Aktuell

Wir waren und sind immer da!

Dr. Gilbert Spizzo, leitender Arzt der onkologischen Ambulanz im Krankenhaus Brixen
Im Sommer konnte man Atem holen, dann ist Corona zurückgekommen...
Dr. Gilbert Spizzo: Wir haben uns im Frühjahr gut und schnell zu organisieren gewusst und das gilt auch für die zweite Phase. Disziplin, Distanz und extreme Vorsicht, was Hygiene anbelangt, sind in der Onkologie ohnehin Routine. Wir haben umgehend Strukturen, wie unser Frontoffice und den eigenen Aufzug für unsere Patienten wieder reaktiviert.
Wie viele Patienten können Sie am Tag behandeln? Gelingt es, alle Therapien und anfälligen Untersuchungen termingerecht durchzuführen?
Dr. Gilbert Spizzo: Im Frühjahr kam es nur zu Verschiebungen bei nicht lebensnotwendigen Therapien. Und wir konnten in gewissen Situation die Kontrollabstände erweitern…
Das heißt?
Dr. Gilbert Spizzo: Wir behandeln auf der Abteilung im Schnitt zwanzig Patienten am Tag. Hundert in der Woche. Bei oralen Therapien zum Beispiel, können die Kontrollen, wenn die PatientInnen seit längerer Zeit stabil sind, statt in einmonatigem in zweimonatigem Abstand durchgeführt werden. Viele Kontrollen haben wir zwischen dem einen und dem anderen Termin telefonisch abwickeln können. Natürlich waren wir Anfang Oktober sehr beunruhigt über die Rückkehr des Virus. In dieser Stärke hätten wir es uns, zumindest hier in Südtirol, nicht wieder erwartet. Aber ich muss sagen, dass unsere Patienten das prinzipiell gut aufgenommen haben und gut damit umgegangen sind und noch umgehen.
Sehen Sie einen Unterschied zur ersten Infektionswelle?
Dr. Gilbert Spizzo: Ja. Unsere Patienten hatten während der ersten Covid-Phase wesentlich größere Angst, zu uns ins Krankenhaus zu kommen, als jetzt. Wir haben den Kontakt immer aufrechterhalten, zumindest telefonisch. Wir waren immer da und wir sind es auch jetzt! Was mir Sorgen macht, ist die Botschaft, die mit Covid einhergeht.
Wie meinen Sie das?
Dr. Gilbert Spizzo: Mir macht der leichtfertige Umgang mit dieser Krankheit zu schaffen. Das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus ist für bestimmte Kategorien von Menschen gefährlicher als für andere. Das stimmt. Aber es besteht das Risiko einer Klassifizierung und Diskriminierung. Kriterien festzulegen, wer das Recht auf Behandlung und Lebenserhaltung habe und wer nicht, finde ich sehr schwierig. Als ob alte Menschen, Menschen mit Komorbiditäten und Menschen mit Krebserkrankungen zum Beispiel grundsätzlich nicht in Frage kämen für eine Intensivbehandlung… Das finde ich unakzeptabel. Auch will ich die Wichtigkeit der Impfungen für unsere Gesellschaft betonen. Wir empfehlen fast ausnahmslos allen unseren Patienten die Grippeimpfung. Das erleichtert nicht zuletzt auch die Diagnose bei einer Infizierung mit Covid.
