Eine Geschichte des Gebens und des Empfangens, die Geschichte von Emanuela Imprescia, Präsidentin der Südtiroler Vereinigung der Knochenmarkspender, ADMO. Begonnen hat alles 2005, als ihr damals vierjähriger Sohn Alessandro an Leukämie erkrankte.
Zwei Jahre Chemo- und Radiotherapie. Damals war von einer Rückenmarkstransplantation noch nicht die Rede. „Das ist bei so kleinen Patienten sozusagen die allerletzte Hoffnung“, sagt Emanuela. Seit 2013 ist sie Präsidentin der ADMO, als ihr Vorgänger Gregorio Tranquillini ganz unerwartet verstorben ist.
Ich war immer eine sehr ängstliche Person, sagt Emanuela. Schwer zu glauben, wenn man sie heute erlebt. „Ich hätte nie daran gedacht, Blut zu spenden oder mich bei ADMO einzuschreiben, bis ich nicht gesehen habe, mit wie viel Mut mein kleiner Sohn durch seine Krankheit gegangen ist.“ Nichts tuend danebenstehen, nein das konnte sie nicht! Und so hat sie sich im Frühjahr 2006, zunächst zögernden Herzens, bei Admo eingeschrieben. Schon im Oktober kommt der Anruf: Kompatibel!
In Italien beträgt das Verhältnis zwischen tatsächlichen Spendern potentiellen Spendern 1 zu 100.000 und bei mir ist nicht einmal ein halbes Jahr vergangen!“ Emanuela hat für eine junge Französin gespendet und diese Gabe, wie sie sagt, vier Jahre später mit Zins und Zinseszins zurückbekommen.
Genau. Denn vier Jahre später hatte Alessandro einen Rückfall. Mit sechs Jahren galt er als geheilt. Mit zehn ging es wieder los. Und dieses Mal bestand auch für ihn die einzige Hoffnung in einer Transplantation mit Knochenmark. Keine Chemotherapie, keine Bestrahlungen. Aber auch die Transplantation ist kein Kinderspiel! Viele Tage in völliger Isolation, weil das eigene Knochenmark des Patienten völlig zerstört werden muss. Jeder noch so kleine Infekt bedeutet in dieser Phase den Tod. Nach der Transplantation wechselt der Empfänger oft Blutgruppe, wenn der Spender eine andere als er selbst hat. Auch Alessandro hat heute die Blutgruppe Null; vor der Transplantation hatte er A+. “Während der Isolationsphase haben wir gelernt uns mit den Augen zu umarmen”, erinnert sich Emanuela Imprescia. Alessandro hatte Glück, der Spender, oder besser die Spenderin, wurde rechtzeitig gefunden. Eine 22jährige Frau, die im deutschen Spenderregister eingetragen war. Am dritten Mai 2010 kehrte Alessandro ins Leben zurück. Seither feiern er und seine Familie jedes Jahr den “donanno”, den “Spendetag”.
In das Spendenregister kann man bis zu einem Alter von 35 Jahren aufgenommen werden. Eine einfache Blutentnahme reicht aus für die Typisierung des Bluts. Spenden kann man bis zu einem Alter von 55. In anderen Ländern der EU kann man sich sogar noch mit 54 in das Spendenregister eintragen lassen. „Auch ein Jahr kann ausreichen, um ein Leben zu retten“, sagt Emanuela Imprescia. In Italien wurde das Alter für Neuregistrierungen erst kürzlich von 38 auf 35 heruntergesetzt. Ursache sind, so die Präsidentin von ADMO, die hohen Kosten der Typisierung. Für Emanuela ist das ein Fehler. “Zwanzig Jahre, die man einfach so wegwirft. Zwischen 35 und 55 Jahren könnten sich so viele Menschen noch entscheiden, Spender zu werden.”
Aber zurück zu Alessandro. “Nach fünf Jahren habe ich meine Spende zurückbekommen und heute setze ich mich mit Leib und Seele dafür ein, dass es viele solche Geschichten mit Happy End wie jene meines Sohnes gibt!” Die Rückenmarksspende ist so einfach! Eine erste Blutentnahme für die Typisierung. Eine zweite Blutentnahme, wenn ein Patient mit ähnlichen Werten gefunden wird. Und dann die Spende. Meistens auch diese in Form einer Blutentnahme. Wobei dem Blut nur das Knochenmark entzogen wird und das restliche Blut wieder zurück in die Vene fließt. Nur in wenigen Fällen wird heute das Knochenmark noch aus den Beckenknochen oder dem Steißbein entnommen.
