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Wenn ein Medikament noch nicht zugelassen ist…

… kann es dennoch schon zum Einsatz kommen: Compassionate use in der Gynäkologie Brixen
Eine von acht Frau erkrankt in ihrem Leben an Brustkrebs. Die Heilungschancen liegen bei über 81%, bei Früherkennung um die 90%. Eine Krankheit, die viel von ihrem Schrecken verloren hat. Bei einigen Patientinnen ist eine Heilung jedoch ausgeschlossen. Diese Diagnose kommt nicht (mehr) einem Todesurteil gleich, die Krankheit wird chronisch, das heißt sie kann, bei guter Lebensqualität, behandelt werden. Ein Leben lang. Die Medizin hat gerade im letzten Jahrzehnt enorme Fortschritte gemacht. Ein vielversprechendes neues Präparat, das bei einem bestimmten Brustkrebs zum Einsatz kommt, wird zum Jahresende auch in Italien zugelassen.
Die Gynäkologie Brixen behandelt bereits eine Patientin mit diesem Medikament und ist damit das erste Krankenhaus in Südtirol. Um so weit zu kommen, braucht es Überzeugung, Hartnäckigkeit und viel Durchhaltevermögen. Eigenschaften, die Dr. Yvonne Fauster neben ihrer Kompetenz als Ärztin zur Genüge besitzt. „Ich bin stolz darauf, dass wir es geschafft haben, das Medikament schon einsetzen zu können. Stolz, wie wenn ich den Everest bestiegen hätte. Es war ein ungemein zeitaufwändiger Prozess, ein enormer bürokratischer Aufwand!“ Ein „Geht nicht“ wollte Dr. Fauster nicht akzeptieren.
Das auf die spezifische Mutation PIK3CA, HR-positiv, HER2-negativ bei Patientinnen in der Post-Menopause zugeschnittene Medikament, das erste mit diesen Eigenschaften, ist in Italien noch in der Zulassungsphase. Von der amerikanischen und der europäischen Arzneimittelagentur, FDA und EMA, ist es bereits genehmigt. Die sog SOLAR 1-Studie konnte den Vorteil für dieses Medikament in Kombination mit der herkömmlichen Antihormontherapie an über 500 Patientinnen zeigen. Die klinische Studie ist abgeschlossen, Ergebnisse sind vorhanden. Es handelt sich also um keine Testphase. Auch wir in Südtirol wollen diese Therapie unseren Patientinnen nicht vorenthalten, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Die Firma hat uns in unserem Vorhaben unterstützt, mittlerweile beziehen wir das Medikament über ein Verfahren, das im Fachjargon „compassionate use“ (Freigabe aus Barmherzigkeit) heißt.
Die europäische Arzneimittelagentur EMA definiert dies wie folgt: „Compassionate Use ist eine Behandlungsoption, die die Verwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels ermöglicht. Unter bestimmten Voraussetzungen können in der Entwicklung befindliche Arzneimittel Gruppen von Patienten, die an einer Krankheit leiden, für die es keine befriedigenden zugelassenen Therapien gibt und die nicht in klinische Studien eintreten können, verfügbar gemacht werden.“ Voraussetzung ist, dass die jeweiligen Patienten unter strikter ärztlicher Kontrolle stehen.
Viele europäische Länder haben in ihrem Arzneimittelrecht Sonderregelungen vorgesehen, die diesen vorgezogenen Nutzen möglich machen. Seit 2006 gilt ein entsprechendes Ministerialdekret auch in Italien. Demnach müssen sich Ärzte, die an einem solchen Medikamenteneinsatz interessiert sind, in Übereinstimmung mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Arneimittelagentur direkt an das jeweilige pharmazeutische Unternehmen wenden. Das Medikament muss von diesem kostenlos für diesen besonderen Nutzen zur Verfügung gestellt werden.