Werden Sie Ihren PatienInnen die Covid-Impfung, wenn sie zur Verfügung steht?
Dr. Gilbert Spizzo: Ich würde das gerne, aber so wie es aussieht, müssen wir davon zumindest im Augenblick noch Abstand nehmen, weil diese Patientengruppe nicht in die Studien eingeschlossen wurden. Es gilt aber immer: Bei besonders fragilen oder immunsupprimierten Patienten, die sich selbst nicht impfen lassen können, ist es umso wichtiger, dass das Umfeld geimpft ist. Grundsätzlich sehe ich persönlich eine Impfung als Training für mein Immunsystems an. Ich selbst bin gegen alles geimpft – auch zum Schutz meiner Patienten!
Hätten Sie sich je den Ausbruch einer solchen Pandemie vorstellen können?
Dr. Gilbert Spizzo: Nein, wirklich nicht. Und auch jetzt wundert es mich, uns alle in der Abteilung, wie schnell sich das Virus während der zweiten Welle wieder ausgebreitet hat. Dass alles vorbei ist, war effektiv ein Wunschgedanke, und ein Trugschluss. Ebenso, dass die Gesellschaft vorsichtig genug ist. Es sind viele Dinge zusammengekommen. Schwerere Verläufe, eine Großzahl von asymptomatischen und dabei sehr ansteckenden Personen, ein gewisser Leichtsinn… Daraus muss man lernen.
War ein zweiter Lockdown notwendig?
Dr. Gilbert Spizzo: Unbedingt. Die Regierung hat lange gewartet und auf die Selbstverantwortung der Menschen gesetzt, dann aber gab es keine Alternative.
Was ist ihrer Meinung nach unerlässlich?
Dr. Gilbert Spizzo: Die Disziplin muss bleiben, bezüglich Hygiene und Sicherheitsabstand. In der Familie darf man sich nicht in falscher Sicherheit wägen. Auch ein negatives Testergebnis ist keine Sicherheit, das ist nur eine Momentaufnahme! Meine Frau und ich, sie arbeitet ebenfalls mit COVID Patienten in Meran, versuchen auch zuhause die Maske zu tragen, dies ums uns zu schützen aber auch vor allem zum Schutz unserer Patienten!
Wie sieht es jetzt mit den Terminen bei Ihnen in der Abteilung aus? Die Covid-Sicherheitsmaßnahmen haben den Rhythmus ja wieder verlangsamt.
Dr. Gilbert Spizzo: Wir verlängern die Zwischenräume zwischen den Untersuchungen, aber natürlich nur, wo es zulässig ist. Hundert Patienten in der Woche mit onkologischen und hämatologischen Erkrankungen in der Woche können wir in aller Sicherheit behandeln. Bestimmte Untersuchungen, gerade in der Nachsorge, können ohne Problem etwas verschoben werden. Aber aufgepasst: Wir als behandelnde Ärzte können einem Patienten nahelegen, einen Termin zu verschieben, nachdem wir alles abgewogen haben und zum Schluss gekommen sind, dass es vernünftig ist. Die Patienten sollen hingegen ihrerseits nicht einfach nur aus Angst entscheiden, Untersuchung nicht wahrzunehmen.
Dr. Gilbert Spizzo

