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„Weniger elegant aber in jedem Fall effizient...“

Dr. Elisabetta Cretella: die Onkologie des Landes-Krankenhauses Bozen während des Lockdowns
Dr. Elisabetta Cretella, Oberärztin in der Onkologie des Krankenhauses Bozen
„Die Covid-19-Pandemie hat mich meinen Patienten nähergebracht. Jetzt kann ich wirklich nachfühlen, was es heißt, mit Angst als ständigem Begleiter, Dauerzustand eines Krebspatienten, zu leben!“ Dr. Elisabetta Cretella ist Oberärztin in der Onkologie des Krankenhauses Bozen. Ihre Abteilung hat streng die Richtlinien der AIOM, Italienische Vereinigung für medizinische Onkologie, befolgt, um die Patienten angemessen zu behandeln, ohne das Infektionsrisiko zu erhöhen.
Schwierige Zeiten, geprägt von großem Druck und Stress. Zur Verminderung des Risikos wurde das medizinische und pflegerische Personal in zwei Gruppen aufgeteilt, die unabhängig voneinander in Wochenschichten arbeiteten. „Insgesamt“, so Dr. Cretella, „blieben wir drei Wochen zuhause, oder aber wir versahen unsere Arbeit isoliert von der Abteilung in unserem Büro, z.B. die Patiententelefonate.“ Gleich zu Beginn der Pandemie waren auch Mitarbeiter der Onkologie an Covid erkrankt.
Onkologie-Patienten entsprechen grundsätzlich drei Kategorien: Patienten in aktiver (Chemo-)Therapie, frisch diagnostizierte Patienten, die vor Behandlungsbeginn stehen und „geheilte“ Patienten im Follow-Up. Die Organisation der Abteilung erfordert, dass es für jeden Patiententyp spezifische Zeitfenster und unterschiedliche Warteräume gibt.
Zu Beginn der Pandemie wurden die Vorsorgeuntersuchungen sofort ausgesetzt, um ein erhöhtes Infektionsrisiko zu verhindern. Die Patienten wurden von ihren behandelnden Onkologen telefonisch kontaktiert, und wenn die Ergebnisse der letzten Untersuchungen keinen Anlass zur Besorgnis gaben, wurden sie in Stand-By gesetzt. „Als klar wurde, dass der Lockdown länger dauern würde, vergaben wir Termine im Abstand von zwei bis drei Monaten. Patienten dieser Kategorie, die sich aufgrund einer Unverträglichkeit der Behandlung oder des Auftretens verdächtiger Symptome bei uns meldeten, wurden sofort zu einer dringenden klinischen Untersuchung eingeladen.“
Ab Mai, im Laufe des Monats Juni und bis Anfang Juli, betont die Onkologin Elisabetta Cretella, konnte die Abteilung nach und nach den gesamten Rückstand an Untersuchungen wieder aufholen und gleichzeitig die für diesen Zeitpunkt vorgemerkten Untersuchungstermine wahrnehmen.
Was die Kategorie der Erstbesuche anbelangt, d.h. Patienten mit einer Diagnose, die eine Behandlung beginnen müssen, wurde die Aktivität während Covid ohne Unterbrechung fortgesetzt, allerdings mit weniger Untersuchungen an einem Tag als vor Ausbruch der Pandemie. Dr. Cretella: „Die Erst-Visiten zur Therapiebestimmung konnten schon nach kurzer Zeit wieder termingerecht durchgeführt werden; in einigen Fällen, in denen die Behandlung nicht ganz dringend war, haben wir es allerdings vorgezogen, einen Rückgang des Infektionsrisikos abzuwarten.“
Ein großes Problem für die Onkologie war die Tatsache, dass auch die Radiologie ihre Tätigkeit einschränken musste. Dies führte zu einem Aufschub aller nicht dringenden Untersuchungen.
