Er ist seitüber zwanzig Jahren ehren- und hauptamtlich in der Hospizarbeit tätig, der Diplomtheologe und systemische Supervisor
Dirk Blümke, Leiter der Fachstelle Malteser Hospizarbeit in Köln.
Im Oktober war er Referent bei einer Tagung in Brixen zum Thema
„Ist Sterben eine Krankheit?“ Ein Gespräch über Hospiz,
Palliativmedizin und den Tod als Teil des Lebens.
Chance: Wie würden Sie den Begriff Hospiz definieren?
Dirk Blümke: Hospiz geht sowohl auf hospitium = Herberge und hospitalitas = Gastfreundschaft zurück und galt im Mittelalter als eine Einrichtung, die am Rande der Pilgerwege, den Pilgern eine sichere Unterkunft und Beherbergung gab. Die moderne Hospizbewegung, allen voran Cicely Saunders, versteht unter Hospiz mehr als einen festen Ort eine Haltung radikaler bedingungsloser Zuwendung gegenüber Sterbenden und ihren Angehörigen.
Chance: Radikale Zuwendung im Sinne von Eingehen auf alle Bedürfnisse?
Dirk Blümke: Ja. Diese Haltung stellt die Bedürfnisse des sterbenden Menschen und seiner Angehörigen in den Mittelpunkt und steht für eine Kultur des Lebens, in der Sterben, Tod und Trauer als zum Leben dazu gehörig verstanden werden. Es ist eine Haltung, die sich bewusst gegen die Euthanasiebewegungen unserer Zeit, sei es die Legalisierung aktiver Sterbehilfe oder der assistierten Beihilfe zum Suizid, stellt. Danach soll das Leben weder künstlich verkürzt noch verlängert werden. In der Folge der Adaption der Hospizidee in Deutschland etabliert sich die Hospizbewegung in ihrem Einsatz für sterbende Menschen und deren Angehörige als eine Bürgerbewegung, die einen anderen Umgang mit sterbenden Menschen fordert und sich für eine ganzheitliche palliative Umsorgung in der Gesellschaft einsetzt.
Chance: Und Palliativ Care?
Dirk Blümke: Palliative Care und die Hospizidee sind wie die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Von palliare = ummanteln und care = eine umfassende, ganzheitliche Sorge kommend, wird der Begriff in besonderer Weise im pflegerischen und ärztlichen Kontext als eine umfassende fürsorgliche Umsorgung in der letzten Lebensphase verstanden, die eine Schmerz- und Symptomkontrolle über alle Dimensionen menschlicher Existenz hinweg beinhaltet, d.h. die psychischen, sozialen, körperlichen und spirituellen Bedürfnisse berücksichtigt. Zunächst stand insbesondere der Tumorschmerz und dessen Bekämpfung im Mittelpunkt des palliative care – Ansatzes. „Nur wer vor Schmerzen nicht die Wände hoch geht“, so sagte es einmal die Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, „erhält die Möglichkeit überdas zu sprechen, was ihn bewegt.“ So steht die palliative Umsorgung und damit „palliative care“ für die Lebensqualität, die den Tagen mehr Leben gibt.
Chance: Heute geht der Begriff aber noch weiter?
Dirk Blümke: Richtig. Heute hat sich der Begriff „palliative care“ neben dem Begriff der „Hospizarbeit“ im Gesundheitswesen sowohl als eine professionelle Versorgungsform sterbender Menschen und ihrer Angehörigen als auch als eine Haltung etabliert, die angesichts dessen, was medizintechnisch möglich ist, das Sterben zulässt und den Sterbenden gerade in dieser Phasenicht allein lässt. Der palliative Ansatz stellt nicht die Länge des Lebens um jeden erdenklichen Preis, sondern die subjektiv empfundene Qualität zu leben in den Mittelpunkt. Das erfordert den Mut zur offenen Kommunikation und die Bereitschaft im Dialog mit dem schwerkranken und sterbenden Menschen, die für ihn die unter den Umständen gute Lösung zu finden. Hierbei wirken alle Helfenden des „Care“-Systems idealerweise mit ihren jeweils beruflichen und ehrenamtlichen „Fach“-Kompetenzen synergetisch als Team zusammen. So wie jeder Mensch individuell und einmalig ist, so bildet sich auch um jeden Menschen ein „eigenes“ Team, das sich auf die Bedürfnisse einstellt.
