Thema

„Wir sind keine Endstation“

Die neue Palliativ-Abteilung im Krankenhaus Bruneck
Fotos: Othmar Seehauser


„Das Gestern ist Geschichte. Das Morgen ist ein Rätsel. Das Heute ist ein Geschenk.“ Dieses Motto empfängt die Besucher der Palliativ-Abteilung im Krankenhaus Bruneck. Vor einem Jahr eröffnet, wurde sie im Mai 2023 offiziell eingeweiht. Auch wenn in Bruneck schon seit 1998 palliativ gearbeitet wird, wie die Leiterin der Abteilung, Dr. Monika Hilber, erklärt. Ein langer Prozess des Ringens um einen eigenen Bereich, einen geschützten Raum, jenseits des hektischen Alltags der medizinischen Akut-Abteilungen.
Die Ruhe empfängt einen sofort, wenn man die Abteilung betritt. Drei Einzel- und ein Doppelzimmer. Eine für die Angehörigen der Patienten immer offene Abteilung ohne geregelte Besuchszeiten. Im Mittelpunkt der Arbeit des eingespielten Teams von Dr. Hilber stehen die Symptomkontrolle und -linderung, die Begleitung der Patienten.
„Was uns wichtig ist,“ betont Dr. Hilber mit ihrer sanften Stimme, „wir sind keine Endstation, kein End-of-Care.“ Die durchschnittliche Verweildauer der Patienten, Menschen mit lebensbegrenzenden und chronischen Erkrankungen, beträgt neun Tage. Dann werden die Patienten wenn möglich und so zeitnah wie möglich in die geschützte Situation des eigenen Zuhauses entlassen. Möglich macht das ein palliatives Netzwerk, das vorher bis ins kleinste Detail geplant wird. Der Hausarzt, die SprengelkrankenpflegerInnen, die Ehrenamtlichen der Caritas und die Palliativstation arbeiten Hand in Hand, umgeben die Patienten und deren Angehörige wie ein schützender Mantel. Tatsächlich stammt das Wort palliativ vom lateinischen Pallium ab, Mantel.
Immer wieder müssen Dr. Hilber, die mit dem verantwortlichen Primar der Abteilung, Dr. Massimo Bernardo, in regelmäßigem Austausch steht, und ihre Mitarbeiter die Patienten, vor allem aber deren Angehörige zunächst beruhigen. Zu oft wird das Wort Palliativ-Care gleichgesetzt mit „Oje, das letzte Stündlein.“ „Ich erkläre im Aufnahmegespräch immer, dass ich Spezialistin für das Wohlbefinden bin. Unsere erste Fragestellung lautet immer: Wie geht es den Menschen? Was sind ihre Bedürfnisse? Was ist jetzt, genau zu diesem Zeitpunkt, wichtig für das körperliche, seelische und spirituelle Wohlbefinden, nicht nur des Erkrankten, sondern auch seines Umfelds", betont Dr. Hilber. „Erst im zweiten Moment erkläre ich dann, was palliativ bedeutet, nämlich das Leben so gut wie möglich leben!“
Multidisziplinarität ist angesagt: die Ärztin, die KrankenpflegerInnen, der Seelsorger, der Onko-Psychologe, die Diätassistentin, die PhysiotherapeutInnen und natürlich die behandelnden ÄrztInnen der verschiedenen Fachrichtungen, decken gemeinsam alle Bedürfnisse der Patienten ab. Seit Mai 2022 sind ca. 130 Patienten auf der Palliativstation aufgenommen worden. „Mittlerweile haben wir auch spontane Anfragen von Patienten, am Anfang kamen sie nur über die Kontaktaufnahme von Seiten des behandelnden Arztes. Ein Angebot, das sie nebenbei auch ablehnen konnten.“ Viele empfinden die Aufnahme auf der Palliativabteilung zunächst als Schock. „Und viele wollen dann nicht mehr weg.“
Die Abteilung ist durchwegs zu 100% ausgelastet. Dies nicht zuletzt auch aufgrund der demographischen Entwicklung. Dr. Monika Hilber: „In Bozen gibt es elf Plätze auf der Palliativ-Abteilung und ein Day Hospital Bett, in Meran zwölf, bei uns sind es fünf. Der Bedarf wäre größer!“
