Thema
Eine Stimme für das Leben
Die gemeinnützige Vereinigung „Familienhörbuch“ gibt Eltern mit lebensverkürzender Diagnose die Möglichkeit ihren Kindern eine Audiobiografie zu hinterlassen.
Das erste Familienhörbuch hat Judith Grümmer 2014 aufgenommen – FOTO: Familienhörbuch GmbH
Eine Medizin-Journalistin beim Deutschlandfunk, die sich in den 80er Jahren viel mit Hospiz und Palliativ befasst hat. Es ist die Zeit, in der AIDS bekannt wird, in der die ersten Palliativ-Strukturen gegründet werden. Als sie Mutter wird, fragt sie sich: „Was würde ich tun, wenn ich unheilbar erkranken würde?“ Ihre Antwort: „Ich würde Hör-Kassetten vollquatschen.“ Das war die Geburt der Idee. Für die Umsetzung brauchte Judith Grümmer viele Jahre. Nach einem Umweg über Senioren, richtete sie den Fokus auf junge Erwachsene und entschied, dieses Angebot muss kostenfrei sein. 2014 startete sie zunächst allein, ab 2017 im Team und 2019 gründete sie die gemeinnützige GmbH, „Das Familienhörbuch“.
„Alles, was eine Stimme hat überlebt“ steht in der Dachzeile der Homepage von Familienhörbuch. Die Idee ist denkbar einfach. Unheilbar erkrankte Eltern mit minderjährigen Kindern leiden vor allem darunter, sie nicht ins Erwachsenenalter begleiten zu können. Das Familienhörbuch lässt sie zu Wort kommen, verleiht ihrer Stimme Dauer. Was man weitergeben möchte, ändert sich von Person zu Person. Der größte Spaß als Kind: Durch Pfützen springen, auf Bäume klettern, Fußballspielen… Wie man seinen Partner kennen gelernt hat. Der erste Kuss. Wie man Schwangerschaft und Geburt des/der Kindes/r erlebt hat. Welche Werte man hat. Was einen glücklich macht. Welche Dinge man seinen Kindern weitergeben möchte. Liebe. Freude. Erfahrungen. Auch Abschiedstrauer. Ein Leben in Worten. Ein Geschenk für das Leben.
Die Stimme von Vater oder Mutter ist ein Schatz für die Hinterbliebenen. Die Stimme und die Lebensgeschichte rufen Erinnerungen und Bilder der ganzen Person wach. „Es gibt kein zu früh für das Familienhörbuch“, betont Carmen Dreyer, Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit bei Familienhörbuch. „Wir ermutigen die Menschen, früh mit uns Kontakt aufzunehmen, wenn sie noch Kraft haben. Manche hören sich gewisse Teile des Familienhörbuchs noch zusammen mit Partner und Kindern auf der Couch oder kuschelnd im Bett an.“ Das Familienhörbuch ist in Kapitel unterteilt, die auch in verschiedenen Momenten gehört werden können, wenn Kinder schon größer sind. Es gibt auch sogenannte Tresor-Kapitel, die möglicherweise erst dem Erwachsenenalter vorbehalten sind.
Das Familienhörbuch besteht aus sechs Festangestellten und einem großen Team an freiwilligen Mitarbeitern. Rund 80 AudiobiografInnen, die eine spezifische Weiterbildung am Zentrum für Palliativmedizin in Bonn absolviert haben, ein ehrenamtliches Psychologinnenteam, ein wissenschaftliches Begleitteam, das aus ExpertInnen für Palliativmedizin und Onkologie sowie PsychologInnen besteht, über 30 Sounddesigner, Tontechniker und (Hörbuch)Produzenten. Mitarbeiter, die sich um Verwaltung, Fundraising und Spenden kümmern. Das Psychologen-Team steht auf Wunsch auch den Familienangehörigen zur Verfügung. Laut Satzung werden Familienhörbücher für lebensverkürzend erkrankte Menschen mit Kindern unter 18 Jahren erstellt. Die Kinder können leiblich, adoptiert, Stiefkinder oder auch Pflegekinder sein. „Bisher mussten wir niemanden abweisen. Auch wenn die Finanzlage vielleicht etwas knapp wurde, im letzten Moment kam immer wieder etwas herein“, berichtet Carmen Dreyer. Die Erstellung eines Familienhörbuchs kostet zwischen 5.000 und 6.000 Euro. Die AudiobiografInnen reisen entweder an oder die betroffene Person kommt zu ihnen, es können aber auch online Familienhörbücher erstellt werden.