Chance: Der Tod wird immer noch todgeschwiegen ….
Dirk Blümke: Der Tod ist heute so öffentlich, medial wirksam und uns dennoch entfremdet, dass wir oft von der Wucht des Sterbens überrumpelt sind, wenn es uns persönlich betrifft. Während wir einerseits abgestumpft scheinen ob der vielen Toten in den Nachrichten und Totschlägen in Fernsehfilmen, reißt es uns mit der Nachricht über den Tod eines geliebten Menschen den Boden unter den Füßen weg.
Chance: Weil der Tod auf Distanz gehalten wird? Weil Unmittelbarkeit in einer Zeit der totalen Reizüberflutung immer schwieriger wird?
Dirk Blümke: Wir stellen in der Hospiz- und Trauerarbeit fest, dass es immer mehr Menschen daran mangelt, den Verlust in Worte zu kleiden. Dahinter verbirgt sich weniger ein Schweigenwollen, als vielmehr eine Sprach- und Hilflosigkeit. Dies betrifft die Angehörigen, aber auch ihr Umfeld, Freunde und Nachbarn, denen ihrerseits Worte und Gesten fehlen. Ein Teufelskreis, dem die Hospizbewegung mit„Raum- und Zeitangeboten“, d.h. Begegnungsorten, Gesprächspartnern und geschützten Zeiten einen Freiraum bieten will. Es bedarf manchmal des Impulses, der Nachfrage, des Zuhörens und der Bereitschaft beim Fließen der Tränen geduldig auszuhalten, bevor sich dieser Angebotsraum füllen kann.
Chance: Gelten ihre Angebote auch Kindern und Jugendlichen, für die Tod und Sterben heute ein Tabuthema sind?
Dirk Blümke: Einerseits werden sie davon ferngehalten, andererseits, das zeigen Projekttage der Malteser in Schulen immer wieder, sind Kinder und Jugendliche noch anders in der Lage ihr Verlusterleben zu beschreiben, sei es den Tod des Hamsters, den Umzug in eine neue Stadt oder den Tod eines Großelternteils. Sie beklagen die Sprachlosigkeit der Erwachsenen, die Beklemmung des Nichtgenauwissendürfens, wie der geliebte Mensch gestorben ist. Sie berichten von dem (unausgesprochenen) Tabu, den Namen des Verstorbenen zu nennen und ihrem Wunsch, sich vom Toten zu verabschieden und mit am Grab stehen zu dürfen. Sie sprechen davon, dass Sie aus Liebe zu den Eltern versucht haben, zu funktionieren und damit die Last zu tragen, die ohne Worte auf allem lag. Es ist dieser Spiegel aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen, der uns Mut machen sollte, uns der Realität des Lebens zu stellen, zu der Tod und Trauer gehören. Kinder und Jugendliche haben dies oft vor den Erwachsenen begriffen. Gerade sie sind gefährdet, zu Opfern des Schweigens zu werden, weil wir Erwachsene uns vor dem Ausdrücken unser eigenen Gefühle schützen und meinen, dass dies auch vor den Kindern angemessen sei. Hier wirkt sich ein Denken in der Gesellschaft aus, das Gefühle zu zeigen als Schwäche interpretiert und suggeriert, dass nur wer hart gegen sich selbst ist, in dieser Gesellschaft bestehen kann.
Chance: Braucht unsere Gesellschaft eine Sterbekultur?
Dirk Blümke: Ja! Aber im Sinne einer Kultur des Lebens, die Krankheit, Leid, Sterben, Tod und Trauer ins Leben zurückholt und zum Leben gehörig annimmt. Dies schließt eine Sorge um einen sterbenden Menschen, der ja immer ein Lebender ist, mit ein. Natürlich verändern Krankheit und das unmittelbare Sterben eines Menschen, Prioritäten und die Sicht auf das Leben. Es gilt nichts zu beschönigen. Dies ist oft ein schmerzlicher Prozess, für den, der geht und für diejenigen, die mit dem Verlust weiter leben müssen. Wenn es Ausdruck einer Kultur des Lebens ist, ein Sterben in Würde zu ermöglichen, dann gehört dazu, Familien, Nahestehende zu ermutigen, das was wichtig ist, zur Sprache zu bringen. Hierzu gehört es auch, Rituale zu entwickeln und zu leben, die nach dem Tod einen festen Platz im Erinnern finden können. Die Hospizidee vertritt das Ideal, dass jeder seinen eigenen Tod sterben darf und jeder Mensch – ob Mann oder Frau ob Kind oder Jugendlicher - eigene Formen der Trauer entwickelt. Gefühle der eigenen Trauer dürfen benannt werden und Trauer selbst ist ein natürlicher Prozess, der sich in einer Fülle ganz unterschiedlicher, sich durchaus widersprechender Gefühle äußern kann. Um dahin zu kommen, bedarf es einer Gesellschaft die bereit ist, von „Sterbenden zu lernen“, was für diese wichtig ist, und Angehörigen zugesteht, eigene Wege der Trauer zu leben.