Nach dem allgemein üblichen Programm, werden bestimmte Untersuchungen in bestimmten Abständen durchgeführt: Ultraschall z. B. jeden Monat, CT alle zwei Monate. Die Onkologen mussten entscheiden, welche radiologische Untersuchung unabdinglich war und welche ohne Gefahr aufgeschoben werden konnte. „Sagen wir es so: wir mussten uns gezwungenermaßen an eine weniger elegante, spartanische Medizinpraxis, an Symptome und Labortests halten, um zu verstehen, wie die Patienten auf die Behandlung ansprechen“, erklärt Dr. Cretella. „Jedenfalls ist seit Juni alles wieder so, wie es war!“
Wird sich die Verschiebung radiologischer oder onkologischer Termine um mehrere Wochen auf mögliche Rezidive, zum Beispiel bei Brustkrebs, auswirken? „Nein“, beruhigt die Onkologin Elisabetta Cretella. „Die Untersuchungen im Rahmen des Follow-UP-Nachuntersuchungen dienen ja nicht der Vorsorge, sondern der Früherkennung. Nicht immer muss eine Mammographie im Abstand von zwölf Monaten erfolgen, wenn sie sechs Monate später durchgeführt wird, stellt das kein Risiko für die Patientin dar. In dieser Hinsicht können unsere Patientinnen wirklich absolut beruhigt sein!“
Das Triage-Zelt vor dem Bozner Krankenhaus
Notfälle hatten auch während der Covid-Pandemie absoluten Vorrang und auch die onkologische Chirurgie ist nicht eingestellt worden. Dringende Eingriffe wurden zeitgerecht vorgenommen. „Bei der histologischen Diagnose eines Neoplasmas in situ, kann man durchaus einige Wochen warten, bei einem aggressiveren, dreifach negativem Tumor mit befallenem Lympknoten natürlich nicht.“ Als die OP-Säle in Bozen geschlossen waren, wurden einige dringende Fälle für den Eingriff in andere Krankenhäuser, z. B. Meran, überstellt.“
Die Entscheidung der Landesregierung, das Landes-Krankenhaus in Bozen, das einzige wirklich große klinische Zentrum in Südtirol, zur Referenzeinrichtung für Covid zu machen, möchte die Onkologin Elisabetta Cretella nicht kommentieren. „Zuerst schien es Meran zu sein, aber dann wurde doch Bozen ausgewählt. Ein Glück konnten wir in Bozen während des Coronavirus Notstands schon auf Räumlichkeiten des neuen Krankenhaustraktes zurückgreifen, eine absolut notwendige Entscheidung, um die Infektion in Schach zu halten und die Krankheit zu überwachen“.
Und die Ärzte der Abteilung, wie haben sie diese Pandemie erlebt? „Wir hatten alle Angst, jeder von uns. Angst um sich selbst, Angst um die Familie, Angst um die Patienten“. Auch therapeutische Entscheidungen waren von Angst bestimmt. „Ein Patient, der sich einer Chemotherapie unterzieht, ist extrem delikat, daher stellten wir uns natürlich die Frage, ob es zu verantworten war, einem Patienten in dieser Situation eine Chemotherapie zu verabreichen, oder ob es besser wäre, nach einer Alternativtherapie zu suchen oder zumindest etwas abzuwarten, um das Risiko einer Coronavirusinfektion nicht zu erhöhen.“
Eines möchte Dr. Elisabetta Cretella in diesem Zusammenhang klarstellen: „Patienten, die ihre Behandlung abgeschlossen haben, egal ob vor fünf Jahren, vor drei oder auch nur vor einem Jahr, brauchen keine Angst zu haben, sie sind nicht gefährdeter, was eine Covid-Infektion betrifft, als jeder andere auch!“ Dr. Cretella und ihre Kollegen, sowohl Ärzte als auch Krankenschwestern, haben sich während des Höhepunktes der Pandemie nie als „Helden“ gefühlt. „Jeder von uns hat seine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt und einfach nur seine Pflicht erfüllt.“
Eines erhofft sich Dr. Elisabetta Cretella von der Nach-Covid-Zeit: Dass die Kompetenz des Sanitätspersonals mehr geschätzt wird, dass mehr in Strukturen, Ausstattung, Aus- und Weiterbildung investiert wird, damit jeder seine Tätigkeit bestmöglich ausüben kann. „Und zwar immer, nicht nur Ausnahmesituationen!“

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Angst nicht, aber Respekt!

Ein Gespräch mit der Pflege-Koordinatorin der Onkologie Brixen, Julia Müller
Julia Müller ist seit 2019 Pflegekoordinatorin der Abteilungen Subintensiv und Onkologie am Krankenhaus Brixen. Seit 2013 arbeitet die 30jährige, die auch Mitglied des Bezirksvorstands der Krebshilfe Eisacktal-Wipptal-Gröden ist, als Krankenschwester. Pflegepersonal und Ärzte gemeinsam haben in der Zeit der Coronavirus-Pandemie Außerordentliches geleistet.
Die Chance: Frau Müller, wie war es unter diesen extremen Bedingungen zu arbeiten?
Julia Müller: Ungewohnt und fordernd. Es war vor allem am Anfang nicht leicht, das alles organisatorisch hinzubekommen. Dr. Gilbert Spizzo, der ärztliche Leiter der Onkologie, hat bereits von Anfang an mit seinem Ärzteteam und den KrankenpflegerInnen an dieser Herausforderung gearbeitet. Unter anderem hat er Videos bezüglich der Schutzausrüstung und der korrekten An- und Auskleidung unter den Mitarbeitern verbreitet.
Die Chance: Gab es im Krankenhaus spezifische Vorkehrungen für die onkologischen Patienten?
