das Zellwachstum an. Aber auch zu hoher Fleischgenuss – und hier vor allem rotes Fleisch und verarbeitetes Fleisch wie Wurstwaren, Geräuchertes oder Gepökeltes können zu Krebs führen. Ebenso wie der Genuss verdorbener oder jedenfalls nicht frischer oder falsch aufbewahrter Lebensmittel. Frisches Gemüse, viel Rohkost, Obst und Nüsse, Hülsenfrüchte, wenig Zucker sollten eine Selbstverständlichkeit in unserem Menü sein.
Chance: Wie kann ich erkennen, ob ich das richtige Gewicht habe?
Dr. Michael Kob: Der sogenannte Body Mass Index gibt einen Hinweis auf das korrekte Körpergewicht. Dabei wird das Körpergewicht durch die Körpergröße multipliziert mit sich selbst dividiert. Also z. B. 69 kg geteilt durch 1,70 m mal 1,70 = 23,8. Zwischen 18,5 und 24,9 gilt man als normalgewichtig.
… Dr. Stefan Resnyak


Chance: Um Krebs vorzubeugen, muss man kein Leistungssportler sein…
Dr. Stefan Resnyak: Nein, beileibe nicht. Jeder kann dazu beitragen, sein Krebsrisiko zu verringern, wenn er sich regelmäßig bewegt, ideal wären mindestens zwanzig Minuten am Tag. Und das gleiche gilt auch für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes, Alzheimer, Osteoporose, Schlaflosigkeit… Bewegung ist Vorsorge zum Nulltarif. Und Bewegung ist nicht nur Sport. Spazierengehen oder Treppenlaufen kann jeder und in jedem Alter. Aber auch Yoga, Qi Gong, Tanzen, Schwimmen, Radfahren, Gehen oder Joggen…Man sollte das wählen, was einem am meisten Spaß macht. Bewegen kann man sich in jedem Alter und vor allem: Es ist nie zu spät anzufangen!
Chance: Regelmäßige Bewegung hilft nicht nur Krebs vorbeugen?
Dr. Stefan Resnyak: Nein, sie schützt auch vor Rückfällen, stärkt das Immunsystem und sie hat einen positiven Einfluss auf die Therapie, verringert die Nebenwirkungen und hilft gegen das Fatigue-Syndrom. Bei regelmäßiger Bewegung steigen die Heilungschancen um 40%. Anfangen sollte man damit so früh wie möglich nach der OP, aber natürlich unter ärztlicher Aufsicht. Am besten ist es, sich einer Gruppe anzuschließen, das motiviert und hilft, sich überwinden.