Thema
Watch & Wait – Beobachten statt operieren
Dickdarmkrebs ist die zweithäufigste Krebsart bei Frauen und die dritthäufigste bei Männern mit einer Inzidenz von ca. 30 Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Einwohner. Die relative Überlebensrate nach 5 Jahren liegt bei Frauen bei 66%, bei Männern bei 65%. Ein Krebs, dessen Behandlung komplex ist, der aber, vor allem, wenn er frühzeitig erkannt wird, sehr gut behandel- und heilbar ist. Die Chirurgie am Krankenhaus Brixen ist in der Behandlung von Mastdarmtumoren mit dem internationalen Datenregister IWWT in Maastricht vernetzt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann bei einem Rektum-Karzinom nach dem Prinzip Watch& Wait (beobachten & abwarten) auf einen chirurgischen Eingriff verzichtet werden. Für die PatientInnen ist dies ein Gewinn an Lebensqualität.
Foto: Othmar Seehauser
Referent dieser internationalen Zusammenarbeit ist der Chirurg Dr. Kurt Leitner zusammen mit der Sanitätsexpertin Dr. Marion Arnold.
Kommt jede/r PatientIn mit Mastdarmkrebs für das Projekt Watch & Wait in Frage?
Dr. Kurt Leitner: Nein, es handelt sich um eine ganz limitierte Patientengruppe mit einem Rektum-Karzinom im mittleren und unteren Drittel die aufgrund einer bereits fortgeschrittenen Situation zunächst mit einer Strahlen- und Chemotherapie vorbehandelt worden sind. Acht bis zehn Wochen nach Abschluss der Therapie werden diese PatientInnen erneut einer Magnetresonanz, einer Rektoskopie und einer trans-analen Ultraschalluntersuchung unterzogen. Zeigt sich in diesen Untersuchungen eine komplette klinische Remission, also keine klinischen Anzeichen für einen Resttumor mehr, kommt der/ die PatientIn für Watch & Wait infrage.
Diese PatientInnen müssen anschließend sehr engmaschig untersucht werden? Werden sie mit der psychischen Belastung, die das mit sich bringt fertig?
Dr. Kurt Leitner: Ich habe noch keinen Patienten gesehen, der dieses Angebot ablehnt. Das Projekt ist vor rund 5 Jahren angelaufen und wir haben bisher 15 PatientInnen im Watch & Wait Programm. Sie müssen sich regelmäßig einer Reihe von Untersuchungen unterziehen: alle drei Monate wird eine Magnetresonanz, eine Rektoskopie und eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, alle sechs Monate einer Computertomographie von Brustkorb und Bauch. Nach zwei Jahren können die Nachkontrollabstände verlängert werden. Die Patientendaten werden in völlig anonymisierter Form, und nach Zustimmung der PatientInnen an die internationale Datenbank in Maastricht weitergeleitet..
Die PatientInnen gewinnen an Lebensqualität…
Dr. Kurt Leitner: Auf jeden Fall. Operationen am Mastdarm führen in vielen Fällen zu dauerhaften, belastenden Funktionsstörungen. Bei den meisten PatientInnen ist die zeitweilige Anlage eines künstlichen Darmausganges erforderlich, in bestimmten Fällen ist die Mitentfernung des Schließmuskels notwendig, diese Patienten müssen dann dauerhaft mit einem Stoma leben. Nach den bisher vorliegenden Daten aus dem internationalen Register ist die Watch & Wait Strategie, bei korrekter Patientense-lektion und gewissenhaften, engmaschigen Nachkontrollen der Chirurgie des Mastdarms gleichwertig. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass Langzeitdaten diesbezüglich noch fehlen, somit ist noch keine abschließende Aussage über das onkologische Outcom bei Watch & Wait möglich. Erst wenn diese Langzeitdaten vorliegen, wird Watch & Wait auch Einzug in die onkologischen Leitlinien finden.
Können die Untersuchungen nach Abschluss der Strahlen- und Chemotherapie ganz eindeutig die Komplettresektion des Tumors zeigen?
Dr. Kurt Leitner: Auch wenn der Darm in der endoskopischen Kontrolle unauffällig erscheint, und sich in der Magnetresonanz kein verdächtiger Befund zeigt, kann ich klinisch nie hundert Prozent ausschließen, dass im Darmgewebe bzw. im umgebenden Gewebe nicht doch noch Tumorzellen vorhanden sind. Das stimmt.
Das heißt, Sie als Kliniker müssen sich einer großen Verantwortung stellen oder entscheidet das Tumorboard?
Dr. Kurt Leitner: Grundsätzlich entscheidet natürlich das Tumorboard multidisziplinär über die Therapie, aber im Fall von Watch & Wait liegt ein großer Teil der Entscheidung bei unserem Team. Wir müssen alles sehr gut abwägen und – ja – die Verantwortung tragen. Vor allem aber müssen die PatientInnen ganz offen über das bestehende Restrisiko aufgeklärt werden.
Und wenn eine der Kontrolluntersuchungen ein Wiederauftreten des Tumors ergeben sollte?
Dr. Kurt Leitner: Ein Wiederauftreten des Tumors ist gut behandelbar und wirkt sich, wenn frühzeitig erkannt, nicht auf die Prognose aus. Das zeigen die Daten aus dem IWWT-Register. Genau aus diesem Grund sind die Abstände zwischen den Untersuchungen sehr dicht. Aber die PatientInnen finden sich im Allgemeinen sehr gut damit zurecht, zumal sie wissen, was die Alternative wäre. Bei Wiederauftreten des Tumors gibt es allerdings keine Alternative mehr zur radikalen Operation wie auch in jenen Fällen, in denen sich der Tumor nach der Strahlen- und Chemotherapie nicht komplett zurückbildet hat.
Sie sind von Anfang an in dieses Programm eingebunden?
Dr. Kurt Leitner: Der Kontakt zum internationalen Datenregister IWWD in Maastrich wurde durch unseren ehemaligen Primar, Dr. Josef Widmann hergestellt. Als er in die Sanitätsdirektion wechselte, bin ich als Spezialist für Rektumchirurgie nachgerückt. Ich bin für den klinischen Teil verantwortlich, die Daten erfasst und managt Dr. Marion Arnold.
Rektumchirurgie wird in Südtirol in Bozen, Meran und Brixen durchgeführt, Watch & Wait & gibt es aber nur in Brixen?
Dr. Kurt Leitner: Bisher ja, zum Teil werden wir auch noch kritisch beäugt, aber die Zahlen sprechen für uns.
Dr. Kurt Leitner
Studium der Medizin in Innsbruck, Facharzt für Allgemeine Chirurgie und Viszeralchirurgie. Von 2000 bis 2004 am Krankenhaus Sterzing, von 2004 bis 2011 an der Uniklinik in München Großhadern, von 2011 bis 2013 Oberarzt in Heilbronn, von 2013 bis 2017 am Krankenhaus Sterzing, seit 2018 am Krankenhaus Brixen.