Aktuell

Corona ist ein Beschleuniger der Medizin-Ethik

Dr. Herbert Heidegger – Primar, Sanitätskoordinator und Präsident des Ethikkomitees


Er hat während der Pandemie Covid-19 sozusagen an drei Fronten gekämpft. Dr. Herbert Heidegger ist Direktor des Brustgesundheitszentrums und Primar der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus Meran, gleichzeitig ist er Sanitätskoordinator des Gesundheitsbezirks Meran und seit 2007 Präsident des Südtiroler Ethikkomitees.

Im Juni war seine Abteilung noch am Abarbeiten, auch wenn der „Normalbetrieb“ fast wieder hergestellt war. Was ihn besorgt: Die Krebs-Erstdiagnosen sind im Gesundheitsbezirk Meran im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr (bis April) um 50% zurückgegangen. Was das aus onkologischer Sicht bedeuten kann? Auf jeden Fall eines, wir müssen dringend unsere Früherkennungstätigkeit wieder hochfahren. Während des Lockdowns hatten in unserem Brustgesundheitszentrum klinische (eventuell auffällige) Mammographien absolute Priorität vor Screening-Mammographien.
Die Chance: Wie lange war die Tätigkeit des Brustzentrums bedingt durch die Coronavirus-Pandemie unterbrochen?
Dr. Herbert Heidegger: Vierzehn Tage, dann haben wir wieder begonnen, zunächst mit den Nachsorgeuntersuchungen. Aber wir konnten bedingt durch die Vorsichtsmaßnahmen weniger Patientinnen versorgen; das heißt, wir haben eine Menge von Terminen vor uns her geschoben…
Die Chance: War auch die chirurgische Tätigkeit auf ihrer Abteilung vom Lockdown betroffen?
Dr. Herbert Heidegger: Nein, ich muss sagen, dass wir die wichtigen – und das sind besonders onkologische – Operationen trotz allem durchführen konnten, da hatten wir eigentlich keine Verspätungen.
Die Chance: Die Gesundheitsbezirke in Südtirol haben unterschiedlich auf die Pandemie reagiert…Sie sind auch Sanitätskoordinator.
Dr. Herbert Heidegger: Bei uns im Bezirk ist beschlossen worden, alle Patienten zu testen und zwar rechtzeitig, bevor sie auf die Abteilung aufgenommen werden. Tumorpatienten und vor allem solche, die sich in onkologischer Therapie befinden, sind anfälliger für Infektionen auch für Covid19. Und wir haben außerdem regelmäßig das gesamte Personal in unserer Abteilung getestet! Wir haben zudem eng mit Hausärzten und niedergelassenen Gynäkologen zusammengearbeitet, die mit uns in kontinuierlichem Telefonkontakt standen, so haben wir zwar weniger Mammographien und Untersuchungen durchgeführt, aber dringende Situationen oder Unklarheiten konnten wir zeitnah beurteilen. Gottseidank haben wir in unseren Ambulatorien genug Platz, um den Abstand zu gewährleisten. Jede Frau in der Ambulanz bekam einen Fragebogen und wurde einer Temperaturkontrolle unterzogen. Und sie durfte maximal 15 Minuten vor dem Termin in die Ambulanz kommen.
Die Chance: Hatten die Patientinnen Angst?
Dr. Herbert Heidegger: Sicher waren Ängste vorhanden, besonders bei onkologischen Patientinnen. Aber wir hatten das eigentlich gut im Griff. Etwa 1.500 – 1.600 Frauen sind in unserer Brustkrebs Nachsorge. Wir haben zu den Frauen einen guten und regelmäßigen Kontakt. Das heißt, wir kennen sie und sie kennen uns, damit gelingt es ganz gut, sie zu beruhigen und ihnen Sicherheit zu geben. Einige wenige wollten partout nicht ins Krankenhaus kommen, andere hingegen, bei denen es nicht so dringend war, bestanden auf einer Kontrolle. Im Einzelfall konnten wir auch psychologische Hilfe anbieten.
Die Chance: Glauben Sie, dass Covid-19 langfristige Angststörungen hervorrufen wird. Sowohl bei den PatientInnen als auch bei den Ärzten und dem Pflegepersonal?
