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Cannabis in der Krebstherapie
Kein Wundermittel, aber komplementäre Therapiebegleitung Interview mit Dr. Herbert Heidegger
(Einstiegs)Droge, Wundermittel, Hexenkraut oder Substanz für eine effiziente, komplementäre Therapiebegleitung. Die Verabreichung bzw. Einnahme von Cannabis ist ein viel und kontrovers diskutiertes Thema, auch in Bezug auf Brustkrebs. Dr. Herbert Heidegger, Primar der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in Meran, hat zu diesem Thema bei der Diplompatientin einen Vortrag gehalten.
Dr. Heidegger, Cannabis war schon vor mehreren tausend Jahren als therapeutische Substanz eingesetzt…
Dr. Herbert Heidegger: Ja, in China war Cannabis schon vor 3.000 Jahren bekannt, auch die alten Griechen verwendeten Cannabis zur Förderung des Appetits und als Schmerzmittel, ebenso wie islamische Ärzte ab dem 9. Jahrhundert. In der modernen Medizin wurde Cannabis ab etwa 1850 zur Schmerzstillung verwendet; 1925 wurde der Gebrauch dann allerdings weltweit eingeschränkt. Seit 2007 ist Cannabis in Italien für medizinischen Nutzen offiziell zugelassen.
Das therapeutische Cannabis ist aber nicht gleich Haschisch?
Dr. Herbert Heidegger: Nein. Der Unterschied liegt in der Zusammensetzung. Was Cannabis zur Droge macht, ist der psychoaktive Inhaltsstoff Thc, Tetrahydrocannabinol. Medizinisches Cannabis darf maximal 5 – 8% dieser Substanz enthalten. Der zweite wichtige Inhaltsstoff ist Cbd, Cannabidiol. Davon enthält therapeutisches Cannabis 7,5 – 12 %. Diese Substanz hat eine nachgewiesene beruhigende, schmerzstillende, entzündungshemmende und entkrampfende Wirkung.
Und wegen dieser Wirkung kommt Cannabis in der medizinischen Therapie zum Einsatz?
Dr. Herbert Heidegger: Genau. Und zwar nicht nur, aber sehr oft auch in der Onkologie. Unsere Patientinnen fragen auch danach. Andere Einsatzgebiete sind Multiple Sklerose, Parkinson, AIDS, Polyneuropathien und diverse Schmerzzustände. Cannabis kann appetitanregend sein, schlaffördernd und wirkt insgesamt beruhigend, gerade in besonderen Stress-Situationen wie es eine Krebserkrankung ist. In diesem Sinn ist sind Präparate aus der Hanfpflanze geeignet für die komplementäre Begleitung und zur Eindämmung der Nebenwirkungen der Chemotherapie und der Strahlentherapie. Der moderne, integrative Ansatz der Onkologie beruht auf einer evidenzbasierten Therapie, die Körper und Geist gleichermaßen berücksichtigt.
Es gibt auch Stimmen, die der Hanfpflanze sogar krebsvorbeugende und sogar heilende Wirkung, bzw. eine Minderung des Tumorwachstums zuschreiben. Was halten Sie als Schulmediziner davon?
Dr. Herbert Heidegger: Es gibt gerade bei Brustkrebs sehr viele Publikationen in dieser Richtung, das stimmt. Einige Publikationen beziehen sich auf In-vitro Experimente, also in einer künstlichen,, kontrollierten Umgebung außerhalb eines lebendenen Organismus durchgeführte Experimente, die eine positive Wirkung von Cbd auf Prozesse wie Metastasenbildung und Tumorwachstum dokumentieren. Die Frage ist allerdings, wie valide sind diese In-vitro-Studien und wie sieht es mit den Nebenwirkungen und Wechselwirkungen aus? Einige Tierstudien haben sogar eine tumorfördernde Wirkung von Thc nachgewiesen…
…und klinische Studien?
Dr. Herbert Heidegger: Klinische Studien gibt es bisher kaum. Wir wissen von Wechselwirkungen mit dem Stoffwechsel der Leber. Bekannte Nebenwirkungen einer Cannabistherapie sind Halluzinationen und Beeinträchtigungen des Kreislaufs. Es ist also in jedem Fall Vorsicht geboten. Die (internationalen) Fachgruppen sagen bisher jedenfalls klar und deutlich, dass Cannabis keine Wirkung auf das Tumorverhalten hat und erkennen nur die komplementärmedizinische Komponente an.
Eine Frage zu einem anderen Thema: Gibt es mittlerweile Studien zur Auswirkung von Corona auf die Zahl der Krebserkrankungen oder besser -diagnosen?
Dr. Herbert Heidegger: Eine Frage, die nicht so schnell abzuhandeln ist. In Kürze: Man geht davon aus, dass weltweit coronabedingt über eine Million von Brustkrebsdiagnosen nicht gestellt wurden, in Italien 3.300. Das ist eine sehr hohe Zahl! Und das gilt es so schnell wie möglich aufzuholen. Auch bei uns sind Frauen nicht zur Vorsorge oder zur Nachuntersuchung gekommen, aus Angst vor dem Ambiente Krankenhaus. Ich habe Patientinnen immer wieder versichert, dass sie bei uns sicher sind und nichts zu befürchten haben! Von uns in Meran kann ich berichten, dass unsere rund 1.800 Patientinnen eine sehr lange Überlebensrate aufweisen. Dank früher Diagnose und personalisierter Therapie kann Brustkrebs immer besser geheilt werden. Aber die Mitarbeit der Patientinnen, die Bereitschaft, Verantwortung für sich und ihre Gesundheit zu übernehmen, gehört dazu.Primar Dr. Herbert Heidegger