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Die Zukunft ist heute

Hochtechnologie im Kampf gegen Krebs: Strahlentherapie arbeitet mit drei Linearbeschleunigern
Verkürzte Bestrahlungszeiten: bei Rektum-Karzinom anstelle von 25 nur 5 Tage, bei Mammakarzinom nicht 25 – 33 sondern 15 – 20 Tage. Höhere Präzision, weniger Nebenwirkungen, zweifelsfreie Erkennung der Patienten. Dies sind die Vorteile der modernen hypofraktionierten Bestrahlungstechnologie. Im Mai hat der Dienst für Strahlentherapie des Südtiroler Sanitätsdienstes in der Bonvicini-Klinik einen dritten, hochtechnologischen Linearbeschleuniger in Betrieb genommen. Gleichzeitig wurden ein Gesichtsscanner installiert, Zusatzgeräte für eine Atemsteuerung der Bestrahlung sowie ein Positionierungssystem.
Der neue Linearbeschleuniger vervollständigt damit die bereits hochtechnologische Ausstattung des onkologischen Strahlendienstes des Südtiroler Sanitätsbetriebes. Die nun insgesamt drei Linearbeschleuniger der neuesten Generation arbeiten sehr schnell und hochpräzise. Das bedeutet ein noch umfassenderes Angebot für onkologische Patienten im Kampf gegen Krebs.
Die Linearbeschleuniger wurden sukzessive, 2014, 2016 und im Mai 2021 in Betrieb genommen und haben die alten Geräte ersetzt. „Ein weiterer Vorteil“, so Primar Dr. Martin Maffei, „ist, dass die Geräte jetzt alle untereinander austauschbar sind, jeder Patient kann auf jedem Gerät bestrahlt werden.“ Das heißt, es gibt fast keine Ausfälle mehr aufgrund von technischen Problemen oder Wartung. Die Maschinen sind sehr komplex und bedürfen planmäßig kleinerer und größerer Wartungen, was jeweils den Ausfall für einige Stunden oder sogar einen Tag bedeutet. Die neuen Geräte ermöglichen eine präzise Bildgebung vor jeder Therapie. Dadurch kann mit einer höheren Strahlendosis gefahren werden, ohne umliegendes Gewebe zu verletzen. Die Therapie ist nicht nur gezielter und wirksamer, sondern auch schneller.
„Wir konnten trotz Pandemie und Lockdown allen unseren onkologischen Patienten die Durchführung der Bestrahlungstherapie garantieren“, betonte der Primar des Dienstes, Dr. Martin Maffei. Und nicht nur. Der Strahlen-Dienst hat in diesem Zeitraum die hypofraktionierten Bestrahlungen gesteigert, um die Bestrahlungszeiten zu verkürzen und damit der Gefahr einer Ansteckung vorzubeugen. „Außerdem haben wir während des Lockdowns vermehrt auch strahlenchirurgische Eingriffe zur Entfernung von Metastasen durchgeführt, und damit auch die Chirurgie entlasten können.“
Primar Martin Maffei bezeichnet die Strahlenchirurgie als "elegante" Methode. In Zukunft werde sie immer wichtiger bei der Entfernung vereinzelter Lymphknoten, Metastasen in Hirn, Lunge, und Leber; aber auch bei frühen Tumorstadien in Leber und Lunge biete sich die Strahlenchirurgie zunehmend als nicht-invasive Alternative zur traditionellen Chirurgie an.
Eines der Geräte ist täglich bis 20 Uhr im Einsatz, um die Wartezeiten für die Patienten auf ein Minimum zu verkürzen. Langfristig gesehen ist ein weiterer zeitlicher Ausbau aber unumgänglich, betont Dr. Martin Maffei. „Ebenso wie ein viertes Gerät!“ Ein entsprechendes Projekt liegt schon vor. Ein Gerät, das zur Bestrahlung auch eine Magnetresonanz bietet. „Damit sind die Weichteile besser sichtbar, das Gerät kann noch zielgenauer arbeiten und der Therapieplan kann täglich an den Heilungsprozess angepasst werden.“ Die Krebsleiden nehmen aufgrund der demographischen Entwicklung in Südtirol zu, bis 2025 rechnet man mit 16%.