Die Mitarbeiter der Palliativabteilung sind noch im Teambildungsprozess erklärt Dr. Monika Hilber. „Es ist ein sehr gutes Team im Entstehen, jeder bringt unterschiedliche Erfahrungen mit und alle, die hier arbeiten, haben von selbst den Wunsch geäußert, auf dieser Abteilung eingesetzt zu werden.“ Ein Fort- und Weiterbildungsprogramm ist noch in Ausarbeitung, jedem der MitarbeiterInnen steht die Möglichkeit des Coachings zur Verfügung, aber vor allem stehen sie im engen Austausch untereinander, Situationen werden gemeinsam besprochen. Dr. Hilber ist bisher die einzige diensthabende Ärztin, was lange Dienste und viele Überstunden mit sich bringt.
Wer auf einer Palliativstation arbeitet, muss Empathie und Mitgefühl mit sich bringen, um an der Seite der Patienten sein zu können. "Aber," so Dr. Hilber, „wir dürfen nicht mit dem Einzelnen verschmelzen, sonst können wir nicht helfen. Es gibt immer wieder Schicksale, die betroffen machen, man soll seine Emotionen zeigen, aber man darf sich nicht darin verlieren!“
Das Annähern an den Patienten geht Schritt für Schritt vor sich. Behutsam. „Wir müssen vorsichtig das Tabu aufbrechen, ehrlich und wahrhaftig sein, aber nicht brutal. Man muss erfühlen, wie viel will der Patient wissen. Das ist ein Prozess, der Geduld erfordert. Manche Patienten öffnen die Tür sofort, andere brauchen Zeit.“
Die Thematik des Sterbens, so die leitende Ärztin, "ist in unserer Gesellschaft an die Institutionen übergeben worden, delegiert an Außenstehende." Früher starben die Menschen zuhause, der Tod gehörte zum Leben wie die Geburt, war mit Ritualen versehen, in die auch die Kinder miteinbezogen waren, heute kommen viele Menschen erst im (fortgeschrittenen) Erwachsenen-Alter zum ersten Mal in direkten Kontakt mit diesem Thema. "Mehr als die Hälfte unserer Patienten wird nachhause entlassen, das palliative Netzwerk kann rund um die Uhr Sicherheit anbieten“, unterstreicht Dr. Hilber, die auch Hausbesuche vornimmt. „Ich stelle immer wieder fest, wie gut die Betreuung ist! Wir entlassen die Patienten ja nicht von heute auf morgen, sondern bereiten alles im Detail vor, wer übernimmt was. Besprechen alles mit der Familie.“
Die Palliativabteilung ist Ansprechpartner für die Patientenverfügung. Auch für Patienten anderer Abteilungen. „Wir ermutigen grundsätzlich alle Patienten zu diesem Schritt.“ Außerdem berät die Palliativ-Station andere Abteilungen in Sachen Palliativ-Care, unterhält eine Ambulanz für Patienten, die zuhause sind, empfängt für Beratungen und Visiten. Verstärkung wäre dringend nötig!
„Ohne die Unterstützung der Inneren Medizin hier am Krankenhaus Bruneck wäre unsere Arbeit so nicht möglich,“ betont Dr. Hilber. „Die Palliativmedizin ist eine Low-Technic- und More-Personal-Medizin. Wir haben (abgesehen vom ärztlichen Personal) einen sehr guten Personalschlüssel. Andererseits sage ich immer: Wir sind kein Fünf-Sterne-Hotel, wo man mit dem Leben bezahlt.“
Dr. Monika Hilber
Ich möchte die Menschen ganzheitlich betreuen.