Julia Müller: Ja. Sie waren ja besonders gefährdet und mussten vor dem Risiko der Ansteckung geschützt werden, deswegen wurde ihnen ein separater Zugang zugewiesen. Außerdem haben jeder Patient und auch eventuelle Begleiter einen Screeningbogen ausfüllen müssen. Temperatur sowie die Sauerstoffsättigung wurden bei jedem Zugang gemessen. Dafür musste ein neuer Dienst geschaffen werden, mit teilweiser Aushilfe von anderen Diensten und Abteilungen. Vor allem für uns KrankenpflegerInnen gab es bedingt durch die Telefongespräche mit den Angehörigen einen deutlichen Mehraufwand. Angehörige, bzw. Begleiter waren ja nur bei dringender Notwendigkeit zugelassen. Das Ziel war es, die Onkologie soweit abzuschirmen, dass der Kontakt zu anderen Abteilungen so gering wie möglich war, um das Infektionsrisiko für die Patienten auf das Minimum zu reduzieren.
Die Chance: Und das ist ihnen gelungen…
Julia Müller: Absolut. Zurückblickend kann ich mit Stolz sagen, dass das gesamte Team hervorragend und diszipliniert unter diesen Umständen gearbeitet hat.
Die Chance: Hatten Sie Angst?
Julia Müller: Direkt Angst nicht, ich würde eher von Respekt vor diesem Virus sprechen. Und den habe ich immer noch. Anfänglich war die größte Sorge, dass man selbst unbemerkt positiver Träger von SarsCov-19 ist und Patienten, Mitarbeiter und Familienangehörige anstecken könnte. Wir waren alle vorsichtig und hatten Bedenken, dass jemand von extern den Virus auf die Abteilung bringen könnte…
Die Chance:…und die Patienten?
Julia Müller: Denen erging es genauso. Auch sie befürchteten, die Infektion nach Hause ins geschützte Umfeld zu bringen. Deshalb haben einige Patienten auch eigenständig angerufen, um Termine zu verschieben. Bei jedem noch so kleinen Verdacht, bei der geringsten Unsicherheit wurden die Patienten isoliert von den anderen betreut und versorgt.
Die Chance: Onkologische Patienten galten nicht nur als eine sehr gefährdete Risikogruppe, sie waren gleichzeitig auch doppelt betroffen, wegen der Verschiebung von Kontroll- und Vorsorgeuntersuchungen. Und Zeit ist bei Krebserkrankungen ja ein sehr wichtiger Faktor. Wie wurde das in Brixen gehandhabt?
Julia Müller: Alles was nicht dringend war, wurde verschoben, zur Sicherheit des Patienten. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen und Hygienevorschriften, die wir getroffen und strikt eingehalten haben, gab es immer noch ein nicht auszuschließendes Restrisiko, sich anzustecken. Die dringenden Termine wurden nach einer nur zweiwöchigen Unterbrechung wieder aufgenommen.
Die Chance: Hätten Sie sich so etwas, so eine Pandemie und den daraus resultierenden Lockdown, je vorstellen können?
Julia Müller: Nein, das habe ich mir nicht vorstellen können, nicht in diesem Ausmaß und nicht mit dieser Wucht. Aber es ist geschehen. Was uns bleibt, sind die negativen und die positiven Erfahrungen und was wir daraus haben lernen können, um die Gegenwart und die Zukunft zu verbessern. So schrecklich es war, ich verstehe es gleichzeitig auch als eine Chance!
Die Chance: Was bewirkt so eine Erfahrung in einem, wie wirkt sich das auf die künftige Tätigkeit aus?
Julia Müller: Zum einem zeigt es, wie verwundbar der Mensch ist, was so ein kleines Virus alles anrichten kann. Zum anderen hat es mich auch gestärkt, in dem ich was mache und tue. Natürlich wird vieles gleichbleiben, einiges wird sich aber auch ändern. Bestimmte Prozesse und Abläufe, die vorher normal waren, können so nicht mehr durchgeführt werden. Aber das hat durchaus auch seine Vorteile. Routinen, die vorher unantastbar waren, kaum denkbar sie jemals abzuändern, mussten plötzlich zwangsläufig neu überdacht werden und durch diesen neuen Blickwinkel fiel es plötzlich leicht, sie zu verändern. Grundsätzlich muss ich sagen, hat es mir bestätigt, wie professionell, harmonisch und strukturiert unser Team der Onkologie arbeitet.
Die Chance: Ein positiver Nebeneffekt…
Julia Müller: Ganz bestimmt. Bestätigung ist immer auch ein guter Antrieb, in Zukunft noch besser zu arbeiten!
Die Chance: Wie sehen Sie in die Zukunft? Von wegen zweiter Welle, andere Viren-Pandemien, Impfung…?
Julia Müller: Ich hoffe sehr, dass es nicht zu einer zweiten Welle kommt. Wir müssen einfach auf Wissenschaftler und Virologen vertrauen – und wenn wir uns alle, wirklich alle, an die Hygienevorschriften und Sicherheitsvorkehrungen halten, dann gehen wir in die richtige Richtung und können unseren Beitrag dazu leisten, dass wir eine erneute, rasante Verbreitung des Corona Virus wirksam unterbinden.