Im Eingangsbereich der jeweiligen Behandlungsräume identifiziert in Kürze ein Gesichts-Scanner zweifelsfrei jeden Patienten auf Basis biometrischer Gesichtserkennung. Wenn der Patient den Wartesaal betritt, werden Arzt und Techniker zeitgleich über sein Kommen informiert. Die Maschinen schalten sich erst ein, wenn ein weiterer Gesichtsscan den Patienten und damit auch sein individuelles Bestrahlungsprogramm erkennt. „Diese Sicherheit ist bei hohen Strahlendosen enorm wichtig“, unterstreicht Maffei.
Die drei Linearbeschleuniger sind zudem alle mit Zusatzgeräten für eine atemgesteuerte Bestrahlung ausgestattet worden. Dabei wird mit Hilfe eines Oberflächenscanners die Atmung des Patienten in Echtzeit aufgenommen. Dies führt bei der Behandlung von Brustkrebspatientinnen zu einer noch größeren Schonung des Herzens, was besonders bei Patientinnen, die gleichzeitig eine Chemotherapie oder Antikörpertherapien bekommen, wichtig ist. Gleichzeitig wurde ein neues System zur Patientenpositionierung installiert, in dieser Kombination ist es das erste in Italien! Es ermöglicht eine submillimetrische Positionierungs- und Überwachungsgenauigkeit in der strahlentherapeutischen Behandlung. Je präziser die Strahlen computergestützt positioniert werden können, desto schonender und gleichzeitig effizienter ist die Behandlung.
Primar Martin Maffei: „Das System der Patientenpositionierung verbessert die Qualität der Radiochirurgie und der fraktionierten, stereotaktischen Bestrahlung noch weiter. In naher Zukunft wird auch die künstliche Intelligenz in der Strahlentherapie Einzug halten, aber nichtsdestotrotz ist es unerlässlich, in Ärzte, Techniker, Physiker und Pflegepersonal zu investieren. Gerade weil die Strahlentherapie eine so technische Disziplin ist, ist eine empathische Patientenbetreuung umso wichtiger.“ Die Hauptaufgabe des Radioonkologen sei es, den Patienten empathisch auf die für ihn beste klinische Strahlentherapiebehandlung vorzubereiten und dies gemeinsam mit Spezialisten im Bereich der Röntgentechnik und Medizinphysik - mit Hilfe modernster technischer Mittel und nach den neuesten wissenschaftlichen Standards. „Der Patient darf nicht das Gefühl haben, hilflos einer Maschine ausgesetzt zu sein.“ Die strahlentherapeutische Behandlung, so Dr. Maffei, sei immer eine Teamarbeit zwischen Ärzten, Röntgentechnikern, Medizinphysiker und Pflegepersonal. Das Team der Abteilung besteht aus vierzig Personen: mit dem Primar sind es neun Fachärzte, 13 Röntgentechniker, fünf Pflegekräfte, drei Sekretärinnen, ein Pflegehelfer sowie drei Physiker.
Der Dienst für Strahlentherapie in der Bonvicini-Klinik hat seinen Patienten vor dem Auftreten der Corona Virus Pandemie ein Zusatzprogramm angeboten, das auf ihr psycho-physisches Wohlbefinden abgestimmt war, z. B. Kurse für Bewegungstherapie und Malkurse. Dies soll in Kürze wieder aufgenommen werden. Die Patienten fühlen sich in der freundlichen und auf persönlichen Kontakt aufgebauten Atmosphäre der Abteilung wohl.
Radioonkologen seien Mediziner mit einem großen technischen und klinischen Wissen, so Maffei. „Sie verfügen über eine ganzheitliche Vision der Krebstherapie, sind Bestandteil des multidisziplinären Tumorboards und aktiv in alle Therapie-Entscheidungen eingebunden. Die Strahlentherapie ist kostengünstig und kann in einigen Fällen sogar die chirurgische und chemotherapeutische Behandlung ersetzen. Sie ist eine tragende Säule der Krebstherapie, bereits bei vier von zehn Patienten kommt eine Strahlentherapie zum Einsatz.“
Im Dienst für Strahlentherapie in der Bonvicini-Klinik werden zurzeit zwischen 80 und 100 Patienten täglich bestrahlt. Ungefähr die Hälfte kurativ, die andere palliativ. Die Strahlentherapie kommt auch in der Schmerztherapie zum Einsatz. Der Strahlendienst arbeitet im Rahmen der Euregio eng mit der Strahlentherapie der Universitätsklinik Innsbruck und der Strahlentherapie der Protonentherapie Trient zusammen. 90% der Fälle können in Südtirol behandelt werden.