Sie strahlt Ruhe aus und Aufmerksamkeit. Ihre Stimme ist sanft und einfühlsam. Wenn man ihr gegenüber sitzt, fällt es nicht schwer, sie sich im Patientengespräch vorzustellen. Dr. Monika Hilber ist, wie sie selbst sagt, eine waschechte Puschtrerin und ein Land-Ei. Die Fachärztin für Innere Medizin und Palliativ-Care hat in Innsbruck studiert und danach lange in Esslingen gearbeitet. Sie ist Mutter von drei Kindern im Alter von drei, sieben und elf Jahren. Schon als Kind wollte sie Ärztin werden. „Ich war viel krank und musste oft stationär betreut werden. Für ich eine positive Erfahrung, weil es mir immer besser ging, sobald ich im Krankenhaus war, der Krankenhaus-Geruch beruhigt mich.“ Ihre erste Wahl war eigentlich Gynäkologie, aber dann entschied sie sich anders. „Ich wollte die Menschen ganzheitlich betreuen und habe mich schlussendlich für die Innere Medizin entschieden. Ich finde das sehr spannend und abwechslungsreich. Es gibt viele Diagnostik-Möglichkeiten, die Diagnosefindung ist immer ein sehr interessanter Vorgang“ Sie hat lange Jahre auch als Notfall- und als Intensivmedizinerin gearbeitet. „Der Übergang zur Palliativmedizin war ein Prozess.“ Ihre Mutter ist zuhause an Krebs gestorben, „ich habe schöne Erinnerungen an den Tod meiner Mutter, an das Begleiten.“
Andreas Ferdigg
Den anderen wertschätzen und in den Mittelpunkt stellen.
Das Wichtigste ist ihm der Respekt für die Patienten. Das Erste, was an Andreas Ferdigg auffällt, ist sein Strahlen von innen heraus. Nach der Ausbildung zum Krankenpfleger an der Claudiana, hat er eine Ausbildung in Palliativpflege angehängt. Vor der Palliativstation hat der Vater von drei Kindern (sieben, fünf und 2 Jahre alt) in der Notaufnahme gearbeitet. „Eine Umstellung, aber ich habe den Wechsel nicht bereut!“ Er redet viel mit den Kollegen, mit den Patienten, schätzt das Vertrauen in ihn und seine Kompetenzen, das Stationsleiterin und Mitarbeiter ihm entgegenbringen. „Ich bin der einzige Krankenpfleger und ich glaube, es ist gut, dass es auch eine männliche Bezugsperson für die PatientInnen gibt.“ In gewissen Situationen, sagt Andreas Ferdigg, können Patienten professionelle Hilfestellung besser annehmen, als jene ihrer Angehörigen. Er selbst hat das Ableben seiner Mutter im Familienkreis begleitet. "Trotz des Schmerzes und der Trauer eine gute Erinnerung! Ich möchte dies auch anderen ermöglichen."
Anja Oberstaller
Palliativ, das ist mir wichtig!
Sie ist ganz Intensität und Ruhe. Anja Oberstaller gehört zum Urgestein der Palliativ-Care in Bruneck. Noch bevor die Abteilung als solche gegründet wurde, betreute sie zusammen mit zwei Kolleginnen die Palliativ-Ambulanz. "Im Herbst 2021 bekamen wir dann Unterstützung von Dr. Monika Hilber." Das Ziel der Ambulanz ist es, eine Brücke zwischen dem Territorium und dem Krankenhaus zu sein. Unterstützend und beratend zu Seite zu stehen. Lebensqualität der Patienten ihrer Angehörigen zu verbessern und die Symptome zu lindern. Damit die erkrankte Person solange es möglich ist, auch bis zuletzt, zu Hause betreut werden kann. Schon 2010 hat Anja Oberstaller in Kloster Neustift die Ausbildung in Palliative-Care absolviert. Heute ist sie selbst Kursleiterin im Projekt „Letzte Hilfe“ (s. Chance 3/2022, Anm. d. Red.). „Palliativ, das ist mir wichtig. Die Menschen begleiten auf ihrem letzten Lebensweg, für sie da sein und gemeinsam die schwierige Situation auszuhalten. Das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind.“ Weiterbildung in diesem Bereich ist für Anja Oberstaller ein wichtiges Thema. „Ich möchte noch mehr Wissen, um meine Erfahrung noch besser einbringen zu können.“ Das Schöne an der Palliativmedizin sind für die Mutter von zwei Kindern die Ehrlichkeit und das Vertrauen, die vielen Lebensgeschichten. „Wenn sich das Fenster zur Seele öffnet.“

