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Ich gehe gerne neue Wege

Gespräch mit dem neuen Primar der HNO-Abteilung Bozen Dr. Luca Calabrese
Seit ersten Januar ist Dr. Luca Calabrese Primar der Hals Nasen Ohrenabteilung am Krankenhaus Bozen. Eine Koryphäe mit mehr als 5.000 onkologischen Eingriffen vor allem im Bereich von Gesicht und Rachen. Er ist spezialisiert auf die funktionelle Wiederherstellung und Transplantationen und ist bekannt für seine besondere Empathie mit den Patienten.
Treffpunkt 18.15 im Büro des Primars. Ein überaus interessantes und sehr langes Gespräch. Dr. Calabrese hat sich nicht nur Zeit genommen, er hat sich auch von seinen Leidenschaften treiben lassen. Onkologie, das besondere Verhältnis, das ihn mit seinen Patienten verbindet, komplexe Eingriffe an Rachen und Kiefer, Sprechende Medizin (narrative medicin), Kultur-Anamnese, kulturelle Integration und das von der von ihm gegründeten „Fondazione Salvatore Calabresi“ vorangetriebene Projekt zur kulturellen Integration „Mundi“, die Krebsvorsorge… Immer wieder springt er auf, sucht einen Operationsbericht über eine Unterkieferrekonstruktion in seinem Computer, holt eine Broschüre mit Velvet-Rezepten für Patienten mit Schluckstörungen, liest einen von Patienten geschriebenen Text vor… Seine Augen sind überaus lebendig und beobachten ihr Gegenüber mit echtem Interesse.
Chance: Wenn man ihren Lebenslauf liest, 25 Jahre an der Seite von Umberto Veronesi am Europäischen Krebsinstitut in Mailand, seit 2006 Direktor der Abteilung für HNO – Chirurgie, dann fragt man sich: Und was machen Sie in Bozen?
Dr. Calabrese: Ganz einfach. Ich liebe Herausforderungen und gehe gerne neue Wege. Ich komme von einem Krankenhaus der Superlative, das stimmt. Aber was dort bei aller Exzellenz fehlt, ist die Integration mit dem Territorium. Die Vor- und Nach-Operationsphase. Was nicht heißt, dass es hier so einfach ist, ein gut funktionierendes Netz aufzubauen, Vorsorge, Therapie und die Phase nach der Therapie effizient miteinander zu vernetzen.
Chance: Aber in Bozen scheint es ihnen möglich, dies Vernetzung umzusetzen?
Dr. Calabrese: Sagen wir es so. Ich habe hier zwar auch viel Routine vorgefunden, aber ebenso die Voraussetzungen, um Neues zu realisieren. Die Nähe zum Wohnort, viele Vereinigungen, die sich in der posttherapischen Phase einklinken, die Mittel. Was Not tut, ist die Verbesserung der Kommunikation zwischen all diesen Playern.
Chance: Sie sind Spezialist für HNO-Erkrankungen, aber eigentlich nur im onkologischen Bereich tätig?
Dr. Calabrese: Ich bin spezialisiert auf all jene Organe, die wir zur Kommunikation brauchen und durch meinen Eingriff können sie in ihrer Funktionstüchtigkeit sehr beeinträchtigt werden. Viele Patienten leiden nach der Therapie an Dysphagie, ich muss Zunge, Kiefer und Rachen wieder aufbauen, Organe entfernen und Transplantationen durchführen… Genau aus diesem Grund habe ich mich immer sehr auf den funktionellen Aspekt konzentriert, nach neuen Techniken gesucht, um nicht nur onkologisch, sondern auch physiologisch gute Ergebnisse zu erzielen.
Chance: Sie sehen nicht nur den Tumor, sondern auch das Leben danach?
Dr. Calabrese: Was ist denn Gesundheit? Körperliches Wohlbefinden, aber doch wohl auch psychisches und soziales Wohlbefinden! Das vergessen wir Ärzte oft. Wir schaffen gesunde Menschen, die leben wie wenn sie krank wären. Deshalb ist für mich das Danach so wichtig. Der Arzt muss sich auch mit dem Leben des Patienten auseinandersetzen, mit dem Danach. Er muss aus dem Krankenhaus heraus!
