Aktuell

Grenzerfahrung Krebs


Tagung der Psychologischen Dienste und der SKH:
Krebs - Sturz aus der Normalität?

Die Tagung im Pavillon des Fleurs war gut besucht. (Ex)Patienten, Interessierte und Menschen, die von Arbeits wegen mit diesem Thema zu haben.Die Tagung im Pavillon des Fleurs war gut besucht. (Ex)Patienten, Interessierte und Menschen, die von Arbeits wegen mit diesem Thema zu haben.


„Sie haben Krebs.“ Drei Worte, die das Leben eines jeden Betroffenen, aber nicht nur seines, von einem Moment zum anderen auf den Kopf stellen. Nichts wird danach mehr sein, wie es vorher war. Die Beziehung zu sich selbst, zum Leben, zu den anderen ändert sich. Unglaublich aber wahr: In vielen Fällen zum Besseren.
Drei namhafte Referenten beleuchteten das Thema Grenzerfahrung Krebs im wohlgefüllten Meraner Pavillon des Fleurs von unterschiedlichen Seiten. Der Onko-Psychologe Dr. Norbert Längerer aus Meran, der Onkologe und Philosoph Dr. Manfred Kanatschnig und der Theologe, Philosoph und Paartherapeut Dr. Hans Jellouschek. Eine Tatsache sprach aus allen drei Beiträgen. Krebs ist eine existenzumwälzende Erfahrung, die das gesamte Umfeld des Erkrankten mit einbezieht. Viele Menschen brauchen in dieser Situation professionellen Beistand und dürfen bei den mit der Krankheit verbundenen Entscheidungen nicht allein gelassen werden.

Der Psychologe am Meraner Krankenhaus Norbert Längerer unterschied mehrere Phasen der Erkrankung. Mit der Diagnose, so Längerer „ist ein Sturz aus dem Olymp verbunden. Ich werde mir meiner Endlichkeit bewusst.“ Auf die Diagnose folge die Phase des Warum. Warum ich? Was in meinem Leben hat dazu geführt? Männer und Frauen beantworten sich diese Fragen meist unterschiedlich. Männer, die im Allgemeinen ohnehin Probleme haben, Emotionen zuzulassen, suchen nach medizinischen Begründungen, Frauen nach psychologischen, esotherischen.

Mit Behandlungsbeginn gehe es wieder aufwärts. „Man tut etwas für mich. Der Patient“, so Längerer „muss jetzt nur die anderen machen lassen. Er fühlt sich aufgehoben, hat das Gefühl, das Leben kommt zurück.“ Auf diese Phase folge bei Behandlungsende oft ein weiteres schwarzes Loch. „Ohne medizinischen Kontext, sich selbst überlassen, kann der Betroffene auch zu Depression neigen.“

„In dieser Phase sind sowohl der behandelnde Arzt als auch die ihm nahestehenden Menschen sehr gefordert. Die seelische Verarbeitung der Krankheit hinkt der körperlichen Heilung hinterher!“ In einer psychologischen Behandlung könne geholfen werden, wieder zu Lebenslust zu finden und das neue Ich, das nicht mehr so sein wie vorher, zu akzeptieren. In dieser Phase gehe es darum, was der Betroffene kann, was er braucht, wie er leben will und was er nicht mehr möchte. „Es geht um Ballast abwerfen, darum neue Sicherheit und einen neuen Blickwinkel zu gewinnen.“ Krebsnachsorge, so der Psychologe Norbert Längerer ist in diesem Sinne Krebsvorsorge!


Dr. Norbert Längerer, Dr. Hans Jellouschek, Dr. Manfred KanatschnigDr. Norbert Längerer, Dr. Hans Jellouschek, Dr. Manfred Kanatschnig


Dr. Manfred Kanatschnig, Onkologe und Internist, Philosoph, Leiter des Ethikreferats am Klinikum Klagenfurt und der Kärntner Ärztekammer, befasste sich in seinem Vortrag mit den Grenzen der medizinischen Behandlung. „Der Mensch“, so Kanatschnig“, ist das einzige Lebewesen, das um seinen Tod weiß!“ Früher waren die Ärzte paternalistisch eingestellt. Der Patient wurde behandelt und hatte kein Mitspracherecht. Heute gelte es die Autonomie des Patienten zu respektieren, gemeinsam zu entscheiden, welche Behandlung für ihn die richtige sei. „Hierbei braucht der Arzt Feingefühl, nicht immer entspricht eine spontan geäußerte Entscheidung auch dem Lebenskonzept des Patienten.“ Es gelte auch zu entscheiden, welche Behandlung der Patient benötige, eine kurative oder eine palliative. „Am besten wäre es, zu Beginn jeder Behandlung auch schon palliativ zu arbeiten. Es geht darum palliativ Lebenszeit mit Lebensqualität zu gewinnen..“

