“Viele fragen sich, warum sind wir nicht schon früher hierhergekommen!” Dr. Massimo Bernardo, der verantwortliche Leiter der Abteilung Palliativ-Kuren und Hospiz am Bozner Krankenhaus und sein Team kommen der Aufforderung, uns die Seele ihrer Abteilung zu erklären, nur zu gerne nach.
D ass Teamwork hier nicht nur ein leeres Wort ist, spürt man sofort. Ärzte, Pflegepersonal, Therapeuten und die Psychologin – alles sind hier gleichermaßen wichtig, jeder in seinem Bereich. Es gibt keine Hierarchie, wenn es um die Lebensqualität der Patienten geht. Und genau dies ist die Essenz dieser Abteilung im dritten Stock des Pavillon W: Wer hierher kommt, dem soll es gut gehen. „Bei uns wird niemand zu nichts gezwungen, auch nicht zum Aufstehen oder zum Essen; wir verzichten auf unnütze therapeutische Maßnahmen, die das Wohlbefinden des Patienten beeinträchtigen“, erklärt Massimo Bernardo. Sinn der palliativen Behandlung ist, vereint alle Kräfte einzusetzen, um die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Ein hoher Anspruch, weil die Bedürfnisse der Patienten sehr vielseitig und komplex sind. „Um das Wohlbefinden der Patienten zu verbessern, braucht es mehr als nur Morphium gegen die Schmerzen oder Mittel gegendie Übelkeit; wir wollen auch die Seele des Patienten erreichen“, betont Bernardo.
Die Abteilung verfügt über elf Betten. Alles Einzelzimmer. „In Wirklichkeit haben wir aber nicht elf, sondern viel mehr Patienten, 45 oder noch mehr“, erklärt die Pflegeleiterin Lia Ossanna. Stimmt. Hierkümmert sich das Pflegepersonal auch um die Angehörigen der Patienten. „Wir müssen ihnen beistehen, mit der Situation fertig zu werden und sie in die Lage versetzen, dem Kranken bestmöglich beizustehen.“
Das Morgenteam sitzt mit uns an einem Tisch: Dr. Bernardo, die Pflegeleiterin Lia, die zwei Krankenschwestern Donata Percoco und Barbara Obkircher sowie die Psychologin der Abteilung, Daniela Moroder. Jeder von ihnen hört aufmerksam zu, was der jeweils andere zu sagen hat, ergänzt vielleicht den einen oder anderen Aspekt. Jeder von ihnen spricht für sich, aber gleichzeitig auch für die anderen. Was uns am meisten beeindruckt, ist die Ruhe und die Liebe für ihre Arbeit, die jeder von ihnen ausstrahlt.
Das Hospiz wurde 2011 eröffnet; die Abteilung für Palliativ-Care gibt es offiziell seit 2007, aber bereits seit 2003 steht hier die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten im Vordergrund. In den ersten Jahren, erzählen sie, seien sie von den Kollegen der anderen Abteilungen belächelt worden. „So nach dem Motto, naja, Morphium geben und Händchen halten kann doch jeder ….” Aber Palliativ-Care ist weitaus mehr als nur Schmerzmittel verabreichen. Bernardo: „Den Schmerz bekämpfen, das macht 20 Prozent unserer Arbeit aus. Das Schwierige kommt danach. Wir haben den Mut, uns diesem zu stellen.“ Inzwischen hat sich eine gute Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen ergeben. Die Ergebnisse sprechen für sich.
„Wir müssen vor allem verstehen, welche Bedürfnisse der Patient tatsächlich hat. Jeder ist anders und reagiert anders. Wir erwecken keine Illusionen mit Therapien, die nichts mehr nützen. Wir helfen dem Patienten sich seiner Situation bewusst zu werden, wir wollen ihn in dieser Lebensphase begleiten und diesem Moment einen Sinn geben,“ erklärt Doktor Bernardo. Und dies gilt nicht nur für den Patienten, sondern auch für alle, die ihm nahe stehen. „Wer hierher kommt, setzt sich natürlich auch mit dem Thema Tod und Sterben auseinander. Auch das ist Teil unserer Arbeit: die Menschen auf dieses Ereignis vorbereiten, ihnen die Angst zu nehmen.”
Wer auf dieser Station arbeitet, muss ein hohes Maß an Intuition besitzen. Jeder. Arzt, Pfleger, Therapeut, Psychologe, auch das Reinigungspersonal. „Wer hier arbeitet, muss sich auf einen Reifeprozess einlassen, er muss wachsen, um zu verstehen, die Signale richtig zu deuten. Wann braucht der Patient Nähe, wann Distanz, wann braucht er meinen menschlichen Beistand und wann meine technische Hilfe.”
“Unsere Tätigkeit lässt keine Hektik zu, es braucht Ruhe, um jemanden angemessen zu begleiten”, betont die Psychologin Daniela Moroder. „Oft ist es doch so, dass die Chemotherapie die Kommunikation ersetzt. Eine Verschreibung dauert fünf Minuten und gibt dem Patienten eine – leere – Hoffnung. Um dem Patienten genau zu erklären, wie seine Situation ist, braucht es hingegen zwei Stunden und mehr.“ Und genau das unterscheidet diese Abteilung und ihr Personal von anderen: hier ist Zeit für alles, hier herrschen Ruhe und Gelassenheit.