Dr. Herbert Heidegger: Angst war eine sehr präsente Empfindung für alle, auch für uns Ärzte. Aber von Angststörungen zu sprechen wäre glaube ich doch übertrieben. Natürlich war die Angstbewältigung ein Thema, das uns beschäftigt hat, auch in der Sanitätsdirektion, wo wir uns über zwei Monate jeden Morgen um 11 Uhr zum Briefing trafen. Es galt aber in diesen schwierigen Momenten das zu tun, was zu tun war. In diesem Zusammenhang würde ich hier gerne eines erwähnen: Die Direktorin unseres Gesundheitsbezirks, Dr. Irene Pechlaner, war unglaublich effizient und präsent! Nicht alle Führungspersonen haben das so geschafft. Auch im Ethikkomitee haben wir uns natürlich mit dem Thema Pandemie auseinandersetzen müssen: Fragen der Triage, der Einschränkung von Bürgerrechten, Fragen der Kommunikation usw. Diese Vollbremsung hat ausnahmslos alle geschockt. Auch uns Ärzte! Da denken wir immer, wir sind so toll, wir erzählen täglich von den Top-Leistungen der modernen Medizin und dann kommt so ein Virus und im Krankenhaus bleibt kein Stein auf dem anderen. Abteilungen wurden geschlossen, Personal umorganisiert. Wir waren alle mit unserer biologischen Verletzbarkeit konfrontiert. Ich nehme mich da nicht aus. Es war einfach dramatisch. Und nicht jeder ist damit fertig geworden. Es zeigte sich: wer vorher schon gut und stark war, wurde noch besser. Wer nicht so gut war, wurde schlechter. In diesem Sinne war die konkrete Angst, ja sogar Überlebensangst auch bei Ärzten ein Thema. Es gab diesbezüglich einige Probleme. Besonders stark waren die Pfegeberufe aufgestellt und präsent. Das muss betont werden. Ich hoffe, dass die Helden von damals auch die Helden der Zukunft sein mögen.
Die Chance: Viele Probleme nicht nur medizinischer und organisatorischer, sondern auch ethischer Natur…
Dr. Herbert Heidegger: Eines steht fest: Corona ist ein Beschleuniger der Medizinethik! Probleme ethischer Natur gab und gibt es viele, die auch im Nachhinein diskutiert werden müssen. Das Problem der Kommunikation zum Beispiel. Patienten wurden ohne Erklärung in andere Krankenhäuser verlegt, Termine gestrichen, Krankenhauspersonal hin- und hergeschoben. Es hat diesbezüglich große Probleme und Sorgen gegeben und es hat viel Frust bei den Mitarbeitern erzeugt. Viele Managementaufgaben waren nicht optimal gelöst. Die Triage war ein großes Thema. Die Tatsache, dass nicht genügend Beatmungsplätze vorhanden sein könnten. Wie in einer solchen Situation entscheiden? Wer bekommt einen Beatmungsplatz? Das Problem der alten Menschen in den Seniorenheimen, die Frage der bestmöglichen Betreuung von Patienten z.B. durch Telemedizin, eine Frage, die auch in der Nach-Covid-Zeit aktuell bleibt und mit der wir uns ausführlich werden beschäftigen müssen…
Die Chance: …das Thema Impfungen?
Dr. Herbert Heidegger: Genau. Ist eine allgemeine Impfpflicht zu verantworten? Können gesunde Menschen Testimpfungen unterzogen werden, um einen neuen Impfstoff zu erproben? Oder andersherum, darf man z.B. die Covid Impfung verweigern…?
Die Chance: Sie haben ja nicht nur gynäkologische Patientinnen, sondern auch eine Geburtshilfe…
Dr. Herbert Heidegger: Das war natürlich auch eine große Herausforderung. Wir mussten alle Abläufe völlig neu überdenken. In der ersten Zeit des Lockdown durften Väter bei der Geburt nicht anwesend sein. Das warm Moment, der doch zu den wichtigsten und prägendsten Ereignissen im Leben eines Paares zählt. Wir mussten alle Frauen, die zur Entbindung kamen testen. Die Verunsicherung war auch bei Ärzten und Hebammen groß! Tatsächlich haben wir bis jetzt (Stichtag 19. Juni, Anm. d. Red.) sieben Frauen mit Covidpositivität betreut. Dabei hatten wir seit Mitte April keine positiven Frauen mehr im Krankenhaus…
Die Chance: Hatten Sie Kontakt mit anderen Krankenhäusern?