Chance: Was braucht ein Mensch, der am Ende seines Lebensweges angekommen ist am dringendsten?
Dirk Blümke: Was es für den einzelnen wirklich ist, entzieht sich dem Außenstehenden, selbst den nahen Begleitern: Immer wieder geht es um Sicherheit in einem ganzheitlichen Sinne. Das Gefühl, nichtalleine zu sein, aber auch das Gefühl, anderen nicht zur Last zu fallen – eine liebevolle Zuwendung, die den Blick auf den Menschen hinter den manchmal verzerrenden Erkrankungen nicht verliert und diesem mit Respekt begegnet.
Wir sind als Menschen auf Beziehung angelegt. Diese kann durch jeden, der sich darauf einlässt, den Angehörigen sowie den Ehrenamtlichen, gelebt werden und ist für den Sterbenden erfahrbar. Es braucht Zeit, umda zu sein und da zu bleiben. Anwesenheit, Nahsein tritt hier oft an die Stelle von Worten. Das Hilfe-Sorgesystem ist danach ausgerichtet. Hinzu kommt eine angemessene palliativärztliche-, pflegerische Versorgung und wenn es gewünscht ist auch ein spiritueller bzw. religiöser Beistand.
Chance: Was haben Sie für sich selbst aus Ihrer Arbeit/ Ihrer Beschäftigung mit Hospiz gelernt?
Dirk Blümke: Ehrlich zu sich selbst und anderen zu sein, mich mit den Schwächen und Stärken so zu lieben, wie ich bin und nicht Schlösser in der Zukunft zu planen, sondern lieber Hütten im Jetzt zu bauen. Ich versuche das Leben intensiv wahrzunehmen, dankbar für das zu sein, was gelingt. Ich habe Respekt vor der Aufgabe des Sterbens, aber keine Angst. Ich nehme Kinder und Jugendliche in Ihren Fragen und Ängsten ernst, ihr instinktives, innere Wissen gibt mir ein Gefühl von Hoffnung über das eigene Leben hinaus. Ich habe für mich gelernt, dass was ich nicht verstehe, was ich nur schwer ertragen kann, also das große Leid, abzugeben, im Vertrauen darauf, dass derGott, an den ich glaube, krumme Wege gerade macht und barmherzig ist.
Chance: Was bedeuten Tod und Sterben für Sie persönlich?
Dirk Blümke: Der Tod ist für mich ein Übergang in eine andere Welt, die ich als Christ hoffnungsfroh erwarte und auf die ich neugierig bin – allerdings kann ich meine Neugierde zum jetzigen Zeitpunkt noch bremsen. Ich hoffe, wie so viele andere, dass ich bestimmte Entwicklungen meiner Kinder noch gesund erleben kann. Ich nehme auf die andere Seite all die ungeklärten Fragen und auch manche Situation der Verzweiflung mit, die ich an Gott herantragen werde.
Das Sterben ist die Aufgabe, die ich im Leben zu bewältigen habe, die mir keiner abnehmen kann. Ich hoffe darauf, dass ich dann alles geregelt habe, was für mich und meine Angehörigen wichtig ist und dass ich vor allem keinem vergessen habe, zu sagen, was ich für ihn empfunden habe. Ich wünsche mir natürlich keine großen Schmerzen und vermutlich jemanden, der mit mir sowohl über den Sinn des Lebens, als auch über Fußball reden kann. Die Menschen, die mir dann begegnen, sollten Humor mitbringen und die Bereitschaft, mit mir zu weinen und zu lachen.
Chance: Kann man einem Menschen, der an einer unheilbaren Krankheit leidet, das Thema Sterben und Tod zumuten?