Das längste bisher erstellte Familienhörbuch dauert 15 Stunden, das kürzeste 50 Minuten. Der Schnitt liegt bei sechs bis sieben Stunden. Zu hören ist nur die Stimme des Vaters oder der Mutter. Die AudiobiografInnen bleiben im Huintergrund, aber ihr Beitrag ist wichtig, um den Betroffenen zu helfen, ihre Erinnerungen zu ordnen, das Hörbuch zu strukturieren. Grundsätzlich ist das Team immer im Einsatz. „Einmal haben wir ein Hörbuch am ersten Weihnachtsfeiertag erstellt, weil sich der Zustand eines Betroffenen, der Anfang Januar einen Termin hatte, unerwartet verschlechtert hat.“
Mit der Erstellung eines Familienhörbuchs sind rund hundert Arbeitsstunden verbunden. Zunächst lernen sich AudiobiografInnen und Betroffene in einem Gespräch kennen. Sie besprechen mögliche Themen. Die Betroffenen können eine Playlist mit Lieblingsmusik vorgeben. Die Aufnahme nimmt durchschnittlich drei Tage (oder sechs halbe Tage) in Anspruch. Das gesamte Material wird anschließend von den Sounddesignern und Tontechnikern professionell überarbeitet, geschnitten, mit Musik und Ton unterlegt.
Seit 2017 wurden 526 TeilnehmerInnen in das Projekt aufgenommen, 829 Kinder haben das Geschenk eines Familienhörbuchs erhalten. „Im vergangenen Jahr haben wir 178 erstellt, dieses Jahr werden es schätzungsweise um die 200“, sagt Carmen Dreyer. Der Verein ist zu 100 Prozent über Spenden finanziert, 50 Prozent über Stiftungen, 50 Prozent über private Spender. „Es gibt Firmen, die uns eine Rest-Cent-Aktion schenken, die Post-Code-Lotterie hat uns schon mehrmals unterstützt, die Familien von Betroffenen unterstützen uns…“
Wissenschaftlich begleitet wird Das Familienhörbuch vom Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen und für Palliativmedizin des Uniklinikums Heidelberg. Die gemeinnützige Vereinigung war schon Gegenstand von drei Forschungsprojekten, aktuell läuft eine Fragenbogenaktion mit den ersten dreihundert Familien, die eine Audiobiografie aufgenommen haben, um zu erfassen, welche möglichen Auswirkungen die Erstellung des Hörbuchs auf die psychosoziale Stabilität und die persönliche Bewältigung der Erkrankungssituation hat. Alle würden es wieder tun“, betont Carmen Dreyer. Langfristiges Ziel ist, das Familienhörbuch zu einem institutionellen Angebot im Rahmen des Gesundheitswesens, bzw. der Trauerbegleitung zu machen.
Die AudiobiografInnen nehmen alle zwei Jahre an einer mehrtägigen Weiterbildung teil, es gibt Einzel- und Gruppen-Supervision. „Wir haben mehrere AudiobiografInnen, die mehrere Sprachen sprechen, um auf die Bedürfnisse mehrsprachige Familien eingehen zu können.“ Die AudiobiografInnen sind über ganz Deutschland verteilt, aber sie sind auch in Frankreich oder der Schweiz tätig. „Wir haben auch schon Familienhörbücher in den USA, in Australien oder in kroatischer Sprache aufgenommen.“ Grundsätzlich werden Anfragen aus dem Ausland angenommen.
Warum die Entscheidung, nur Journalisten als AudiobiografInnen zu akzeptieren? „Das Gespräch soll so ähnlich sein, wie wenn man im Zug jemandem begegnet und ihm spontan sein Leben erzählt,“ erklärt Carmen Dreyer. „Eine kurze Begegnung, getragen von einem spontanen Vertrauen, aus der eine gut strukturiert erzählte Lebensgeschichte entsteht." Dafür schienen Judith Grümmer, der heute 65jährigen Gründerin von Familienhörbuch, in Gesprächsführung geschulte JournalistInnen am geeignetsten. Ihr größter Wunsch, neben einer institutionellen bzw. dauerhaften Unterstützung und Sicherheit: „Dass wir als Gesellschaft lernen, uns dem Thema der Sterblichkeit auch von jungen Menschen zu stellen, dass wir sie in unserer Mitte lassen, sie begleiten und sie mit in die Zukunft nehmen.“
Väter und Mütter, die mit einer unheilbaren Krankheit und einer lebensverkürzenden Diagnose konfrontiert sind und minderjährige Kinder haben, können sich unter kontakt@familienhoerbuch.de um die Aufnahme eines Familienhörbuchs bewerben.