Dr. Herbert Heidegger: Viele Kollegen und Freunde haben mich aus Deutschland und Österreich angerufen. Sie stellten Fragen nach unserem Management und unserer Organisation. Sie waren froh um den zeitlichen Vorsprung und wollten ihn gut nutzen. Sie haben sich über Prozeduren informiert, über Schutzkleidung, Umgang mit Mitarbeitern. Wir haben Filme geschickt, z.B. wie man die Schutzkleidung anzieht. Ich habe auch einen Erfahrungsbericht geschrieben, über die „Onkologische Versorgung in einem Covid-19 Epidemiegebiet Norditaliens“, wo auch die Erfahrungen des Primars der onkologischen Tagesklinik, Dr. Manfred Mitterer eingeflossen sind. Wir haben zum Beispiel, wo es möglich war, die intravenöse Behandlung durch eine orale ersetzt, damit die Patienten erst gar nicht ins Krankenhaus kommen müssen. Wir haben externe Blutuntersuchungen organisiert und eine besondere Form der Betreuung nicht nur, aber auch für onkologische Patienten mit milden Covid Symptomen mittels mobilen Betreuungsteams, bestehend aus Arzt und Krankenpfleger/in. Ein Spaziergang war es jedenfalls bei uns nicht! Und wir werden uns im Nachhinein mit Lücken in unserem Gesundheitssystem auseinanderzusetzen haben.
Die Chance: Wie sind Sie persönlich damit umgegangen?
Dr. Herbert Heidegger: Es war dramatisch! Man war mittendrin, musste handeln und war vielen Informationen ausgesetzt, ohne wirklich Zeit zum Verarbeiten zu haben. …Schon wieder zwei Menschen in der Intensivstation gestorben, gar nicht so alt…. Die Bilder der Kollegen und des Pflegepersonals aus der Lombardei… Wenn ich nach Hause gefahren bin vom Krankenhaus, bin ich häufig von der Polizei angehalten und kontrolliert worden, es war ja sonst niemand unterwegs. Und zuhause, naja… Meine Frau sagt, ich hätte sehr wenig kommuniziert. Ich war sehr betroffen, war selbst so beeindruckt und voller Fragen. Überstehen wir das? Haben wir das wirklich im Griff? Als Führungsperson im Krankenhaus muss man Mut machen und präsent sein. Und das war auch für mich nicht immer ganz einfach. Wie gesagt, das Gefühl der biologischen Verletzbarkeit und Endlichkeit war sehr präsent. Ja und natürlich habe auch ich unter den Folgen des Lockdowns gelitten. Meine Tochter, die in München lebt, hat vor sechs Wochen Zwillinge geboren und erst nächstes Wochenende (Stichtag 19. Juni, Anm. d. Red.) können wir hinausfahren und sie endlich besuchen…

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Wir sind bereit!

Der Primar der Abteilung für Anatomie und pathologische Histologie, Dr. Guido Mazzoleni
Weniger Arbeit. Keine Screenings, nur dringende, nicht aufschiebbare Operationen, ein paar Autopsien - leider nur ein paar... und dann schließlich ab Ende Mai die Rückkehr zur Normalität. Dies ist die kurze Beschreibung der Coronavirus-Periode durch den Primar der Abteilung für Pathologie und pathologische Histologie am Krankenhaus Bozen, Dr. Guido Mazzoleni.
Der Lockdown hat auch die Arbeit in seiner Abteilung stark beeinflusst. Eine der Abteilungen mit der geringsten Sichtbarkeit für die Patienten, aber von grundlegender Bedeutung für das Funktionieren des gesamten medizinischen Dienstes in Südtirol!