Dank modernster Bildgebungstechnik kann die Bestrahlung submillimetrisch genau programmiert werden.
Der Eingangsbereich der Strahlentherapie in der Bonvicini-Klinik in Bozen

Aktuell

Wenn ein Medikament noch nicht zugelassen ist…

… kann es dennoch schon zum Einsatz kommen: Compassionate use in der Gynäkologie Brixen
Eine von acht Frau erkrankt in ihrem Leben an Brustkrebs. Die Heilungschancen liegen bei über 81%, bei Früherkennung um die 90%. Eine Krankheit, die viel von ihrem Schrecken verloren hat. Bei einigen Patientinnen ist eine Heilung jedoch ausgeschlossen. Diese Diagnose kommt nicht (mehr) einem Todesurteil gleich, die Krankheit wird chronisch, das heißt sie kann, bei guter Lebensqualität, behandelt werden. Ein Leben lang. Die Medizin hat gerade im letzten Jahrzehnt enorme Fortschritte gemacht. Ein vielversprechendes neues Präparat, das bei einem bestimmten Brustkrebs zum Einsatz kommt, wird zum Jahresende auch in Italien zugelassen.
Die Gynäkologie Brixen behandelt bereits eine Patientin mit diesem Medikament und ist damit das erste Krankenhaus in Südtirol. Um so weit zu kommen, braucht es Überzeugung, Hartnäckigkeit und viel Durchhaltevermögen. Eigenschaften, die Dr. Yvonne Fauster neben ihrer Kompetenz als Ärztin zur Genüge besitzt. „Ich bin stolz darauf, dass wir es geschafft haben, das Medikament schon einsetzen zu können. Stolz, wie wenn ich den Everest bestiegen hätte. Es war ein ungemein zeitaufwändiger Prozess, ein enormer bürokratischer Aufwand!“ Ein „Geht nicht“ wollte Dr. Fauster nicht akzeptieren.
Das auf die spezifische Mutation PIK3CA, HR-positiv, HER2-negativ bei Patientinnen in der Post-Menopause zugeschnittene Medikament, das erste mit diesen Eigenschaften, ist in Italien noch in der Zulassungsphase. Von der amerikanischen und der europäischen Arzneimittelagentur, FDA und EMA, ist es bereits genehmigt. Die sog SOLAR 1-Studie konnte den Vorteil für dieses Medikament in Kombination mit der herkömmlichen Antihormontherapie an über 500 Patientinnen zeigen. Die klinische Studie ist abgeschlossen, Ergebnisse sind vorhanden. Es handelt sich also um keine Testphase. Auch wir in Südtirol wollen diese Therapie unseren Patientinnen nicht vorenthalten, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Die Firma hat uns in unserem Vorhaben unterstützt, mittlerweile beziehen wir das Medikament über ein Verfahren, das im Fachjargon „compassionate use“ (Freigabe aus Barmherzigkeit) heißt.
Die europäische Arzneimittelagentur EMA definiert dies wie folgt: „Compassionate Use ist eine Behandlungsoption, die die Verwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels ermöglicht. Unter bestimmten Voraussetzungen können in der Entwicklung befindliche Arzneimittel Gruppen von Patienten, die an einer Krankheit leiden, für die es keine befriedigenden zugelassenen Therapien gibt und die nicht in klinische Studien eintreten können, verfügbar gemacht werden.“ Voraussetzung ist, dass die jeweiligen Patienten unter strikter ärztlicher Kontrolle stehen.
Viele europäische Länder haben in ihrem Arzneimittelrecht Sonderregelungen vorgesehen, die diesen vorgezogenen Nutzen möglich machen. Seit 2006 gilt ein entsprechendes Ministerialdekret auch in Italien. Demnach müssen sich Ärzte, die an einem solchen Medikamenteneinsatz interessiert sind, in Übereinstimmung mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Arneimittelagentur direkt an das jeweilige pharmazeutische Unternehmen wenden. Das Medikament muss von diesem kostenlos für diesen besonderen Nutzen zur Verfügung gestellt werden.
