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In über 90 % der Fälle klingen Nebenwirkungen wieder ab

Prof. Dr. Manfred Mitterer über die Langzeitfolgen der Brustkrebsbehandlung
Prof. Dr. Manfred Mitterer ist Primar der zentralen internistischen Tagesklinik am Krankenhaus Meran, wo in den letzten 20 Jahren rund 1700 Patientinnen mit Brustkrebs behandelt wurden. Die Chance hat mit ihm ein Gespräch über die spezifischen Langzeitnebenwirkungen bei Brustkrebspatientinnen geführt. Viele dieser Symptome können sich auch erst nach Jahren bemerkbar machen.
Brustkrebs hat heute eine sehr hohe Überlebensrate. Aber nicht immer ist nach Beendigung der Therapie alles vorbei.
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Dies gilt grundsätzlich für jede Art von Tumor. Der Unterschied zu andern Tumoren ist aber, dass wir bei Brustkrebs eine ausgesprochen hohe Überlebensrate haben, nach fünf Jahren liegt sie derzeit bei 88%, und die Tendenz ist steigend. Viele unserer Patientinnen werden heute komplett geheilt werden. Vor allem nach einer Frühdiagnose.
Langzeitnebenwirkungen können aber dennoch auftreten?
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Ja, und das auch noch im Abstand von einigen Jahren nach Abschluss der Therapie.
Welches sind die häufigsten Langzeit-Nebenwirkungen?
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Es gibt neurologische Nebenwirkungen wie die Polyneuropathie, die auch individuell ganz unterschiedlich auftreten und sich ganz unterschiedlich entwickeln kann. Von leichten Beschwerden, wie Sensibilitätsverlust in den Zehen, leichtem Kribbeln in den Beinen bis hin zu starkem Brennen und starken Schmerzzuständen, Krämpfen, Lähmungserscheinungen, Gangunsicherheit usw. Einige Krebsmedikamente haben eine hohe Kardiotoxizität, können zu einer dauerhaften Schädigung des Herzmuskels führen… Welche Nebenwirkungen und in welchem Ausmaß sie auftreten, das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Vorerkrankungen, Lebensstil, genetische Faktoren, seelische Verfassung, Umfeld, Stress… und natürlich auch von den in der Therapie eingesetzten Medikamenten, der Dosierung und der Kombination mit anderen Medikamenten.
Auch die Strahlentherapie kann für das Herz gefährlich werden?
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Das stimmt. Sowohl durch die Toxizität von bestimmten Medikamenten wie Anthrazykline, Taxane oder Trastuzumab, um nur einige zu nennen, oder eben auch durch die Strahlentherapie, kann der Herzmuskel der Patientin geschädigt werden. Schäden, die sich auch erst Jahre nach Behandlungsende bemerkbar machen können. Wobei man heutzutage sagen muss, dass durch die neuen Bestrahlungstechniken und die geringeren Dosen, die man appliziert, diese Schädigungen sehr selten geworden sind.
Es gibt noch andere Nebenwirkungen, die auch soziale Auswirkungen haben können...
Prof. Dr. Manfred Mitterer: …einige Krebstherapien können unter Umständen sekundäre Malignome verursachen, die nicht mit dem behandelten Tumor zusammenhängen, genauso wie unspezifische Schmerzzustände, Fatigue, psychische Störungen wie Angstzustände und dazu kommen auch die Nebenwirkungen der Hormontherapien, vor allem die medikamentenbedingten Wechseljahrbeschwerden, die gerade junge Frauen sehr hart treffen. Trockenheit der Schleimhäute, körperliche Veränderungen, zusätzlich zu den operationsbedingten Veränderungen, die sich auch negativ auf die Partnerschaft, auf das Selbstbild der Frau auswirken können.
Was bedeutet das für Sie als Onkologen?
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Das heißt, dass ich schon ganz am Anfang, schon beim Erstgespräch ganz offen mit der Patientin, und mit ihrem Partner oder ihren Angehörigen sprechen muss. Das heißt, dass vor Beginn der Therapie eine ganze Reihe von Untersuchungen durchgeführt werden müssen, die den Allgemeinzustand, den kardiologischen Zustand oder auch neurologische Vorerkrankungen der Patientin abklären. Diese Ergebnisse fließen auch in die Therapieentscheidung ein. Heute sind wir in der glücklichen Lage, dass wir nicht nur über eine, sondern über verschiedene Therapiewege verfügen, die ganz individuell auf die jeweilige Patientin abgestimmt werden können. Auch was die Dosierung betrifft. Viele der Nebenwirkungen sind auch abhängig von der Menge des verabreichten Medikaments.
Dies sind alles Entscheidungen, die im Team gefällt werden?
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Genau. Und genau aus diesem Grund braucht es den Onkologen: Um die Patientin (und natürlich bei jeder anderen Krebsart den Patienten) auch onkologisch -internistisch abzuklären. Eine Krebstherapie ist heute wie ein Mosaik, das sich aus vielen Bausteinen zusammensetzt. Keine Krebstherapie gleicht ganz genau der anderen, wie auch kein Mensch ganz genau dem anderen gleicht und kein Krebs genau dem anderen gleicht. Aus dieser Tatsache resultiert ja auch der Erfolg der modernen, individuellen Krebstherapien.