Eine schlechte Tumortherapie sei gekennzeichnet durch wenig Kommunikation und das Fehlen palliativer Maßnahmen. Die Therapie soll gemeinschaftlich entschieden werden!“ Der Arzt muss sich Zeit nehmen für das Gespräch und er muss in der Lage sein, abzuwägen, welche Wahrheit dem Patienten zumutbar ist. „Eine zu offene Aufklärung kann grausam sein, ein Mangel an Aufklärung kann den Patienten wertvoller Lebenszeit berauben. Vielleicht muss der Arzt nicht alles sagen, aber was er sagt, muss wahr sein!“ Die moderne Medizin gerate zudem immer mehr ins Spannungsfeld von Rationalisierung und auch Ökonomie. „Der Patient darf auf keinen Fall zum Kunden werden!“

Theologe, Philosoph und Lehrtherapeut für Paarbeziehung, Buchautor, das ist Dr. Hans Jellouschek. Seine Ausführungen über die Auswirkungen einer Krebserkrankung auf die Paarbeziehung erhielten eine besondere Tiefe, da er aus eigener Erfahrung sprach. Seine Frau, ebenfalls Paartherapeutin, ist an einer Krebserkrankung verstorben. „Eine Krankheit ist immer auch eine Krise der Paarbeziehung, gleichzeitig aber auch eine Herausforderung aus der gemeinsamen Krisenbewältigung zu einer neuen Lebensdimension und zu einem stabilen Bündnis zu finden, eingespielte Beziehungsmuster zu überwinden!“

Der Fokus dürfe sich nicht allein auf die Wiederherstellung der Gesundheit richten, sondern vielmehr auf den Erhalt der psychischen, physischen und sozialen Lebensqualität beider. Auf den Schock der Diagnose reagierten erfahrungsgemäß beide Partner unterschiedlich. Männer zögen sich eher zurück, Frauen suchten die emotionale Nähe, das Gespräch. Hier könne ein professioneller Berater vermitteln und helfen, die Partner ins Gespräch zu bringen. Voraussetzung für das, was Jellouschek stabiles Bündnis nennt. Alle mit der Krankheit verbundenen Entscheidungen seien gemeinsam zu treffen und zu tragen. „Wenn eingespielte Muster durcheinander kommen, kann man die Partnerschaft neu definieren, die Liebe neu entdecken!“

Wenn die Krankheit wie z. B. im Fall von Prostatakrebs oder von Hormontherapie bei Frauen die Sexualität eines Paares beeinträchtige, könne auch dies helfen, neue Dimensionen, eine neue Erotik zu entdecken, zu mehr Genuss durch eine anders erlebte Körperlichkeit zu finden. Vier Punkte bezeichnete Jellouschek als fundamental für ein mit Krankheit konfrontiertes Paar: bewusstes Leben im Hier und Jetzt. Lebensträume verwirklichen, auch wenn die Zeit begrenzt scheint. Freundschaften pflegen, um Freiräume zu schaffen und spirituellen Bedürfnissen Raum zu geben.

Die Tagung wurde organisiert vom psychologischen Dienst im Südtiroler Sanitätsbetrieb und der Südtiroler Krebshilfe. Es moderierte die Psychologin Klara Astner. Eröffnet wurde sie mit Grußworten der Landesrätin Martha Stocker, von Ulrich Seitz, Amt für Krankenhäuser, Roland Döcker, Sanitätskoordinator im Gesundheitsbezirk Meran und von der Landespräsidentin der SKH, Ida Schacher.

Zwei Fragen an die Psychologin Dr. Klara Astner

Psychologin Klara AstnerPsychologin Klara Astner

Chance: Was war das Ziel dieser Tagung, die sie mit ihren Kollegen Dr. Patrizia Donolato (Bozen), Dr. Norbert Längerer (Meran), und Dr. Anton Huber (Bruneck) zusammen mit der Krebshilfe vorbereitet haben?

Klara Astner: Es ging uns nicht um eine wissenschaftliche Tagung, sondern um eine erfahrungsgeleitete, emotionale Ebene.

Chance: Das heißt, kein Austausch nur unter Fachleuten, hinter verschlossenen Türen?

Klara Astner: Genau, es ging uns darum, diese mit der Krebserkrankung verbundenen Faktoren aus dem medizinischen Rahmen herauszuholen, sie ganz offen und für ein ganz gemischtes Publikum anzusprechen.

Durch die Veranstaltung führte die Brixner Psychologin Dr. Klara Astner. Landesrätin Martha Stocker, die Vorsitzende der SKH Ida Schacher und Amtsdirektor Ulrich Seitz haben die Tagung eröffnet.