Die Abteilung selbst ist nicht gerade schön, etwas veraltet. Auch wenn in den vergangenen Jahren viel getan worden ist. Vor allem dank der finanziellen Unterstützung von Seiten der Vereinigung Papavero –Mohn. Möbel, der Gesprächsraum Oasis, warme Getränke rund um die Uhr für die Angehörigen. Das Auto, um einmal in der Woche oder nach Bedarf die nach Hause entlassenen Patienten gemeinsam mit dem Arzt und dem Pflegepersonal des Sprengels aufzusuchen. Zeitschriftenabonnements. Bis Jahresende werden die zweiten Betten in den Zimmern durch einen Schlafsessel ersetzt undim nächsten Jahr steht endlich auch die komplette Renovierung der Abteilung an. Projekte gibt es viele: Wie zum Beispiel die Musiktherapie für Patienten oder die Zusammenarbeit mit einem Shiatsu-Masseur. Alles Dinge, die ein Mehr an Lebensqualität versprechen.
“Uns war es zunächst wichtig,unsere Station mit Inhalten zu füllen”, erklärt Massimo Bernardo. „Jetzt können wir auch an Äußerlichkeiten denken.“ Seine Equipe und er arbeiten nicht zuletzt daran, eine Kultur der Palliative Care und des Hospizgedankens zu schaffen. „Die wenigsten Menschen – und dazu zähle ich auch die Ärzte – sind sich dessen bewusst, dass das Leiden der Patienten schon ganz früh einsetzt, mit der Diagnose. Palliative Care müsste schon viel eher beginnen.“ Wie in den Vereinigten Staaten und in England, wo schon bei der Diagnose, beim allerersten Arzt-Patienten-Gespräch der Onkologeund der Palliativist anwesend seien, um die Behandlung des Patienten gemeinsam zu planen.
“Man muss auch die Angst vor unserer Abteilung verlieren. Es ist nicht wahr, dass die Menschen nur zum Sterben hierher kommen”, unterstreicht Donata Percoco. „Wir sind nicht die letzte Station. Im Gegenteil. Bei uns beginnen viele Patienten, wieder zu leben, weil wir ihnen nach langem Leiden, nachdem sie durch Chemotherapien, Strahlentherapie usw. völlig am Ende sind, zu neuem Wohlbefinden verhelfen. Palliative Careist nicht gleichbedeutend mit Sterbebegleitung.” Die meisten Patienten, die in die Palliativ-Abteilung kommen, bedauern es, nicht schon eher diesen Schritt getan zu haben. „Viele können auch wieder nachhause entlassen werden, wenn ihr Zustand stabilisiert ist“, erklärt die Pflegeleiterin Lia. „Gerade deshalb ist es für uns auch so wichtig, mit den Angehörigen zusammen zu arbeiten. Schließlich sind sie es, die sich dann um die Patienten kümmern.“
Massimo Bernardo: “Was uns ganz wichtig ist und was wir auch unseren Patienten mitgeben wollen: Eine Krankheit zu haben, die nichtheilbar ist, heißt nicht, sofort sterben. Wir wollen den Menschen zeigen, dass sie noch Zeit haben, dass wir ihnen nicht helfen zu sterben, sondern dass wir ihnen helfen zu leben.“
Das Hospiz also als Ort, wo man auch Hoffnung schöpfen kann. Nicht auf Heilung, aber darauf, die Zeit, die man hat, positiv zu (er)leben. „In diesem Sinne sind wir eine Chance – für den Kranken und für die Menschen, die ihm nahe stehen.” Lia Ossanna kleidet dieses Konzept in ein schönes Bild: „Wir sind wie viele Felsen in der Brandung, wo man Schutz und Ruhe findet.“
Barbara Obkircher ist die Jüngste im Team. Sie ist die einzige, die direkt von der Ausbildung auf die Abteilung gekommen ist. Alle anderen haben bereits viele Jahre Erfahrungen in anderen Bereichen des Krankenhauses gesammelt. Sie hat das Hospiz durch Praktika während ihres Studiums an der Claudiana kennengelernt und dieseArbeit hat sie so fasziniert, dass sie sich dort beworben hat. „Was mich vor allem beeindruckt hat, war die enorme menschliche Nähe, die man hier erfahren kann.“
Die Arbeit mit Menschen, die einen Weg beschreiten, der ein Ende hat, die wissen, dass ihre Lebenszeit begrenzt ist, lässt wachsen. Lässt neue Werte setzen auch im eigenen Leben. „Das ist das wertvolle Geschenk, das uns alle unsere Patienten immer wieder auf´s Neue machen. Wir geben viel, aber wir bekommen auch ein Vielfaches zurück. Jeden Tag.” Massimo Bernardo spricht damit allen seinen Team-Kollegen aus dem Herzen. Keiner von ihnen würde seine Arbeit gegen eine andere tauschen. Eine Arbeit, die den ganzen Menschen vereinnahmt. Die einen zu den wesentlichen Dinge des Lebens führt. Auch zum Nachdenken über den Tod und das Sterben. Daniela Moroder: „Wer nicht an sich selbst arbeiten kann, der ist hier am falschen Platz!“
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Dr. Massimo Bernardo,
Leiter der Abteilung Palliativ-Kuren
und Hospiz am Bozner Krankenhaus
Pflegeleiterin Lia Ossanna
Psychologin Daniela Moroder
Barbara Obkircher
Donata Percocco