Und es gibt natürlich auch Therapien für die Nebenwirkungen…
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Natürlich. Auch darüber wird im ersten Gespräch informiert. Je nach Gesundheitszustand und Alter der Frau kann auch vorbeugend eingegriffen werden. Außerdem ist es ja nicht gesagt, dass die Nebenwirkungen tatsächlich auftreten. Und wenn, dann gibt es unterschiedliche Therapiemöglichkeiten, Medikamente, Elektrostimulation, Akupunktur ...
Das Risiko von Langzeit-Nebenwirkungen ist keine Kontraindikation für eine Krebstherapie…
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Selbstverständlich nicht. Es geht darum, das Leben der Patientin zu retten und dann natürlich auch, ihr eine angemessene Lebensqualität zu garantieren. Natürlich, früher stellte sich diese Frage nicht so dringend, weil die Patientinnen nicht dieselben Heilungschancen hatten wie heute. Und: Nebenwirkungen treten ja nicht bei allen Patientinnen auf und in den häufigsten Fällen, weit über 90 Prozent, klingen sie auch wieder ab. Das dürfen wir nicht vergessen!
Wir befinden uns mitten in der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie. Eine Frage zur Situation in Ihrer Abteilung. Nach der ersten Welle der Pandemie hatten sie außerordentlich gute Ergebnisse vorzuweisen, die sie mit Mitarbeitern im Juni diesen Jahres in der Studie, „Infektionsrate und klinisches Management von Krebspatienten während der COVID-19- Pandemie: Erfahrungen aus einem Krankenhaus der Tertiärversorgung in Norditalien“ in der Online Zeitschrift ESMO Open – Cancer Horizons veröffentlicht haben (siehe auch Chance 2/ 2020, Anm. d. Red.). In der Studie haben Sie eine höhere Prävalenz von Covid-19 bei Krebspatienten nachgewiesen, aber auch, dass eine Covid-19- Infektion keine Kontraindikation für eine Fortsetzung der Behandlung darstellt.
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Und wir haben genau dort anknüpfen können. Wir sind schon zwei Wochen nach Beginn des zweiten Lockdowns wieder voll durchgestartet. Diesmal ist der Virusdruck nochmals um einiges größer als im Frühjahr. Zum Vergleich: Im Frühjahr hatten wir in acht Wochen der systematischen Testung unserer Patienten lediglich fünf Patienten die unter einer onkologischen Therapie standen und die positiv auf Covid-19 getestet wurden. Jetzt im Herbst haben wir in vier Wochen bereits mehr als 40 Patienten, die positiv auf das Virus getestet wurden. Und trotzdem sind wir in der Lage die lebensnotwendigen Therapien in vollem Umfang durchzuführen.
Liegen bereits Zahlen vor über Diagnose-Verzögerungen durch Covid-19?
Prof. Dr. Manfred Mitterer: Es gab weniger Zuweisungen von Neudiagnosen, das stimmt. Mein Kollege, Prof. Marth aus Innsbruck hat mit seinem Team gerade eine Studie veröffentlicht, wo sie nachweisen konnten, dass in den Frühjahrsmonaten die Zahl der neudiagnostizierten Brusttumore um etwa 40 % zurückgegangen ist. Das bedeutet natürlich mehrmonatige Verspätungen bei Diagnose und auch Therapie. Und genau das wollen wir hier in Meran durch unser massives Testen und Überwachen der Patientinnen verhindern.

Aktuell

Wir waren und sind immer da!

Dr. Gilbert Spizzo, leitender Arzt der onkologischen Ambulanz im Krankenhaus Brixen
Im Sommer konnte man Atem holen, dann ist Corona zurückgekommen...
Dr. Gilbert Spizzo: Wir haben uns im Frühjahr gut und schnell zu organisieren gewusst und das gilt auch für die zweite Phase. Disziplin, Distanz und extreme Vorsicht, was Hygiene anbelangt, sind in der Onkologie ohnehin Routine. Wir haben umgehend Strukturen, wie unser Frontoffice und den eigenen Aufzug für unsere Patienten wieder reaktiviert.
Wie viele Patienten können Sie am Tag behandeln? Gelingt es, alle Therapien und anfälligen Untersuchungen termingerecht durchzuführen?
Dr. Gilbert Spizzo: Im Frühjahr kam es nur zu Verschiebungen bei nicht lebensnotwendigen Therapien. Und wir konnten in gewissen Situation die Kontrollabstände erweitern…
Das heißt?
Dr. Gilbert Spizzo: Wir behandeln auf der Abteilung im Schnitt zwanzig Patienten am Tag. Hundert in der Woche. Bei oralen Therapien zum Beispiel, können die Kontrollen, wenn die PatientInnen seit längerer Zeit stabil sind, statt in einmonatigem in zweimonatigem Abstand durchgeführt werden. Viele Kontrollen haben wir zwischen dem einen und dem anderen Termin telefonisch abwickeln können. Natürlich waren wir Anfang Oktober sehr beunruhigt über die Rückkehr des Virus. In dieser Stärke hätten wir es uns, zumindest hier in Südtirol, nicht wieder erwartet. Aber ich muss sagen, dass unsere Patienten das prinzipiell gut aufgenommen haben und gut damit umgegangen sind und noch umgehen.