Aktuell

Das schönste Geschenk – Leben

Emanuela Imprescia, Präsidentin ADMO: Wenn das Leid Früchte trägt

Heute wieder eine glückliche Familie: Salvatore Polì und Emanuela Imprescia mit ihren Kindern Anna, Andrea und AlessandroHeute wieder eine glückliche Familie: Salvatore Polì und Emanuela Imprescia mit ihren Kindern Anna, Andrea und Alessandro

Eine Geschichte des Gebens und des Empfangens, die Geschichte von Emanuela Imprescia, Präsidentin der Südtiroler Vereinigung der Knochenmarkspender, ADMO. Begonnen hat alles 2005, als ihr damals vierjähriger Sohn Alessandro an Leukämie erkrankte.
Zwei Jahre Chemo- und Radiotherapie. Damals war von einer Rückenmarkstransplantation noch nicht die Rede. „Das ist bei so kleinen Patienten sozusagen die allerletzte Hoffnung“, sagt Emanuela. Seit 2013 ist sie Präsidentin der ADMO, als ihr Vorgänger Gregorio Tranquillini ganz unerwartet verstorben ist.

Ich war immer eine sehr ängstliche Person, sagt Emanuela. Schwer zu glauben, wenn man sie heute erlebt. „Ich hätte nie daran gedacht, Blut zu spenden oder mich bei ADMO einzuschreiben, bis ich nicht gesehen habe, mit wie viel Mut mein kleiner Sohn durch seine Krankheit gegangen ist.“ Nichts tuend danebenstehen, nein das konnte sie nicht! Und so hat sie sich im Frühjahr 2006, zunächst zögernden Herzens, bei Admo eingeschrieben. Schon im Oktober kommt der Anruf: Kompatibel!

In Italien beträgt das Verhältnis zwischen tatsächlichen Spendern potentiellen Spendern 1 zu 100.000 und bei mir ist nicht einmal ein halbes Jahr vergangen!“ Emanuela hat für eine junge Französin gespendet und diese Gabe, wie sie sagt, vier Jahre später mit Zins und Zinseszins zurückbekommen.

Genau. Denn vier Jahre später hatte Alessandro einen Rückfall. Mit sechs Jahren galt er als geheilt. Mit zehn ging es wieder los. Und dieses Mal bestand auch für ihn die einzige Hoffnung in einer Transplantation mit Knochenmark. Keine Chemotherapie, keine Bestrahlungen. Aber auch die Transplantation ist kein Kinderspiel! Viele Tage in völliger Isolation, weil das eigene Knochenmark des Patienten völlig zerstört werden muss. Jeder noch so kleine Infekt bedeutet in dieser Phase den Tod. Nach der Transplantation wechselt der Empfänger oft Blutgruppe, wenn der Spender eine andere als er selbst hat. Auch Alessandro hat heute die Blutgruppe Null; vor der Transplantation hatte er A+. “Während der Isolationsphase haben wir gelernt uns mit den Augen zu umarmen”, erinnert sich Emanuela Imprescia. Alessandro hatte Glück, der Spender, oder besser die Spenderin, wurde rechtzeitig gefunden. Eine 22jährige Frau, die im deutschen Spenderregister eingetragen war. Am dritten Mai 2010 kehrte Alessandro ins Leben zurück. Seither feiern er und seine Familie jedes Jahr den “donanno”, den “Spendetag”.

In das Spendenregister kann man bis zu einem Alter von 35 Jahren aufgenommen werden. Eine einfache Blutentnahme reicht aus für die Typisierung des Bluts. Spenden kann man bis zu einem Alter von 55. In anderen Ländern der EU kann man sich sogar noch mit 54 in das Spendenregister eintragen lassen. „Auch ein Jahr kann ausreichen, um ein Leben zu retten“, sagt Emanuela Imprescia. In Italien wurde das Alter für Neuregistrierungen erst kürzlich von 38 auf 35 heruntergesetzt. Ursache sind, so die Präsidentin von ADMO, die hohen Kosten der Typisierung. Für Emanuela ist das ein Fehler. “Zwanzig Jahre, die man einfach so wegwirft. Zwischen 35 und 55 Jahren könnten sich so viele Menschen noch entscheiden, Spender zu werden.”

Aber zurück zu Alessandro. “Nach fünf Jahren habe ich meine Spende zurückbekommen und heute setze ich mich mit Leib und Seele dafür ein, dass es viele solche Geschichten mit Happy End wie jene meines Sohnes gibt!” Die Rückenmarksspende ist so einfach! Eine erste Blutentnahme für die Typisierung. Eine zweite Blutentnahme, wenn ein Patient mit ähnlichen Werten gefunden wird. Und dann die Spende. Meistens auch diese in Form einer Blutentnahme. Wobei dem Blut nur das Knochenmark entzogen wird und das restliche Blut wieder zurück in die Vene fließt. Nur in wenigen Fällen wird heute das Knochenmark noch aus den Beckenknochen oder dem Steißbein entnommen.

