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Langweilig wird es mir nicht werden
Martha Stocker nimmt nach vierzig Jahren Abschied von der aktiven Politik
Vierzig Jahre in der Politik, zwanzig Jahre in entscheidungstragenden Funktionen, die letzten fünf Jahre an der Spitze eines der wichtigsten Landesämter: Gesundheit und Soziales. Martha Stocker hat ihr Leben der Politik gewidmet. Ab Herbst wird sie sich auch sich selbst annehmen, aber nicht nur. Und der Krebshilfe geht ihre Unterstützung und Freundschaft nicht verloren. Ein Interview zum Abschied.
Chance: Frau Landesrätin, niemand hat damit gerechnet, dass Sie nicht mehr kandidieren. Hat Ihre Entscheidung etwas damit zu tun, dass Sie während ihrer Amtszeit sehr heikle Themen lösen mussten und dabei ziemlich alleingelassen worden sind?
LR Martha Stocker: Es war eine wohlabgewogene Entscheidung, die ich aus meinem Verantwortungsgefühl heraus zu einem angemessenen Zeitpunkt öffentlich gemacht habe. In diese Entscheidung sind die Erfolge und guten Momente, aber natürlich auch die schwierigen Phasen dieser Amtszeit eingeflossen. In Freiheit entscheiden zu können, ist einerseits sehr positiv und zugleich auch sehr fordernd. Jetzt freue ich mich schon auf die Vorhaben, die nach meinem Leben in der aktiven Politik noch auf mich warten.
Chance: Wenn Sie zurückblicken, was war die schwierigste Entscheidung, die Sie haben treffen müssen?
LR Martha Stocker: Ich versuche, in Verantwortung für die Menschen und für unser Land zu arbeiten. Dabei ist es nicht möglich, es allen recht zu machen. Es gab Momente, in denen mir zum gleichen Thema vorgeworfen wurde, zu hart oder zu weich zu sein, wie beispielsweise beim Thema Asyl. Hier hat es zudem doch auch einige menschenverachtende Aussagen gegeben, das hat mich schon sehr getroffen.Im Bereich der Gesundheit war es manchmal sehr schwierig akzeptieren zu müssen, dass die Einzelinteressen oftmals vor dem Allgemeininteresse stehen – manchmal auch wider jede Logik und wider alle Fakten.
Chance: Und worauf sind Sie besonders stolz? Und was zeichnet Ihrer Ansicht nach den Südtiroler Sanitätsbetrieb aus?
LR Martha Stocker: Es war und ist mir immer wichtig, gemeinsam mit allen einzubeziehenden Interessensgruppierungen einen möglichen Weg auszuarbeiten, dann zu entscheiden und zu dieser Entscheidung zu stehen. Dabei stehen das Allgemeininteresse und die Sicherung der Zukunft über allem anderen. So sind wir in der Erarbeitung des Landesgesundheitsplans 2016-2020 und auch in der Neuorganisation des Südtiroler Gesundheitsdienstes vorgegangen. Unser Sanitätsbetrieb leistet mit seinen fast 10.000 Mitarbeitenden jeden Tag sehr Gutes auf hohem medizinischen Niveau, wir dürfen nicht vergessen, dass wir ein Betrieb in einem vergleichsweise kleinen Land sind. Wir müssen uns noch mehr auf die Zusammenarbeit untereinander besinnen, mit der wir uns organisatorisch verbessern können, Doppelungen vermeiden und den Patienten zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle nach seinem Bedürfnis behandeln. Gemeinsam schaffen wir die notwendigen Veränderungen hin zu einem noch besseren Ergebnis für die Menschen.
Chance: Die Sanität zählt zu den kostenintensivsten Assessoraten und musste besonders starke Kürzungen hinnehmen…Gleichzeitig sind bestimmte Kuren, ich denke z.B. an die neuen Medikamente im Bereich der Krebstherapie extrem teuer. Die Menschen werden immer älter und damit steigt auch die Zahl der Krebserkrankungen. Wird Südtirol sein derzeit hohes Niveau auf Dauer halten können?
LR Martha Stocker: Ich darf korrigieren, der Gesundheitsbereich hat jedes Jahr mehr Geld hinzubekommen, trotzdem müssen die Weichen so gestellt werden, dass keine Kostenexplosion zu befürchten ist, die der Landeshaushalt nicht mehr stemmen kann. Die Anzahl der Menschen mit einem Betreuungsbedarf steigt, es gibt neue Behandlungsmethoden oder auch Medikamente, die manchmal sehr teuer sind. Mit diesen medizinischen Entwicklungen wird es aber auch möglich, die interne Organisation umzustellen, die Menschen in kürzeren Zeiträumen, ohne schwere Operationen und ohne lange Aufenthalte in den Krankenhäusern sehr gut zu behandeln. Gerade wenn es um die Versorgung von ernsteren und chronischen Krankheiten geht, so auch in der Versorgung der Menschen mit einer Krebserkrankung, zeichnet sich der Sanitätsbetrieb mit seinen Mitarbeitenden aus, mit dem Tumorboard und der rehabilitativen Nachsorge beispielsweise. Die Chancen der Innovation müssen wir nutzen, dann können wir unser Niveau halten.