Chance: In Mailand haben sie das schon gemacht?
Dr. Calabrese: Das verdanke ich einem Patienten. Operation gelungen, Patient geheilt. Aber glücklich lachen habe ich ihn erst gesehen, als er mir ein Foto geschickt hat, wo er eine Pizza isst. Keine echte natürlich, seine Frau hat ihm die einzelnen Zutaten püriert und wie eine Pizza zusammengestellt. Da ging mir ein Licht auf. Ich bin auf die Suche nach einem Restaurant mit Gerichten für Menschen mit Schluckstörungen gegangen, Personen, die also nur Flüssiges oder Breiartiges essen können. Ergebnis? Null. Und dabei gibt es viele von ihnen! Das ist auch eine Aufgabe des Arztes. Die Öffentlichkeit aufklären, bewusstmachen. Dafür sorgen, dass das Leben des Patienten lebenswert ist.
Chance: Auch die Vorsorge liegt ihnen sehr am Herzen?
Dr. Calabrese: Im Krankenhaus ist Vorsorge eigentlich nicht vorgesehen. Da behandelt man Kranke und Schluss. Aber für mich ist gerade das Krankenhaus der Ort, wo alles zusammenläuft. Egal ob draußen oder im Krankenhaus, es gelten die gleichen Qualitätskriterien. Der Facharzt muss auch mit dem Territorium kommunizieren. Mit den Jugendlichen, die trinken und rauchen (und zwar schlechter Qualität). Mit der Universität. Mit den Ämtern. Der Facharzt soll Informationen über Früherkennungssymptome weitergeben. Krankenhaus und Krankenhausärzte sollten ein onkologischer Bezugspunkt für das Territorium sein. Hier in Südtirol gibt es glaube ich die idealen Voraussetzungen, um das zu verwirklichen. Kurze Wege, ausreichend Mittel.
Chance: Wie hat sich ihre Tätigkeit im Vergleich zu Mailand geändert?
Dr. Calabrese: Mir geht es um Qualität und nicht um Quantität. Im Juni hatten wir aber doch schon mehr onkologische Eingriffe auf meiner Abteilung als im ganzen vergangenen Jahr. Ich habe höchst komplexe Operationen durchgeführt, Knochen-Transplantationen, Rekonstruktionen von Kiefer und Zunge… Wie am Europäischen Krebsinstitut in Mailand. Nur eben weniger.
Chance: Das heißt sie haben auch ein adäquates Team vorgefunden?
Dr. Calabrese: Absolut ja! Ein Team, das mit viel Enthusiasmus und großer Wissbegier an die Arbeit geht. Ich bin auf großes Entgegenkommen gestoßen, auch wenn es darum geht, zehn Stunden und mehr im OP zu stehen.
Chance: Ihre Familie ist in Mailand geblieben?
Dr. Calabrese: Ich habe vier Kinder zwischen 12 und 17, die reißt man nicht so einfach aus ihrem Umfeld. Natürlich, meine Frau ist jetzt sehr gefordert.
Chance: Sie sprechen viel vom Territorium. Bestehen schon Kontakte?
Dr. Calabrese: Selbstverständlich. Z. B. mit der Fakultät für Design bezüglich der Kommunikation. Ich habe auch schon einen Sponsor für mein Projekt der kulturellen Anamnese gefunden.
Chance: Kulturelle Anamnese?
Dr. Calabrese: Vor der Aufnahme wird der Patient befragt nach seinen Vorlieben. Musik, Bücher, Zeitungen, Filme, Skype und dann bereiten wir ein entsprechend programmiertes Tablet vor. Auf diese Weise ist seine Kommunikation gesichert, auch wenn er nach dem Eingriff zunächst nicht sprechen können sollte. Jetzt muss ich noch freiwillige Jugendliche finden, die den Patienten den Gebrauch dieser neuen Medien erklären.