„Alles, was eine Stimme hat überlebt“ steht in der Dachzeile der Homepage von Familienhörbuch. Die Idee ist denkbar einfach. Unheilbar erkrankte Eltern mit minderjährigen Kindern leiden vor allem darunter, sie nicht ins Erwachsenenalter begleiten zu können. Das Familienhörbuch lässt sie zu Wort kommen, verleiht ihrer Stimme Dauer. Was man weitergeben möchte, ändert sich von Person zu Person. Der größte Spaß als Kind: Durch Pfützen springen, auf Bäume klettern, Fußballspielen… Wie man seinen Partner kennen gelernt hat. Der erste Kuss. Wie man Schwangerschaft und Geburt des/der Kindes/r erlebt hat. Welche Werte man hat. Was einen glücklich macht. Welche Dinge man seinen Kindern weitergeben möchte. Liebe. Freude. Erfahrungen. Auch Abschiedstrauer. Ein Leben in Worten. Ein Geschenk für das Leben.
Die Stimme von Vater oder Mutter ist ein Schatz für die Hinterbliebenen. Die Stimme und die Lebensgeschichte rufen Erinnerungen und Bilder der ganzen Person wach. „Es gibt kein zu früh für das Familienhörbuch“, betont Carmen Dreyer, Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit bei Familienhörbuch. „Wir ermutigen die Menschen, früh mit uns Kontakt aufzunehmen, wenn sie noch Kraft haben. Manche hören sich gewisse Teile des Familienhörbuchs noch zusammen mit Partner und Kindern auf der Couch oder kuschelnd im Bett an.“ Das Familienhörbuch ist in Kapitel unterteilt, die auch in verschiedenen Momenten gehört werden können, wenn Kinder schon größer sind. Es gibt auch sogenannte Tresor-Kapitel, die möglicherweise erst dem Erwachsenenalter vorbehalten sind.
Das Familienhörbuch besteht aus sechs Festangestellten und einem großen Team an freiwilligen Mitarbeitern. Rund 80 AudiobiografInnen, die eine spezifische Weiterbildung am Zentrum für Palliativmedizin in Bonn absolviert haben, ein ehrenamtliches Psychologinnenteam, ein wissenschaftliches Begleitteam, das aus ExpertInnen für Palliativmedizin und Onkologie sowie PsychologInnen besteht, über 30 Sounddesigner, Tontechniker und (Hörbuch)Produzenten. Mitarbeiter, die sich um Verwaltung, Fundraising und Spenden kümmern. Das Psychologen-Team steht auf Wunsch auch den Familienangehörigen zur Verfügung. Laut Satzung werden Familienhörbücher für lebensverkürzend erkrankte Menschen mit Kindern unter 18 Jahren erstellt. Die Kinder können leiblich, adoptiert, Stiefkinder oder auch Pflegekinder sein. „Bisher mussten wir niemanden abweisen. Auch wenn die Finanzlage vielleicht etwas knapp wurde, im letzten Moment kam immer wieder etwas herein“, berichtet Carmen Dreyer. Die Erstellung eines Familienhörbuchs kostet zwischen 5.000 und 6.000 Euro. Die AudiobiografInnen reisen entweder an oder die betroffene Person kommt zu ihnen, es können aber auch online Familienhörbücher erstellt werden.
Das längste bisher erstellte Familienhörbuch dauert 15 Stunden, das kürzeste 50 Minuten. Der Schnitt liegt bei sechs bis sieben Stunden. Zu hören ist nur die Stimme des Vaters oder der Mutter. Die AudiobiografInnen bleiben im Huintergrund, aber ihr Beitrag ist wichtig, um den Betroffenen zu helfen, ihre Erinnerungen zu ordnen, das Hörbuch zu strukturieren. Grundsätzlich ist das Team immer im Einsatz. „Einmal haben wir ein Hörbuch am ersten Weihnachtsfeiertag erstellt, weil sich der Zustand eines Betroffenen, der Anfang Januar einen Termin hatte, unerwartet verschlechtert hat.“
Mit der Erstellung eines Familienhörbuchs sind rund hundert Arbeitsstunden verbunden. Zunächst lernen sich AudiobiografInnen und Betroffene in einem Gespräch kennen. Sie besprechen mögliche Themen. Die Betroffenen können eine Playlist mit Lieblingsmusik vorgeben. Die Aufnahme nimmt durchschnittlich drei Tage (oder sechs halbe Tage) in Anspruch. Das gesamte Material wird anschließend von den Sounddesignern und Tontechnikern professionell überarbeitet, geschnitten, mit Musik und Ton unterlegt.