Alle Biopsien, sowohl die präventiv und diagnostisch durchgeführten, als auch die während chirurgischen Eingriffen vorgenommenen Biopsien, um über einen erhaltenden oder aber radikalen Operationsverlauf zu entscheiden, werden von seiner Abteilung ausgewertet. Eine Abteilung mit multi-zonalem Wirkungsbereich für alle vier Südtiroler Gesundheitsbezirke. Dr. Mazzoleni und seine Mitarbeiter führen makroskopische, mikroskopische, genetische und molekulare Analysen an menschlichen Zellen, Geweben, Organen und biologischen Flüssigkeiten durch, um pathologische Prozesse verschiedenster Art (von Tumoren bis zu Entzündungen usw.) zu diagnostizieren. Darüber hinaus ist die Abteilung Anatomie und Pathologische Histologie (in der Folge kurz Pathologie) von größter Bedeutung für das gesamte Südtiroler Krebsfrüherkennungsprogramm, d.h. Pap-Tests, zytologische Diagnosen von Gebärmutterhals-Vaginalabstrichen und histologische Untersuchungen von Gewebeproben, die in den verschiedenen Abteilungen und Spezialambulanzen nicht nur in öffentlichen Krankenhäusern, sondern auch in den verschiedenen privaten Einrichtungen des Landes entnommen werden.
Ein weiterer wichtiger Zweig sind Obduktionen, nicht nur von diagnostischem, sondern auch medizinisch-juristischem Interesse. Schließlich führt das Team der Pathologie sowohl medizinisch als auch biologisch, genetische und molekulare Untersuchungen durch, die nicht nur darauf abzielen, Chromosomenstörungen im Ungeborenen zu entdecken, sondern, und dies in zunehmendem Maße, genetische Veranlagungen für bestimmte Krankheiten zu erkennen und entscheidende zelluläre Merkmale für das biologische Verhalten verschiedener Krankheiten, insbesondere Krebs, aufzudecken.
Wenn all diese sehr wichtigen Aktivitäten auf Standby geschaltet werden, können die Folgen dramatisch sein, vor allem, wenn man bedenkt, welch große Rolle der Zeitfaktor gerade im Bereich der Krebserkrankungen spielt. Es ist daher nur natürlich, dass die Verlangsamung der Arbeit während des Lockdowns Primar Mazzoleni mit großer Sorge erfüllt. Und tatsächlich sind die ersten Konsequenzen auch bereits sichtbar. Der Mammographie-Dienst wurde erst am vergangenen 8. Juni wiedereröffnet. „Letztes Jahr Mitte Juni haben wir etwa doppelt so viele Mammographien pro Tag durchgeführt", sagt Dr. Mazzoleni.
Im Screening-Zentrum in Bozen ist die Anzahl der durchführbaren Mammographien (d.h. die Anzahl der geplanten Termine) von über 80 pro Tag in der Zeit vor Covid auf derzeit 51 pro Tag gestiegen (durchschnittlicher Tageswert in den zwei Wochen nach Wiederaufnahme der Aktivität). Auf Provinzebene waren für den Monat Juli 2.121 Termine geplant (durchschnittlich 92 Frauen pro Tag in den 23 Tagen der geplanten Aktivität), verglichen mit 4.570 Terminen im Juli 2019 (durchschnittlich 199 Frauen pro Tag). „Die Listen sind lang, und wir haben keine Zeit zu verlieren," unterstreicht Dr. Mazzoleni.
„Wir sind bereit!", sagt der Primar. Seiner Meinung nach hätte der Dienst zumindest zum Teil durchaus auch während der akuten Covid-Phase aufrecht erhalten werden können. „Natürlich mit den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen." Dies betrifft auch die Autopsien. „Einige konnte ich auf eigenes Risiko noch vor dem Stopp aus Rom vornehmen. Schade", meint der Primar der Pathologie, „eine verpasste Chance.“ Bei einigen der von Mazzoleni vorgenommenen Obduktionen, wurden bei Covid-Patienten nicht diagnostizierte Tumore in fortgeschrittenem Stadium endeckt. Letztlich hätte die regelmäßige Obduktion von Covid-Patienten eine korrektere Bestimmung der Daten über die Sterblichkeit durch Coronavirus ermöglicht.