Es ist Mittag. Sie sitzen alle um einen Tisch, Tanja, Elisabeth, Edith, Agatha, Renate und Irene. Die Physiotherapeutinnen der Krebshilfe Eisacktal und Pustertal. Um neun Uhr haben sie sich zur Supervision getroffen. Achtmal im Jahr haben sie Gelegenheit zum Austausch. Im Januar hat Irene Terzer die Gruppe übernommen.
Es sind nicht immer große Themen, die während der Supervision angesprochen werden werden, eher das Alltägliche, das was gerade anliegt, Themen, die sich spontan aus dem Austausch ergeben.
Die Physiotherapeutinnen der Krebshilfe versehen alle die gleiche Arbeit. Lymphdrainage für Krebspatienten. Während der akuten Erkrankungsphase oder aber danach, zum Teil auch Jahre danach, um Folgeerscheinungen wie z. B. Lymphödeme zu behandeln. Aber die Tätigkeit der einzelnen Therapeutinnen geht weit über die manuellen Handgriffe hinaus. Die Lymphdrainage ist ein Moment großer Intimität, nicht nur, weil die Therapeutinnen den nackten Körper behandeln, sondern weil sie den Patienten auch psychisch sehr nahekommen. Es wird viel erzählt, und es heißt diese Dinge auch zu verarbeiten. Die Südtiroler Krebshilfe legt großen Wert darauf, ihren Therapeuten in dieser Beziehung Beistand zu leisten und hat deshalb ein sehr großzügiges Supervisionsprogramm.
Irene Terzer ist supervisionserfahren. Sie arbeitet gerne intuitiv, setzt gerne kreative Momente ein während der Supervision. So lässt sie die Therapeutinnen etwas zeichnen, arbeitet mit Bildern oder veranlasst Rollenspiele. „Es geht darum, neue Denkansätze und Lösungsansätze zu vermitteln.“ Eine Supervisorin, so Irene Terzer, muss fähig sein, auf Anhieb zu erkennen, was gerade brennt. Für jede einzelne der Therapeutinnen oder aber für die Gruppe. Die Supervisionstreffen können deshalb auch nicht vorbereitet werden, die Supervisorin muss spontan entscheiden, wie sie das Treffen gestaltet. Sie muss fähig sein, schnell und flexibel auf das zu reagieren, was sie vorfindet.
Links: Supervisorin Irene Terzer / Mitte: Edith / Rechts: Tanja
Wichtig ist, dass sich die Gruppe keine fertigen Lösungen von der Supervisorin erwartet. Sie vermittelt vielmehr Techniken, damit jede Teilnehmerin selbst zur jeweils passenden Lösung finden kann. Techniken, auf die im Arbeitsalltag bei Bedarf zurückgegriffen werden kann.
Die Supervisorin muss während der Treffen vor allem drei Bereiche im Auge behalten: Wer sitzt vor ihr, wie sind die Beziehungen der Supervisanden untereinander und mit welcher Organisation hat sie es zu tun.
Supervisor ist übrigens in Italien und auch in Österreich keine geschützte Berufsbezeichnung. Die Ausbildung dauert drei Jahre. Voraussetzung für die Teilnahme sind ein Alter von mindestens 29 Jahren und eine fünfjährige Berufserfahrung, Abitur oder ein auch ein abgeschlossenes Hochschulstudium.
Während ihre Kolleginnen aus dem Pustertal nach Abschluss der Supervision gleich zurückfahren müssen, weil sie am Nachmittag Termine mit Patienten haben, nehmen sich Elisabeth und Tanja Zeit, um über die Supervision aus ihrer Sicht zu berichten. „Diese Treffen sind für uns ganz wichtig“, sagt Tanja. „Wir bekommen viel erzählt von unseren Patienten. Dinge, die sie zuhause nicht erzählen können. Angst vor einem Rückfall, Probleme mit ihrem neuen Körperbild usw.“
Während der Supervision können die Therapeutinnen Ballast ablegen und nicht zuletzt auch davon lernen, wie die anderen damit umgehen.
Eine schwierige Situation, die immer wieder zu bewältigen ist, sind z. B. die Hausbesuche, erzählt Elisabeth. „Das ist eine kritische Situation, weil wir das familiäre Umfeld miterleben und das ist nicht immer positiv.“ Solche Erfahrungen belasten und die Therapeutinnen sind froh, Hilfe bei der Bewältigung dieser Erfahrungen zu erhalten.
Aber auch private Angelegenheiten kommen während der Supervision zur Sprache. „Wenn man ein Problem ansprechen kann“, sagt Tanja, „dann ist man schon auf dem Weg zur Lösung.“ Elisabeth und Tanja haben mit Irene Terzer schon die dritte Supervisorin. Jede hatte bis jetzt einen anderen Ansatz und jede hat den Therapeutinnen auf ihre Weise helfen können. Tanja arbeitet schon seit 16 Jahren für die Krebshilfe, Elisabeth seit 2008, als sie die Schwangerschaftsvertretung von Tanja übernommen hat. „Wir werden oft gefragt, Wie schaffst Du das, immer für die Krebshilfe, immer mit den Kranken arbeiten.“ Aber tauschen, nein tauschen würde keine von ihnen. Das Behandlungszimmer ist ein geschützter Raum, für jeden Patienten haben sie eine Stunde Zeit. Optimale Arbeitsbedingungen also. Man lerne viel von den Patienten und bekomme unwahrscheinlich viel zurück.
Das gemütliche Behandlungszimmer in Brixen