Es fällt Emanuela nicht leicht, immer und immer wieder die Geschichte ihres Sohnes zu erzählen. Auch wenn alles gut ausgegangen ist. Die zweite Erkrankung war mit großen Ängsten und noch mehr Unsicherheit verbunden. Viele schwierige Momente. Es hätte sie fast die Familie gekostet. Der Bruder von Alessandro, Andrea, ist gerade ein Jahr älter, die kleine Schwester Anna ist nach der ersten Erkrankung von Alessandro geboren. „Sie hat uns allen am meisten Kraft gegeben damals!“


Der jährliche "Spendentag" ist immer ein fröhliches FestDer jährliche "Spendentag" ist immer ein fröhliches Fest


Emanuela spricht ganz offen auch ihre Ehekrise an. „Mein Mann Salvatore fühlte sich nutzlos, außen vor. Sah mich ganz eng mit Alessandro und immer mehr in die Tätigkeiten der Vereinigung eingebunden.” Heute hat auch er seinen Platz gefunden. Zusammen mit Freiwilligen des Zivilschutzes von Florenz transportiert er Beutel mit Knochenmark vom Spender zum Empfänger. Eine Tätigkeit, die ihn in der ganzen Welt herumbringt. „Kürzlich hat er einen Beutel von Polen nach Spanien gebracht, ein andermal von Brasilien nach Spanien.“

Viele Erfahrungen. Viele Erinnerungen. Kein leichtes Bündel für einen so jungen Menschen wie Alessandro. Heute ist er fünfzehn Jahre alt und möchte am liebsten ganz unbekannt sein. Ein Junge wie jeder andere und nicht das Aushängeschild von ADMO Südtirol und der Facebook-Gruppe Polì Ale - Knochenmark für das Leben.

Aber sie, Emanuela, sie schafft es nicht, sich zurückzuziehen. „Es ist in mir drinnen, ich kann nicht anders, ich muss immer neue Spender finden, es lässt mir keine Ruhe, auch wenn ich nur ein neues Mitglied oder zwei finde bei unseren Veranstaltungen, bin ich glücklich. Dieser eine könnte es sein, der Hunderttausendste, jener, der ein Leben retten kann!“ In Südtirol sogar der Tausendste, ADMO zählt hier über 6.800 Mitglieder, 65 Menschen haben in den vergangenen Jahren tatsächlich spenden können. Emanuela: „Wir hatten unsere Chance und deshalb will ich helfen, dass auch andere Menschen ihre Chance haben!“

Im Jahr 2014 ist sogar ein Buch über die Geschichte von Alessandro herausgekommen. „Il Dono“, die Spende, welchen anderen Namen könnte es auch haben. Auch das ein unerwartetes Geschenk. Bei einer Veranstaltung, wo sie in Vertretung für ADMO eingeladen war, wird Emanuela von einem Herrn angesprochen, der sie reden gehört hat. „Wo sie so gut reden gelernt hätte. Ob sie auch schreiben könne…” Der Herr mit den seltsamen Fragen ist kein Geringerer als der Verlagsdirektor von Feltrinelli, Gianluca Foglia, in Begleitung des Schriftstellers Erri De Luca, der das Vorwort für Emanuelas Buch schreiben wird.

Das Buch ist ein Brief an die unbekannte Spenderin, der Emanuela die Geschichte von Alessandro erzählt. Ohne Beschönigungen. Die Verzweiflung, die Angst, den Schmerz, die Freude, die Hoffnung, das Warten, die Ehekrise und die Rückkehr in die Normalität.

“Was wir mit Alessandro erlebt haben”, sagt Emanuela, “hat uns verstehen lassen, worauf es im Leben ankommt, es hat uns besser gemacht!” Und dieses Bewusstsein brennt in ihr wie ein Feuer, ein Feuer, dass sie Tag für Tag antreibt, weiterzumachen, noch einen potentiellen Spender zu finden, und noch einen und noch einen.

In Italien sind derzeit rund 350.000 potentielle Spender im Register eingetragen. Viel zu wenig, wenn man bedenkt wie viele Einwohner und wie viele Bürger über 18 Jahre und unter 35 bzw. 55 Italien hat. Wer einmal gespendet hat, wird aus dem Register gestrichen, nur für den gleichen Empfänger darf ein zweites Mal gespendet werden. Die meisten potentiellen Spender gibt es auf Sardinien.
“Dieses Jahr zwischen Januar und Ende Februar haben sich in Südtirol schon drei neue Spender eingeschrieben“, freut sich Emanuela. Ein Zeichen der Hoffnung!

ADMO Südtirol
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