Dirk Blümke: Die Frage stellt sich so für mich nicht. Der Maßstab ist der Mensch selbst, egal wie krank oder wie gesund. Will er über das Thema reden, dann ist es gut, will er nicht, dann ist es auch gut. Wenn er weiß, dass er in seinem Gegenüber jemanden hat, der diesen Themen nicht ausweicht, dann wird er eine Entscheidung treffen. Strahle ich diese Bereitschaft aus, dann braucht es auch keine explizite Thematisierung. Mit anderen Worten: eine Kultur des Lebens beinhaltet auch die Möglichkeit, sich diesen Fragen nicht zu stellen, es erfordert den unbedingten Respekt vor dem anderen. Zurück zur Ausgangsfrage, nicht ich mute dem Menschen diese Themen zu, sondern der unheilbar kranke Mensch hat die Möglichkeit sich anzuvertrauen.
Wichtig ist hier die eigene Rolle zu kennen. Als Hospizbegleiter, Mitarbeiter im Bereich von Palliative Care ist es meine Rolle als Begleitender das Tempo zu gehen, welches der sterbende Mensch und seine Angehörigen mir vorgeben und das zu geben, was ich im Rahmen meiner Möglichkeiten geben kann. Als Angehöriger habe ich eine andere Rolle. Ich persönlich würde meinem geliebten Menschen Fragen stellen.Das hat mir schon in einigen Situationen geholfen, diese letzte Wegstrecke gut mit den Menschen mitzugehen, die mir nahe standen.
Chance: Könnten Sie kurz Ihre Tätigkeit umreißen?
Dirk Blümke: Ich leite die Fachstelle Malteser Hospizarbeit, Palliativmedizin&Trauerbegleitung bei den Maltesern auf Bundesebene. Anüber 70 Standorten haben wir über 160 Dienste und Einrichtungen, von ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensten, ambulanten Erwachsenenhospizdiensten, Palliativpflegediensten – und stationen, bis zu Angeboten der Trauerbegleitung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. In unseren Diensten arbeiten über 2600 Ehrenamliche und rund 250 Hauptamtliche. In meiner Verantwortung liegt die Entwicklung der Dienste und Einrichtungen über ein Qualitätsmanagementsystem, bis zur Frage, welchen Nöten wir uns zukünftig hinwenden. Es umfasst die Entwicklung von Angeboten zur Befähigung von ehren- und hauptamtlich Tätigen, zum Umgang mit den Belastungen in der Arbeit, ebenso wie das Coachen von Leitungspersonen und Teams. In meiner Funktion vertrete ich die Malteser in verschieden Gremien der Kirchen und Fachverbänden auf Bundesebene. Aktuell leite ich ein Projekt mit dem Namen „Gib mir ’nen kleines bisschen Sicherheit- die Unsicherheiten des Lebens und Sterbens teilen“, mit dem wir in Schulen mit Kindern und Jugendlichen, Eltern und Pädagogen über die Themen Sterben, Tod und Trauer sprechen.
Chance: Was hat Sie im Rahmen der Tagung in Brixen zum Thema „Ist Sterben eine Krankheit?“ am meisten beeindruckt?
Dirk Blümke: Ich habe mich sehr für die Veranstalter über das große Interesse gefreut. Schon im Vorfeld habe ich das Thema als sehr gelungen empfunden. Es sind immer die einzelnen Begegnungen mit Menschen, die mich beeindrucken, das Engagement des oder der einzelnen und mit welcher inneren Freude dieser Dienst geleistet wird. Eine Frage aus dem Plenum wird mich begleiten, weil diese eine Situation berührt, die uns in Deutschland beschäftigt und der wir uns als Gesellschaft stellen müssen. Wie gehen wir mit den Menschen in der Hospizarbeit um, die am Rande der Gesellschaft leben, die wir nicht mehr über die üblichen Wege der Regelversorgung erreichen?
Die Schere der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft beeinflusst auch das Sterben. Hierauf müssen wir Antworten finden. Ich bin der Teilnehmerin aus dem Plenum sehr dankbar für ihre Anregung.
Malteser Hilfsdienst e.V.
Generalsekretariat
Fachstelle Hospizarbeit, Palliativmedizin&Trauerbegleitung
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Telefon +49 (0) 221 9822-585
eMail:
Dirk.Bluemke@malteser.org
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