Das Ergebnis des bürokratischen Aufwands hat sich gelohnt. Edith Wolf aus Bozen ist die erste Patientin in Südtirol, die mit dem Medikament behandelt wird. Aber gehen wir der Reihe nach. 2018 ist Edith Wolf im Alter von 75 Jahren an Brustkrebs erkrankt. Der Diagnose eines fortgeschrittenen, hormonrezeptorpositiven Mammakarzinoms des Typs PIK3Ca, HER2 negativ, folgte eine Operation, Bestrahlung und antihormonelle Therapie. Aber die Krankheit ging weiter, es wurden Metastasen in der Lunge diagnostiziert, die nicht operabel sind. Eine Chemotherapie erscheint noch nicht indiziert, bei deutlich besseren, nebenwirkungsärmeren Therapie-Optionen. Die Wirkung des noch nicht zugelassenen Medikaments, das täglich in Tablettenform verabreicht wird, beruht auf der Hemmung des spezifischen Enzyms PIK3Ca. Dadurch, so Dr. Yvonne Fauster, kann die Hormontherapie, die der Patientin einmal im Monat per Injektion verabreicht wird, besser greifen und das Tumorwachstum signifikativ gebremst werden.
Wie sieht es mit den Nebenwirkungen aus? „Natürlich hat auch eine immunologische Therapie Nebenwirkungen“, betont die Onko-Gynäkologin. „Bei einer Immun-Therapie gewöhnt sich der Organismus des Patienten aber innerhalb von acht bis zwölf Wochen an das Präparat; die Nebenwirkungen lassen nach.“ Anders bei einer Chemotherapie: „Da summieren sich in der Regel die Nebenwirkungen, das Befinden des Patienten kann sich zunehmend verschlechtern.“
Die von der Therapie mit dem Medikament zu erwartenden Nebenwirkungen sind überschaubar. Es kann zu einer Blutzuckererhöhung kommen, deshalb ist die Patientin angehalten, regelmäßig zuhause den Blutzucker zu messen und einmal im Monat im Krankenhaus überprüfen zu lassen. Weitere Nebenwirkungen können Veränderungen der Haut bzw. der Schleimhäute sein, Anämie oder verschlechterte Nierenwerte. Edith Wolf hatte in den ersten Wochen mit schmerzhaften Aften im Mund und mit offenen Fingerkuppen zu kämpfen, aber nach der ersten Eingewöhnungszeit haben sich diese Nebenwirkungen gelegt. Ihr Allgemeinzustand ist gut. Sie muss nur einmal im Monat ins Krankenhaus nach Brixen kommen für Blutproben und für das Verabreichen der Hormonspritze.
Dr. Yvonne Fauster arbeitet seit knapp einem Jahr auf der Gynäkologie Brixen. Vorher arbeitete die Südtirolerin, nach 2010 abgeschlossener Facharztausbildung, zunächst als Fachärztin und seit 2013 als Oberärztin an einem Krankenhaus in Baden-Württemberg, vor allem im Bereich Senologie. Ihre Ausbildung begonnen hat sie an einem bayrischen Klinikum. In Deutschland, so Dr. Fauster, ist der „Compassionate use“ einfacher zu handhaben. „Dort läuft das vornehmlich über die Krankenkassen ab. In Italien muss man bürokratische Schlupflöcher kennen und Kontakte zu den Arzneimittelfirmen aufnehmen, die spezifische Programme für diese Art von Arzneimitteleinsatz haben.“
Zusammen mit Primarin Dr. Sonia Prader, die sie in ihrem Bemühen, das Medikament zur Verfügung gestellt zu bekommen, unterstützt hat, ist Dr. Fauster von einer individuellen, auf tumorspezifische Merkmale zugeschnittenen Medizin überzeugt. „Eine individuelle Therapie und der Verzicht auf eine Chemotherapie ist zudem für die Patientinnen mit einem Zuwachs an Lebansqualität verbunden. Brustkrebs ist ein Mosaik aus vielen Steinchen. Je spezifischer wir darauf reagieren können, desto größer ist der Therapieerfolg!“ Primarin Sonia Prader: „Wir sind gerade dabei, in ein Compassionate-use-Programm für Eierstockkrebs hineinzukommen. Unsere Patientinnen sind dankbar für diese zusätzliche Möglichkeit, sie haben das Gefühl, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und bekommen Auftrieb, weiter zu kämpfen. Und für uns als behandelnde Ärzte ist allein das jede Mühe wert!“
Dr. Yvonne Fauster

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Dankbar für diese Chance

Die Patientin Edith Wolf über ihre Erfahrung mit einem neuen Medikament
Ihre erste Frage war: „Bin ich jetzt ein Versuchskaninchen?“ Edith Wolf scheut sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen, auch wenn sie sich selbst als schüchtern bezeichnet. Die ehemalige Handarbeitslehrerin ist 78 Jahre alt und seit 2018 im Brustkrebszentrum Brixen in Behandlung. Seit März wird sie zusätzlich zur Hormontherapie mit einem Medikament behandelt, das ein bestimmtes Enzym blockiert und das eigentlich in Italien noch nicht auf dem Markt ist.