Aktuell

Jedem seine personalisierte Therapie

Südtirols Gesundheitsdienst übernimmt als erster in Europa Kosten für individuelle pharmako-genetische Abklärung
Foto: unsplash / Atari Betamax


Seit März ist eine positive Revolution in Südtirols Krankenhäusern im Gange! Leise und unbemerkt beeinflusst sie das Leben hunderter Patienten. Das Stichwort ist Pharmako-Genetik. Mutationen können die Wirkung vieler Medikamente beeinträchtigen, wenn nicht ganz aufheben oder aber, auch in Wechselwirkung mit anderen Medikamenten, zum Teil gravierende Nebenwirkungen hervorrufen. Für eine pharmako-genetische Abklärung braucht es nur eine Blutprobe. Im Labor von PharmaGenetix in Salzburg wird diese analysiert und das genetische Identikit des betreffenden Patienten erstellt. Der behandelnde Arzt kann aufgrund dieser Daten eine auf Maß zugeschnittene Therapie zusammenstellen. Der Südtiroler Sanitätsbetrieb ist der erste in Europa, der diese Untersuchungen kostenfrei anbietet.
Professor Markus Paulmichl ist Pharmakologe. Der gebürtige Vinschgauer ist nach vielen Jahren Arbeitserfahrung an führenden Kliniken in den USA, Australien und Mailand nun in Salzburg für die Firma PharmaGenetix tätig, die spezialisiert ist auf pharmakogenetische Analysen für individualisierte Therapien, und die den vom Land ausgeschriebenen Wettbewerb für die pharmako-genetischen Reihen-Untersuchungen für sich entschieden hat.
Pro Woche werden in den dortigen Labors zwanzig bis dreißig Blutproben von Südtiroler Patienten analysiert. Nicht nur Krebspatienten. Auch Psychopharmaka und andere Medikamente für schwerwiegende Erkrankungen können durch genetische Beeinflussung an Wirksamkeit verlieren oder Nebenwirkungen erzeugen. PharmaGenetix berechnet auf der Basis einer umfassenden Datenbank mit über 900 Wirkstoffen anhand eines einzigartigen Algorithmus die optimale Medikamenten-Kombination und Dosierung.
„Genetische Mutationen ändern sich von Population zu Population“, erklärt Dr. Paulmichl. Japaner, Südamerikaner, Afrikaner, Eurasier haben alle unterschiedliche Genmuster. Aber nicht nur: „Die Bevölkerung Südtirols weist ein signifikant anderes Genmuster auf als Österreicher“, erklärt der Pharmakologe. „Deshalb ist eine pharmakogenetische Untersuchung noch wichtiger, es können nicht einfach Therapiemuster aus Österreich eins zu eins auf Südtirol übertragen werden.“
Ein gravierendes Beispiel ist das Medikament Tamoxifen, das BrustkrebspatienInnen (auch Männern) verabreicht wird, um eine Rezidive zu verhindern. „Der Vergleich mit internationalen Statistiken zeigt, dass dieses Medikament bei 6 von 31 Patienten nicht funktioniert, weil Mutationen in der Leber das Enzym, das für die Wirksamkeit dieses Medikaments erforderlich ist, verändern.“ Eine Tatsache, die sich allerdings erst nach vier bis fünf Jahren bemerkbar macht, wenn diese PatientInnen einen Rückfall erleiden.
„Das wichtigste Anliegen eines Arztes ist, unnötiges Leiden zu verhindern, aber auch unnötige Kosten zu vermeiden, damit das öffentliche Gesundheitssystem effizient arbeiten kann. Studien zeigen,“ so Prof. Paulmichl, „dass in Österreich mit seinen sieben Millionen Einwohnern pro Jahr 900 Millionen Euro für Therapien von Arzneimittel-Nebenwirkungen ausgegeben werden. Zwei Drittel dieser Kosten kann man durch eine pharmakogenetische Analyse vermeiden, gleichzeitig sind die Heilungschancen und die Lebensqualität der Patienten um ein Wesentliches erhöht!“
Die Einführung der pharmako-genetischen Untersuchung geht auf eine Initiative des Generaldirektors des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Dr. Florian Zerzer, zurück. Er selbst, so Paulmichl, sei überrascht gewesen, von der Qualität des Südtiroler Sanitätswesens. „Südtiroler Patienten, insbesondere auch Krebspatienten, können sich darauf verlassen, dass sie hier nach den modernsten Standards behandelt werden. Und das gilt für alle Onkologien und Abteilungen des Landes, für alle KollegInnen, die ihren Patienten die neuesten, personalisierten Therapien zukommen lassen.“
Die genetischen Untersuchungen haben früher knapp einen Monat Zeit in Anspruch genommen. Eine sehr lange Zeit, wenn man auf den Beginn seiner Therapie wartet! Mittlerweile ist es weniger als eine Woche. Der behandelnde Arzt kann aufgrund der pharmakogenetischen Analyse für jeden seiner Patienten eine auf ihn optimal zugeschnittene Therapie zusammenstellen. Auch unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen mit anderen Arzneien. „Krebspatienten sind in den meisten Fällen ältere Menschen, die neben dem Krebs noch andere Pathologien aufweisen und dafür Medikamente einnehmen. Diese können im spezifischen Fall ebenfalls die Wirkung einer Therapie in Frage stellen."
Die Kosten für eine pharmako-genetische Untersuchung belaufen sich auf 750 Euro. Eine falsch eingestellte Therapie, so der Vinschgauer Pharmakologe, "kann unnötiges Leiden verursachen, wenn nicht das Leben kosten. Gleichzeitig werden sehr kostenintensive Behandlungen umsonst eingesetzt und die nicht optimale oder verfehlte Wirkung der Therapie verursacht weitere Kosten." Geld, das in effiziente Therapien und Dienste fließen könnte. "Gewinner sind am Ende in jedem Fall die Patienten!"