Es fällt Emanuela nicht leicht, immer und immer wieder die Geschichte ihres Sohnes zu erzählen. Auch wenn alles gut ausgegangen ist. Die zweite Erkrankung war mit großen Ängsten und noch mehr Unsicherheit verbunden. Viele schwierige Momente. Es hätte sie fast die Familie gekostet. Der Bruder von Alessandro, Andrea, ist gerade ein Jahr älter, die kleine Schwester Anna ist nach der ersten Erkrankung von Alessandro geboren. „Sie hat uns allen am meisten Kraft gegeben damals!“
Emanuela spricht ganz offen auch ihre Ehekrise an. „Mein Mann Salvatore fühlte sich nutzlos, außen vor. Sah mich ganz eng mit Alessandro und immer mehr in die Tätigkeiten der Vereinigung eingebunden.” Heute hat auch er seinen Platz gefunden. Zusammen mit Freiwilligen des Zivilschutzes von Florenz transportiert er Beutel mit Knochenmark vom Spender zum Empfänger. Eine Tätigkeit, die ihn in der ganzen Welt herumbringt. „Kürzlich hat er einen Beutel von Polen nach Spanien gebracht, ein andermal von Brasilien nach Spanien.“
Viele Erfahrungen. Viele Erinnerungen. Kein leichtes Bündel für einen so jungen Menschen wie Alessandro. Heute ist er fünfzehn Jahre alt und möchte am liebsten ganz unbekannt sein. Ein Junge wie jeder andere und nicht das Aushängeschild von ADMO Südtirol und der Facebook-Gruppe Polì Ale - Knochenmark für das Leben.
Aber sie, Emanuela, sie schafft es nicht, sich zurückzuziehen. „Es ist in mir drinnen, ich kann nicht anders, ich muss immer neue Spender finden, es lässt mir keine Ruhe, auch wenn ich nur ein neues Mitglied oder zwei finde bei unseren Veranstaltungen, bin ich glücklich. Dieser eine könnte es sein, der Hunderttausendste, jener, der ein Leben retten kann!“ In Südtirol sogar der Tausendste, ADMO zählt hier über 6.800 Mitglieder, 65 Menschen haben in den vergangenen Jahren tatsächlich spenden können. Emanuela: „Wir hatten unsere Chance und deshalb will ich helfen, dass auch andere Menschen ihre Chance haben!“
Im Jahr 2014 ist sogar ein Buch über die Geschichte von Alessandro herausgekommen. „Il Dono“, die Spende, welchen anderen Namen könnte es auch haben. Auch das ein unerwartetes Geschenk. Bei einer Veranstaltung, wo sie in Vertretung für ADMO eingeladen war, wird Emanuela von einem Herrn angesprochen, der sie reden gehört hat. „Wo sie so gut reden gelernt hätte. Ob sie auch schreiben könne…” Der Herr mit den seltsamen Fragen ist kein Geringerer als der Verlagsdirektor von Feltrinelli, Gianluca Foglia, in Begleitung des Schriftstellers Erri De Luca, der das Vorwort für Emanuelas Buch schreiben wird.
Das Buch ist ein Brief an die unbekannte Spenderin, der Emanuela die Geschichte von Alessandro erzählt. Ohne Beschönigungen. Die Verzweiflung, die Angst, den Schmerz, die Freude, die Hoffnung, das Warten, die Ehekrise und die Rückkehr in die Normalität.
“Was wir mit Alessandro erlebt haben”, sagt Emanuela, “hat uns verstehen lassen, worauf es im Leben ankommt, es hat uns besser gemacht!” Und dieses Bewusstsein brennt in ihr wie ein Feuer, ein Feuer, dass sie Tag für Tag antreibt, weiterzumachen, noch einen potentiellen Spender zu finden, und noch einen und noch einen.
In Italien sind derzeit rund 350.000 potentielle Spender im Register eingetragen. Viel zu wenig, wenn man bedenkt wie viele Einwohner und wie viele Bürger über 18 Jahre und unter 35 bzw. 55 Italien hat. Wer einmal gespendet hat, wird aus dem Register gestrichen, nur für den gleichen Empfänger darf ein zweites Mal gespendet werden. Die meisten potentiellen Spender gibt es auf Sardinien.
“Dieses Jahr zwischen Januar und Ende Februar haben sich in Südtirol schon drei neue Spender eingeschrieben“, freut sich Emanuela. Ein Zeichen der Hoffnung!