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Angst nicht, aber Respekt!
Ein Gespräch mit der Pflege-Koordinatorin der Onkologie Brixen, Julia Müller
Julia Müller ist seit 2019 Pflegekoordinatorin der Abteilungen Subintensiv und Onkologie am Krankenhaus Brixen. Seit 2013 arbeitet die 30jährige, die auch Mitglied des Bezirksvorstands der Krebshilfe Eisacktal-Wipptal-Gröden ist, als Krankenschwester. Pflegepersonal und Ärzte gemeinsam haben in der Zeit der Coronavirus-Pandemie Außerordentliches geleistet.
Die Chance: Frau Müller, wie war es unter diesen extremen Bedingungen zu arbeiten?
Julia Müller: Ungewohnt und fordernd. Es war vor allem am Anfang nicht leicht, das alles organisatorisch hinzubekommen. Dr. Gilbert Spizzo, der ärztliche Leiter der Onkologie, hat bereits von Anfang an mit seinem Ärzteteam und den KrankenpflegerInnen an dieser Herausforderung gearbeitet. Unter anderem hat er Videos bezüglich der Schutzausrüstung und der korrekten An- und Auskleidung unter den Mitarbeitern verbreitet.
Die Chance: Gab es im Krankenhaus spezifische Vorkehrungen für die onkologischen Patienten?
Julia Müller: Ja. Sie waren ja besonders gefährdet und mussten vor dem Risiko der Ansteckung geschützt werden, deswegen wurde ihnen ein separater Zugang zugewiesen. Außerdem haben jeder Patient und auch eventuelle Begleiter einen Screeningbogen ausfüllen müssen. Temperatur sowie die Sauerstoffsättigung wurden bei jedem Zugang gemessen. Dafür musste ein neuer Dienst geschaffen werden, mit teilweiser Aushilfe von anderen Diensten und Abteilungen. Vor allem für uns KrankenpflegerInnen gab es bedingt durch die Telefongespräche mit den Angehörigen einen deutlichen Mehraufwand. Angehörige, bzw. Begleiter waren ja nur bei dringender Notwendigkeit zugelassen. Das Ziel war es, die Onkologie soweit abzuschirmen, dass der Kontakt zu anderen Abteilungen so gering wie möglich war, um das Infektionsrisiko für die Patienten auf das Minimum zu reduzieren.
Die Chance: Und das ist ihnen gelungen…
Julia Müller: Absolut. Zurückblickend kann ich mit Stolz sagen, dass das gesamte Team hervorragend und diszipliniert unter diesen Umständen gearbeitet hat.
Die Chance: Hatten Sie Angst?
Julia Müller: Direkt Angst nicht, ich würde eher von Respekt vor diesem Virus sprechen. Und den habe ich immer noch. Anfänglich war die größte Sorge, dass man selbst unbemerkt positiver Träger von SarsCov-19 ist und Patienten, Mitarbeiter und Familienangehörige anstecken könnte. Wir waren alle vorsichtig und hatten Bedenken, dass jemand von extern den Virus auf die Abteilung bringen könnte…
Die Chance:…und die Patienten?
Julia Müller: Denen erging es genauso. Auch sie befürchteten, die Infektion nach Hause ins geschützte Umfeld zu bringen. Deshalb haben einige Patienten auch eigenständig angerufen, um Termine zu verschieben. Bei jedem noch so kleinen Verdacht, bei der geringsten Unsicherheit wurden die Patienten isoliert von den anderen betreut und versorgt.
Die Chance: Onkologische Patienten galten nicht nur als eine sehr gefährdete Risikogruppe, sie waren gleichzeitig auch doppelt betroffen, wegen der Verschiebung von Kontroll- und Vorsorgeuntersuchungen. Und Zeit ist bei Krebserkrankungen ja ein sehr wichtiger Faktor. Wie wurde das in Brixen gehandhabt?
Julia Müller: Alles was nicht dringend war, wurde verschoben, zur Sicherheit des Patienten. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen und Hygienevorschriften, die wir getroffen und strikt eingehalten haben, gab es immer noch ein nicht auszuschließendes Restrisiko, sich anzustecken. Die dringenden Termine wurden nach einer nur zweiwöchigen Unterbrechung wieder aufgenommen.
Die Chance: Hätten Sie sich so etwas, so eine Pandemie und den daraus resultierenden Lockdown, je vorstellen können?
Julia Müller: Nein, das habe ich mir nicht vorstellen können, nicht in diesem Ausmaß und nicht mit dieser Wucht. Aber es ist geschehen. Was uns bleibt, sind die negativen und die positiven Erfahrungen und was wir daraus haben lernen können, um die Gegenwart und die Zukunft zu verbessern. So schrecklich es war, ich verstehe es gleichzeitig auch als eine Chance!
Die Chance: Was bewirkt so eine Erfahrung in einem, wie wirkt sich das auf die künftige Tätigkeit aus?
Julia Müller: Zum einem zeigt es, wie verwundbar der Mensch ist, was so ein kleines Virus alles anrichten kann. Zum anderen hat es mich auch gestärkt, in dem ich was mache und tue. Natürlich wird vieles gleichbleiben, einiges wird sich aber auch ändern. Bestimmte Prozesse und Abläufe, die vorher normal waren, können so nicht mehr durchgeführt werden. Aber das hat durchaus auch seine Vorteile. Routinen, die vorher unantastbar waren, kaum denkbar sie jemals abzuändern, mussten plötzlich zwangsläufig neu überdacht werden und durch diesen neuen Blickwinkel fiel es plötzlich leicht, sie zu verändern. Grundsätzlich muss ich sagen, hat es mir bestätigt, wie professionell, harmonisch und strukturiert unser Team der Onkologie arbeitet.
Die Chance: Ein positiver Nebeneffekt…
Julia Müller: Ganz bestimmt. Bestätigung ist immer auch ein guter Antrieb, in Zukunft noch besser zu arbeiten!
Die Chance: Wie sehen Sie in die Zukunft? Von wegen zweiter Welle, andere Viren-Pandemien, Impfung…?
Julia Müller: Ich hoffe sehr, dass es nicht zu einer zweiten Welle kommt. Wir müssen einfach auf Wissenschaftler und Virologen vertrauen – und wenn wir uns alle, wirklich alle, an die Hygienevorschriften und Sicherheitsvorkehrungen halten, dann gehen wir in die richtige Richtung und können unseren Beitrag dazu leisten, dass wir eine erneute, rasante Verbreitung des Corona Virus wirksam unterbinden.