Seit 2017 wurden 526 TeilnehmerInnen in das Projekt aufgenommen, 829 Kinder haben das Geschenk eines Familienhörbuchs erhalten. „Im vergangenen Jahr haben wir 178 erstellt, dieses Jahr werden es schätzungsweise um die 200“, sagt Carmen Dreyer. Der Verein ist zu 100 Prozent über Spenden finanziert, 50 Prozent über Stiftungen, 50 Prozent über private Spender. „Es gibt Firmen, die uns eine Rest-Cent-Aktion schenken, die Post-Code-Lotterie hat uns schon mehrmals unterstützt, die Familien von Betroffenen unterstützen uns…“
Wissenschaftlich begleitet wird Das Familienhörbuch vom Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen und für Palliativmedizin des Uniklinikums Heidelberg. Die gemeinnützige Vereinigung war schon Gegenstand von drei Forschungsprojekten, aktuell läuft eine Fragenbogenaktion mit den ersten dreihundert Familien, die eine Audiobiografie aufgenommen haben, um zu erfassen, welche möglichen Auswirkungen die Erstellung des Hörbuchs auf die psychosoziale Stabilität und die persönliche Bewältigung der Erkrankungssituation hat. Alle würden es wieder tun“, betont Carmen Dreyer. Langfristiges Ziel ist, das Familienhörbuch zu einem institutionellen Angebot im Rahmen des Gesundheitswesens, bzw. der Trauerbegleitung zu machen.
Die AudiobiografInnen nehmen alle zwei Jahre an einer mehrtägigen Weiterbildung teil, es gibt Einzel- und Gruppen-Supervision. „Wir haben mehrere AudiobiografInnen, die mehrere Sprachen sprechen, um auf die Bedürfnisse mehrsprachige Familien eingehen zu können.“ Die AudiobiografInnen sind über ganz Deutschland verteilt, aber sie sind auch in Frankreich oder der Schweiz tätig. „Wir haben auch schon Familienhörbücher in den USA, in Australien oder in kroatischer Sprache aufgenommen.“ Grundsätzlich werden Anfragen aus dem Ausland angenommen.
Warum die Entscheidung, nur Journalisten als AudiobiografInnen zu akzeptieren? „Das Gespräch soll so ähnlich sein, wie wenn man im Zug jemandem begegnet und ihm spontan sein Leben erzählt,“ erklärt Carmen Dreyer. „Eine kurze Begegnung, getragen von einem spontanen Vertrauen, aus der eine gut strukturiert erzählte Lebensgeschichte entsteht." Dafür schienen Judith Grümmer, der heute 65jährigen Gründerin von Familienhörbuch, in Gesprächsführung geschulte JournalistInnen am geeignetsten. Ihr größter Wunsch, neben einer institutionellen bzw. dauerhaften Unterstützung und Sicherheit: „Dass wir als Gesellschaft lernen, uns dem Thema der Sterblichkeit auch von jungen Menschen zu stellen, dass wir sie in unserer Mitte lassen, sie begleiten und sie mit in die Zukunft nehmen.“
Väter und Mütter, die mit einer unheilbaren Krankheit und einer lebensverkürzenden Diagnose konfrontiert sind und minderjährige Kinder haben, können sich unter kontakt@familienhoerbuch.de um die Aufnahme eines Familienhörbuchs bewerben.
Informationen: www.familienhoerbuch.de
Diese Videos geben einen Einblick in Das Familienhörbuch (in deutscher Sprache):
www.youtube.com/watch?v=lCSJHw3k84E
www.youtube.com/watch?v=GOURDZWf8So&t=8s
Diese Videos geben einen Einblick in Das Familienhörbuch (in deutscher Sprache):
www.youtube.com/watch?v=lCSJHw3k84E
www.youtube.com/watch?v=GOURDZWf8So&t=8s