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Reden wir darüber!

Informationen aus kompetenter Hand – Wissen nimmt Angst
Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist ein wichtiger Teil der Krebsbehandlung. Nicht immer sprechen Ärzte und Patienten die gleiche Sprache. Und damit sind nicht etwa Italienisch oder Deutsch gemeint. Die Brunecker Krebsgespräche haben sich zum Ziel gesetzt, beide Gruppen ins Gespräch zu bringen. Mit Erfolg. Am 2. Februar war auf der Bühne des UFO in Bruneck die besten Fachärzte Südtirols versammelt, um ganz einfach darüber zu reden: Über Krebs. Neueste Erkenntnisse und Therapien, Zahlen und Fakten, das interdisziplinäre Team…
Der erste Beitrag war dem Allgemeinmediziner vorbehalten.
Dr. Hannes Mutschlechner aus Bruneck unterstrich die Bedeutung des Hausarztes als Bindeglied im interdisziplinären Netzwerk. „Der Hausarzt ist als Vertrauensperson der erste Ansprechpartner für den Patienten, er muss ihn wahrheitsgemäß aber nicht schonungslos aufklären. Er kennt im Idealfall Lebensumstände, die Familie, die Geschichte des Patienten.“ Der Hausarzt spielt eine ganz wichtige Rolle bei der Vorsorge und bei der Frühdiagnostik. „Unsere Aufgabe ist es, den Patienten aufzuklären über einen gesunden Lebensstil, über Impfungen, Elektrosmog, Radonstrahlung, Patientenverfügung etc. und der Verunsicherung durch unqualifizierte Informationen und Dr. Google gegenzusteuern.“ Der Hausarzt kommuniziert mit den Diensten, begleitet die Therapien, er ist zuständig für die Nachbetreuung und auch für die palliative Behandlung. Um all diesen Aufgaben gerecht zu werden, darf der Hausarzt, so Dr. Mutschlechner, nicht zum reinen Bürokraten und Rezepteschreiber degradiert werden, er braucht adäquate Räumlichkeiten und als Unterstützung einen mobilen onkologischen Dienst für die Hausbesuche.
Dr. Guido Mazzoleni, Primar der Abteilung für pathologische Histologie, befasste sich mit den Vorsorge-Screenings. „Screening heißt eine Diagnose für einen Patienten ohne Symptome erstellen. Es geht darum, mit nicht invasiven, bezahlbaren und zuverlässigen Test Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, mit dem Ziel die Sterblichkeit zu verringern und vor allem die Lebensqualität zu steigern.“ Diese Voraussetzung erklärt auch, warum der öffentliche Gesundheitsdienst Screenings auf nur drei Tumorarten beschränkt und zudem eine Altersgrenze zieht. Ein Screening zum Lungenkrebs wird in Erwägung gezogen. Das Prostatakrebs-Screening über den PSA-Wert im Blut habe sich hingegen als nicht zuverlässig erwiesen, weil die Werte nicht eindeutig zu interpretieren seien. Das heiße allerdings nicht, dass die Männer sich nicht regelmäßig untersuchen lassen sollten. In Südtirol gibt es seit 2000 das Brustkrebsscreening, seit 2011 den PAP-Test und seit 2013 das Dickdarmkrebs-Screening. Im Jahr 2017 nahmen im Schnitt etwas weniger als 60% der in Frage kommenden Bevölkerung diese Möglichkeit wahr. Mazzoleni: „Das sind zu wenig! Im Trentino waren es bis zu 80%.“ Eine neue Strategie soll die Südtirolerinnen animieren, sich der Brustkrebsvorsorge zu unterziehen: Mit der Einladung zur Mammographie wird gleich ein Termin vorgeschlagen.