Aktuell

Immer mehr Lungenkrebs bei Frauen

Jahresbericht der Italienischen Vereinigung Medizinische Onkologie, AIOM – Hauptursachen: Rauchen, mangelnde Bewegung und Übergewicht – 12 WHO-Regeln
Der Jahresbericht der AIOM, italienische Vereinigung für medizinische Onkologie, wartet mit einem überraschenden Ergebnis auf. In Bezug auf Lungenkrebs sind die Neuerkrankungen im Jahr 2020 nur bei den Frauen gestiegen und zwar um 3,4%. Lungenkrebs ist nach wie vor die häufigste krebsbedingte Todesursache.
Dieser Anstieg ist vor allem bei Frauen über 70 zu beobachten und darauf zurückzuführen, dass seit den 1970er Jahren immer mehr Frauen mit dem Rauchen begonnen haben. Ganz allgemein erkranken allerdings immer noch mehr Männer als Frauen an Krebs. 2020 gibt es in Italien etwa 377.000 neue Krebsdiagnosen, davon 195.000 bei Männern und 182.000 bei Frauen. Die am häufigsten diagnostizierte Krebsart im Jahr 2020 ist Brustkrebs, gefolgt von Dickdarm-, Lungen-, Prostata- und Blasenkrebs.
Laut AIOM-Statistik nimmt die Diagnose von Melanom und Bauchspeicheldrüsenkrebs bei beiden Geschlechtern zu. Auch die Fälle von Brustkrebs nehmen zu, insbesondere bei Frauen unter 50 Jahren, was höchstwahrscheinlich auf die Ausweitung der Vorsorgeuntersuchungen auf diese Altersgruppe in einigen Regionen zurückzuführen ist. Auf der anderen Seite nimmt die Diagnose Prostatakrebs infolge der geringeren Verwendung von PSA als Früherkennungstest ab. Auch Magen- und Leberkrebs sind rückläufig, wahrscheinlich ein positiver Effekt der Hepatitis-B-Impfung und der Hepatitis-C-Behandlungen.
Dass die Früherkennung funktioniert, zeigt eine weitere wichtige Tatsache, die von AIOM festgestellt wird: der starke Rückgang von Darmkrebs. Tatsächlich gibt es im Jahr 2020 um 20 % weniger Diagnosen als noch im Jahr 2013. Die Früherkennung dieses Krebses dank der Einführung des Screenings, in Verbindung mit der besseren Wirksamkeit der Therapien, selbst in fortgeschrittenen Stadien, hat die Überlebensrate nach fünf Jahren auf 65 % angehoben. Diese Zahl ließe sich weiter verbessern, wenn sich mehr Personen am Screening, das die Präsenz von Blut im Stuhl erfasst, beteiligen würden. Im Falle von Dickdarmkrebs werden italienweit immer noch weniger als fünf von zehn Personen im Alter von über 50 Jahren getestet. Auch in Südtirol, so der Direktor des Südtiroler Krebsregisters und Primar der Abteilung für Pathologische Anatomie und Histologie, Dr. Guido Mazzoleni, bei den Brunecker Krebsgesprächen 2019, nimmt nicht einmal 60% der in Frage kommenden Bevölkerung die vom Gesundheitsdienst angebotenen Screenings wahr.
Eine weiterer, wichtiger Fakt des AIOM-Berichts, ist die allgemeine Verringerung der voraussichtlichen Sterblichkeitsraten im Jahr 2020 im Vergleich zu 2015: Sie sinkt sowohl bei Männern (-6%) als auch bei Frauen (-4,2%) dank der Fortschritte bei Diagnose und Behandlung. Frauen, bei denen Krebs diagnostiziert wurde, leben im Allgemeinen länger als Männer. Dieser Unterschied ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der häufigste Krebs bei Frauen Brustkrebs ist, der eine bessere Prognose als andere Krebsarten hat. In Südtirol beträgt die Überlebensrate nach fünf Jahren 88%. Eine weitere Ursache ist die Tatsache, dass Männer oft relativ spät zur Diagnose kommen und häufiger an Tumoren mit schlechteren Heilungschancen bzw. mit hoher Letalität erkranken, wie z.B. Neoplasien des Zentralnervensystems, an Mesotheliom, an Leber, Lunge, Speiseröhre oder Pankreas. Allerdings gehen die Wissenschaftler davon aus, dass auch diese Zahlen in nächster Zukunft eine positive Wende nehmen, dank der neuen molekularen Therapien und der Kombinationsmöglichkeit verschiedener Therapietypen.
Tumore verursachen immer noch mehr als 25% aller Todesfälle pro Jahr, mit geschätzten 183.000 Menschen im Jahr 2020.
Tatsache ist, dass mehr als ein Drittel dieser Todesfälle vermeidbar wäre. Mindestens 40 % der jährlich neu auftretenden Krebsfälle sind auf einen ungesunden Lebensstil zurückzuführen: zu wenig Bewegung, zu viel Alkohol, zu viel fettes Essen, zu viel rotes Fleisch, ungenügender Sonnenschutz. An erster Stelle der riskanten Verhaltensweisen steht das Rauchen: Allein das Rauchen, sowohl aktiv als auch passiv (!) verursacht rund 43.000 Todesfälle durch Krebs im Jahr. Und das ist nicht nur Lungenkrebs; Rauchen gilt als Auslöser von 17 weiteren Krebsarten! Die beste Vorbeugung einer Krebserkrankung ist ein verantwortungsvoller Lebensstil gemäß der zwölf Regeln des Europäischen Kodex zur Krebsbekämpfung, von denen die erste lautet. Nicht rauchen, weder aktiv noch passiv.