Sehen Sie einen Unterschied zur ersten Infektionswelle?
Dr. Gilbert Spizzo: Ja. Unsere Patienten hatten während der ersten Covid-Phase wesentlich größere Angst, zu uns ins Krankenhaus zu kommen, als jetzt. Wir haben den Kontakt immer aufrechterhalten, zumindest telefonisch. Wir waren immer da und wir sind es auch jetzt! Was mir Sorgen macht, ist die Botschaft, die mit Covid einhergeht.
Wie meinen Sie das?
Dr. Gilbert Spizzo: Mir macht der leichtfertige Umgang mit dieser Krankheit zu schaffen. Das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus ist für bestimmte Kategorien von Menschen gefährlicher als für andere. Das stimmt. Aber es besteht das Risiko einer Klassifizierung und Diskriminierung. Kriterien festzulegen, wer das Recht auf Behandlung und Lebenserhaltung habe und wer nicht, finde ich sehr schwierig. Als ob alte Menschen, Menschen mit Komorbiditäten und Menschen mit Krebserkrankungen zum Beispiel grundsätzlich nicht in Frage kämen für eine Intensivbehandlung… Das finde ich unakzeptabel. Auch will ich die Wichtigkeit der Impfungen für unsere Gesellschaft betonen. Wir empfehlen fast ausnahmslos allen unseren Patienten die Grippeimpfung. Das erleichtert nicht zuletzt auch die Diagnose bei einer Infizierung mit Covid.
Werden Sie Ihren PatienInnen die Covid-Impfung, wenn sie zur Verfügung steht?
Dr. Gilbert Spizzo: Ich würde das gerne, aber so wie es aussieht, müssen wir davon zumindest im Augenblick noch Abstand nehmen, weil diese Patientengruppe nicht in die Studien eingeschlossen wurden. Es gilt aber immer: Bei besonders fragilen oder immunsupprimierten Patienten, die sich selbst nicht impfen lassen können, ist es umso wichtiger, dass das Umfeld geimpft ist. Grundsätzlich sehe ich persönlich eine Impfung als Training für mein Immunsystems an. Ich selbst bin gegen alles geimpft – auch zum Schutz meiner Patienten!
Hätten Sie sich je den Ausbruch einer solchen Pandemie vorstellen können?
Dr. Gilbert Spizzo: Nein, wirklich nicht. Und auch jetzt wundert es mich, uns alle in der Abteilung, wie schnell sich das Virus während der zweiten Welle wieder ausgebreitet hat. Dass alles vorbei ist, war effektiv ein Wunschgedanke, und ein Trugschluss. Ebenso, dass die Gesellschaft vorsichtig genug ist. Es sind viele Dinge zusammengekommen. Schwerere Verläufe, eine Großzahl von asymptomatischen und dabei sehr ansteckenden Personen, ein gewisser Leichtsinn… Daraus muss man lernen.
War ein zweiter Lockdown notwendig?
Dr. Gilbert Spizzo: Unbedingt. Die Regierung hat lange gewartet und auf die Selbstverantwortung der Menschen gesetzt, dann aber gab es keine Alternative.
Was ist ihrer Meinung nach unerlässlich?
Dr. Gilbert Spizzo: Die Disziplin muss bleiben, bezüglich Hygiene und Sicherheitsabstand. In der Familie darf man sich nicht in falscher Sicherheit wägen. Auch ein negatives Testergebnis ist keine Sicherheit, das ist nur eine Momentaufnahme! Meine Frau und ich, sie arbeitet ebenfalls mit COVID Patienten in Meran, versuchen auch zuhause die Maske zu tragen, dies ums uns zu schützen aber auch vor allem zum Schutz unserer Patienten!
Wie sieht es jetzt mit den Terminen bei Ihnen in der Abteilung aus? Die Covid-Sicherheitsmaßnahmen haben den Rhythmus ja wieder verlangsamt.
Dr. Gilbert Spizzo: Wir verlängern die Zwischenräume zwischen den Untersuchungen, aber natürlich nur, wo es zulässig ist. Hundert Patienten in der Woche mit onkologischen und hämatologischen Erkrankungen in der Woche können wir in aller Sicherheit behandeln. Bestimmte Untersuchungen, gerade in der Nachsorge, können ohne Problem etwas verschoben werden. Aber aufgepasst: Wir als behandelnde Ärzte können einem Patienten nahelegen, einen Termin zu verschieben, nachdem wir alles abgewogen haben und zum Schluss gekommen sind, dass es vernünftig ist. Die Patienten sollen hingegen ihrerseits nicht einfach nur aus Angst entscheiden, Untersuchung nicht wahrzunehmen.
Dr. Gilbert Spizzo