Der Primar der Onkologie Bozen, Dr. Carlo Carnaghi wartete mit guten und weniger guten Nachrichten auf. Auf Italien bezogen: Die Italiener sind weltweit das gesündeste Volk, obwohl die Gesundheitsausgaben dank des universalistischen Gesundheitssystems pro Kopf weit unter dem europäischen Durchschnitt liegen. Die Pro-Kopf-Ausgaben sind in den letzten Jahren weniger gestiegen als in den anderen Ländern und das bei gleichem Standard! Die Südtiroler sind die Gesündesten in Italien. Im Schnitt erreicht jeder Bürger das Alter von 70 ohne große gesundheitliche Beschwerden. In Calabrien sind es 50 Jahre. Die Südtiroler sind ein aktives Volk, im italienischen Durchschnitt bewegen sie sich am meisten. Regelmäßige Bewegung ist eines der Präventionskriterien für Krebs. Sie rauchen weniger, besonders bei den Männern ist die Zahl der Raucher im Abnehmen. Sie sind weniger übergewichtig als die Bevölkerung im restlichen Italien. Aber: Der Alkoholkonsum in Südtirol ist pro Kopf höher als anderswo und entsprechend höher ist die Anzahl der Hals-Kopf- und der Lebertumore. Und: Südtirol hat eine der höchsten Hautkrebsraten in Europa.
Die Reform der onkologischen Chirurgie und die Einführung der Zertifikation zeige erste Ergebnisse: Die postoperative Sterblichkeitsrate ist seit 2014 gesunken. Die peripheren Strukturen müssen sich ihrer Limits bewusst sein und gleichzeitig qualitativ aufgewertet werden, indem sie in das Südtirol weite onkologische Netz eingebunden werden.
In Südtirol fehlten spezialisierte Forschungszentren und es gebe kein Krankenhaus, mit einem Einzugsgebiet von mehr als 300.000 Bürgern (HUB). In Zukunft, so Primar Carnaghi, gehe es darum, homogene und standardisierte Therapiepläne für ganz Südtirol festzulegen sowie die Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungszentren national und international zu verstärken. „In Südtirol treffen verschiedene Kulturen und Denkmodelle aufeinander, Italien, Deutschland, Schweiz und Österreich. Das müssen wir ausschöpfen!“ Die neuen Therapiemodelle und Pharmaka, so Carnaghi, hätten in den letzten Jahren Dinge ermöglicht, die noch vor zwei Jahren niemand für möglich gehalten habe. „Aber gleichzeitig sind die Kosten der Behandlungen dramatisch gestiegen.“ Schon im Jahr 2020 sei nicht abzusehen, wie das nationale Gesundheitswesen die exorbitanten Kosten der onkologischen Therapien bezahlen könne.“
Hausarzt, Dr. Hannes Mutschlechner; Primar für pathologische Histologie, Dr. Guido Mazzoleni; Primar für Onkologie, Dr. Carlo Carnaghi; Dr. Manfred Mitterer, Primar der internistischen Tagesklinik Meran; Dr. Stefan Brugger, Primar Innere Medizin Bruneck
Dr. Manfred Mitterer, Primar der Zentralen Internistischen Tagesklinik in Meran wartete mit einem interessanten Überblick über die Entwicklung der Krebstherapie auf. Von den Anfängen ab 1900 (Paul Ehrlich entwickelt die erste Chemotherapie) nach dem Motto Stahl, Strahl und Gift bis zu den Biomarkern im Jahr 2000, der Immuntherapie 2013 und den individualisierten, auf dem Eiweißprofil basierenden genetischen Therapien von heute. „Wir haben heute Ergebnisse, z. B. beim Lungenkrebs, von denen wir vor nur zwei Jahren nicht geträumt hätten.“ Die Entwicklung sei so rasant, dass ein Mensch/ Arzt alleine, dem nicht nachkommen können. „Pro Woche erscheinen 500 Fachartikel, die medizinische Datenmenge nimmt derart zu, dass sie nur mithilfe von künstlicher Intelligenz zu erfassen ist. Kognitive Assistenzsysteme sind die Zukunft. Und die Zukunft beginnt heute.“