Das Ergebnis des bürokratischen Aufwands hat sich gelohnt. Edith Wolf aus Bozen ist die erste Patientin in Südtirol, die mit dem Medikament behandelt wird. Aber gehen wir der Reihe nach. 2018 ist Edith Wolf im Alter von 75 Jahren an Brustkrebs erkrankt. Der Diagnose eines fortgeschrittenen, hormonrezeptorpositiven Mammakarzinoms des Typs PIK3Ca, HER2 negativ, folgte eine Operation, Bestrahlung und antihormonelle Therapie. Aber die Krankheit ging weiter, es wurden Metastasen in der Lunge diagnostiziert, die nicht operabel sind. Eine Chemotherapie erscheint noch nicht indiziert, bei deutlich besseren, nebenwirkungsärmeren Therapie-Optionen. Die Wirkung des noch nicht zugelassenen Medikaments, das täglich in Tablettenform verabreicht wird, beruht auf der Hemmung des spezifischen Enzyms PIK3Ca. Dadurch, so Dr. Yvonne Fauster, kann die Hormontherapie, die der Patientin einmal im Monat per Injektion verabreicht wird, besser greifen und das Tumorwachstum signifikativ gebremst werden.
Wie sieht es mit den Nebenwirkungen aus? „Natürlich hat auch eine immunologische Therapie Nebenwirkungen“, betont die Onko-Gynäkologin. „Bei einer Immun-Therapie gewöhnt sich der Organismus des Patienten aber innerhalb von acht bis zwölf Wochen an das Präparat; die Nebenwirkungen lassen nach.“ Anders bei einer Chemotherapie: „Da summieren sich in der Regel die Nebenwirkungen, das Befinden des Patienten kann sich zunehmend verschlechtern.“
Die von der Therapie mit dem Medikament zu erwartenden Nebenwirkungen sind überschaubar. Es kann zu einer Blutzuckererhöhung kommen, deshalb ist die Patientin angehalten, regelmäßig zuhause den Blutzucker zu messen und einmal im Monat im Krankenhaus überprüfen zu lassen. Weitere Nebenwirkungen können Veränderungen der Haut bzw. der Schleimhäute sein, Anämie oder verschlechterte Nierenwerte. Edith Wolf hatte in den ersten Wochen mit schmerzhaften Aften im Mund und mit offenen Fingerkuppen zu kämpfen, aber nach der ersten Eingewöhnungszeit haben sich diese Nebenwirkungen gelegt. Ihr Allgemeinzustand ist gut. Sie muss nur einmal im Monat ins Krankenhaus nach Brixen kommen für Blutproben und für das Verabreichen der Hormonspritze.
Dr. Yvonne Fauster arbeitet seit knapp einem Jahr auf der Gynäkologie Brixen. Vorher arbeitete die Südtirolerin, nach 2010 abgeschlossener Facharztausbildung, zunächst als Fachärztin und seit 2013 als Oberärztin an einem Krankenhaus in Baden-Württemberg, vor allem im Bereich Senologie. Ihre Ausbildung begonnen hat sie an einem bayrischen Klinikum. In Deutschland, so Dr. Fauster, ist der „Compassionate use“ einfacher zu handhaben. „Dort läuft das vornehmlich über die Krankenkassen ab. In Italien muss man bürokratische Schlupflöcher kennen und Kontakte zu den Arzneimittelfirmen aufnehmen, die spezifische Programme für diese Art von Arzneimitteleinsatz haben.“
Zusammen mit Primarin Dr. Sonia Prader, die sie in ihrem Bemühen, das Medikament zur Verfügung gestellt zu bekommen, unterstützt hat, ist Dr. Fauster von einer individuellen, auf tumorspezifische Merkmale zugeschnittenen Medizin überzeugt. „Eine individuelle Therapie und der Verzicht auf eine Chemotherapie ist zudem für die Patientinnen mit einem Zuwachs an Lebansqualität verbunden. Brustkrebs ist ein Mosaik aus vielen Steinchen. Je spezifischer wir darauf reagieren können, desto größer ist der Therapieerfolg!“ Primarin Sonia Prader: „Wir sind gerade dabei, in ein Compassionate-use-Programm für Eierstockkrebs hineinzukommen. Unsere Patientinnen sind dankbar für diese zusätzliche Möglichkeit, sie haben das Gefühl, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und bekommen Auftrieb, weiter zu kämpfen. Und für uns als behandelnde Ärzte ist allein das jede Mühe wert!“
Dr. Yvonne Fauster