Chance: Es scheint ihnen sehr wichtig zu sein, ihre Patienten auch unter dem menschlichen Aspekt gut kennenzulernen…
Dr. Calabrese: Unbedingt! Sehen Sie, ich heile meine Patienten, aber ich verändere durch meine Therapie auch ihr Leben, oft in gravierender Weise. Eine Operation in diesem delikaten Bereich verändert vieles, normale Funktionen sind plötzlich nicht mehr gegeben. Ich bitte meine Patienten oft, ihre Geschichte aufzuschreiben. Nicht aus Neugierde, aber gerade private Aspekte können auch zur Heilung beitragen, können helfen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Meine Patienten werden zu Freunden.

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Wenn Zahlen reden

SKH finanziert Stipendium für Neuordnung der Daten des Tumorregisters
Andreas Bulatko, Fabio Vittadello, Birgit Tschugguel, Marine Castaing, Guido Mazzoleni, Paolo Vian und Elena Devigili
Sie spricht perfekt Italienisch mit einem reizenden französischen Akzent und ist für zwei Monate nach Bozen gekommen, nicht nur, um die Datenerfassung des Tumorregisters zu ordnen, sondern auch um ihr Deutsch zu verbessern. Die Statistikerin Marine Castaing, arbeitet und lebt seit zehn Jahren in Catania.
Organisiert hat ihren Aufenthalt mit Hilfe der Südtiroler Krebshilfe, Dr. Guido Mazzoleni, Direktor des Tumorregisters und Primar der Abteilung für Pathologische Histologie am Krankenhaus Bozen. Seit vergangenem Jahr ist Mazzoleni Mitglied im Ausschuss der italienischen Vereinigung der Tumorregister, AIRTUM, wo er die Statistikerin kennen und ihre Methodik schätzen gelernt hat.
Das Südtiroler Tumorregister ist derzeit bei der Erfassung der Daten bis 2012 angelangt, bis Ende des Jahres sollen auch die Daten 2013 bis 2015 ausgewertet sein und Marine Castaing hat in Bozen die Arbeitsgruppe unterstützt, die den Datenfluss seit Aufnahme des Registers im Jahr 1995 begutachtet und auswertet. Ihre Aufgabe war es, jene Daten auszusondern, die aus der Zeit vor Einführung des Tumorregisters stammen.
Aber was ist eigentlich das Tumorregister? Es ist ein epidemisches Überwachungsinstrument, das alle Tumorerkrankungen einer bestimmten Bevölkerung während eines bestimmten Zeitraumes erfasst. In vielen Regionen Italiens gibt es heute Tumorregister. Die meisten von ihnen sind dem 1996 in Florenz gegründeten Nationalen Register, AIRTUM angeschlossen und alle regional erfassten Daten fließen in der nationalen Datenbank des ISPO, Istituto per lo Studio e per la Prevenzione Oncologico, zusammen. Leider gibt es noch kein nationales Gesetz, das die Arbeit der Tumorregister regelt und so arbeitet jedes nach eigenen Kriterien, die von der unterschiedlichen Verfügbarkeit und Qualität der gesammelten Daten abhängen. Dies kompliziert die Übertragbarkeit der Daten auf nationale Trends.
Ein weiteres Hindernis für eine optimale nationale Zusammenarbeit der verschiedenen Register ist die Verwendung unterschiedlicher Datenerfassungsprogramme und Archivierungsmethoden. Ein großes Problem stellt auch die prekäre Arbeitssituation (weil eben eine gesetzliche Grundlage fehlt) der Mitarbeiter der Register dar.