Auch Mitterer befasste sich mit den Kosten des öffentlichen Gesundheitssystems. „Der Ärzte- und Pflegepersonalbedarf wird bis 2020 um 38% steigen. Warum? Weil die meisten Krebs-Patienten heute nicht mehr sterben, sondern chronische Patienten werden.“ Stichwort Ärztemangel: Wir müssen es schaffen, die jungen Leute, vor allem auch Onkologen nach dem Studium zurück nach Südtirol zu holen. Heute sitzen die guten Onkologen in den Großstädten, in Hamburg, Berlin, Mailand, aber es braucht sie in der Peripherie! Aber, so Mitterer, „Südtirol ist nicht attraktiv: Keine Forschung, zu viel Bürokratie und zu wenig Lohn.“
Dr. Stefan Brugger, Primar der Abteilung für Innere Medizin Bruneck, ist einer der jungen Ärzte, die zurückgekommen sind. Nach mehreren Jahren in Wien ist er vor einem Jahr zurückgekehrt. Er gab dem Publikum viele Denkanstöße zum Thema Krebs und Gesellschaft mit auf den Weg. Kontrolle und Schuld: Krebs ist keine Schuld. Auch Menschen mit dem besten Lebenswandel erkranken daran. Nicht bei allen Patienten funktionieren die Therapien, die Heilungschancen sind nicht von vorneherein absehbar. Krebs und Wirtschaft: Jedes Jahr steigen die Kosten der Therapien um 15%. Wer trifft die Entscheidung welches Medikament für welchen Patienten eingesetzt wird? Kommt der Fortschritt nur einigen zugute oder werden die Sozialabgaben erhöht? Italien ist bisher Vorreiter im öffentlichen Gesundheitswesen. Krebs und Kommunikation: Aufklärung ist das Um und Auf jeder Therapie. Nichtaufklären verstößt gegen die Menschenwürde. „Das Schwierigste in meinem Job, so Dr. Stefan Brugger, „ist rechtzeitig zu erkennen, wann eine Therapie von Heilung auf palliativ umgestellt werden muss.“ Brugger beendete seinen Vortrag mit einem Credo: „Krebs wird zu einer chronischen Erkrankung, mit der man lange und glücklich leben kann, aber ohne Tabu. Ich glaube an die Kraft der Seele, aber nicht an gewissenlose Geschäftemacher und selbsternannte Gurus!“
Roland Griessmair, Bürgermeister von Bruneck

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„Der Krebs führt nicht Regie“

Die Patientengespräche – Klaus Gasperi und Barbara Mair
Theatermacher Klaus Gasperi: "Den Kampf gegen den Krebs überlasse ich den Ärzten!"
Das Gespräch mit den Patienten ist vielleicht der eindringlichste Augenblick der Brunecker Krebsgespräche. Informationen aus erster Hand, Lebensberichte. Wie lebt man den akuten Krebs, wie überlebt man ihn und wie lebt man mit ihm. Verena Duregger spricht das alles mit ihren Interviewpartnern ganz offen an. Das berührt und macht Mut. Mut beweisen auch die Patienten, die auf der Bühne ihre Geschichte preisgeben: Der Brunecker Theatermacher Klaus Gasperi und die HNO-Ärztin und zweimal Betroffene Barbara Mair.