Wie geht es Ihnen Frau Wolf?
Edith Wolf: Es geht mir nicht schlecht und es geht mir auch nicht ganz gut. Aber es geht. Ich bin zufrieden.
Sie sind 2018 an Brustkrebs erkrankt…
Edith Wolf: Genau. Ich bin an der linken Brust operiert worden und habe Bestrahlungen erhalten. Dann wurden auch Metastasen in der Lunge festgestellt und ich habe zunächst neben der Hormontherapie noch eine Antikörpertherapie erhalten. Aber die habe ich nicht vertragen. Und so habe ich eine Zeitlang nur die Hormonspritzen bekommen. Bis mich Dr. Fauster zu einem Termin gebeten hat.
Um Ihnen den Vorschlag zu machen, mit einem Medikament behandelt zu werden, das in Italien noch nicht offiziell auf dem Markt ist?
Edith Wolf: Genau. Meine erste Frage war, ob ich jetzt ein Versuchskaninchen sei. Aber Dr. Fauster hat mir alles erklärt. Auch wie das Medikament funktioniert und welche Vorteile ich davon hätte.
Waren Sie allein bei dem Gespräch?
Edith Wolf: Nein, mein Mann begleitet mich immer.
Sie haben auch mit ihm besprochen, ob Sie das Therapie-Angebot annehmen möchten oder nicht?
Edith Wolf: Genau. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich nicht mehr ganz gesund werde. Und ich bin dankbar, dass ich jetzt diese Chance bekommen habe. Ich nehme das Medikament jetzt seit acht Wochen und es geht mir inzwischen besser.
Sie hatten Nebenwirkungen in der ersten Zeit?
Edith Wolf: Ja. Ich hatte Klüfte an den Fingerspitzen, Aften im Mund und einen bitteren Speichel. Die Hände sind jetzt ganz geheilt. Es geht alles viel besser jetzt. Ich bin zufrieden. Nur Appetit habe ich noch nicht und ich habe auch etwas abgenommen.
Aber sie sind guter Dinge? Wie verbringen Sie den Tag?
Edith Wolf: Ich bin nicht deprimiert, wenn Sie das meinen. Es geht gut und im Brustkrebszentrum in Brixen fühle ich mich sehr wohl, ich gehe gerne dorthin. Was ich so mache? Am Morgen habe ich im Haus zu tun. Ich habe eine große Wohnung. Am Nachmittag raste ich eine Stunde und dann gehe ich gern spazieren mit meinem Mann. Oder ich bin auf der Terrasse, ich habe große Freude an Blumen und wir haben viele schöne Pflanzen, oder ich bastle. Basteln ist meine Leidenschaft.
Das war auch ihr Beruf?
Edith Wolf: Ja, ich habe Technik unterreichtet. Aber eigentlich war ich Handarbeitslehrerin. Ich bin als ich jung war extra nach Padua gegangen, um das zu studieren; 17 Jahre alt war ich und die einzige Deutsche im Heim. Aber ich war glücklich. Am Schönsten war meine erste Arbeitsstelle, das war 1963 in Meran, bei den Englischen Fräulein. Da hatte ich eine Klasse mit Bergkindern aus Halfling, Algund und so. Eine Klasse mit 34 Kindern. Da haben wir gebastelt und gestrickt… Das war eine Freude.
Haben Sie Kinder?
Edith Wolf: Mein Mann war Witwer und sein Sohn war elf als wir heirateten, er hatte seine Mutter mit sieben verloren. Er hat jetzt eine siebenjährige Tochter, Elena, meine Enkelin. Sie kommt oft. Früher habe ich auch gern und gut gekocht. Jetzt hat das etwas nachgelassen.
Stört es Sie, dass Sie jetzt über Ihre Krankheit so bekannt geworden sind? Im Fernsehen war ja auch ein Bericht über Sie.
Edith Wolf: Nein, stören tut mich das nicht. Ich habe nie ein Geheimnis aus meiner Erkrankung gemacht, gehe ganz offen damit um. Und vielleicht kann es ja anderen helfen.