Statistisch gesehen wäre es ideal, wenn alle Patienten-Daten automatisch bei den Hausärzten zusammenlaufen und von diesen regelmäßig an die jeweiligen Register weitergegeben würden. Aufgrund der Privacy-Regelung ist dies derzeit nicht möglich. In Dänemark wird das schon heute so gehandhabt. In Südtirol ist schon die Datenerfassung schwierig, weil es kein zentralisiertes EDV-Programm gibt und der Datentransfer zwischen Krankenhaus und Peripherie oder sogar zwischen den Abteilungen ein Problem darstellt
Das Südtiroler Tumorregister ist dennoch eines der vollständigsten in Italien. Es gehört als eines der wenigen italienischen Register direkt dem Sanitätsbetrieb an und ist dem Dienst für Pathologische Histologie am Krankenhaus zugeordnet, der auch für die Screenings der Krebsvorsorge verantwortlich ist. Das Tumorregister Bozen kann über Daten über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren verfügen, die von spezifisch kompetenten Fachärzten zusammengestellt worden sind. Aus diesem Grund sind die erfassten Daten über den klinischen Zustand wie z. B. das Krankheitsstadium zur Zeit der Diagnose, die Aufschluss geben über Krankheitsverlauf und Überlebenszeit, so präzise erfasst wie in wenigen anderen Registern.
Aber zurück zu Marine. In zwei Monaten hat sie alle Daten kontrolliert die bereits vor der Gründung des Tumorregisters erfasst waren, und zwar im Zeitraum 1980 – 1994. Sie hat aus diesen Daten jene Personen gefiltert, die damals an Krebs erkrankt sind. Diese Daten müssen von den ab 1995 gesammelten und periodisch vom Tumorregister veröffentlichten Daten getrennt und in einem eigenen Register verwaltet werden, wenn man einen Landestrend über den Verlauf der Krebserkrankungen ab 1995 erstellen möchte. Die von Marine ausgesonderten Daten ermöglichen zudem einen Überblick über die Zahl der Patienten, die bereits vor 1995 und ab 1980 an Krebs erkrankt waren und die am Stichtag 1. Januar 2013 noch am Leben waren. Außerdem hat sie nicht in Südtirol ansässige, aber im Land behandelte Patienten herausgefiltert und in einem parallelen Register archiviert, damit diese Zahlen nicht mit jenen der Südtiroler Bevölkerung gemischt werden.
Eine äußerst komplexe Materie, die aber äußerst wichtig ist, um ein komplettes Bild der Bevölkerungsgesundheit zu erhalten. Diese Daten über Häufigkeit, Überleben und Sterblichkeit bezüglich der einzelnen Tumorerkrankungen bzw. die Methode ihrer Erfassung sind Voraussetzung für eine optimale Planung der Gesundheitspolitik und die Berechnung des notwenigen Budgets sowie für eine immer bessere epidemische Kontrolle auf nationaler und regionaler Ebene (Vorsorgeprogramme etc.). Anhand der Daten über die Häufigkeit kann beispielsweise berechnet werden, wie viele Ärzte, wie viele Pfleger bzw. wie viele Betten es in den nächsten Jahren braucht. Je besser die Qualität und Verlässlichkeit der gesammelten Daten, desto besser können Verwaltung und Regierung vorausplanen.
Die Südtiroler Krebshilfe hat die Arbeit von Marine Castaing am Bozner Tumorregister, wo zwei Ärzte und zwei Sekretärinnen unterstützt von externen Statistikern arbeiten, mit einem zweimonatigen Stipendium finanziert.
Marine Castaing
Geboren zwischen Bordeaux und Toulouse, Studium der angewandten Mathematik im Bereich der Sozialwissenschaften in Bordeaux, zwei Master in Bio-Statistik in Paris und Bordeaux. Sie hat am Internationalen Krebsforschungs-Institut in Lyon und am Institut Gustave Roussy a Villejuif gearbeitet.
Seit 2007 arbeitet sie als Statistikerin am integrierten Krebsinstitut Catania-Messina-Siracusa-Enna, das der Universität Catania angeschlossen ist. Sie ist Referentin für das Fach “Medizinische Statistik“ an der Universität Catania, hält Vorlesungen und betreut (Master-)Diplomarbeiten. Seit 2007 ist sie Mitglied von AIRTUM und SITI (Associazione Italiana di Igiene).