„Ich mache alles, verlasse mich auf die Ärzte und laufe sicher keinen falschen Propheten nach. Ich habe viel gekämpft in meinem Leben, den Kampf gegen den Krebs überlasse ich den Ärzten“, so brachte Klaus Gasperi seine Situation auf den Punkt. Er sei siebzig, meinte Gasperi, er habe gut gelebt und jammern helfe auch nichts. Eigentlich sei er vor seiner Erkrankung, ein Prostatakarzinom mit Knochenmetastasen, nie richtig mit dem Thema in Berührung gekommen. Die Prostatavorsorge habe er nie wahrgenommen. Der Krebs machte sich durch Knochenschmerzen bemerkbar. Gasperi geht mit seiner Krankheit offen um, auch wenn er merkt, wie sehr dieses Thema in unserer Leistungsgesellschaft noch tabu ist. Auch er habe erlebt, dass Leute die Straßenseite wechseln, wenn sie ihn sehen. „Ich versuche so zu leben wie immer, wenn auch ohne Bart und ohne Schamhaare“, scherzt er. Die Selbsthilfegruppe „Der Baum“ sei eine tolle Initiative und Stütze und die Behandlung erlebe er als ausgesprochen kompetent, sowohl in Bruneck als auch in der Strahlentherapie in Bozen. „Der Krebs führt nicht Regie. Er ist im Augenblick der Hauptdarsteller, aber der Intendant bin ich.“
Zweimal hat es sie getroffen, beim ersten Mal im Jahr 2000 war Barbara Mair 21 Jahre alt. Morbus Hodgkin. Nach der Behandlung wechselt sie Studiengang. Nicht mehr Kunstgeschichte und Geschichte, sondern Medizin. „Das hat mich alles ungemein fasziniert damals.“ 2018 ist die HNO Ärztin ein zweites Mal erkrankt, an Brustkrebs. Das soziale Netz der Freundinnen hat sie bei der ersten und zweiten Diagnose getragen. „Beide Erkrankungen habe ich nicht allein, sondern zusammen geschafft!“ Selbst bei der Strahlentherapie, damals noch in Trient, waren zwei Freundinnen dabei, Medizinstudentinnen im Praktikum. Die Strahlentherapie ist vermutlich für den Zweittumor verantwortlich, den sie selbst ertastet hat. Sie war noch in Mutterschutz, ihr Sohn gerade eineinhalb. „Ich habe meine Krankheit behandelt, wie wenn es sich um eine meiner Patientinnen handeln würde.“ Das Vom-Fach-Sein hat sie als Vorteil erlebt. „Ich hatte keine Metastasen und habe geschaut, dass ich so schnell wie möglich die Chemo-Therapie beginnen konnte.“ Ihr kleiner Sohn hat alles mit durchlebt. Zweifel und Ängste hat Barbara Mair in Bezug auf ihn. Das Warum war nie ein Thema für sie. „Ich stecke alle meine Energie in die Heilung, nicht in unnütze Fragen. Bin eine überzeugte Schulmedizinerin.“ Das hält sie allerdings nicht davon ab, komplementärmedizinische Behandlungen und die Onkopsychologie in Anspruch zu nehmen. „Ich mache auch Biomeditation, Atemübungen, gehe viele spazieren und umarme Bäume.“ Nie vergessen wird Barbara Mair als sie mit ihrem Tastergebnis zu ihrem Kollegen Dr. Leitner gegangen ist. „Christoph, habe ich gesagt, eine Katastrophe, ich habe ein Mammakarzinom. Und er hat geantwortet: Das ist keine Katastrophe, das behandeln wir!“
Dr. Barbara Mair, Patientin und selbst Ärztin interviewt von Verena Duregger
Walther Lücker, der erste Patient, der bei den 1. Krebsgesprächen auf die Bühne kam, hat dem Publikum kurz vom Vakuum berichtet, in das der Patient nach Ende der Behandlung fällt. „Das ist wie eine Abnabelung. In die Freiheit entlassen und im ersten Moment nicht recht wissen, was damit anfangen.“ Alleingelassen gefühlt habe er sich aber nie. In der Nachtherapiephase, so Lücker, heiße es lernen, mit Angst umzugehen. „Angst vor einem Rückschlag, das Gefühl der Hilflosigkeit nach den Kontrollen bis das befreiende Ergebnis kommt.“