Chance: Ganz Südtirol hat weniger Einwohner als eine Großstadt. Braucht es wirklich sieben Krankenhäuser?
LR Martha Stocker: Wir sind ein ländliches Gebiet und garantieren unserer Bevölkerung eine gute medizinische Versorgung bis in alle Talschaften hinaus. Dazu braucht es ein Netzwerk, in dem die Krankenhäuser eine zentrale Rolle spielen. Wir können aber nicht überall alles leisten, sondern sollten überall die Grundversorgung und dazu Spezialisierungen an bestimmten Standorten anbieten. In enger Zusammenarbeit aller sieben Standorte können wir so ein sehr gutes Betreuungsnetz aufbauen.
Chance: Im Laufe des vergangenen Jahres sind mehrere Primare in Pension gegangen und wurden mit (hochqualifizierten) Ärzten ersetzt, die direkt berufen wurden. Warum wurde auf einen Wettbewerb verzichtet?
LR Martha Stocker: Es ist eine grundsätzliche Vorgabe, dass alle Positionen in der öffentlichen Verwaltung und somit auch im Sanitätsbetrieb per Wettbewerb besetzt werden. Für manche hochkomplexe Anforderungsbereiche kann in bestimmten Situationen eine Direktberufung zielführend sein, muss aber immer fachlich begründet sein.
Chance: Ohne öffentliche Ausschreibung haben diese Primare drei Jahre Zeit die jeweils andere Landessprache zu erlernen. Ist es realistisch, anzunehmen, dass sie innerhalb von drei Jahren von null auf das Niveau der Zweisprachigkeitsprüfung A kommen?
LR Martha Stocker: Für Akademiker eines bestimmten Niveaus halte ich dies für möglich, zumal der Spracherwerb auch intensiv berufsbegleitend erfolgt.
Chance: Nicht nur in Südtirol mangelt es an Ärzten und gut ausgebildetem medizinischem Fachpersonal. Wie wird sich das in Zukunft auswirken - ich denke hier vor allem an die Allgemeinärzte – und wie kann der Südtiroler Sanitätsbetrieb diesem negativen Trend entgegenwirken?
LR Martha Stocker: Zuerst gilt es die Basis zu sichern, also dass genügend junge Menschen sich für die Ausbildung in Medizin oder Pflege entscheiden. Wir bemühen uns um ausreichend Studienplätze, gewähren Stipendien und wollen vermehrt auch in Sachen Wertschätzung für diese Berufe investieren. Dann arbeiten wir daran, in der Facharztausbildung die Ausbildungsplätze an Abteilungen hier in Südtirol anbieten zu können. Das gilt auch für die Allgemeinmedizin, für die wir pro Jahr zwei neue Facharztlehrgänge starten, die gut angenommen werden und wo wir also zuversichtlich sein können. Und dann müssen wir schneller werden in den Einstellungsverfahren und besser im Bieten von Entwicklungsperspektiven für die Jungmediziner. Hier ist wieder die Vernetzung der Krankenhausstandorte wichtig, denn so können junge Leute Erfahrungen an kleineren und größeren Realitäten sammeln, je nachdem, wie sich ihr Lebensentwurf gerade gestaltet.Bindung, Sicherheit und Perspektive am Arbeitsplatz, das sind wohl zusammenfassend die Schlagwörter.
Chance: Was werden Sie ihrem Nachfolger/in mit auf den Weg geben?
LR Martha Stocker: Die Weichen insbesondere in der Gesundheitspolitik sind gestellt, die Richtung ist eingeschlagen. Ich freue mich darauf zu sehen, welche positiven Auswirkungen diese zukunftsorientierten Veränderungen bringen werden.
Chance: Sie sind seit der ersten Primelaktion, die sie 2000 als damalige SVP-Frauen Referentin initiiert haben, der Südtiroler Krebshilfe eng verbunden. Wie sehen Sie die Entwicklung der SKH. Wo sehen Sie eventuellen Handlungsbedarf und werden Sie der Vereinigung auch in Zukunft zur Seite stehen?
LR Martha Stocker: Die Krebsforschung und die konkrete und tatkräftige Unterstützung für die Betroffenen durch die Krebshilfe sind mir ein Herzensanliegen. Dafür setze ich mich auch weiterhin gerne ein.
Chance: Sie standen in den letzten Jahren immer in vorderster Front. Mussten weitreichende Entscheidungen treffen und eine große Verantwortung tragen. Wie stellen Sie sich Ihr Leben nach den Landtagswahlen im Oktober vor? Wie werden Sie es bewerkstelligen, von hundert auf null herunterzufahren?
LR Martha Stocker: Ab einem gewissen Alter erkennt man, dass das Leben endlich ist. Und dass es sehr viele schöne Aufgaben zu bieten hat, denen man sich widmen kann. Voraussichtlich werde ich noch eine Zeitlang arbeiten müssen, bis ich die Pensionsberechtigung erreiche. Und daneben kann ich Dinge tun, die meine Zeit bisher nicht zugelassen hat. Langweilig wird es mir sicher nicht werden.